82. Kapitel
April
Samstag
Helen und April saßen gemeinsam auf der Couch und sahen sich an.
Inzwischen hatten sie tatsächlich eine Nanny engagiert. Eigentlich sollte sie sich nur am Abend um June kümmern, wenn die beiden die Clubs der Stadt unsicher machen würden. Zwar war Jannice in ihrem Alter, wirkte aber um ein Vielfaches gefestigter – jedenfalls momentan. Ein Blick in die Gesichter der beiden Frauen hatte genügt, damit sie beschloss, das Kind aus den Fängen dieser negativen Energie zu entfernen.
April war zu ausgepowert, um zu widersprechen. Außerdem war sie froh, Jannice überhaupt beschäftigen zu dürfen, denn – was sie nicht bedacht hatte: Die Nanny hatte natürlich zuvor von den Sicherheitshyänen abgenickt werden müssen, und das hatte bei den zwanzig Interessentinnen für die Stelle, die sich vor Jannice vorgestellt hatten, schon mal nicht funktioniert. Bei Jannice konnte sie also davon ausgehen, dass diese Frau so rein und sauber wie ein Neugeborenes war.
Perfekt!
»Ich bin mir nicht sicher, ob wir überhaupt gehen sollen«, sagte April irgendwann finster. »Ehrlich, ich habe nicht die geringste Lust.«
Natürlich war das für Helen der Startschuss. Ihr Kopf hob sich und sie betrachtete ihre Freundin mit plötzlich wieder feurigen Augen. »Und wie
wir gehen werden. Und wie! Gerade, weil du keinen Bock hast, das zeigt nämlich in Wahrheit nur, wie psychisch abhängig du von dem Trottel bereits bist. Und was genau habe ich dir immer gepredigt?« Sie betrachtete April wie eine geduldige Lehrerin, die darauf wartete, dass ihr Schüler irgendeine Gesetzmäßigkeit auswendig hersagte.
»Dass wir uns niemals von einem Mann abhängig machen dürfen, wobei du dich nicht unbedingt auf den materiellen Aspekt einer Beziehung bezogen hast – wie auch immer sich eine solche darstellt –, sondern vielmehr auf die mentalen Belange, da unser Geschlecht stets dazu neigt – wenn wir einen Mann zu nah an uns heranlassen –, sie über Gebühr in unsere Köpfe und Herzen zu lassen. Eine Krankheit, die Beziehungen zwischen Menschen und den Ausgeburten des Fegefeuers – kurz Männer genannt – erst möglich gemacht hat. Würden wir uns nicht mehr von dem Verstand umnebelnden Schleier, den man gemeinhin als Verliebtheit kennt – in grausameren Fällen auch als Liebe – und dem Verlangen nach körperlicher Vereinigung – auch hemmungsloser, abartiger, dreckiger, befriedigender Sex genannt – umhüllen lassen, wären wir niemals so dämlich, uns auf die Typen einzulassen. Da wir nicht ganz ohne sie können – was übrigens eine himmelschreiende Ungerechtigkeit und ein definitiver Fehler in der Matrix ist –, stehen wir täglich erneut vor der Aufgabe, ihnen so viel zu geben, dass wir es überhaupt mit ihnen aushalten, aber nicht zu viel, um jeden Bezug zur Realität zu verlieren. Diese Waagschalen gilt es immerfort neu
auszuloten, gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen und, wenn sich das Ungleichgewicht zu sehr zu Gunsten des Teufels neigt – in wenigen Fällen schlicht Mann genannt –, das vorübergehende Bündnis aufzulösen. Womanwoper forever!«
Helen, die ihr atemlos gelauscht hatte, klatschte begeistert in die Hände. »Das hast du so schön gesagt!«
»Irre, oder?«, kommentierte April lakonisch, seufzte dann aber.
»Was hast du, Kleines?«, erkundigte sich Helen auf eine, sogar für ihre Verhältnisse, äußerst überfürsorgliche Art.
»Nichts«, erwiderte April, der die gesamte Angelegenheit mit einem Mal etwas zu heiß wurde, und sprang auf. »Wir hatten gesagt, wir gehen aus, und verdammte Scheiße, dann tun wir das auch!«
Helen hatte sich ebenfalls erhoben und grinste. »Das ist mein Mädchen! Du hast eine halbe Stunde!«
Damit machte sie sich auf den Weg in ihr Zimmer, während April ihr fassungslos hinterher brüllte: »Soll das ein Scherz sein? Solange brauche ich allein, um die Klamotten auszusuchen!«
Das schien Helen nicht gehört zu haben, denn eine Antwort erfolgte nicht. Und so ging April mit hängenden Schultern in ihr Schlafzimmer und versuchte sich daran zu erinnern, was man anzog, wenn man vorhatte, die Welt der Clubs unsicherzumachen.
Wenig später stand sie vor ihrem begehbaren Schrank, der mittlerweile randvoll mit Designerklamotten war, die sie nicht unter Mordandrohung für das Bevorstehende angezogen hätte. Als sie wusste, dass sie erst einmal zu keinem Ergebnis kommen würde, entschied sie, zunächst unter die Dusche zu gehen. Während das heiße Wasser über ihren Körper prasselte und sie sich mit ihrem Lieblingsduschbad einseifte, spürte sie allmählich die gewohnte Wirkung. Es war schon immer ihr Lebensmotto gewesen: Wenn du dich unwohl fühlst, wenn du nicht aus noch ein weißt, dann geh duschen, schließ für ein paar Minuten die Augen, katapultier dich aus der Gegenwart heraus in das Paralleluniversum, in dem es keine Probleme und Sorgen gibt, und versuche, dich selbst zu finden. Dann wird alles leichter sein.
