KAPITEL 4

Baum des Lebens – Costa Rica

2001

Die Baumkronenregion um mich herum war eine riesige, struppige Ansammlung von Farnen, Bromelien und Orchideen, die alle über- und untereinander wuchsen, wie ein Korallenriff in den Baumwipfeln. Die Äste trieften förmlich vor Leben – ein riesiger hängender Garten, der in Etagen aufragte wie ein lebendes Mietshaus. Jeder Quadratzentimeter war besetzt: Insekten, Spinnen, Eidechsen, Schlangen und Millionen anderer Lebewesen, die ihr Leben 15 Stockwerke über dem Boden verbrachten. Und trotz des unaufhörlichen Regens war ich glücklich über jede Sekunde, die ich hier verbringen durfte.

Bis auf die Knochen durchnässt, mit Schlamm bedeckt, von Ameisen gebissen und von Wespen gestochen zu werden – diesen Preis ist man gerne bereit zu zahlen, wenn man dafür 40 Meter über dem Boden an einem Seil hängt, umgeben von Dutzenden schillernder Kolibris, die Nektar aus den Blüten saugen und nur Zentimeter vor dem eigenen Gesicht in der Luft stehen bleiben, um einem in die Augen zu schauen. Die ganze Baumkronenwelt im dunkel glänzenden Auge eines irisierenden daumengroßen Vögelchens gespiegelt zu sehen war das schönste Geschenk zu meinem 26. Geburtstag, das ich mir hätte wünschen können.

* * *

Es war Mitte April im karibischen Tieflandregenwald von Costa Rica, und in der letzten Woche hatte es heftig geregnet, ein unablässiger sintflutartiger Regen, der nur gegen Mitternacht für ein paar Stunden aufhörte, um bei Tagesanbruch wieder einzusetzen. Der Dschungel war vollkommen gesättigt, der Boden triefte wie ein Schwamm, als sprudelten verborgene Quellen unter der dicken Laubschicht. Schwere Ströme von silbernen Perlen schlugen mit solcher Gewalt auf die Blätter ein, dass sie zerstäubten und die Baumkronenregion mit einem beständigen grauen Dunst erfüllten.

Es war das erste Mal, dass ich mich in einem mittelamerikanischen Urwald befand, und eine so saftig grün und üppig wuchernde Baumkronenregion hatte ich noch nirgendwo auf der Welt erlebt. Es war auch das erste Mal, dass ich mit Sir David Attenborough zusammenarbeitete – im Rahmen seiner BBC-Serie Das Leben der Säugetiere –, und die Aussicht, ihn sicher in die Kronenregion hinaufzubringen, machte mich ziemlich nervös.

Drei aus unserem Team waren zur La Selva Biological Station vorausgereist, um zehn Tage lang Bäume mit Seilen und Podesten zu versehen, bevor das Hauptteam eintraf. Phil richtete in einer halben Meile Entfernung einen weiteren Baum ein, und Sean, der Produktionsassistent, half ihm, die Kabel und Podeste hinaufzubefördern.

Phil war mir bei meinem Einstieg in die Branche behilflich gewesen. Nach meinem Jahr in London hatte ich in Derby weiterstudiert, wo ich, um meine Kletterdosis zu bekommen, wieder auf die städtischen Baumkronen angewiesen war. Dabei lernte ich viel über die Struktur und Festigkeit zahlreicher verschiedener Baumarten: wertvolle Klettererfahrung, die mich lehrte, die Körpersprache eines Baums mit einem einzigen Blick zu erfassen. Aber irgendwann war ich es leid, von den Baumwipfeln aus nichts als viktorianische Reihenhäuser zu sehen und von städtischen Beamten in Warnwesten angebrüllt zu werden. Ich hatte es satt, meine Seile von Hundescheiße befreien zu müssen, und ich hatte es satt, über Plastikbeutel voller Klebstoff steigen zu müssen, die von Schnüfflern in unserem örtlichen Park am Fuß der Bäume zurückgelassen wurden. Gewiss hatte es einzelne schöne Momente gegeben, doch sie waren selten gewesen. Mir fehlten die wilden Bäume des New Forest. Am meisten fehlte mir das einmalige Gefühl, in einem Wald auf einen Baum zu klettern. Nichts zu riechen außer der Erde und nichts zu hören außer den Vögeln, dem leisen Knarren von Holz und dem Wind in den Blättern. Nichts zu sehen außer den anderen Bäumen ringsumher und das Gefühl zu haben vollkommen in ihre Welt einzutauchen.

