20:40 Uhr — Prinses Margrietschool
Das Telefon klingelte.
»Prinses Margrietschool, Van Staveren.«
»Harry, hier ist Hetty. Wie ist der Stand der Dinge?«
»Na ja, was soll ich dir sagen. Sie sind noch immer schwer beschäftigt, und es sieht vorläufig nicht so aus, als würden sie so schnell nach Hause gehen.«
»Wer sind ›sie‹? Und womit sind sie schwer beschäftigt?«, fragte die Direktorin.
»›Sie‹, das sind ungefähr neun Mitarbeiter von der Spurensicherung, und was die da genau machen, weiß ich nicht, denn sie haben mich sozusagen angewiesen, in der Küche zu warten, bis sie fertig sind. Überall ist abgesperrt mit rot-weißen Plastikbändern, und ich darf nirgends rein. Ich kann nicht mal auf die Toilette gehen.«
»Ja, ja«, sagte sie einigermaßen ungeduldig, »aber es gibt keine neuen Entwicklungen?«
»Was für Entwicklungen?«
»Na ja, keine Neuigkeiten vom Baby oder so? Keine Hinweise auf den Täter?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Bleib da, bis sie weggehen, und wenn irgendwas Besonderes passiert, ruf mich sofort an.«
»Ja, aber das kann wohl noch ein paar Stunden dauern«, maulte Harry. »Ich will nach Hause. Ich habe auch Verpflichtungen. Ich werde hier nicht ewig bleiben.«
»Nein, du bleibst da ja auch nicht ewig, aber schon, bis sie weg sind«, erwiderte Hetty.
»Auch, wenn es eine Nachtschicht wird?«
»Ja, im Prinzip schon. Ich werde versuchen, jemanden zu finden, der dich eventuell ein paar Stunden ablösen kann, wenn sie um zwölf Uhr noch nicht weg sind. Aber wenn mir das nicht gelingt, dann musst du wohl auf dem Sofa schlafen.«
»Auf welchem Sofa?«, fragte Harry gereizt. »Hier ist kein Sofa.«
»Na ja, du machst das schon, oder? Hol dir doch einfach eine Matte aus der Turnhalle.«
»Da darf ich nicht rein.«
»Du bist doch immer so erfinderisch, wenn es um dich geht, also kannst du dir jetzt auch was ausdenken. Und vergiss nicht, anzurufen, wenn irgendwas Wichtiges passiert. Bis später.« Und ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie wieder auf.
Harry fluchte und schaute auf die Uhr. Er wusste weder ein noch aus. Wer weiß, wie lange das noch dauern würde, und er konnte rein gar nichts tun. Es gab zwar einen Fernseher in der Schule, aber der stand im Lehrerzimmer, und davor hing ein rot-weißes Plastikband. Er dachte nach, ob ihm jetzt wirklich nichts einfiel, als das Telefon ein zweites Mal klingelte. Vielleicht hat sie eine Ablösung organisiert, schoss es ihm durch den Kopf, aber dann wurde ihm im nächsten Moment klar, dass sie das nie und nimmer so schnell hätte regeln können, nicht mal, wenn sie gewollt hätte.
»Prinses Margrietschool, Van Staveren.«
»Guten Abend. Ich würde gern etwas Wichtiges mitteilen.«
»Mit wem spreche ich?«
»Das tut nichts zur Sache. Es ist sehr wichtig. Hören Sie gut zu. Morgen Abend stellen wir das entführte Baby irgendwo hin. Dann werden Sie kurz danach angerufen und erfahren, wo der Kinderwagen steht. Es ist nämlich ein Missverständnis, wissen Sie, keine Entführung. Dem Baby geht es gut. Wir wollen kein Lösegeld oder so. Würden Sie bitte sofort die Eltern anrufen? Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen.«
Klick.
Aufgelegt. Harry saß mit offenem Mund und dem Telefonhörer noch am Ohr ein paar Sekunden reglos da. Dann legte er auch auf.
Fieberhaft überlegte er, was er jetzt tun sollte. Auf jeden Fall die Eltern anrufen, das stand fest. Aber musste er auch die Polizei benachrichtigen? Davon war nie die Rede gewesen. Wenn er jetzt den Polizisten von diesem Telefongespräch erzählte, war eines sicher: Dann würde er morgen Abend noch hier sitzen. Er konnte ja später immer noch sagen, dass man ihm telefonisch verboten hatte, die Polizei einzuschalten. Auf jeden Fall mussten jetzt erst mal die Eltern angerufen werden. Die Nummer … Wo hatte er diese Nummer? Er zögerte.