H unyadi saß an seinem Schreibtisch im Büro und starrte auf eine Karte von Berlin. Mit einem Vergrößerungsglas studierte er die Straßen im östlichen Teil der Stadt, als brächte das allein Aufschluss über den Standort des feindlichen Funkgeräts.

Als es leise an der Tür klopfte, blickte er auf. Durch die Milchglasscheibe war zu sehen, dass der Besuch eine Frau war, auch wenn er ihr Gesicht nicht erkennen konnte.

»Kommen Sie rein.«

Die Tür ging auf, und eine teuer gekleidete Dame trat ein. Sie trug einen knielangen marineblauen Rock mit einer dazu passenden weiß paspelierten Kostümjacke mit großen weißen Knöpfen. Ihre Haare waren weißblond, Sommersprossen in dem runden Gesicht ließen sie jünger aussehen, als sie in Wirklichkeit war. Aber ihre Augen verrieten sie. Ihr Blick hatte etwas seltsam Lebloses an sich, als hätte sie mehr Elend gesehen, als ein Mensch in seinem Leben zu Gesicht bekommen sollte.

Langsam erhob sich Hunyadi. »Haben Sie sich in der Tür geirrt?«

»Kriminalinspektor Hunyadi?«

»Dann scheinen Sie ja doch richtig zu sein.« Er wies zu einem Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Bitte«, sagte er leise.

Die Frau sah zum Stuhl, nahm aber nicht Platz. »Ich heiße Elsa Batz«, stellte sie sich vor und öffnete ihre Handtasche, um ihre Kennkarte herauszunehmen.

Hunyadi entging nicht die kleine Pistole, die neben einer Haarbürste, einem Lippenstift und mehreren zusammengeknüllten Zetteln, die Restaurantquittungen zu sein schienen, in der Tasche lag.

Elsa Batz reichte ihm ihre Kennkarte.

Hunyadi schlug das labbrige Ausweisdokument auf und musterte die Innenseite. Sie wohnte in der Bleibtreustraße, nicht weit vom berüchtigten Salon Kitty entfernt. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er, nachdem er ihr die Kennkarte zurückgegeben hatte.

»Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie einen Spion suchen.«

Hunyadi horchte auf. »Fräulein Batz, wie kommen Sie darauf?«

»Es gibt da eine Fahrerin«, antwortete Elsa Batz und betonte das letzte Wort, als wollte sie unmissverständlich zum Ausdruck bringen, wie sehr sie diesen Berufsstand verachtete. »Sie arbeitet für SS -Gruppenführer Hermann Fegelein.«

»Und deren Name?«

»Lilja. Lilja Simonowa.« Abschätzig fügte sie noch hinzu: »Sie war mal seine Sekretärin.«

»Simonowa«, wiederholte Hunyadi und machte sich Notizen auf einem Blatt.

»Er nennt sie ›Fräulein S.‹.«

»Und Sie verdächtigen Sie des Hochverrats?«

»Ja.«

»Weswegen?«

»Einfach so.«

Hunyadi sah von seinem Blatt auf. »Das ist nicht viel, Fräulein Batz.«

»Manchmal reicht schon eine Vermutung.«

»Sind Sie zufällig mit dem Gruppenführer näher bekannt?«

Sie nickte. »Deshalb weiß ich auch, dass ich mit meiner Vermutung richtigliege.«

Wir tun alle, was notwendig ist, wenn wir überleben wollen, dachte sich Hunyadi, und nichts anderes unterstellte er ihr. »Der Herr Gruppenführer hat Ihnen gegenüber vielleicht von Zweifeln gesprochen, die er gegenüber diesem Fräulein S. hegt?«

»Nein. Er hält sie für eine ganz wunderbare Person. Er hat sogar seinen Chauffeur gefeuert, damit sie ihn die ganze Zeit in der Stadt herumkutschieren kann.«

»Verstehe. Und aus diesem Grund halten Sie sie für verdächtig?«

»Ja! Sie könnte einen ganzen Agentenzirkus unterhalten, und er würde davon nichts mitkriegen.«

»Einen Zirkus?«

»Ja, oder wie immer Sie das nennen.«

»Aber Sie haben keine Beweise, keine richtigen. Nur …« Er stutzte kurz. »Ihre Intuition?«

»Richtig. Die hat mich noch nie im Stich gelassen.«

»Ich verspreche Ihnen, ich werde mich der Sache annehmen«, sagte Hunyadi und erhob sich, um ihr zu verstehen zu geben, dass das Gespräch damit beendet war. »Noch etwas, Fräulein Batz.«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Ja?«

»Wenn ich kurz mal die Waffe sehen könnte, die Sie in Ihrer Tasche haben.«

Sie lief rot an, wurde sofort nervös, tat aber, worum er gebeten hatte, nahm die Waffe aus der Tasche und legte sie ihm auf den Tisch.

Es handelte sich um eine Walther, Modell 5 , eine kleine 6 .35 -mm-Automatik, wie sie gern von hohen Offizieren als persönliche Waffe getragen wurde. Sie eignete sich kaum für den Kampfeinsatz. Ein winziger Adler mit einer dreistelligen Ziffer war in den Schlitten sowie in die Basis des Magazins gestanzt.