Irgendwann sah sie ein, dass sie schrumpelige Haut riskierte, wenn sie noch länger hier herumstand, und sie drehte seufzend das Wasser ab. In ein Handtuch gehüllt, die Haare mit einem weiteren zu einem Turban gebunden, trat sie in das Schlafzimmer. Grinsend hörte sie die rockigen Klänge, die von unten zu ihr hinauf drifteten, betrachtete begeistert das hohe, langstielige Glas, das auf ihrer Frisierkommode aufgetaucht war und in dem die Flüssigkeit lustig vor sich hin sprudelte.
Ja, das machte die Dinge schon leichter. Mit dem Sektglas in der Hand, zu Fall out Boy
tanzend, nahm sie einen großen Schluck, und unternahm dann einen erneuten Versuch in ihrem Schrank. Diesmal war sie erfolgreicher. Nachdem sie ein eher gewöhnliches Bustier, Höschen, knallenge Jeans und ein weites, schulterfreies Oberteil, das nur an zwei schmalen Stellen an den Schultern zusammengehalten wurde, entnommen hatte, genehmigte sie sich einen nächsten Schluck Sekt, tanzte noch ein wenig durch den Raum und zog sich dann an. Als Nächstes trug sie Make-up auf, wobei sie darauf achtete, ihre Augen ja schön dunkel zu tuschen. Sie wollte verrucht aussehen, um all die gemeinen Sextäter, die nur darauf warteten, April vom Pfad der Ehefrauentugend zu geleiten, noch richtig anzustacheln … un
d sie dann eiskalt abblitzen zu lassen.
Was für ein gottverdammter Trottel, ehrlich!
Er stellte sie wie irgendeine wankelmütige, dumme Schlampe hin, die in ihrem Leben maximal zwei unbekleidete Schwänze gesehen und natürlich auch gleich in sich reingelassen hatte. Weshalb sie für sich eine wandelnde Lebensgefahr war, die man nicht ohne Aufsicht unter die Menschen gehen lassen durfte. Nein, es ging dabei nicht etwa um ihre Sicherheit – jedenfalls redete sie sich das gerade ein – sondern nur um den Ruf der Familie.
Den beschissenen Ruf der gottverdammten Familie, deren Oberhaupt sich durch die ganze Welt fickte und sich an jeder Frau vergriff, wenn er Lust dazu verspürte. So war es! Und sie war ein Risiko!
Sie!
Das ärgerte sie so sehr, dass sie ihre Augen noch dunkler schminkte, dazu einen extrem breiten schwarzen Lidstrich wagte, der leicht an Amy Winehouse erinnerte, und zu allem Überfluss auch noch den ganz dunkelroten Lippenstift wählte, den sie gleich dreifach auftrug. Dann schminkte sie sich mit dem dunkelsten Rouge, das sie in ihrem Make-up-Bestand finden konnte, einen extremen Wangenknochenkontrast in ihr Gesicht und toupierte das braune Haar, obwohl sie ursprünglich vorgehabt hatte, das Ganze einfach glatt auf ihren Rücken fallen zu lassen.
»Und das ist alles deine Schuld!«, wisperte sie dabei, bevor sie in ihre Chucks schlüpfte, Jacke sowie Clutch griff und die Treppe hinab eilte, wo Helen sie schon erwartete. Helen, die so schön war, wie April sie seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte. Zu ihrem hochgesteckten Haar, aus dem einige Strähnen herausgelassen worden waren, hatte sie ein mitternachtsblaues, enges Kleid an, dessen Rock die Taille zunächst stark betonte, bevor er weit bis knapp über ihre Schenkel fiel. Dazu trug sie hochgebundene, goldene offene Heels, die ihre Beine noch etwas länger erscheinen ließen, als sie schon von Natur aus waren. Wäre sie nicht Aprils beste Freundin gewesen und auch noch eine, die in einer erheblichen Krise steckte, dann wäre bei April möglicherweise Neid aufgekeimt. Sie würde niemals so aussehen, egal, wie sehr Miss Shaw sich ins Zeug legte. Schon, weil sie kleiner und nicht blond war.
»Du weißt aber schon, dass wir nur in einen Club gehen?«
Helen betrachtete sie leicht verwirrt, dann lachte sie. »Nur ein Club, ja? Na wie auch immer, komm!«
Was April nicht bedacht hatte, Helen aber offensichtlich schon, war die Tatsache, dass sie in keinen gewöhnlichen Club fahren konnten
. Oder, ganz von vorn begonnen, selbstverständlich
fuhren sie nicht selbst, sondern wurden chauffiert. Diesmal vom Limousinenservice, der die Familie betreute und offenbar von Helen vorsorglich geordert worden war. Der Chauffeur war ein Latino von circa dreißig, mit einem atemberaubenden Körper, der in seiner verdammten Uniform noch extra zur Geltung kam, wie sie gesehen hatte, als er ihnen die Wagentür aufhielt. Als sie in den weichen Polstern saßen und der Wagen sich sofort in Bewegung setzte, betrachtete April ihre Freundin stumm. Irgendwann fand sie ihre Stimme wieder.
»Wolltest du auf Nummer sicher gehen, falls du nichts aufreißt?«, erkundigte sie sich mit einem Nicken nach vorn, wo der unglaublich heiße Chauffeur gerade die Limousine durch
die Sicherheitsschleuse fuhr.
»Bitte!«, kam es empört von ihrer Freundin und April musste ihr zustimmen. Also eines war unbestritten: Helen St. James hatte noch niemals Schwierigkeiten gehabt, etwas für eine Nacht aufzureißen. Ganz bestimmt nicht. Und so wie sie aussah, würde diese Erfolgsserie garantiert nicht gerade heute abreißen.
