E lsa schlief tief und fest, als Fegelein in die Bleibtreustraße zurückkehrte. Sie lag quer über das Bett gebreitet und trug immer noch ihr durchsichtiges Negligé.

Statt sich neben sie aufs Bett zu zwängen, wodurch sie mit Sicherheit aufgewacht wäre, ließ er sich im gelben Sessel neben dem Telefontischchen nieder.

Er nahm sich vor, wach zu bleiben, aber kurz darauf sank ihm das Kinn auf die Brust, und er schlummerte sofort ein.

Vier Stunden später wurde er vom Hausmeister geweckt, der mit seinem Hexenbesen mal wieder den Bürgersteig fegte.

Fegelein schreckte auf. Er brauchte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, warum er sich im Sessel befand, erst dann sah er auf die Uhr, und er erschrak. Schon neun Uhr dreißig. Er hätte vor einer halben Stunde bei Lilja sein sollen.

Elsa schlief noch, was Fegelein nicht überraschte. Sie blieb oft bis mittags im Bett.

So leise wie möglich stand er auf und ging zum Bücherregal an der gegenüberliegenden Wandseite. Hinter den gesammelten Werken Goethes, die er nie gelesen hatte, befand sich eine Holztafel, die sich mittels eines Federmechanismus öffnen ließ. Mit zusammengebissenen Zähnen drückte er dagegen, bis die Tafel mit einem Klicken aufsprang. Er drehte sich um, um zu sehen, ob Elsa durch das Geräusch geweckt worden war.

Sie hatte sich nicht gerührt. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig.

In der Vertiefung der Wand lag eine kleine Ledermappe mit Schmuck und den Reisedokumenten, die er und Lilja für ihre Flucht brauchen würden. Die Mappe war ein Geschenk seiner Frau gewesen. Sie hatte seinen Nachnamen mit sämtlichen Initialen aufprägen lassen – H.G.O.H. Fegelein. Gedacht war die Mappe, so seine Frau, für seine täglichen Treffen mit dem Oberkommando. Als er sie jedoch das erste Mal mitnahm, hatte Hitler die goldenen Initialen als »protzig« bezeichnet. Damit war sie für diesen Zweck hinfällig geworden, aber er stellte fest, dass sie genau die richtige Größe zur Aufbewahrung des Schmucks und der Pässe hatte. Er nahm die Mappe heraus und wollte das Geheimfach bereits wieder zudrücken, hielt aber inne. Das erste Klicken hatte Elsa nicht geweckt, vielleicht würde sie aber beim zweiten aufwachen. Also schloss er es nur halb und rückte wieder sorgfältig die Bücher davor. Er trat zurück und begutachtete sein Werk. Kaum wahrnehmbar. Außerdem bezweifelte er, ob Elsa jemals einen Blick auf das Bücherregal warf.

Es war keine Zeit mehr, um noch einen Koffer zu packen. Er nahm seinen Ledermantel von der Garderobe im Flur, öffnete so leise wie möglich die Tür und trat hinaus ins Treppenhaus.

Bevor er die Tür hinter sich schloss, warf er einen Blick zurück zu Elsa. Er hatte seit Langem gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Tatsächlich hatte er ihn in Gedanken so oft durchgespielt, dass er sich eingeredet hatte, nichts zu empfinden, wenn es wirklich so weit sein würde. Aber jetzt, als er ohne ein Wort des Abschieds wirklich ging, hatte er ein schlechtes Gewissen.

Er schloss die Tür, stieg die Treppe hinunter und hielt sich an den äußeren Rand, damit die Stufen nicht knarrten. Als er unten auf der Straße war, dachte er nicht mehr an die zurückgelassene Elsa. Seine Gedanken kreisten nur noch um die Zukunft und das wunderbare Leben, das er in den Armen von Lilja Simonowa genießen würde.