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18:20 Uhr — Hendriks Wohnung

»Okay, und wo muss das jetzt rein?«, fragte Evert mit einer Dose Milchpulver in der Hand.

Wir waren nach einigem Überlegen zu dem Schluss gekommen, dass das Baby für Gläschen wohl noch etwas zu jung war. Wir hatten kurz versucht, ob man mit einem Teelöffel ein bisschen Fruchtpüree reinschieben konnte, aber es lief einfach wieder heraus.

»Und das Würmchen weint immer weiter … Aber eigentlich ja ganz zivilisiert.« Ich merkte, wie ich immer gerührter und zärtlicher klang.

»Wo muss das rein, Hendrik?«, fragte Evert wieder übertrieben freundlich.

»Weiß ich nicht. In eine Tasse oder so.«

»In eine Tasse, dachte sich der Herr. Seit wann trinken Babys aus einer Tasse? Was hältst du von einem Fläschchen mit Sauger?«

»Ja, das weiß ich selbst, aber so was haben wir nicht.«

»Nein, haben wir nicht. Denn das hast du nicht mitgenommen. Also geh ich das mal schnell kaufen, sonst kriegen wir nie im Leben was da rein, in diese kleine Zuckerschnute.«

»Aber gibt es das auch im Supermarkt?«

»Glaub ich nicht. Wenn du mich fragst, bekommt man so was in einem Drogeriemarkt. Wo ist der nächste Drogeriemarkt?«

»Äääh … das ist wohl der Zugpflaster am Breugel-Platz. Das heißt, wenn der jetzt überhaupt geöffnet hat.«

»Heute haben die Geschäfte wegen Weihnachten länger auf, da haben wir Glück im Unglück. Der Zugpflaster? Heißt das Geschäft wirklich Zugpflaster

»Ja. Komischer Name, oder?«

»Na ja, solange sie Fläschchen und Sauger haben, können sie von mir aus Zugpflaster heißen oder Saufsauger, das soll mir egal sein. Brauchst du sonst noch was vom Drogeriemarkt? Zugpflaster vielleicht? Genoppte Kondome? Hämorrhoidensalbe?«

»Jetzt komm, beeil dich, ich glaub, sie hat wirklich furchtbaren Hunger.«

Evert warf seine neue Regenjacke über, aber dann besann er sich, zog sie wieder aus und ging kurz darauf in meiner braunen Winterjacke zur Tür hinaus.

 

Evert stand im Flur und wartete auf den Fahrstuhl, als die Tür von Hendriks Nachbarwohnung aufging und eine errötende, etwas zu stark geschminkte Dame auf den Korridor trat, in einem Kleid, das ihrem Alter nicht so ganz angemessen war. Einem Kleid, das sie wahrscheinlich trug, damit ihre großen Brüste zur Geltung kamen. Evert, nicht unempfänglich für große Brüste, ließ ihr galant den Vortritt, als sie in den Aufzug stiegen. Sie hatte eine Mülltüte in der Hand.

»Na, waren Sie zu Besuch bei Herrn Groen?«, fragte sie mit einer Mischung aus Argwohn und Neugier.

»Nein, ich bin immer noch zu Besuch bei Herrn Groen. Ich muss nur kurz was für ihn einkaufen.«

»Ich hab schon die ganze Zeit die Tür auf- und zugehen hören, und auch den Lift, da hab ich mir gedacht: Mein Nachbar hat wohl Besuch.«

Es schien Evert nicht abwegig, dass sie mit ihrer Mülltüte in der Hand bereitgestanden hatte, um mal persönlich nachzuschauen, sobald sie bei ihrem Nachbarn wieder die Wohnungstür hörte. Sie schwiegen zwei Stockwerke lang. Dann hielt sie es nicht mehr aus.

»Ich meinte sogar kurz, ein Baby weinen zu hören bei Herrn Groen. Jetzt reicht es erst mal. Mit mir, meine ich. Tja, wenn man zu viel allein ist, gehen einem die seltsamsten Gedanken durch den Kopf.«

»Ja, so was kann schon mal vorkommen.«

»Ich weiß im Grunde nicht mal, ob Herr Groen Kinder oder Enkel hat. Obwohl man jetzt doch schon wieder fast ein Jahr nebeneinander wohnt. Verrückt, oder?«

»Ja, das war früher sicher anders«, sagte Evert, dem das Ganze ein bisschen auf die Nerven ging, sowohl die schlecht verhohlene Neugier als auch das Dekolleté, das durch die Spiegelwand gleich von mehreren Seiten auf ihn zukam. Er war froh, als der Lift im Erdgeschoss hielt. »Schönen Abend noch«, sagte er rasch, als sie Anstalten machte, mit ihrer Befragung weiterzumachen. In ihrer Haltung spiegelte sich die Enttäuschung. Er hörte sie sagen: »Danke gleichfalls«, und stellte fest, dass sie mit ihrer Mülltüte einfach im Lift stehen blieb, bis die Tür wieder zuging. Er klingelte bei Hendrik, der sich wenige Sekunden später über die Sprechanlage meldete.

»Dreh die Musik auf, mein Lieber, denn nebenan steht eine Frau mit jeder Menge Holz vor der Hütte an der Wand und lauscht, ob sie nicht vielleicht ein Baby weinen hört.«

»Wovon redest du denn jetzt wieder?«

»Von deiner Nachbarin.«

»Oh. Die.«

»Bis nachher.«

Evert ging mit schnellen Schritten Richtung Drogeriemarkt.