A n diesem Abend lag der bis auf die Socken splitternackte Fegelein auf dem Bett seiner Geliebten Elsa Batz und trank Cognac aus der Flasche. Er wollte bis zum Morgen warten, bevor er zu Himmlers Feldkommandostelle fuhr und ihm die Neuigkeiten über das Diamantstrahlgerät unterbreitete. Schlechte Neuigkeiten übermittelte er gewöhnlich telefonisch, gute Neuigkeiten wie diese teilte er aber gern persönlich mit. Himmler ging immer früh zu Bett, und die Gunst, die er sich durch sein sofortiges Erscheinen in Hohenlychen eventuell erwerben könnte, wäre sofort wieder zunichtegemacht, wenn sein Vorgesetzter dafür extra geweckt werden müsste.
»Absurd«, schnaufte Fegelein. Er nahm einen weiteren Schluck.
»Was?«, fragte Elsa. Sie saß am Tisch am Fenster, trug einen weißen Morgenmantel und feilte sich die Nägel. Sie hatte ein rundes Gesicht, platinblonde Haare und rosa Wangen und war früher als exotische Tänzerin im Salon Kitty in der Giesebrechtstraße tätig gewesen. Der Salon Kitty, der ausschließlich hochrangigen Militärs offenstand, wurde im Geheimen von der SS betrieben. Leute von Rattenhubers Reichssicherheitshauptamt filmten und belauschten, was im Bordell vor sich ging, und setzten das Material später dazu ein, um die Betreffenden zu erpressen oder einen Vorwand für ihre Verhaftung zu haben.
Als Fegelein im Sommer 1944 Elsa Batz dort kennenlernte, wusste er sofort, dass sich ihrer beider Leben miteinander verbinden würden. Als er ihre geschmeidigen Bewegungen auf der Bühne sah und von der verruchten Sinnlichkeit ihres Blicks betört wurde, spürte er eine Vertrautheit, der er sich nicht entziehen konnte. Die Freude darüber hielt sich allerdings in Grenzen. Von seinen anderen Geliebten, die er im Lauf der letzten Jahre gehabt hatte, wusste er, wie kompliziert solche Beziehungen sein konnten und wie teuer sie ihn zu stehen kommen würden. Mit ebenso großer Gewissheit wusste er, dass die körperliche Anziehungskraft von Elsa Batz nichts damit zu tun hatte, ob er sie wirklich mochte. Möglicherweise würde er sie in kurzer Zeit aus ganzem Herzen verabscheuen. Aber das tat seinem Verlangen nach ihr keinen Abbruch. Er musste sie jetzt besitzen.
Fegelein wusste, was im Salon Kitty vor sich ging. Er wusste, wo die Kameras platziert waren, und kannte die Männer, die, nachdem man sie erpresst hatte, ihrem Leben lieber durch eigene Hand ein Ende bereitet hatten, als in die Fänge von Rattenhubers Leuten zu geraten.
Deshalb hatte er Elsa sehr schnell dazu überredet, ihre Anstellung aufzugeben, und er hatte ihr eine luxuriöse Wohnung in der Bleibtreustraße eingerichtet.
Hier verbrachte er mehrere Nächte in der Woche. Gegenüber seiner Frau Gretl gab er vor, sich in Himmlers Feldkommandostelle in Hohenlychen aufzuhalten. Dass sich Fegelein eine Geliebte hielt, was wegen seiner Ehe mit Eva Brauns Schwester nicht ganz gefahrlos war, konnte niemanden überraschen, der ihn kannte. Fegelein war eigentlich überzeugt, dass seine Frau von der Wohnung in der Bleibtreustraße wusste, obwohl sie nie ein Wort darüber verlor. Entweder war sie tatsächlich völlig ahnungslos, oder sie wollte die Einzelheiten nicht wissen. Nur, wenn man einen Mann wie Fegelein heiratete, musste man eine Geliebte unweigerlich in Kauf nehmen.
Zu Fegeleins großer Überraschung wurden er und Elsa Batz einander weder überdrüssig, noch hassten sie sich. Ja, sie hatten sehr wenig gemeinsam, aber was sie hatten, schien beiden allemal zu reichen. Im Unterschied zu seinen anderen Frauen, aktuellen wie verflossenen, war sie es zufrieden, seine Geliebte zu sein. Mehr verlangte sie nie von ihm, und allein das sicherte den Fortbestand ihres Verhältnisses.