Einige Monate, bevor ich Derby endgültig verließ, besuchte ich als Zuhörer eine Gesprächsrunde über die Dreharbeiten von David Attenboroughs Das geheime Leben der Pflanzen in der naturwissenschaftlichen Abteilung der BBC in Bristol. Es wurde auch ein kurzer Film gezeigt, in dem Attenborough beim Klettern auf Borneo zu sehen war, das blaue Hemd von Schweiß durchnässt, an einem Seil 60 Meter über dem Dschungelboden baumelnd. Hinterher wurde ich Phil vorgestellt, dem zum BBC-Produzenten mutierten Baumkletterer, der damals die Seile für die Dreharbeiten eingerichtet hatte.

Phil schlug vor, zusammen in der BBC-Kantine essen zu gehen. Es war ein Riesending, dort zu sein, mitten unter den Tierfilm-Profis der BBC, und mit ihm über seine Abenteuer im Dschungel zu reden. Leute wie Phil sind rar. Sein Wissen über das Leben der Wildtiere in den Tropen und die Baumkronenregion des Regenwalds ist einzigartig. Er war von einer tiefen Liebe zu diesem Teil der Natur erfüllt und hatte bereits öfter mit David zusammengearbeitet. All das machte gewaltigen Eindruck auf mich, und gerade als ich dachte, der Tag könne nicht mehr besser werden, hörte ich eine bekannte Stimme Phils Namen rufen, und bevor ich noch wusste, wie mir geschah, hatte sich Attenborough höchstpersönlich zu uns an den Tisch gesetzt. Ich staunte nicht schlecht, als ich sah, dass er sich schon mittags ein Bierchen genehmigte, und es dauerte nicht lange, da waren er und Phil zwischen zwei Happen Cheese-and-Pickle-Sandwich in ein ernsthaftes Gespräch über die Verhaltensmerkmale der Neukaledonienkrähe verwickelt. Mir schwirrte der Kopf, ich saß nur da und hörte in stiller Bewunderung zu.

Phil und ich blieben in Kontakt, und ein paar Jahre später rief er mich aus heiterem Himmel an:

»Würde es dir Spaß machen, sechs Wochen auf Borneo zu sein und einem Filmteam zu helfen, in die Baumkronen zu klettern?«, fragte er.

Als ich meine Sprache wiedergefunden hatte, dankte ich ihm überschwänglich.

»Ist schon gut, Mann. Du bist mir eben für den Rest deines Lebens etwas schuldig«, war seine lachende Antwort. Und damit hatte er wahrlich recht. Dieser Anruf änderte für mich alles und machte alles möglich.

Ich traf mich mit Phil in seiner Wohnung in Bristol, um über den Auftrag zu reden. Bogen und Pfeile aus Neuguinea hingen über dem offenen Kamin, und die Wände waren mit schönen Bildern von tropischen Vögeln bedeckt.

»Es ist unmöglich, mit der normalen Seiltechnik auf diese Dschungelriesen zu klettern«, sagte er. »Die meisten Bäume, die du sehen wirst, sind 75 Meter hoch, und bei vielen beginnen die untersten Äste erst in einer Höhe von 45 Metern. Du kannst da nicht einfach ein Seil drüberwerfen und dich dann mit den Händen raufhangeln, wie du es bisher gemacht hast – das wäre glatter Selbstmord. Du musst vorher schon richtig trainieren, denn du wirst dich mit diesen Dingern anfreunden müssen«, sagte er und überreichte mir eine Hochleistungs-armbrust.

