H unyadi schlug die Augen auf.

Er war auf seinem aus Munitionskisten bestehenden Thron eingeschlafen. Seine Ellbogen ruhten auf den Knien, das Kinn hatte er auf die Handflächen gestützt.

Jemand rüttelte ihn sacht an der Schulter.

Schlaftrunken sah Hunyadi auf. Vor ihm stand jemand in der blauen Uniform eines Flakhelfers.

»Wir haben ein Signal«, sagte der Mann. »Der Funker meint, Sie sollen sofort kommen, bevor es wieder weg ist.«

Hunyadi folgte ihm hinauf auf die Gefechtsplattform.

Die Morgendämmerung zog herauf. Dunst lag über der Stadt, der dort, wo Gebäude Feuer gefangen hatten, von riesigen Rauchwolken durchzogen wurde.

Die Flakhelfer standen mit nacktem Oberkörper um mehrere Eimer und wuschen sich den Ruß vom Gesicht. Einer pinselte einen weiteren weißen Ring um den Geschützlauf.

Der Funker winkte ihn zu sich heran. »Wir haben ein Signal auf einer der Frequenzen, die Sie uns gegeben haben.« Er nahm den Kopfhörer ab und reichte ihn Hunyadi.

Hunyadi presste sich die Hörer an die Ohren und hörte eine Reihe von schwachen Pieptönen, die jeweils in Fünfer-Abfolgen gesendet wurden.

»Definitiv eine Art Code«, sagte der Funker.

Hunyadi nickte und gab den Kopfhörer zurück.

»Das Signal ist stark«, fuhr der Funker fort. »Aber ich habe keine Möglichkeit, festzustellen, woher es kommt.«

»Das lassen Sie mal meine Sorge sein«, erwiderte Hunyadi. »Geben Sie mir nur Bescheid, wenn das Signal unterbrochen wird.« Über die Telefonleitung des Flakturms rief er beim Kraftwerk Charlottenburg an. Bereits am Vortag hatte Hunyadi die wichtigsten Kraftwerke der Stadt informiert und sie angewiesen, auf seinen Anruf zu warten, um dann den Strom in ihrem Versorgungsgebiet abzustellen. »Jetzt«, befahl er.

»Wir sollen das wirklich machen?«, kam es vom anderen Ende der Leitung.

»Ja!«, schrie Hunyadi. Mit dem Fernglas sah er, wie eine S-Bahn mitten auf der Strecke stehen blieb. Leute kamen aus ihren Häusern und blickten sich verwundert um.

»Und?«, rief er dem Funker zu.

»Sendet immer noch.«

In der nächsten Minute rief Hunyadi bei weiteren Kraftwerken an. Kraftwerk Moabit war von Brandbomben getroffen, dort war sowieso schon der Strom ausgefallen. Alle übrigen schalteten für jeweils fünf Sekunden ab.

In der Stadt, die ununterbrochen damit beschäftigt war, die Schäden durch die Bombenangriffe zu reparieren, waren solche Stromausfälle nichts Ungewöhnliches. Manche erstreckten sich über mehrere Tage.

Erst als das Kraftwerk Klingenberg, das die östlichen Bezirke versorgte, abgeschaltet wurde, rief der Funker, dass das Signal abrupt verstummt sei.

Fünf Sekunden später schaltete sich Klingenberg wieder an.

»Nichts«, sagte der Funker.

»Warten Sie«, sagte Hunyadi.

Die Sekunden vergingen.

Dann, plötzlich, rief der Funker: »Er sendet wieder. Er ist wieder da.«

Hunyadi trat an die östliche Brüstung und ließ den Blick über den Tiergarten schweifen hin zur Stadtmitte und darüber hinaus, zum Volkspark Friedrichshain und dem sich dahinter erstreckenden Friedhof sowie zum Baltenplatz mit seinem Rondell, als würden die Funksignale wie Seifenblasen in den Morgen aufsteigen.

»Glückwunsch, Herr Inspektor«, rief der Funker. »Den, den Sie da suchen, haben Sie so gut wie im Sack.«

Aber Hunyadi wirkte alles andere als glücklich. Seine Arbeit würde jetzt erst richtig beginnen.