76. Kapitel
Greg
Es war ihm eine Freude, seiner Frau den Arm zu reichen und sie den Flur entlang zum Aufzug zu führen.
Okay, eine größere Freude wäre es gewesen, hätte er sie in das große Bett führen können, um ihr das Kleid postwendend wieder auszuziehen und dort weiter zu machen, wo sie wegen seiner Unbeherrschtheit begonnen hatten. Aber andererseits wollte er sie gern ausführen, sie der Welt als seine Frau präsentieren, ganz besonders aber Bill, in Vertretung dessen Vaters, der für den ganzen Müll im Grunde zuständig war. Auch vorhin schon hatte sie umwerfend ausgesehen, wie eine Göttin, wie Audrey, die irgendwie immer aus ihr zu werden schien, wenn sie für die High Society zurechtgemacht wurde. Nur war es eine blasse Audrey gewesen, eine mondäne, sehr bezaubernde, aber irgendwie leblose, umwerfende Schönheit.
Jetzt war sie ein strahlendes Inferno, eine detonierte Atombombe, ein kollabiertes Kraftwerk. Die roten Wangen, die sich vom Make-up nicht verbergen ließen. Diese leuchtenden, riesigen Augen, die allein ganze Romane erzählten – und alle handelten von dem unglaublichen Sex, den sie gerade gehabt hatte. Die kirschroten Lippen – diesmal hatte sie den Lippenstift weggelassen, weil er einfach nicht erforderlich war. Die Frisur, die nicht mehr ganz so straff und perfekt saß, wie zuvor, daher aber umso heißer wirkte, weil sich ein paar Strähnen gelöst hatten, welche sich jetzt sanft an ihrem Schwanenhals und auf ihre zarten Schultern ringelten. Das alles entsprach nicht unbedingt dem Outfit für einen Abend in der Oper, aber ihre Ausstrahlung, die sie stattdessen auf alle Anwesenden entfesselte, war es allemal wert. Außerdem gingen sie nicht in die Oper oder zu einem Staatsempfang, sondern inkognito in einem Brüsseler Restaurant essen. Und dafür war sie beinahe schon overdressed.
Und … als sie allein in der relativ engen Kabine des Aufzuges standen und sich die vorhandene Luft unweigerlich mit ihrem Duft vermischte, musste Greg grinsen.  Fuck, sie roch nach purem Sex. Nach viel, viel nackter April, die unter seinen Händen zerfloss. Sie roch danach, gerade von ihm gevögelt worden zu sein. Hinzu kam seine Botschaft, die auf ihrer Schulter prangte – April hatte nicht mehr daran gedacht, Greg schon und es nach kurzer Überlegung dabei belassen. Jene Botschaft, die jedem lautlos zubrüllte: Sie gehört mir! Ganz bestimmt würde dies auch bei den Männern ankommen, für die sie gedacht war: William und Bill McCarthy.
Zu seiner Verwunderung waren sie pünktlich und stiegen Punkt 7:40 p.m. in die Limousine zu Joe, dessen Tag heute wieder verdammt lang werden würde, was Greg wie üblich nicht interessierte. Der Mann wurde so gut bezahlt, dass er mit derlei Unannehmlichkeiten zurechtkommen musste. Was er tat, wie er fairerweise zugab.
Kaum saßen April und er auf der ausladenden Rückbank, legte Greg seinen Arm um ihre zierlichen Schultern und zog sie an sich, bevor er seine Lippen auf ihrer Schläfe platzierte.
»Ich hoffe, ich verpatze es nicht«, murmelte sie unsicher.
»Kaum möglich«, erwiderte er. »Das ist kein Galaempfang, sondern ein Essen mit meinem Cousin.«
»Der versuchen wird, der Familie und der ganzen Welt zu demonstrieren, was für ein Trampel ich bin.« Ihre linke Hand hatte sich auf seinem Bein eingefunden, wo sie kleine Kreise zeichnete. »Ganz ehrlich, deshalb bin ich nicht hergekommen.«
»Das dachte ich auch nicht«, erwiderte er kurz und schloss ebenso flüchtig die Augen, weil ihre Kreise immer weiter nach oben glitten.
»Warum gehen wir dann überhaupt hin? Du hättest doch auch sagen können, dass wir ungestört sein wollen.«
»Natürlich hätte ich«, räumte er ein. »Aber das wäre nicht sehr diplomatisch gewesen, verstehst du?«
Er musterte sie mit eindringlichem Blick, der offenbar leider auch keine Lampe in Aprils von Sexlust, unterdrückter Leidenschaft, Zorn und Müdigkeit gleichsam umnebeltem Kopf zündete. Greg seufzte. »Später.«
Damit zog er sie wieder an sich und blickte durch die getönten Scheiben hinaus auf ein von unzähligen Straßenlaternen erhelltes Brüssel, über dem sich der Himmel bereits indigoblau gefärbt hatte. Fremd war ihm alles, was er sah, und er spürte noch immer nicht die geringste Veranlassung, diesen Zustand zu ändern. Er war ein Wanderer entlang der Sphären, nirgendwo wirklich vorhanden, bis auf … nun ja, bis auf jene raren Momente, welche er in den Armen dieser Frau zubrachte, die ihn noch immer betrachtete, was er allerdings ignorierte. Ihre Zeit zum Reden würde später kommen, und er wusste nicht einmal, wann genau das sein würde. Ein Fehler, ein klitzekleiner Patzer, und sein derzeit noch leicht unausgegorener und von zu vielen Unsicherheitsfaktoren behafteter Plan wäre gestorben, bevor er auch nur in die Versuchung gekommen wäre, ihn umzusetzen.
Dass er das wollte, wusste er auch erst seit ein paar Minuten. Aber zumindest das würde sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern.