18:15 Uhr — Polizeirevier
Er hatte in seiner Karriere ja schon so einiges an Bescherungen gesehen, aber in dieser Situation wusste sich Polizist Voorberg keinen Rat. Er hatte seine Polizeimütze abgenommen und wischte sich mit einem großen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Unglücklicherweise stand auf dem Taschentuch zufällig: »Papa ist der Beste.« Es war ein Vatertagsgeschenk von seiner fünfjährigen Tochter. Schnell steckte er es wieder ein.
Ihm gegenüber saßen die hilflosesten Häufchen Elend, die er jemals in seinem Büro gehabt hatte: Johan und Maartje Verbeek, Vater und Mutter von Sabine Verbeek, zwölf Wochen alt und seit zwei Stunden vermisst.
»Meine Herrschaften … der Stand der Dinge, wie wir ihn kennen, ist folgender: Ihre kleine Tochter wurde zwischen …« Er linste kurz in seine Notizen. »… zehn nach vier und fünf vor halb fünf in ihrem Kinderwagen mitgenommen von einem älteren Herrn mit cremefarbener Regenjacke. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Ihre Regenjacke, die über dem Kinderwagen hing. Wir haben in einer der Kindertoiletten eine andere Regenjacke gefunden und vermuten, dass diese vom Täter stammt. Diese Jacke wird momentan untersucht. Es gibt zwei Zeugen, die gesehen haben, wie dieser Herr mit dem Kinderwagen den Vorraum vor den Toiletten verlassen hat, Richtung Ausgang. Diese zwei Zeugen, ein Mann und sein fünfjähriger Sohn, werden gerade von zu Hause abgeholt, damit sie eine Beschreibung abgeben. Es könnte sein, dass es sich um eine Entführung handelt. Können Sie sich vorstellen, warum jemand Ihr Kind entführen sollte?«
Der Vater schüttelte langsam den Kopf. »Nein, beim besten Willen nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, warum irgendjemand so was machen sollte.« Die Mutter tupfte sich mit einem schmuddeligen Taschentuch unaufhörlich die roten Augen ab und schüttelte nur den Kopf. Sie schien kaum anwesend bei diesem Gespräch.
»Schauen Sie«, fuhr der Polizist fort, »das Seltsamste ist dieser Anruf, den wir bekommen haben, in dem gemeldet wurde, dass Ihr Kind in einer Unterführung im Park stehen soll. Tja, Sie haben ja selbst gesehen, was da los war, aber einen Kinderwagen haben wir nicht gefunden. Vielleicht hat der mutmaßliche Täter doch Angst gekriegt, aber es kann auch durchaus ein Ablenkungsmanöver gewesen sein. Es könnte sein, dass Ihr Kind aus anderen Gründen mitgenommen wurde.«
»Zum Beispiel?«
»Tja, das kann alles Mögliche sein. Zum Beispiel, um es selbst zu behalten.«
Ein lang gezogener Schluchzer von der Mutter.
»Und Ihnen ist in den letzten … sagen wir mal, in der letzten Woche nichts Besonderes aufgefallen?«
Wieder schüttelte der Vater ganz langsam den Kopf. »Nein.« Er sah seine Frau von der Seite an und merkte, dass es sinnlos war, sie etwas zu fragen. »Haben Sie vielleicht etwas, um meine Frau ein bisschen zu beruhigen?«
»Wir werden sofort einen Arzt kommen lassen, der sie sich anschaut.«
»Und was werden Sie jetzt unternehmen?«
»Momentan wird in der Umgebung der Schule gesucht, im Park bei der Fahrradunterführung und bei anderen Unterführungen in der Umgebung. Und wir befragen alle Personen, die in der Schule waren. Wenn wir genug Beamte zusammenbekommen, wird heute Abend noch eine Nachbarschaftssuche gestartet, ansonsten morgen früh. Wir haben ungefähr fünfundzwanzig Mann auf die Sache angesetzt.«
»Reicht das?«, fragte der Vater.
»Tja, dazu kann ich nicht so viel sagen. Wir tun jedenfalls unser Bestes. Außerdem arbeiten wir an einer Suchmeldung.«
»Kann man das nicht ein bisschen beschleunigen?«
»Wir wollen der Sache noch ein wenig Zeit geben. Im Moment wird hier im Büro noch überlegt. Die Bürgermeisterin ist schon da, und es wird die Ankunft des Staatsanwalts, des Polizeipräsidenten und des Pressesprechers erwartet. Wahrscheinlich wird es später am Abend eine Pressekonferenz geben, denn wir werden permanent von Journalisten angerufen.«
»Müssen wir da dabei sein?«, fragte der Vater. Er rieb sich ununterbrochen die Stirn.
»Vorläufig scheint es mir besser, dass Sie nach Hause gehen und versuchen, sich ein bisschen auszuruhen. Wohnen Sie weit weg? Sind Sie überhaupt in der Lage, selbst zu fahren? Ach, nein, nein, lassen Sie das Auto nur stehen, ich werde dafür sorgen, dass ein Kollege Sie heimfährt. Wollen Sie, dass der Arzt noch kurz nach Ihrer Frau schaut? Vorläufig bleiben immer zwei von uns bei Ihnen, aber vielleicht hätten Sie gern auch noch einen Freund oder ein Familienmitglied dabei?«
Das waren zu viele Fragen auf einmal. Der Vater, der ganz grau im Gesicht und fix und fertig war, schaute ihn verständnislos an. Das Gesicht seiner Frau verschwand wieder hinter zwei Händen und einem zusammengeknüllten Taschentuch.