G emäß Stalins schriftlichen Anweisungen suchte Pekkala die schmale, öde Straße im Lefortowo-Viertel der Stadt auf. In der Rubsow Pereulok Nummer 17 – einem schmutzig gelben Wohngebäude, auf dessen Fassade der Schimmel wucherte – schlug er gegen das Tor, bis der Hausmeister, ein kleiner, buckliger Mann in einem blauen Overall mit braunen Cordflicken auf dem Gesäß, aus seinem Kabuff kam, um zu sehen, was der Radau sollte.

»Ist gerade eingezogen«, sagte der Hausmeister, nachdem Pekkala erklärt hatte, wen er suchte.

Er schloss das Tor auf und führte Pekkala zu einer Tür im Erdgeschoss. »Da rein, er sollte da sein«, sagte er und schlurfte wieder in sein Kabuff zurück, in dem Pekkala einen riesigen grauen Hund, eine Art Wolfshund, auf einer Decke neben dem Herd liegen sah.

Pekkala pochte gegen die Tür und trat einen Schritt zurück. Der Vorhang des einzigen Fensters zum Hinterhof bewegte sich leicht, dann wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet.

»Genosse Garlinski«, sagte Pekkala.

»Ja?«, ließ sich eine verängstigte Stimme hören.

»Mir wurde gesagt, Sie sind soeben aus England eingetroffen.«

»Was wollen Sie?«

»Nur reden.«

»Wer hat Sie geschickt?«

Pekkala zückte seinen roten Pass der Besonderen Operationen mit dem ausgebleichten goldenen Hammer-und-Sichel-Symbol.

Die Tür ging ein Stück weiter auf, und der ängstlich aussehende Mann, der noch bis zur Woche zuvor operativer Leiter der Station 53 A gewesen war, des Horchpostens der britischen Special Operations Executive in Grantham Underwood, trat aus dem Schatten. Obwohl es mitten am Nachmittag war, hatte Garlinski geschlafen. Da er die Anweisung hatte, die Wohnung nicht zu verlassen, hatte er nichts anderes zu tun, als zu schlafen oder die mageren Rationen zu essen, die er in der Küche vorgefunden hatte. »Über was reden?«, fragte er den Fremden.

»Einen Ihrer Agenten, einen Christophe.«

Garlinski blinzelte überrascht. »Woher zum Teufel wissen Sie von ihm? Ich hatte noch keine Einsatznachbesprechung.« Jetzt öffnete er die Tür ganz und ließ Pekkala eintreten.

Es gab so gut wie keine Möbel, nur einen an den Herd gezogenen Stuhl. Die Wände waren nackt, dunklere Rechtecke an den cremefarbenen Wänden zeugten davon, wo Bilder gehangen hatten. Seine Schlafstatt bestand aus einer blau-weißen Drillichmatratze auf dem Boden, ein alter Mantel diente als Decke.

»Schauen Sie, wo sie mich untergebracht haben«, sagte Garlinski. »Nach allem, was ich geleistet habe. Ich dachte, ich würde wie ein Held empfangen. Stattdessen bekomme ich das hier.« Er hob die Hände und ließ sie wieder sinken.

Da es nur einen Stuhl gab, ließen sich beide Männer mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf dem Boden nieder.

»Was wollen Sie wissen?«, fragte Garlinski.

»Warum haben Sie England so überstürzt verlassen?«

»Ich dachte, ich wäre aufgeflogen«, erklärte Garlinski. »Oder es würde nicht mehr lange dauern, bis ich auffliege.«

»Was ist passiert?«

»Ich war auf dem Nachhauseweg vom Horchposten. In meiner Aktentasche hatte ich mehrere Meldungen von SOE -Agenten, die ich kopieren und noch am Abend nach Moskau weiterleiten wollte.«