Er zog einen roten Rucksack unter der Treppe hervor und kippte ihn aus, worauf ein Durcheinander von Steigklemmen und Karabinern auf den Boden rasselte. Alles sah anders aus, als ich es gewohnt war, es sah verdächtig nach Ausrüstung zum Felsenklettern aus. Selbst der Klettergurt sah komisch aus, und es war das erste Mal, dass ich einen Kletterhelm zu Gesicht bekam. Es gab vieles, an das ich mich erst gewöhnen müsste – ein großer Schritt in völliges Neuland stand mir bevor. Doch Phil war zur Stelle, um mir dabei zu helfen, und über die Jahre wurde er zu einem guten Freund und Mentor.

Seit jener Zeit hatte ich drei Jahre Klettern im Regenwald hinter mir, aber ich hatte immer noch eine Menge zu lernen, und es war ein großartiges Gefühl, jetzt in Costa Rica an der Seite von Phil zu arbeiten. Es war auch beruhigend zu wissen, dass die Verantwortung für Davids Sicherheit nicht allein auf meinen Schultern ruhte.

Bisher war es jedoch nicht so gut gelaufen. Dies war der achte Baum, den ich in den letzten sieben Tagen im strömenden Regen erklommen hatte, und allmählich verlor ich die Hoffnung, noch einen geeigneten Baum zu finden, in dem wir David filmen konnten. In den ersten Tagen hatten Phil und ich eher geglaubt, wir hätten die Qual der Wahl. Jeder hohe Baum schien vom Boden aus gesehen perfekt zu sein, und wir nahmen an, dass wir auf Anhieb den richtigen finden würden und die Einrichtung ein Kinderspiel wäre. Doch nachdem der Regen eingesetzt hatte und wir einen Baum nach dem anderen hinauf- und hinunterkletterten, sahen wir unsere Möglichkeiten eine nach der anderen schwinden. Ein geeigneter Baum war einfach nicht zu finden, oder besser gesagt, vier geeignete Bäume, da jeder von uns in zwei benachbarten Bäumen in Baumkronenhöhe waagerechte Querverbindungen spannen musste.

Phil hatte die Aufgabe, die Seile zu spannen, an denen entlang David sich bewegen sollte, während er über die Tiere und Pflanzen sprach, die er in der Baumkronenregion antraf. Ich sollte zwischen den Kronen zweier aufragender Bäume eine lange Verbindung für die Seilkamera legen, mit welcher David aufgenommen werden sollte, während er auf einem Ast saß.

Es handelte sich in beiden Fällen um größere, komplizierte Seilkonstruktionen – weshalb wir auch zu zweit waren, um sie anzubringen. Der arme Sean war die meiste Zeit auf dem Boden hin und her gelaufen, hatte Seile von Baum zu Baum getragen und versucht zu verstehen, was wir über das Regengeräusch hinweg nach unten riefen. Ohne ihn wären wir aufgeschmissen gewesen, doch wenn wir dann mittags zu dritt zur Kantine der Forschungsstation gingen, musste er sich jedes Mal eine Menge übellauniger Bemerkungen von Phil und mir anhören. Es wurde langsam zu einem echten Problem, die Sache unter Dach und Fach zu bringen, bevor das Team, David eingeschlossen, eintraf, und mir war klar, dass der Regen nicht als Entschuldigung herhalten konnte, wenn wir es nicht schafften. Vermutlich würde der Regen sogar völlig aufhören, sobald das Team eintraf, und niemand würde sich vorstellen können, welche Anstrengungen wir in diesen zehn Tagen hatten auf uns nehmen müssen.