»Einfach absurd«, wiederholte Fegelein, »dass Hitler glauben könnte, ich sei des Hochverrats schuldig, nachdem ich so viel für ihn getan habe.«
Die Nagelfeilgeräusche verstummten. »Aber du sagst doch, dass es wirklich eine undichte Stelle gibt.«
»Vielleicht.« Fegelein starrte an die Decke. »Aber das sind nur Kleinigkeiten. Im Moment haben wir größere Sorgen. Eine Million russische Soldaten werden auf den Seelower Höhen zusammengezogen und bereiten sich auf den Sturm auf Berlin vor.« Er nahm einen weiteren Schluck. Der Cognac brannte im Hals. »Ich spreche von Vertrauen. Hitler sollte mir so vertrauen, wie Himmler mir vertraut, und so, wie ich Fräulein S. vertraue.«
Als der Name erwähnt wurde, zog sich etwas in Elsa Batz zusammen. Fegelein erwähnte häufig seine Fahrerin, immer lobte er sie in den höchsten Tönen. Seit einiger Zeit war ihr der Gedanke gekommen, dass sie selbst vielleicht nicht Fegeleins einzige Geliebte war. Sie hatte sich mit ihrer Stellung zufriedengegeben, wusste sie doch, dass Fegelein seinen Posten als Himmlers Verbindungsoffizier früher oder später aufgeben würde. Wenn die Kämpfe um die Stadt in voller Härte entbrannten, würde er seinen Posten nicht länger als unbedingt nötig einnehmen. Und wenn es Zeit war für die Flucht, würde sie mitkommen und nicht seine trostlose Frau. Er war ihre Fahrkarte hinaus aus der Stadt. Dazu musste sie aber dafür sorgen, dass ihr nichts, was ihn umstimmen könnte, in die Quere kam.
»Sie traut mir auch«, murmelte Fegelein mehr zu sich als zu Elsa. »Sie würde mir sogar ihr Leben anvertrauen, und da tut sie gut daran.«
»Ich traue dir auch«, sagte Elsa leise.
Fegelein sah zu ihr. »Was?«
»Ich vertraue dir auch mein Leben an.«
Er blinzelte verständnislos. »Was redest du da, Frau?«
Fegelein schalt sie oft so, an diesem Abend aber lag eine Kälte in seiner Stimme, die Elsa Batz einen Angstschauer über den Rücken trieb. Und in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie von diesem mysteriösen Fräulein S. abgelöst worden war. Es war ja so offensichtlich, jetzt, da es ihr endlich klar geworden war. Sie hatte die Anzeichen bislang nicht sehen wollen. Bislang hatte ihre Sicherheit darauf beruht, nichts zu unternehmen. Aber wenn sie jetzt nichts tat, wäre es nicht nur mit der hübschen Wohnung in der Bleibtreustraße vorbei. Dann könnte sie sich auch gleich umbringen.
»Wer ist dieser Mann, der die vielen Fragen stellt?«, fragte sie und wechselte das Thema.
»Ein Polizist aus der Stadt, Leopold Hunyadi«, antwortete Fegelein.
»Ein Polizist? Ein ganz normaler Polizist?«
»Nicht ganz. Erstens ist er der beste Ermittler Berlins. Und zweitens ist er ein alter Freund Hitlers. Sie kennen sich anscheinend schon lange, ich hab aber keine Ahnung, woher. Angeblich soll er noch nicht mal in der NSDAP sein, ich weiß also nicht, worauf ihre Freundschaft beruht.« Dann lachte er. »Wahrscheinlich nicht auf dem, auf dem unsere beruht.« Er patschte auf das Bett neben sich.
Sie stand auf und verließ das Zimmer.
»Elsa!«, rief er ihr hinterher. »Elsa! Komm schon. War doch bloß Spaß.«
Aber es kam keine Antwort.
Benebelt vom Cognac ließ er sich aufs Kissen fallen. Sein letzter Gedanke, bevor er in einen trunkenen Schlaf wegdämmerte, gehörte Fräulein S. und dem heiligen Band der Treue, das zwischen ihnen bestand.