D ie Tür zum Restaurant schwang auf, und Leopold Hunyadi trat aus dem Regen ins Lokal.

Der Oberkellner kam mit der Speisekarte, die er sich an die Brust drückte, auf ihn zu. »Haben Sie reserviert, mein Herr?«

»Ich bin Gast von Gruppenführer Fegelein«, sagte Hunyadi.

Der Mann zog die Augenbrauen hoch. »Einen Moment, bitte.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Küche.

Hunyadi sah sich um. Die dunklen Holztische waren jeweils durch Milchglasscheiben mit aufwendigen eingravierten Blumenmustern getrennt. Außer den Schaufenstern zur Straße hin, die im Zickzack mit Klebeband überzogen waren, damit sie den Druckwellen der Bombenexplosionen besser standhielten, zeigte das Restaurant keinerlei Anzeichen, dass man sich auf den drohenden Untergang vorbereitet hätte. Was würde von dem Lokal noch übrig bleiben, wenn erst einmal die Rote Armee in Berlin einmarschiert war?

Herr Waldenbuch, der Geschäftsführer, erschien zwischen den weit aufschwingenden, ledergepolsterten Doppeltüren, die zur Küche führten. Er war von mittlerer Größe, hatte einen struppigen Oberlippenbart, flinke Äuglein und einen runden Bauch, über den sich eine Leinenweste spannte. Bevor er etwas sagte, wischte er sich mit einem blauen Taschentuch den Schweiß vom Gesicht. Dann stopfte er das Tuch in die Tasche seiner Weste und streckte dem Polizisten seine schweißfeuchte Hand hin. »Ein Freund von Hermann Fegelein, sagen Sie?«

»Ein Gast«, korrigierte Hunyadi ihn.

»Wenn Sie mir bitte folgen wollen.« Waldenbuch begleitete den Polizisten durch die Küche, wo, wie Hunyadi auffiel, das Küchenpersonal ihn geflissentlich nicht beachtete, und brachte ihn zu einer von mehreren geschlossenen Türen an der Restaurantrückseite. Von einem Ring mit kleinen Messingschlüsseln wählte Waldenbuch den benötigten aus, öffnete die Tür und bedeutete Hunyadi, einzutreten.

»Ich habe Sie bei uns noch nicht gesehen«, bemerkte Waldenbuch.

Wie auch, dachte sich Hunyadi, wenn eine Mahlzeit hier so viel kostet wie mein ganzer Wochenlohn. Er behielt das für sich und nickte nur.

»Der Gruppenführer verspätet sich gern«, sagte Waldenbuch.

»In diesem Fall«, erwiderte der Kriminalinspektor, »und da er sowieso für die Rechnung aufkommt, können Sie mir auch gleich was zu essen bringen.«

»Was wünschen der Herr?«

Hunyadi zuckte mit den Schultern. »Nach dem, wo ich gewesen bin, Herr Waldenbuch, ist mir alles recht.«

Waldenbuch verbeugte sich zackig und ging.

Als Hunyadi in dem stickigen kleinen Raum allein war, kam ihm der Gedanke, dass er in eine Falle geraten sein könnte. In seinem Bemühen, sich mit Hitlers Umgebung wieder gut zu stellen, könnte Fegelein versucht sein, ihn unter dem Vorwand des Landesverrats zu verhaften, statt ihm bei seinen Ermittlungen zu helfen. In diesem Fall wäre Hunyadi wieder auf dem Weg nach Flossenbürg, noch bevor er sein Essen auf dem Tisch stehen hatte.

Zur Ablenkung betrachtete er die Bilder an den Wänden. Sie zeigten das Restaurant zu früheren Zeiten – bleichgesichtige Männer in steifen Kragen und Frauen mit ausladenden Hüten starrten ihn von den alten Sepiadrucken an.