Der neueste Kandidat – mein neunter Baum – wuchs am Ufer eines schmalen, schnell fließenden Flusses. Der Regen prasselte gnadenlos auf das trübe Wasser, und bei diesen Mengen würde es nicht mehr lange dauern, bis der Fluss über die Ufer trat und die ganze Gegend unter Wasser setzte. Wenn ich das Kletterseil mit meinem Gewicht belastete, wurde das Wasser herausgewrungen, das mir dann jedes Mal, wenn ich meine Steigklemmen nach oben schob, als schlammiges Rinnsal den Ärmel hinunterlief. Es war nicht möglich, nach oben zu schauen, während ich mich durch den Unterwuchs in die Baumkrone hinaufarbeitete, es war, als wolle man durch einen Wasserfall hinaufspähen, und es gelang mir nicht, lange genug nicht zu blinzeln, um irgendetwas klar zu erkennen. Eine Schwimmbrille wäre nützlich gewesen, doch daran hatte ich komischerweise nicht als Erstes gedacht, als ich meine Sachen für einen Monat im Dschungel packte.

Das glänzende Laubwerk tanzte und hüpfte beständig unter dem Ansturm der Wassermassen, und die von Blüte zu Blüte schwirrenden Kolibris hüpften hierhin und dorthin, um dem Schlimmsten auszuweichen. Ein kontinuierlicher Wasserstrahl lief von den Spitzen langer Blätter, und ich musste nur den Mund geöffnet darunter halten, um mich satt zu trinken. Etwas Ähnliches hatte ich noch nicht erlebt, nicht einmal auf Borneo. Doch dieser Regen war nicht die Folge eines selten auftretenden Unwetters; er war für hiesige Verhältnisse ganz normal, Alltag in den Tieflandregenwäldern der mittelamerikanischen Küste. Man hatte mir gesagt, dass in dieser Region unglaubliche 3,9 Meter Regen pro Jahr gemessen würden, doch ich hatte geglaubt, dass das meiste davon während einer bestimmten nassen Jahreszeit fiele. Im Nachhinein fiel mir jetzt ein, dass der Reiseführer die Jahreszeiten als zwischen »regnerisch« und »äußerst regnerisch« wechselnd beschrieben hatte. Angenehm für Frösche – kompliziert für Kletterer. Wie auch immer, wir waren jetzt hier, und es war nichts daran zu ändern. Ich beschäftigte mich allmählich so obsessiv mit dem Wetter, wie es nur ein Engländer tun kann, daher versuchte ich an etwas anderes zu denken und einfach weiterzumachen. Wenigstens war der Regen angenehm kühl – und ich würde nicht so schnell dehydrieren.

Trotz ihres Namens sind Regenwälder normalerweise nicht fortwährend nass. In einigen herrschen längere nasse Jahreszeiten, gefolgt von intensiven Trockenperioden. Andere haben kürzere Jahreszeiten, die sich regelmäßig abwechseln. Manche Wälder trocknen zwischen den Regenfällen vollständig aus, während andere über Monate hinweg versuchen, ihren Kopf über Wasser zu halten. Manche haben gelegentlich Mühe, genug abzubekommen, andere können den Überschuss kaum loswerden. Der Wald, in dem ich mich befand, gehörte ohne Frage zur zweiten Gruppe. Das machte zwar das Klettern mühselig, doch das Übermaß an Wasser führte eben auch zu dieser Fülle und zu diesem Reichtum des Lebens. Bromelien wuchsen hier in Hülle und Fülle. Diese trompetenähnlichen Pflanzen sammeln Regen in ihrem trichterförmigen Zentrum, kleinen Wassertanks, die oft einer wahren Suppe aus Larven und Insekten als Heimat dienen – manchmal sogar Kaulquappen und Fröschen.

Außerdem war es die farbenprächtigste Baumkronenregion, in die ich je geklettert war. Gesprenkeltes Grün in einer unendlichen Vielfalt von Tönen, verziert mit gelegentlich aufleuchtenden Klecksen aus tropischem Rot und Gelb. Selbst die Tiere und Vögel schienen lebhaftere Farben zu haben. Die Hornvögel Afrikas und Asiens wurden hier durch die großen Hellroten Aras ersetzt, die in Paaren den Himmel abflogen, und soeben hatte ich meinen ersten Morpho entdeckt, einen großen, blau schimmernden Schmetterling, der majestätisch durch das Gebüsch unterhalb von mir segelte. Seine grellblauen Flügel blitzten auf wie Morsezeichen, wenn er sie gemächlich auf- und zuklappte.