Schweigen kehrte ein, denn Helen fühlte sich in Wahrheit ganz und gar nicht gut. Terence hatte sich seit seinem legendären Abgang nicht wieder gemeldet, nicht einmal mittels einer Textnachricht. Helen tat zwar, als würde es ihr nichts ausmachen, aber April kannte die Wahrheit – und das war wohl nur zwangsläufig. Auch sie hatte damals gelitten, als Greg sie in einem seiner großherrlichen Anfälle aus seinem damaligen Apartment geworfen und sich kein einziges Mal gemeldet hatte. Natürlich hätte er keine Chance bei ihr gehabt, schließlich ließ eine April Palmer sich von niemandem ungestraft hinauswerfen. Trotzdem hatte sie sich gewünscht, er würde es wenigstens versuchen. Dass er es nicht getan hatte, traf sie damals schwer. Frauenlogik – niemand hatte jemals behauptet, dass diese rational dachten und Männer sie verstehen könnten, selbst wenn sie wollten.
Sie griff Helens Hand, drückte sie fest und sah dann aus dem Fenster, vor dem die Vororte New Yorks vorbeiflogen. Offenbar befanden sie sich auf direktem Weg nach Manhattan, was sie einigermaßen verblüffte.
Nein, sie fuhren tatsächlich in keinen x-beliebigen Club, wie April bald einsehen musste, denn diese befanden sich alle jenseits der Insel mit ihren überteuerten Preisen und Luxusbars. Als sie Helen fragend ansah, zuckte diese mit den Schultern. »Du hast dich nicht darum gekümmert, also habe ich mit den Jungs verhandelt, bis sie uns überhaupt gehen ließen. Bilde dir nicht ein, dass das einfach gewesen ist. Dieser Club wird es werden.«
Damit deutete sie auf ein grelles Reklameschild, an dem sie gerade vorbeifuhren: ›Manhattans Plaza‹.
»Und nur mal nebenbei, das ist der angesagteste Laden in ganz New York.«
April sagte nichts mehr, ihre Freude, so denn überhaupt vorhanden gewesen, war auf null Komma null gesunken. Nein, es würde kein Revival ihrer heißen, tollsten Zeit geben, in der sie an fast jedem Wochenende ihre
Clubs unsicher gemacht hatten. Indie-Rock, Bier aus Plastikbechern, jede Menge Beat, kein Stress, locker abhängen und ab und an ein Joint. Genau das hatte April vor Augen gehabt, als sie diesen Abend plante. Keinen Nobelschuppen, der schon von draußen so unglaublich widerlich nach Geld stank, dass jeder vernünftige Mensch sofort floh. Vor der roten Kordel, hinter der zwei Typen in der Statur Joe Adairs mit vor dem Körper ineinander gefalteten Händen wachten, stand eine Schlange von ungefähr 200 Wartenden. Alle waren so widerlich aufgetakelt wie … ja, wie Helen, die blöde Kuh.
»Du hättest mir wenigstens sagen können, wohin es geht«, knurrte April, als die Limousine gerade in eine dunkle Einfahrt setzte. »Ich bin total underdressed!«
»Möglich, aber wenn ich dich vorher eingeweiht hätte, dann hättest du gekniffen und ganz ehrlich, ich halte es keine Sekunde länger in diesem Haus aus.«
Besorgt musterte April ihre Freundin, denn das war garantiert keine Anti-Liebes-Erklärung ihr Haus betreffend, sondern der Tatsache geschuldet, dass Terence Auster spielte. Weshalb ihre sonst so toughe Freundin langsam aber sicher depressiv wurde. Auch das war April nicht entgangen, sie wusste nur partout nicht, was sie dagegen tun konnte,
außer das Gespräch mit Terence zu suchen, was Helen ihr jedoch strikt verboten hatte.
»Nein!« Sie hatte sie derb am Arm gepackt und wie eine Irre angesehen, als April den Vorschlag ganz nebenbei einmal fallen lassen hatte. »Das ist die gegnerische Seite, kapierst du das nicht? Greg und Terence vs. April und Helen. Wenn du Terence anrufst, dann sieht es aus, als ob du zu Kreuze kriechst. Oder ich. Oder wir beide. Wir müssen das jetzt durchstehen bis sie
angekrochen kommen. Verdammt, das sind wir allen Frauen auf Erden schuldig! Womanpower, schon vergessen?«
April wusste nicht, wann der Streit mit ihrem Mann globale Ausmaße erreicht hatte, und um ehrlich zu sein, schmeckte es ihr auch nicht sonderlich, denn bisher hatte sie geglaubt, über derartige Teeniemanöver hinaus zu sein. Wenn sie das Bedürfnis hatte, mit Greg zu telefonieren, dann würde sie es tun. Egal, dass es vielleicht so aussah, als würde sie angekrochen kommen. Allerdings verspürte sie momentan so gar nicht das Bedürfnis. Und dass sie Terence nicht kontaktieren sollte … Nun das war Helens Entscheidung, und April würde sich ihr fügen, auch wenn sie das für einen Fehler hielt.
Auf dem VIP-Parkplatz angekommen, half der unglaublich sexy Chauffeur ihnen aus dem Wagen. Helen schmachtete ihn an, weshalb April sie rasch mit sich zog. »Hör auf mit der Scheiße!«, zischte sie ihr durch die zusammengebissenen Zähne zu. »Das bringt nur Ärger!«
Helen betrachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen, schüttelte dann aber bloß den Kopf und grinste den heißen Fahrer an, der die Anmache unverhohlen erwiderte.
Sie wurden an irgendwelchen riesigen Männern in der Breite von Schränken vorbei in das Innere eines Clubs entführt, wie April ihn nie zuvor gesehen hatte. Die Clubs aus ihrer Sturm-und-Drang-Zeit waren meist auf leicht heruntergekommenen, stillgelegten Werksgeländen untergebracht gewesen. Was den Vorteil hatte, dass man tun und lassen konnte, was man wollte, und den Nachteil, dass alles irgendwie total versifft war, weshalb man selten die besten Klamotten anzog. Außerdem gab es kaum Lampen – sparen war angesagt –, daher hatte man sich immer mehr an den anderen entlanggetastet, als dass man wirklich etwas gesehen hatte. Mit Ausnahme der Kontrolllampen an den Mischpulten und der eher geringen Beleuchtung der Bars, an denen der Alkohol in Plastikbechern ausgeschenkt wurde, war es dort immer stockfinster gewesen.