»Warum haben Sie sie mit nach Hause genommen?«

»Weil ich dort das Funkgerät hatte. Natürlich war es uns untersagt, solche Meldungen außer Haus zu schaffen, aber da ich Leiter der Station war, wurde ich nie kontrolliert. Das heißt, bis letzte Woche. Zwei Straßenzüge von meinem Haus entfernt wurde ich an einem Polizeikontrollpunkt angehalten. Sie haben nach Schwarzmarkthändlern gefahndet. Als sie meine Aktentasche durchsuchten, stießen sie auf die Meldungen und kassierten sie ein, um alles zu klären.«

»Hätten Sie ihnen nicht einfach sagen können, dass Sie für die SOE arbeiteten?«

»Hätte ich tun können, aber das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Die SOE hätte mir die Hölle heißgemacht, wenn sie dort erfahren hätten, dass ich Meldungen außer Haus bringe.«

»Was haben Sie der Polizei erzählt?«

»Ich habe gesagt, ich arbeite an einem neuen Verschlüsselungscode für das Militär. Ich habe mich so ausführlich darüber ausgelassen, dass sie mir letztlich wohl geglaubt haben. Trotzdem haben sie die Meldungen nicht herausgegeben, und ich wusste, es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis jemand herausfinden würde, was ich getan habe. Deshalb musste ich raus.«

»Wie konnten Sie so schnell das Land verlassen?«, fragte Pekkala.

»Es gibt ein sicheres Haus gleich bei der U-Bahn-Station Angel in Islington. Dort habe ich mich eingefunden, und dort wurde mein Verschwinden in die Wege geleitet.«

»Ist der SOE jemals misstrauisch geworden, dass Sie für den russischen Geheimdienst arbeiten könnten?«

»Wenn dem so gewesen wäre, wäre ich jetzt nicht hier. Aber wenn ich mir die Wohnung hier anschaue, weiß ich nicht, wo ich es besser getroffen hätte.«

»Wenigstens sind Sie am Leben.«

»Wenn man das Leben nennen kann«, murmelte Garlinski.

»Woher wussten Sie von Christophe?«

»Ich wusste nur, dass die Meldungen dieses Agenten über unsere Station geleitet wurden. Meine Aufgabe war es, das Rohmaterial zu entschlüsseln und es weiterzuleiten, und das so schnell wie möglich. Ich kann Ihnen nur sagen, was Christophe uns geschickt hat, war ein Sammelsurium von Klatsch und Skandalgeschichten aus dem Oberkommando. Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Briten es für ihre Radioübertragungen ins Feindgebiet verwendet haben. So war das … bis vor zehn Tagen.«

»Was ist da geschehen?«

»Wir haben einen Funkspruch irgendwo auf der Ostsee abgefangen, in dem ein ›Diamantstrahl‹ erwähnt wurde.«

»Was ist damit gemeint?«

Garlinski zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, jedenfalls wurde die Zentrale ganz hellhörig. Christophe wurde kontaktiert und um weitere Informationen, Fotos und so weiter gebeten. Sie fürchten, es handelt sich um ein neues Waffensystem – eine dieser Wunderwaffen, die nach dem Willen des deutschen Oberkommandos die Wende im Krieg einleiten sollen. Aber ob Christophe das alles beschaffen konnte, weiß ich nicht.«

»Die Briten haben sich an uns gewandt und uns gebeten, Christophe aus Berlin rauszuholen.«

»Berlin?« Garlinski sah Pekkala erstaunt an. »Und welchen Idioten entsenden Sie auf diesen Selbstmordeinsatz?«

»Der Idiot werde ich sein«, erwiderte Pekkala.

»Na, dann tun Sie mir leid, Inspektor, denn das alles ist doch nicht mehr wichtig.«

»Warum sagen Sie das?« Pekkala erhob sich.

»Der Feind ist am Ende, und das wissen die auch. Bis auf ein paar wenige jedenfalls.«

»Es sind diese wenigen, die uns Sorgen machen«, sagte Pekkala und ging zur Tür.

»Legen Sie ein gutes Wort für mich ein, ja?«, sagte Garlinski. Er breitete die Arme aus und deutete damit auf den leeren, schmutzigen Raum. »Sagen Sie ihnen, ich habe mehr als das hier verdient.«