Ich konzentrierte mich wieder auf mein Seil und kletterte weiter auf den großen, von Pflanzen bewachsenen Ast zu, an dem ich hing. Bei diesem Baum hatte ich ein gutes Gefühl und glaubte, endlich das gefunden zu haben, was wir für die Seilkamera brauchten. Ich befand mich jetzt in 40 Metern Höhe, die Kronenregion begann sich zu lichten und gab ringsherum den Blick frei auf eine spektakuläre Aussicht. Doch was noch wichtiger war – es gab einen zweiten Riesenbaum, der gegenüber von mir über das Dach der Baumkronenregion hinausragte. Ein zweistämmiger Koloss in etwa 90 Metern Entfernung, der gut 50 Meter hoch sein musste. Auf seinen gewaltigen Ästen wuchsen zahlreiche Bromelien, doch insgesamt war er weniger überwuchert als der Baum, den ich momentan erkletterte, und bot mehrere gute Plätze, auf denen David sitzen konnte, während die Kamera an ihrem Seil auf ihn zufuhr.

Gerade hatte ich angefangen, mich zu freuen, als ich durch ein lautes Getöse direkt hinter meinem Rücken aufgeschreckt wurde. Ich wirbelte an meinem Seil herum und sah mich zwei männlichen Brüllaffen gegenüber, nicht mehr als drei Meter entfernt. Sie waren pechschwarz und hatten ungefähr die Größe eines Highland-Terriers. Beide lehnten sich vor, um mir ins Gesicht zu brüllen. Sie mussten mich aus der Entfernung gesehen und sich leise angeschlichen haben, um mich genauer in Augenschein zu nehmen, während ich von der Aussicht abgelenkt war. Ihre offenen roten Mundhöhlen standen in starkem Kontrast zu ihren pechschwarzen Gesichtern. Während ich mich noch von meinem Schreck erholte, kletterten drei weitere auf den Ast, um in das Gebrüll einzustimmen. Ich hatte jetzt fünf extrem wütende Affen vor mir, die mich anschrien, ich möge gefälligst aus ihrem Baum verschwinden.

Der Lärm war ohrenbetäubend. Brüllaffen sind über mehrere Meilen hinweg zu hören, wenn sie ihre Chöre anstimmen, um ihr Territorium zu reklamieren. Es sind die lautesten Landtiere des Planeten, und mir wurde ganz schwummerig. Es war, als stünde man bei einem Heavy-Metal-Konzert direkt vor einer Lautsprecherbox, und ich spürte nur noch ein verzerrtes Brausen in den Ohren. Ich rutschte schnell von dem Ast, baumelte wieder an meinem Seil und machte mich bereit, mich schleunigst aus dem Staub zu machen. Noch während ich dies tat, rückten sie geschlossen näher, um das verlorene Terrain wiederzubesetzen, und schon bald hockten sie zu acht Seite an Seite auf einem weniger als zwei Meter entfernten Ast und ließen ihr ohrenbetäubendes Wutgeheul auf mich los.

Das letzte Bild, das ich vor Augen hatte, als ich mich in den Unterwuchs abseilte, waren schimpfende schwarze Gesichter und, merkwürdigerweise, acht weiße Hodenpaare, die vor Wut zitterten, wenn die Affen sich vorbeugten, um mir ihre Schmähungen und Beschimpfungen an den Kopf zu werfen. Pechschwarz mit einem hellweißen Hodensack, das ist schon ein beeindruckender Anblick. Ich machte mich vom Acker, bevor sie auf die Idee kommen würden, auf mich zu pinkeln.

Nachdem ich in das Wasser am Fuß des Baumes geplatscht war, schaute ich noch einmal hinauf und erhaschte einen letzten Blick auf die Affen, die hoch oben triumphierend auf dem Ast herumstolzierten.

