19:30 Uhr — Polizeirevier
Die Bürgermeisterin hatte eigentlich vorgehabt, die Aufgabe von drei Einheiten erledigen zu lassen, aber dabei hatten sowohl Stork als auch Graven jede Mitwirkung verweigert. Sie hatten sich auch erfolgreich geweigert, bewaffnete Sonderkommandos ins Viertel zu schicken. Nach einem von Stork eingefädelten Anruf vom Generalstaatsanwalt hatte Bürgermeisterin Schaarsberg-Donk eingelenkt. Jetzt sollten flächendeckende Hausdurchsuchungen stattfinden, durchgeführt von Kriminaltechnikern und Zivilfahndern. Zu diesem Zweck wurden zehn Teams mit jeweils vier Polizisten gebildet, die jeweils ungefähr vierzig Adressen abarbeiten sollten.
Das Verhältnis zwischen Staatsanwalt und Bürgermeisterin war dadurch nicht besser geworden. Eisig war noch vorsichtig ausgedrückt. Sie hatten sich nicht mal gegrüßt, als sie im Rathaus auseinandergingen. Graven hatte sich mit seiner Meinung zurückgehalten, wo es ging, schlug sich aber letztlich doch auf Storks Seite. Auch nicht unbedingt sein Freund, aber der schien zumindest gesunden Menschenverstand an den Tag zu legen, wenn er sich entschied, so unauffällig wie möglich zu handeln. Bürgermeisterin Schaarsberg-Donk war seiner Meinung nach vollkommen durchgeknallt bei ihren Versuchen, einen tatkräftigen Eindruck zu erwecken.
Die Schweißflecken drangen beim Polizeipräsidenten langsam, aber sicher auch durch seine Jacke. Ihm platzte fast der Schädel vor Kopfschmerzen. Der Blister Paracetamol, den er morgens von zu Hause mitgenommen hatte, war jetzt schon alle. Er sah keine Möglichkeit, seine Sekretärin unauffällig zu bitten, ihm einen neuen zu bringen.
Die Technik hatte die Polizei im entscheidenden Moment wieder im Stich gelassen. Der große Digitalscreen an der Wand, auf den er Karten zaubern konnte, verweigerte ihm den Dienst. Die IT-Abteilung, die in diesem Moment aus genau einem Mann bestand, war vor zwei Stunden nach Hause gegangen und hatte ihr Handy abgeschaltet.
Graven stand jetzt vor einem auseinandergefalteten großen Stadtplan, der mit Klebeband am Bildschirm befestigt war, und hantierte mit Zeigestock und Lineal herum.
Hinter ihm schauten zwanzig Zivilpolizisten schweigend zu und notierten sich Straßennamen und Zeiten. Es gab einige Diskussionen über die logischste Reihenfolge, in der man die Straßen abarbeiten sollte. »Es ist nicht so wichtig, welche Straße wir zuerst nehmen. Ich glaube nicht, dass wir einen freundlichen Alten mit einem Kinderwagen durchs ganze Viertel jagen werden.«
Anschließend wurden Anweisungen gegeben, wie die Fahnder zu Werke gehen sollten. Klingeln, sich ausweisen, erklären, wonach sie suchten, und fragen, ob sie kurz reinkommen könnten. Wenn sie das nicht durften, dann drängen und ankündigen, dass ein Hausdurchsuchungsbefehl schon unterwegs war.
»Ich hoffe nicht, dass ihr Leute antrefft, die halbwegs etwas von der Sache verstehen und wissen, dass das so nicht funktioniert«, hatte Stork angemerkt.
»›Unterwegs‹ ist ein relativer Begriff, Mathieu«, hatte Graven eingewandt. »Wenn du mich fragst, ist an so einer Bemerkung nichts Gesetzeswidriges.«
»Gut, dann mach ruhig, Wiebe.«
Zum Schluss wurde die Logistik des Einsatzes besprochen. Welche Personen in welchem Team, welche Autos, welche Kommunikationsmittel und wer wofür verantwortlich war.
Am nächsten Morgen um sechs Uhr sollten sich alle wieder im Polizeirevier versammeln.
Stork verabschiedete sich und verzog sich in sein eigenes Büro. Dort dachte er nach.
Dann ging er ins Zimmer von Bram Braspenning. Zehn Minuten später verließ er es wieder. Auf dem Schreibtisch von Bram lag ein kurzer handgeschriebener Zettel. Den würde er morgen um genau sieben Uhr finden. Bram war in seinen zwanzig Dienstjahren noch nie zu spät am Arbeitsplatz erschienen.
Danach rief er von seinem Privattelefon aus seine Frau an.
»Ich bin in einer Viertelstunde zu Hause. Ich muss was mit dir besprechen.«
»Was Ernstes?«
»Was … äh … wie soll ich es sagen … was Schönes.«
»Dafür bin ich immer zu haben, Schatz, das weißt du ja.«