Hier empfing sie ein Mehr-Etagen-Eventort, der stellenweise von Lasern grell erhellt wurde. Allerdings machte sie auch weniger in Szene gesetzte Plätze aus, an denen bequeme Leder-Knautsch-Sofas standen. Die Elite der Stadt tanzte ausgelassen zu den Charthits – was April ja schon mal extrem nervte. Niemand
, der irgendwas auf sich hielt, tanzte zu diesem kommerziellen Scheiß. Sie sah vereinzelt Biergläser, aber meistens trank die durchweg sehr nobel gekleidete Gesellschaft Champagner oder hochprozentigen Alkohol.
Der Boden bestand aus Spiegelfliesen, daher war April extrem erfreut, ihre Chucks angezogen zu haben, weil sie auf Absätzen elend zugrunde gegangen wäre. Allerdings war sie die Einzige weit und breit, die auf dieses Schuhwerk zurückgegriffen hatte. Die Yuppies – oder die Yuppie-Söhne – trugen alle Anzüge mit Krawatte, jedoch hatten sie ihre Jacketts wohl an der Garderobe abgegeben. Offenbar war es auch erlaubt, die Hemdärmel hochzukrempeln, weshalb sie wie lässige
Yuppies und Yuppiesöhne aussahen. Die Frauen waren alle mindestens so aufgebrezelt wie Helen, wobei diese eher unterem Standard entsprach. April sah sündhaft teure Kleider, Jumpsuits, Stiefel mit Mörderabsätzen, die fast
bis zur Wade reichten, Dekolletés, in denen tausende von Dollar in Form von edlem Designer-Schmuck hingen. Wie benommen zog sie Helen mit sich und beachtete dabei keinen der vielen Blicke, die sie abschätzig musterten, weil sie wirklich absolut underdressed war – und das war sehr, sehr freundlich ausgedrückt. Glücklich fanden sie eine freie Couch, auf die April ihre Freundin drückte und sich daneben zwängte. Dann lehnte sie sich kurz zurück, schloss die Augen, um den Schock zu verkraften, und funkelte Helen schließlich wütend an. »Danke! Vielen, vielen Dank, dass du mir diese Peinlichkeit überhaupt erst ermöglicht hast. Was wäre mir entgangen, hätte ich mir wenigstens den
Scheiß erspart!«
Helen tat unschuldig. »Ich finde es hier echt nett!«, verkündete sie strahlend, winkte einem Kellner – in diesem Schuppen servierten tatsächlich Kellner! – und bestellte ein Glas Champagner sowie ein Wasser mit Zitrone.
»Du bist
nicht schwanger!«, knurrte April. »Du kannst so viel Champagner saufen, wie du willst, dein Kind kann nicht geschädigt werden, weil es überhaupt nicht existiert
!«
Helen schüttelte ungerührt den Kopf. »Weißt du, es besteht kein Grund, gleich unhöflich zu werden, nur weil du ein bisschen von der Situation überrumpelt bist. Sieh doch, kein Mensch beachtet dich!«
Das stimmte sogar. Sobald sie sich gesetzt hatten, ging jeder wieder seinen eigenen Geschäften nach. Niemand schien sich für sie zu interessieren, außer ein Typ in Yuppie-Anzug, der auffallend häufig zur scharfen Helen hinüber blinzelte. Als sie ihn lange genug ignoriert hatte, um ihrem Gefühl für Stolz zu entsprechen, winkte sie lächelnd zurück. Ahh, sie war also wirklich auf der Suche. Das war für April der Beweis, dass sie garantiert nicht schwanger war. Allein der Gedanke an einen fremden Mann war – als April selbst ein Kind erwartet hatte – Grund genug für einen ausgiebigen Besuch auf der Toilette gewesen, um zu kotzen.
Der Kellner brachte die Getränke und April nahm einen großen Schluck, ohne erst mit Helen anzustoßen, welche die erneute Abfuhr mit Fassung nahm. Nebenbei sah sie sich im großen Raum um; unbemerkt hatte ihr übergeschlagenes Bein begonnen, zum Takt des aktuellen Titels – Lady Gaga, unfassbar! – zu wippen. Dann fiel ihr Blick auf etwas, das sie die Augen aufreißen und Helen am Arm packen ließ.
»DA!«
Helen sah in die Richtung, in die Aprils überhaupt nicht peinlicher Finger deutete. Sobald es ihr klar wurde, senkte sie ihn.
Da war das Supermodel Lara Delmonte. Eine rassige dunkelhäutige Schönheit, die momentan auf jedem verdammten Hochglanzmagazin zu sehen war. Bei ihr saß niemand anderes als Johnny Dewees, ein mehr durch seine Drogenexzesse als durch seine Filme bekannter Schauspieler, der sich vor ein paar Jahren an das Supermodell gehängt hatte. Man munkelte, die beiden hätten zwischenzeitlich sogar heimlich geheiratet.
»Wir befinden uns hier im VIP-Bereich des Clubs, Baby«, sagte Helen, doch auch sie war nicht halb so cool, wie sie sich zu geben versuchte. Unentwegt sah sie zu dem Promi-Paar hinüber, das mit ein paar anderen Frauen und Männern, die April alle in die Modebranche einordnete, in einer Ecke saß. »Natürlich triffst du hier auf ein paar bekannte Gesichter.«
April war schon einen Schritt weiter. »Was sieht sie nur in ihm? Er ist so …« Ihr Blick glitt über die wunderschöne Frau mit dem glatten, dunklen Haar, das in dem grellen La
serlicht besonders glänzte. Sie hatte es zu einem schlichten Pferdeschwanz gebunden, aber bei ihr wirkte es wie die teuerste Frisur, die man sich in der 5th Avenue zaubern lassen konnte. Ihr überschlanker, sehr großer, dunkler Körper steckte in einem knappen Designerkleid. Selbst auf diese Entfernung zeichneten sich unter dem dünnen Stoff deutlich ihre kleinen Nippel ab; beim Sitzen konnte man die makellosen Schenkel sehen, und an den Beinen trug sie schwarze, lederne Overknees mit einem mörderischen Absatz.