Von den aufgebrachten Affen einmal abgesehen, war ich jedoch froh, den richtigen Ort in der Baumkronenregion gefunden zu haben, und ich freute mich schon darauf, nach dem Mittagessen dorthin zurückzukehren und die verschiedenen Seile für die Seilkamera zu spannen. Vorausgesetzt natürlich, dass der örtliche Männerchor inzwischen weitergezogen war.

* * *

Der von Farnen überwucherte Baum der Brüllaffen und der andere Riese, den ich von seiner Krone aus entdeckt hatte, standen etwa 90 Meter voneinander entfernt, wie zwei gewaltige Buchstützen. Sie standen sich stolz gegenüber, doch zwischen ihnen lag eine dichte Baumkronenregion aus kleineren Bäumen und üppigem Bewuchs – ein ununterbrochenes Blätterdach, über das ich ein sechs Millimeter dickes Stahlseil spannen musste, an dem entlang sich die Kamera bewegen würde. Das Seil vom Boden aus durch den Unterwuchs nach oben zu ziehen war ein Ding der Unmöglichkeit, daher hatte ich mir etwas anderes überlegt.

Als ich am Nachmittag wieder hinaufkletterte, baumelte die Armbrust an ihrem Riemen an der Rückseite meines Klettergurts. Es war ein leistungsstarkes Gerät – und das musste es auch sein, um einen beschwerten Bolzen mit einer mindestens 120 Meter langen Angelschnur abzuschießen. Ich bin kein großer Freund von Armbrüsten, doch sind sie ideal für diesen Zweck, denn es ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, einen normalen Bogen oder auch nur ein Katapult zu benutzen, wenn man an einem Seil in der Luft baumelt.

Als ich die obere Baumkronenregion erreichte, war ich erleichtert, dass die Affen das Feld geräumt hatten, und ich machte mich bereit, um den ersten Bolzen abzuschießen. Ich befand mich an derselben Stelle wie zuvor, ungefähr 40 Meter über dem Boden, doch diesmal fiel mir etwas Seltsames auf. Der Stamm war an dieser Stelle frei, und seine harte, glatte Borke war tief gefurcht von langen Klauenabdrücken, die mir vorher nicht aufgefallen waren. Sie mussten vor Kurzem erst von einem großen Tier hinterlassen worden sein, das in die Baumkrone hinaufgeklettert war, aber ich hatte keine Ahnung, um was für eine Art von Wesen es sich handeln mochte. Affen haben nicht solche Krallen, und sie klettern im Allgemeinen über benachbarte Bäume in eine Baumkrone. Ein Nasenbär würde nicht genug Halt an einer solch glatten Oberfläche finden, und er klettert eher an Schlingpflanzen als an riesigen Baumstämmen in die Höhe. In Costa Rica gibt es keine Bären, und eine Katzenart kam für mich auch nicht infrage. Es gibt zwar kletternde Katzen in Costa Rica – die Langschwanzkatze verbringt die meiste Zeit in der Baumkronenregion, wo sie Jagd auf Beute macht, aber sie passte ebenfalls nicht ins Bild. Es war ein echtes Rätsel, aber da ich keine Zeit für eine nähere Untersuchung des Falls hatte, wandte ich mich wieder meiner eigentlichen Aufgabe zu.

Ich machte die Armbrust los und sah mir den Baumriesen gegenüber genauer an – den Baum, in dem ich David platzieren wollte. Ein wirklich schöner Baum. Vor einem üppig grünen Hintergrund frei stehend, gabelte sich sein langer, schlanker, grauer Stamm in etwa 25 Metern Höhe. Die beiden Stämme wuchsen darüber noch einmal etwa 30 Meter in die Höhe, wie symmetrische Spiegelbilder, und sandten dabei nach beiden Seiten große waagerechte Äste aus. Diese waren mit Pflanzen und langen Ranken von großblättrigen Kletterpflanzen besetzt, die von der oberen Baumkrone bis zum Unterwuchs in der Tiefe herabreichten. Es war ein herrlicher Baum, der sicherlich auch als eigene Persönlichkeit zur Geltung käme, wenn David auf einem der großen Äste unterhalb des Stahlseils säße, um seinen Text in die Kamera zu sprechen.