Würden diese Bilder die bevorstehenden Kämpfe überstehen? In letzter Zeit stürzte er sich mit geradezu morbider Lust auf die Frage, ob die Gegenstände, denen er tagtäglich begegnete, in den über die Stadt hereinschlagenden Flammen zerstört oder als Souvenir nach Russland abtransportiert würden, oder ob sie hier blieben, unversehrt, und erneut die Wände der Stadt schmückten, die aus der Asche dieses Krieges auferstehen würde.

In diesem Augenblick kam Fegelein. Er trug über seiner Uniform einen braunen Ledermantel, dessen Schultern vom Regen dunkel gefärbt waren. »Willkommen in meinem privaten Speisezimmer«, sagte Fegelein, schlüpfte aus dem Mantel und legte ihn über einen freien Stuhl.

»Ihr Speisezimmer?«, fragte Hunyadi.

»Ein Gentleman braucht drei Dinge in seinem Leben«, sagte Fegelein. »Einen guten Barbier, einen guten Schneider und einen Tisch in seinem Lieblingsrestaurant. Ich bin noch einen Schritt weitergegangen und habe dafür gesorgt, dass der Tisch auch noch in einem eigenen Zimmer steht.« Er ließ sich auf dem Stuhl gegenüber von Hunyadi nieder. »Also, Herr Kriminalinspektor, was kann ich für Sie tun?«

Beide verstummten, als Waldenbuch Schalen mit einer Karotten-Fenchel-Suppe auftrug, deren tieforange Farbe im fensterlosen Raum ein eigenes Licht auszustrahlen schien. Er servierte sie, verbeugte sich und ging wieder.

Hunyadi fragte sich, wo in der Stadt noch solche Lebensmittel aufzutreiben waren.

Sobald sie wieder für sich waren, griff Hunyadi in seine Tasche, zog den zusammengeknüllten Zettel mit der verschlüsselten Botschaft heraus und schob ihn Fegelein hin. »Ich habe gehofft, Sie könnten dem vielleicht einen Sinn entlocken.«

Fegelein nahm das Blatt zur Hand und betrachtete es. »Das ist eine Art Code.«

»Das habe ich mir auch schon gedacht.«

»Und haben Sie sich auch gedacht, dass das keiner von uns ist?«

»Mehr oder weniger.«

Fegelein lachte leise. »Und Sie meinen, ich könnte ihn entschlüsseln?«

»Vermutlich nicht. Aber ich stelle mir vor, Sie kennen jemanden, der das kann.«

»Es hat mit Ihren Ermittlungen zu tun?«

»Ja.«

»Woher kommt das?«

Hunyadi räusperte sich. »Im Moment, Herr Gruppenführer, dürfte die Hilfe, um die ich Sie bitte, eine Einbahnstraße sein.«

Fegelein faltete ordentlich das Blatt und steckte es in seine Uniformtasche. »Mal sehen, was ich tun kann.«

Plötzlich waren Luftschutzsirenen zu hören, die durch die dicken Wände des Restaurants allerdings sehr gedämpft wurden. Sofort fuhren die beiden Männer hoch und überlegten sich schon mal, wie weit es zum nächsten der vielen Luftschutzräume in der Stadt war.

Der Hauptsaal des Restaurants hatte sich bereits geleert. Auf den Tischen standen Teller mit unberührten Mahlzeiten, leise spielte ein Grammofon Mozart.

Die Männer traten hinaus auf die Straße. Es war fast dunkel geworden, das Sirenengeheul war hier sehr viel lauter zu hören als im Lokal und ging ihnen durch Mark und Bein. Menschen hasteten an ihnen vorbei, beladen mit Vulkanfiberkoffern, die immer gepackt bereitstanden für die Stunden, die sie in der unterirdischen Zuflucht verbringen würden.

In der Ferne hörten sie jetzt das Dröhnen der Feindmaschinen und die dumpfen Schläge der Flak am Stadtrand.

»Es sollte schnell geschehen«, drängte Hunyadi. »Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Und die von Ihnen versprochene Diskretion …«

Fegelein patschte sich auf die Tasche, in der er die Meldung verstaut hatte. »Das versteht sich doch von selbst, Herr Kriminalinspektor.«