Dewees wirkte dazu wie das Negativ, obwohl er blond und ziemlich blass war. Er trug hautenge Lederhosen, darüber irgendein Hemd, das über seine schmalen Hüften reichte, und eine Jeansjacke, die noch heruntergekommener war als Aprils. Außerdem hatte er ein Basecap verkehrt herum aufgesetzt. Der Typ war nicht schlank, sondern wies die charakteristische Dürrheit eines Junkies auf.
»Er wird sie in seinen Sumpf runterziehen, du wirst sehen«, murmelte April. »Und am Ende wird sie wie Amy enden.«
»Das ist nicht gesagt«, erwiderte Helen und klang etwas verschnupft. »Nicht alle Frauen sind so dämlich, sich von einem Schwächling von Mann zerstören zu lassen.«
April sah ihre Freundin an. »Und du gehörst zur Gewinnerseite.«
Helen lächelte. »Ja. Und du auch.«
Sie antwortete nicht, doch erstaunlicherweise ging es ihr ab diesem Zeitpunkt besser. April fühlte sich unglaublich wohl damit, einfach hier zu sitzen, sich die Leute anzusehen, von denen nicht wenige tatsächlich sehr prominent waren, und langsam ihren Champagner zu trinken. Helen wurde nach ein paar Minuten aufgefordert und befand sich bald mit einem sehr attraktiven Typ – Yuppie, selbstverständlich – auf der Tanzfläche.
Im Grunde war es so wie immer.
April hatte ihre Freundin auch früher eher als eine Art Anstandsdame begleitet. Sie hatte das Treiben von der Seitenlinie aus betrachtet, während Helen den Fang für den Abend klargemacht hatte. Allerdings hatte es niemals lange gedauert, bis sich auch zu April irgendwer gesetzt hatte. Das waren immer die Verlierer der Gesellschaft gewesen, die in April einen leichten Fang gewittert hatten. Und manchmal war sie das sogar gewesen. Wenn sie da nur an Scott dachte … Ehrlich, kein einziges Mal hatte sie auch nur einen halbwegs anständigen Kerl in einem Club oder einer Bar kennengelernt, und damit bezog sie Atlantic City mit ein. Vielleicht hätte sie sich beizeiten ein anderes Jagdgebiet zulegen sollen.
Quatsch!,
belehrte sie sich streng, sobald sie das gedacht hatte. Fakt war doch, sie war ja niemals der Jäger gewesen, sondern immer die Beute. Auch
in Atlantic City, obwohl sie sich damals etwas anderes eingebildet hatte.
»Ja, sieh mal einer an!«
Verwirrt blickte sie auf und ihre Augen wurden groß.
Vor ihr stand – und es schien, als wäre er auf eine Art geheimen Ruf aus dem Erdboden gestampft worden – Scott Heahly.
Jener Scott, der sie mit einer simplen Nachricht auf einem aus einem karierten Schreibblock herausgerissenen Blatt Papier abgespeist hatte, bevor er sie einfach so verließ. Jener Scott, der im Grunde dafür verantwortlich war, dass sie jetzt die unglückliche Mrs. McCarthy war.
Er sah erstaunlich gut aus. Vielleicht waren es die Designerklamotten, die er trug, oder der Haarschnitt – als sie mit ihm zusammen gewesen war, hatte Scott sich die Haare immer
von ihr schneiden lassen. Er hatte sich einen Drei-Tage-Bart stehen lassen, das Hemd unter dem weiten Jackett war am Kragen um drei Knöpfe geöffnet, darunter sah sie gebräunte Haut und eine schmale, blitzende Goldkette. Bis hin zu den Schuhen war er eine echte Erscheinung. Also eine positive.
Sie suchte in sich nach dem alten Groll, konnte ihn aber nicht finden. Viel zu neugierig war sie auf den Mann, der sie anstrahlte und so anders war, als der, den sie bis vor wenigen Monaten zu kennen geglaubt hatte.
»Darf ich mich zu dir setzen?«
»Tu dir keinen Zwang an«, erwiderte sie grinsend, und als er neben ihr saß, ihr eine unbekannte, aber garantiert nicht übel riechende Wolke seines Aftershaves in die Nase stieg, da begriff sie erstaunt, dass er nichts mehr mit jenem Scott Heahly gemein hatte, der ihr damals so fies den Laufpass gegeben hatte.
»Was um alles in der Welt tust du hier?«, erkundigte sie sich mit ehrlichem Interesse.
Er gluckste und winkte einen Kellner heran, bei dem er weltmännisch – also leicht herablassend – einen Scotch bestellte. »Willst du auch was?«
»Ich hab noch.« Sie deutete auf ihren Champagner.
»Dann war es das fürs Erste.« Sobald die Bedienung gegangen war, lächelte er April an. »Die Frage könnte ich auch zurückgeben.«
»Na ja, ich … äh, bin mit einer Freundin hier«, sagte sie schnell.
