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05:50 Uhr — Prinses Margrietschool

Trotz der Kälte schwitzte Harry gewaltig, als er über den leeren Schulhof zum Polizeiwagen ging, der vor dem Zaun parkte. Er hatte sich ein paarmal vorgesagt, was er sagen würde, aber als er neben dem Auto stand, hatte er es wieder vergessen. Der Beamte ließ sein Fenster herunter. »Gibt’s was?«

»Jein«, sagte Harry, »das heißt: Ich glaube, dass es besser ist, wenn Sie es wissen. Ich habe allerdings hoch und heilig versprechen müssen, dass ich der Polizei nichts sage.«

Der Polizist schaute ihn verständnislos an. »Wovon reden Sie?«

»Davon, dass diese ganze Entführung gar keine Entführung ist, sondern ein Irrtum.«

Noch immer begriff der Polizist nicht, was Harry ihm zu sagen versuchte. »Was ist ein Irrtum?«

»Diese Entführung. Jemand hat mich gestern Abend angerufen, um Bescheid zu geben, dass das Ganze nur ein Irrtum war und dass er das Baby heute Morgen irgendwo hinstellen würde, sodass es sicher abgeholt werden könnte. Und dass ich darüber nicht mit der Polizei reden sollte.«

Langsam sickerte es dem Beamten ins Bewusstsein, dass der Mann neben seinem Autofenster ihm gerade etwas Wichtiges mitgeteilt hatte. Er stieß seinen Kollegen an. Der hatte nichts von dem Gespräch mitbekommen, weil er die Ohrstöpsel seines Walkman drinhatte und zusammengesunken mit geschlossenen Augen falsch mitsummte. Er schreckte hoch und holte hastig die Kopfhörer aus den Ohren. »Was?«

»Der Herr hier hat einen Anruf vom Entführer bekommen.«

»Wann?«

»Wann?«, echote er weiter zu Harry.

»Gestern Abend.«

»Gestern Abend? Und das erzählen Sie jetzt erst? Um wie viel Uhr?«

»Gegen neun. Ich hätte es natürlich gleich sagen wollen, aber das hat man mir nachdrücklich …«

Doch man hörte ihm schon gar nicht mehr zu. Der Polizist am offenen Fenster hatte sein Funkgerät gepackt und rief: »Hier 039, 039 für PR, dringend! Over.«

»Hier PR, bitte sprechen Sie, over.«

»Wer hat die Leitung im Fall mit dem entführten Baby?«

»Der Chef höchstpersönlich, aber der ist nicht da.«

»Piepsen Sie ihn an und sagen Sie ihm, dass der Hausmeister der Schule gerade erst erzählt hat, dass er gestern mit dem Entführer telefoniert hat. Und dass wir jetzt mit ihm zum PR kommen und sofort ein anderer Wagen zur Schule muss. Over.«

»Okay, 039, over.«

»Und warum war noch keine Wanze im Schultelefon? Over.«

»Keine Ahnung, ich werd mich drum kümmern, okay? Over.«

»Over and out.«

Der Polizist stieg aus und machte die Tür zu den Rücksitzen auf. »Bitte einsteigen.«

»Aber die Schule ist offen. Ich kann jetzt nicht weg.«

»Dann schließen Sie sie eben wieder ab. Um den Rest kümmern wir uns dann schon.«

Wie ein geprügelter Hund ging Harry zum Eingang und schloss ab, bevor er zum Polizeiauto zurückschlich und einstieg. Der Polizist drückte dem Hausmeister beim Einsteigen auf den Kopf. Harry wurde bewusst, dass er das schon oft im Fernsehen gesehen hatte. Ein Fotoapparat blitzte auf.

Zehn Minuten später hielt ein Polizeiwagen von der Kriminaltechnik vor dem Eingang zum Schulhof. Sie kamen, um den Anrufbeantworter der Schule zu untersuchen, konnten aber nicht ins Gebäude, weil sie keinen Schlüssel hatten.