»Die kommt aus Militärbeständen«, sagte Hunyadi.

»Davon gehe ich aus.«

»Und woher haben Sie sie?«

»Von Hermann«, sagte sie, und dann, als wäre das nicht förmlich genug, schickte sie hinterher: »Von SS -Gruppenführer Fegelein. Von ihm habe ich auch den Waffenschein.« Sie kramte in ihrer Tasche und reichte Hunyadi eine kleine Karte.

Der Waffenschein war echt, allerdings von Fegelein persönlich ausgestellt, wozu er, unabhängig von seinem Rang, gar nicht berechtigt war.

Hunyadi sah zu Elsa Batz.

Sie spürte sein Zögern. »Behalten Sie sie, wenn Sie wollen. Ich benutze sie sowieso nicht, und ich bin es leid, sie immer mit mir herumzuschleppen.«

Fegelein hatte sie ihr geschenkt, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten. Bei ihrem ersten offiziellen Auftritt, wie sie es nannte, hatte er sie zu den Ruinen eines Hauses am Stadtrand gefahren. Das Gebäude war früh im Krieg durch eine Streubombe zerstört worden. Fegelein führte sie in den einst wunderbar gepflegten, mittlerweile überwucherten Garten. Aus dem Skelett eines alten Treibhauses holte er drei Blumentöpfe, stellte sie der Reihe nach auf der Gartenmauer auf, ging zehn Schritte zurück und winkte Elsa zu sich heran.

»Ein Geschenk für dich«, sagte er und hielt ihr die Waffe hin.

»Wofür brauche ich die?«, fragte sie und weigerte sich, sie anzunehmen.

»Ich werde nicht immer in deiner Nähe sein, um dich beschützen zu können«, sagte Fegelein. »Aber solange du nicht damit umgehen kannst, ist es sinnlos, so ein Ding zu besitzen.«

Er zeigte ihr die Sicherung, wie sie anvisieren und ganz ruhig ausatmen musste, bevor sie abdrückte.

Ihr erster Schuss prallte von der Mauer ab und hinterließ eine helle Scharte im roten Ziegel. Auch der zweite und der dritte Schuss gingen vorbei.

»Wie gut, dass ich dich nicht als Leibwächterin habe«, rief Fegelein lachend.

Er hatte ein ganz besonders unangenehmes Lachen.

Elsa war sowieso schon angesäuert, dass Fegelein sie hierhergeschleppt hatte und nicht in ein reizendes Restaurant, jetzt aber auch noch sein Lachen zu hören, machte sie so wütend, dass sie zur Mauer stapfte, den Lauf der Pistole gegen jeden einzelnen Blumentopf drückte und sie einem nach dem anderen in Stücke schoss.

Darüber lachte er nur noch mehr. »So kann man es auch machen«, wieherte er.

Sie fuhr herum. »Ich will sie nicht. Kapierst du das nicht?«

Das Lachen gefror ihm im Gesicht, sein Blick wurde ernst.

Erst in diesem Augenblick bemerkte Elsa, dass sie mit der Waffe direkt auf ihn zielte. Sofort nahm sie sie herunter, voller Angst, wie er reagieren würde.

Aber Fegelein seufzte nur und sagte, sie solle sie weglegen.

Seitdem hatte sie die Waffe in ihrer Handtasche, wo sie zwischen Kleingeld und ihren Kosmetika vor sich hin klapperte.

»Behalten Sie sie«, sagte sie Hunyadi.

»Nein«, antwortete der Kriminalinspektor und gab ihr die Pistole und den Waffenschein zurück. »Ich habe alles Nötige gesehen.« Streng genommen hätte er die Waffe konfiszieren müssen, aber es stand Wichtigeres an.

Nachdem Elsa Batz gegangen war und nur den schwachen Duft ihres Parfüms zurückgelassen hatte, griff Hunyadi zum Telefonhörer und rief SS -Gruppenführer Rattenhuber im Führerbunker an.

Rattenhuber schien nicht erfreut, von ihm zu hören. »Was wollen Sie? Und fassen Sie sich kurz, ich habe zu tun.«

»Ist Fegelein vor Ort?«

»Vermutlich. Die mittägliche Lagebesprechung fängt jeden Moment an, Fegelein nimmt eigentlich immer teil. Warum? Ich dachte, Sie hätten schon mit ihm gesprochen.«

»Hab ich. Aber jetzt muss ich noch mit seiner Sekretärin sprechen.«

»Was? Sie meinen doch nicht die Hübsche, die ihn überallhin fährt?«

»Genau die.«

»Soll ich sie verhaften?«, fragte der Gruppenführer.

»Nein«, beeilte sich Hunyadi zu antworten. »Richten Sie ihr bloß aus, dass sie sich noch heute auf der Polizeiwache in Pankow melden soll.«

»Das wird Fegelein aber nicht gefallen«, murmelte Rattenhuber. »Er lässt nichts auf sie kommen.«

»Ist das ein Problem für Sie?«, fragte Hunyadi.

»Überhaupt nicht, Herr Kriminalinspektor. Es freut mich doch, wenn ihm mal einer ein bisschen an den Karren fährt.«