»Oh! Du hast Freunde in der Upperclass?«
»Sieht so aus. Und du?«
»Ich gehöre
in die Upperclass«, sagte er wieder mit diesem Anflug von Arroganz. Sie sah, dass seine Lippen immer noch einen Tick zu breit waren. Ein leichter Schönheitsmakel, nichts Weltbewegendes, doch ihr war das früher schon aufgefallen. »Ich hatte Glück.«
»Nachdem du mich hängenlassen hast, meinst du?«
Hastig hob er die Hände. »Wow! Du verlierst keine Zeit, oder? Okay … Ehrlich, das war …« Scott runzelte die Stirn, nahm ohne Dank sein Glas von der Bedienung entgegen und prostete April zu. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, setzte er sich zurück, den Arm auf der Lehne der Couch und somit nur Millimeter von ihrem Gesicht entfernt. »Ich hatte damals das Gefühl zu ersticken. Ich musste raus, musste weg, einfach … irgendwas Neues probieren.«
»Aha. Und das konntest du mir nicht irgendwie sagen?«
»Als ich ging, wusste ich nicht, dass ich nicht wiederkommen würde.«
April lachte ganz ohne Groll. »Junge, du hattest fast deine ganzen Klamotten mitgenommen.«
Er wirkte nur mäßig ertappt. »Ich war halt jung und … ziemlich durch den Wind. Und ich hasste es, auf deine Kosten zu leben.«
April nickte, nahm einen Schluck von ihrem Champagner, ohne ihn aus den Augen zu lassen, und beschied dabei, dass dieser Typ sie null
interessierte. Ob mit oder ohne Designerklamotten. Die waren eben nicht alles, außerdem gewöhnte man sich ziemlich schnell an den Anblick, wenn er einen pausenlos umgab. Und wenn man wusste, wie ein Mann aussah, wenn er besoffen das Klo vollkotzte, wenn er jammerte, weil er die Grippe hatte, und vor allen Dingen, wie klein sein Schwanz war, dann war man auf Lebzeit aller Illusionen beraubt. Egal, wie teuer seine Klamotten mit einem Mal waren.
»Weißt du was? Schwamm drüber, die Welt hat sich weitergedreht und
ich mich auch. Also erzähl, wie kommst du in diesen Nobelclub? Musstest du die Rausschmeißer bestechen?«
Scott lachte, sie sah, dass er einen überdimensionierten, silbernen Ring am kleinen Finger seiner rechten Hand trug. Was für ein Poser!
»Nein, du wirst es nicht glauben, ich mache mich ganz gut an der Börse. Bin da jetzt groß im Geschäft.«
»Wow!«, staunte April. »Das nenn ich mal eine echt steile Karriere.«
Scott grinste. »Die du mir niemals zugetraut hättest, gib es zu. Aber du hast recht: Schwamm drüber, ich bin echt froh, dich getroffen zu haben, April. Verdammt, wir hatten eine geile Zeit zusammen.«
Nun ja, wie man es nahm, doch April hatte längst beschlossen, sich von Scott nicht den Abend verderben zu lassen. Sie trank noch einen Champagner, den Scott großzügig bezahlte, offenbar sollte das die Entschädigung dafür sein, dass er sich über viele Monate an ihr schadlos gehalten hatte. Er erzählte von seinem Apartment in Manhattan, für das er etliche Morde begehen musste, um es zu bekommen, wie er sie augenzwinkernd wissen ließ. Als er sie fragte, wo sie wohne, antwortete sie ausweichend.
»Nicht ganz so lauschig gelegen, schätze ich.«
»Doch nicht immer noch in diesem Loch?«
»Nein, das Loch
habe ich hinter mir gelassen«, erwiderte sie lächelnd. Die kleine Kanalratte!
Egal. Mit seiner aufgesetzten blasierten Art machte er nur deutlich, was für ein gottverdammter Penner er war und dass er sich kein Stück verändert hatte. Vor allem aber war er, wenn überhaupt, dann neureich. Sein Reichtum konnte genauso schnell gehen, wie er gekommen war. Denn jemand, der es wirklich hatte, sprach nicht so großkotzig darüber. Noch immer war er bloß ein widerliches Charakterschwein. Ganz besonders aber wurde immer offensichtlicher, dass er es nicht im Mindesten mit ihrem Mann aufnehmen konnte. Und wie man es drehte und wendete, es kam immer aufs Gleiche heraus: Wäre Scott nicht der gottverdammte Arsch, der er nun mal war, dann hätte sie Greg nie kennengelernt.
»Ich bin echt froh, dass es dich gibt, Scott!«, platzte es aus April heraus, die inzwischen bei ihrem dritten Glas angekommen war und daher nicht mehr jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legte. Sofern sie das überhaupt jemals getan hatte.
»Das freut mich, Baby«, sagte er und spielte aufgesetzt mit einer ihrer Locken. April wurde schlagartig übel, doch sie grinste nur noch breiter. Irgendwie wartete sie noch auf den geeigneten Moment, um ihm seine Frechheiten heimzuzahlen, was in einem fulminanten Showdown erfolgen musste – damit er es auch ja nie vergaß.
Okay, sie hatte ihm doch nicht vergeben, jetzt war es amtlich.
»Wollen wir tanzen?«, fragte er plötzlich. April nickte verblüfft, doch erst, als sie auf der Tanzfläche waren, erkannte sie, dass gerade eine der langsameren Balladen gespielt wurden.
Mist!
Sie lächelte, ließ sich von ihm in den Arm nehmen und versuchte während der kommenden zwei Minuten, erstens nicht darauf zu achten, dass sein Hemd ziemlich durchgeschwitzt war, und zweitens, dass sein Schweiß in Verbindung mit dem garantiert sündhaft teuren Aftershave keine männlich herbe Note ergab, sondern einfach nur widerlichen Gestank
.
Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken und dann seine Lippen an ihrem Ohr. »Gib es zu, wir hatten wirklich eine geile Zeit, Baby.«
Wenn er sie noch einmal ›Baby‹ nannte, würde sie ihm in die Eier treten. Und ihr war echt scheißegal, welches Model, welcher Schauspieler oder sonstige Star ihr dabei zusah. Niemand kannte sie hier und Scott – darauf hätte sie sogar ihren Arsch verwettet – garantiert auch nicht.
»Wirklich, ich habe ziemlich oft an dich gedacht, hab mich gefragt, was du jetzt so machst, ob du immer noch in dieser abgefuckten Klinik arbeitest und mit dieser nuttigen Blondine abhängst. Wie hieß sie noch gleich?«
»Helen«, sagte April trocken. Was für ein Opfer!
