D ie Lagebesprechung im Führerbunker war zu Ende.

Die Generäle, die ihre übliche pessimistische Beurteilung abgegeben hatten, versammelten sich zum Mittagessen in dem engen Speiseraum, wo die Qualität der Mahlzeiten trotz der spartanischen Einrichtung noch immer zur besten in ganz Berlin gehörte.

Hitler nahm nicht daran teil. Er blieb im Lageraum und dachte zurück an jenen Tag im Juli 1943 , als Hagemann und eine Gruppe von Wissenschaftlern, unter ihnen Wernher von Braun und Dr. Steinhoff, in der Wolfsschanze eintrafen, dem Führerhauptquartier im ostpreußischen Rastenburg. Hagemanns Gruppe hatte seltenes Farbfilmmaterial eines erfolgreichen, im Oktober des Vorjahrs in Peenemünde durchgeführten V2 -Starts bei sich.

In einem speziellen, zu einem Kino umfunktionierten Raum hatte Hitler im Beisein von Feldmarschall Keitel und der Generäle Jodl und Buhle den Film gesehen.

Hitler, der dem militärischen Einsatz von Raketen bislang eher skeptisch gegenübergestanden hatte, wurde durch diesen Film zum überzeugten Befürworter.

Als das Licht wieder anging, sprang Hitler von seinem Platz auf und umfasste mit beiden Händen Hagemanns Hand. »Warum«, fragte er den verblüfften General, »habe ich nicht an den Erfolg Ihrer Arbeit geglaubt?«

Die anderen Generäle im Raum, die bis dahin ebenfalls ihre Skepsis vor allem wegen der voraussichtlichen Kosten des Raketenprogramms zum Ausdruck gebracht hatten, wurden durch Hitlers Überschwang mehr oder minder mundtot gemacht. Jeder Protest würde von Hitler als Obstruktion gewertet werden, und der Preis dafür war höher, als die beiden Männer gewillt waren zu zahlen.

»Hätten wir schon 1939 diese Raketen gehabt«, fuhr Hitler fort, »hätte es diesen Krieg gar nicht gegeben.«

Und dann entschuldigte sich Hitler. »Verzeihen Sie«, sagte er an General Hagemann gerichtet, »dass ich jemals an Ihnen gezweifelt habe.«

Unverzüglich gab er den Befehl, mit der Serienproduktion der V2 zu beginnen, ungeachtet aller Kosten. Seine Fantasie ging mit ihm durch. Sofort verlangte er die Fertigung von 900 Raketen pro Monat, eine Zahl, die wenige Minuten später auf 5000 gesteigert wurde. Obwohl selbst die niedrigere Zahl völlig utopisch war, weil die Menge an Flüssigsauerstoff, der zum Antrieb dieser vielen Raketen benötigt würde, den jährlichen Ausstoß des Deutschen Reichs um ein Vielfaches überstieg, war sein Glaube an die Wunderwaffe nicht erschüttert.

Insgeheim hatte Hitler seitdem oftmals Zweifel am Urteilsvermögen des Professors gehegt, jetzt aber schien sein Glaube endlich belohnt worden zu sein. Auch wenn sie zu spät kam für den totalen Sieg über Europa und die Bolschewiken, würde die verbesserte Leistungsfähigkeit der V2 nicht unbeachtet bleiben, sobald ihre Zielgenauigkeit und das volle Ausmaß ihres zerstörerischen Potenzials auf dem Schlachtfeld endlich ersichtlich würden. Und vielleicht reichte es ja noch, um den Vormarsch der feindlichen, scheinbar unaufhaltsam auf Berlin vorrückenden Armeen zum Stehen zu bringen.

Aber nur, wenn er die undichte Stelle, über die Informationen aus dem Führerbunker an die Feinde gelangten, stopfen konnte.

»Holen Sie mir SS -Gruppenführer Rattenhuber!«, schrie er, an niemand Bestimmten gewandt.