Seine Hand strich an ihrem Rücken hoch und runter und er drückte sich noch etwas enger an sie. »Wie das damals rübergekommen ist, tut mir leid, ehrlich, ich wollte dich nicht verletzen oder so.«
»Das hast du auch nicht«, erwiderte sie. »War nur blöd, dass du mir nicht Bescheid gesagt hast, denn ich hatte für zwei eingekauft und das flog nun alles weg. Auf die Art hätte ich eine Menge Kohle sparen können.«
Sein Glucksen war die erste Antwort. Dann sah er sie an … Igitt, diese Sommersprossen in Verbindung mit den leichten Hautunreinheiten … Das war ihr schon damals sehr, sehr widerlich aufgestoßen. Offenbar hatte er seine post-pubertären Hautprobleme immer noch nicht in den Griff bekommen.
»Das habe ich schon damals so an dir geliebt. Deine unglaubliche Schlagfertigkeit und dass du so witzig bist.«
»Ja, und wie
witzig«, echote April. »Oh, hey Helen!«
»Ich sag ja, du bist dir nie zu schade für einen Joke«, witzelte er weiter, »als wenn diese Schlampe jemals in solch einen Club reingelassen …«
»Wenn das nicht der gute alte Wichser Scott Heahly ist«, ertönte in diesem Moment Helens Stimme, und April hätte geschworen zu spüren, wie sich die ohnehin schon sehr kleinen Eier – passend zu seinem Schwanz – des guten alten Scott Heahly schlagartig nach innen verzogen. Er ließ von April ab und betrachtete sie schockiert, bevor er neben sich sah, wo Helen gerade mit dem Kerl vorüber tanzte, den sie offenbar als Bettgenossen für den heutigen Abend auserkoren hatte. Nun allerdings blieb sie stehen, einen Arm locker um die Taille ihres aktuellen Lovers geschlungen. »Wie viel musstest du den Türstehern zahlen, um hier reingelassen zu werden, oder gehörst du zum Reinigungspersonal und wolltest mal ein bisschen Luft der Reichen und Schönen schnuppern?« Helen zwinkerte. »Völlig verständlich, mein Junge. Aber lass deine verdammten Wichsfinger von meiner Freundin. Du hast …«
»Nein, Scott mischt jetzt bei den ganz Großen mit«, unterbrach April sie schnell, denn der Typ sollte ums Verrecken nicht erfahren, wie am Boden zerstört sie damals gewesen war, nachdem er sie sitzengelassen hatte.
»Ach, tust du das, ja?« Der Kerl, der neben Helen stand, schien nichts von ihrem Gespräch mitzubekommen. Er hatte nur Augen für Helens Ausschnitt, wobei sein Blick ziemlich glasig wirkte. April tippte auf einen riesigen Joint, den er vor nicht allzulanger Zeit inhaliert haben musste.
Umso besser, denn Helen kannte keine Gnade. »Dann sieh bloß zu, dass du deine Pfoten diesmal bei dir behältst. Denn wenn du deine Karriere als elender Grapscher fortsetzt,
könnte es sein, dass sie dir irgendwann abgehackt werden. Schönen Abend noch.«
Damit stieß sie den bekifften Yuppie neben sich an, der – wie April neidlos zugab – wirklich gut aussah, und sie tanzten weiter.
Mit erhobenen Augenbrauen musterte April ihren Ex, der leicht rot im Gesicht angelaufen war. »Was soll ich sagen, nein, es war kein Witz, ja, Helen ist meine Begleitung, nein, du hast bei ihr keinen besonders guten Eindruck gelassen.«
Er kam bemerkenswert schnell über den Schock hinweg. »Ah, fuck drauf!«, knurrte er und ehe April wusste, wie ihr geschah, hatte er sie wieder an sich gezogen. Seine Lippen kamen ihren gefährlich nah – verdammt, er hatte widerlichen Mundgeruch. »Du hast mir gefehlt.« Offenbar interessierte ihn nicht, dass sie sich inzwischen mit beiden Händen gegen ihn sträubte, seine Lippen fuhren an ihrer Wange entlang – ein grauenvoller eisiger Schauder wanderte langsam über ihren Rücken –, und er presste sie an sich, sodass sie deutlich seine mickrige Erregung unter seiner Hose zu spüren bekam. »Ich hab viele ausprobiert, dachte, da muss es noch mehr geben als April Palmer, aber …« Eine Faust packte spielerisch ihr Haar. »Aber du warst immer die Beste.« Damit presste er seine Lippen auf ihre und April dachte, sie würde sterben.
Mit aller Macht hielt er sie fest, versuchte angestrengt, seine Zunge zwischen ihre Zähne zu bekommen, und wenn Scott auch ein Arsch vor dem Herrn war, so war er darüber hinaus leider auch nicht sonderlich schwach. Es gelang ihm problemlos, sie an Ort und Stelle zu halten. Obwohl sie sich immer noch gegen ihn stemmte, inzwischen mit beiden Fäusten auf seiner Brust, zeigten ihre Befreiungsversuche so gut wie keine Wirkung. Außerdem musste sie ja auch noch darauf aufpassen, dass dieses kleine Rindvieh seine Zunge außerhalb ihres Mundes beließ.
Da niemand zu ihrer Hilfe eilte, fühlte sie sich mit jeder Sekunde mehr wie ein gefangenes Tier. Nebenbei ging sie inzwischen schwer davon aus, dass Scotts Gehirn innerhalb der vergangenen Monate verdammt gelitten haben musste.
Am Ende tat sie das Einzige, was ihr blieb: Ihr Bein befand sich eingekeilt zwischen seinen, deshalb brauchte sie nur das Knie zu heben und es ihm mit aller Kraft in die verdammten Weichteile zu rammen.
Der Kuss wurde sofort unterbrochen.
Als Nächstes verabreichte sie dem Kerl eine schallende Ohrfeige – er hatte bisher nur Zeit gehabt, sich stöhnend mit beiden Händen den Schritt zu halten und sie mit plötzlich bleichem Gesicht fassungslos anzustarren. Aber das genügte April noch nicht. Um ihren Showdown perfekt zu machen, packte sie ihn am Kragen seines 200-Dollar-Hemdes und zog ihn nah an sich heran. »Du bist das widerlichste Stück Scheiße, das ich jemals in mein Bett gelassen habe. Der Tag, an dem du endlich abgehauen bist, war der glücklichste meines Lebens. Du bist ein Versager im Bett, dein Schwanz ist so groß wie die Hälfte einer verdammten Salzstange, außerdem stinkst du erbärmlich. Scheiße, wenn ich einen Orgasmus wollte, musste ich es mir selbst besorgen, du Idiot. Jeder einzelne, den ich bei dir hatte, war ein Fake! Und jetzt lass mich in Ruhe!«
Damit ließ sie ihn los. Er ging wie ein nasser Sack zu Boden. Etwas verdattert registrierte April, wie die Umstehenden zu applaudieren begannen, während jetzt!
gleich drei von den wirklich riesigen Ordnern kamen, den Kerl packten und aus dem Raum schleiften.
Fassungslos sah April ihnen nach. Ein Mann in lässigem Anzug, der witzigerweise eine Sonnenbrille trug, trat leicht gehetzt wirkend auf sie zu
.
»Dieser bedauerliche Vorfall tut mir leid«, versicherte er. »Mein Name ist Johnson, ich bin der Manager.«
»Äh …« Ratlos sah April zu Helen, die ebenfalls aufgetaucht war, doch die zuckte nur mit den Schultern.
»Geht es Ihnen gut?«, erkundigte er sich, eine Hand schwebte über ihrer Schulter, legte sich aber nicht darauf. Vermutlich meinte er, sie könnte das vielleicht als gewagten Übertritt interpretieren.
»Äh … ja, natürlich.«
»Das freut mich. Meine Männer haben bereits die Cops geholt …« Er hob eine Hand. »Keine Sorge, Sie werden nicht behelligt werden. Ich wollte Sie nur darüber in Kenntnis setzen, dass alles wieder in Ordnung ist.«
Aha … April war viel zu erschrocken, um sich wirklich auf die Worte dieses seltsamen Mannes zu konzentrieren, der Johnson hieß und einen winzigen Diamanten in jedem Ohrläppchen trug. Das schien Helen auch endlich zu begreifen, denn sie mischte sich ein. »Vielen Dank, Sir. Ich denke, alles ist so weit in Ordnung.«
Die Miene des Typen hellte sich auf. »Dann … wünsche ich den Damen weiterhin einen angenehmen Abend«, sagte er und verschwand wieder in der Menge.
April sah ihm ratlos nach, und Helen legte ihr einen Arm um die Schultern. »Mach dir keine Sorgen, hier ist keine Presse, niemand kennt dich oder ihn.« Sie führte April zu ihrer Sitzgruppe, ihr Freund/Tanzpartner/vorübergehende Fickgenosse folgte ihnen, in den Händen balancierte er drei Gläser – zweimal Champagner, einmal Wasser mit Zitrone urteilte April, die in einem weit entfernten Winkel ihres benommenen Gehirns tatsächlich die Nerven hatte, sich über den Inhalt Gedanken zu machen.
Nachdem sie saßen, nahm Helen Aprils Hand. »Sobald ich mitbekommen hab, was vor sich geht, bin ich losgelaufen und hab die Sicherheitsleute geholt. Ich dachte, die anderen würden einschreiten …«
»Nee, die haben erst Beifall geklatscht, als die Show vorbei war.« Mit zitternden Händen nahm April eines der Gläser und genehmigte sich einen großen Schluck.
»Es war für die angetrunkene Bande nicht unbedingt deutlich zu erkennen, dass du keinen Bock auf die Scheiße hattest«, sagte Helen, ohne jede Spur von Spott. Sie war auch viel zu ernst, um etwas Derartiges zu vermuten. »Klar wusste ich, was abging, ich meine, das war Scott, und du hast versucht, ihn abzuwehren. Aber …« Sie zuckte mit den Schultern und betrachtete ihre Freundin bedauernd.
April lachte auf, nahm noch einen Schluck und lachte dann noch lauter. »Jetzt mal ehrlich, ist das ein widerlicher Versager?«
Helen kicherte mit. »Und wie! Ich dachte, er fällt in Ohnmacht, als er mich sah.«
»Haha, ich auch. Er glaubte, ich hätte einen Witz gemacht.«
»Was soll er sein? Ein Broker?«
»Na ja, jedenfalls hat er so was erzählt.«
Helen betrachtete April mit erhobenen Augenbrauen. »Baby«, sagte sie feierlich, was April sofort in den nächsten Lachflash stürzte. Jetzt, wo sie gerettet und drüber hinaus Sieger in der Schlacht gewesen war, wich allmählich die Anspannung von ihr. »Dieser Idiot darf vielleicht die Börsenräume putzen – vielleicht –, aber kein Mensch wäre so dämlich, den an irgendwelchen Aktiengeschäften teilhaben, geschweige denn, Entscheidungen treffen zu lassen.
«
»Ich glaub auch«, pflichtete April ihr bei. »Wie auch immer, es ist mir scheißegal. Ich schätze, er wollte sowieso nur ein bisschen protzen. Aber ganz ehrlich: War der schon immer so widerlich?«
Helen nickte ernst. »War er. Widerlich, von sich selbst überzeugt, ein Typ, der seine Hände nicht bei sich behalten konnte, und ein Versager. Du wolltest es nur nicht sehen, weil Liebe nun mal blind macht.«
April nickte und sah in die Ferne.
»Ja«, sagte sie gedehnt und nahm einen großen Schluck von ihrem Sekt. »Damit hast du wohl recht.«