Nachdem ich einen geeigneten Ast als Ziel gewählt hatte, setzte ich die Armbrust auf mein Bein und spannte die Sehne. Die dünne Angelschnur war bereits an den Bolzen geknotet, den ich jetzt in die Führung einlegte. Ich achtete darauf, mit den Fingern der unter dem Vordergriff montierten Angelrolle nicht zu nahe zu kommen, dann setzte ich die Armbrust an die Schulter, entsicherte sie und wartete, bis ich mich an meinem Seil langsam in die richtige Richtung drehte, bevor ich den Abzug betätigte. Der Schaft schlug beim Rückstoß gegen meine Schulter, und ich hielt die Armbrust in Position, während der Bolzen über das Baumkronendach flog, die dünne blaue Schnur hinter sich herziehend. Am Ende seiner Flugbahn baumelte der Bolzen knapp unterhalb des dritten Astes an der rechten Hälfte von Davids Baum. Es war ein guter Schuss, vielleicht hatte ich auch nur Glück, jedenfalls hatte ich die Schnur exakt an die Stelle gebracht, an der ich sie haben wollte. Ich löste den Sperrhebel an der Rolle und ließ den Bolzen an seiner Schnur hinunter bis zum Fuß des Baumes, der sich, für mich unsichtbar, 15 Stockwerke tiefer befand. Irgendwo dort unten hielt sich Sean auf, und nach wenigen Minuten spürte ich den Zug an der Schnur, als er nach dem Bolzen griff. Weitere Minuten vergingen, dann signalisierte mir ein dreifacher Ruck an der Schnur, dass er das dickere Seil daran festgeknotet hatte. Mit der Kurbel holte ich anschließend die Angelschnur wieder ein, dann beschwerte ich das Ende des dickeren Seils mit einem Karabiner und ließ es an meinem Baum durch das Blätterwerk zum Boden hinunter. Die Baumkronen der beiden benachbarten Baumriesen waren jetzt mittels eines in großer Höhe quer gespannten Seils miteinander verbunden. Die Sache nahm nun endlich Gestalt an, und während der Regen nach einer allzu kurzen Pause wieder einsetzte, seilte ich mich langsam zum Boden ab. Der Tag war prächtig verlaufen, und alles andere konnte bis morgen warten. Es war ein angenehmes Gefühl, die Arbeit zur Abwechslung mal erfolgreich abgeschlossen zu haben.

Ungefähr auf halbem Wege sah ich flüchtig aus dem Augenwinkel, wie etwas unter das herabhängende Blatt einer Schlingpflanze hüpfte. Neugierig geworden, riss ich ein anderes Blatt ab, rollte es wie eine Zeitung zusammen und hob damit den Blätterschutz vorsichtig an. Hinter den triefenden Blättern entdeckte ich auf der Wurzel einer Orchidee den kleinsten und schönsten Frosch, den ich je gesehen hatte. Sein Leib schillerte in einem hellen, fast metallischen Minzgrün, unterbrochen von großen schwarzen Flecken. Ich hatte zwar noch nie einen Pfeilgiftfrosch gesehen, aber es war unverkennbar einer, einfach herrlich anzusehen, wie ein kleines lebendiges Juwel, ich war wie verzaubert. Es goss mittlerweile in Strömen, der Nachmittag ging allmählich in den Abend über, und im Wald dämmerte es schon, doch ich konnte meine Augen nicht von dem winzigen Tierchen abwenden, das langsam in die Baumkrone hinaufkroch – was für eine unendlich lange Reise für so ein kleines Wesen. Ich wusste damals nicht, dass ich bei näherem Hinsehen mit etwas Glück vielleicht eine winzige Kaulquappe auf seinem Rücken hätte entdecken können. Pfeilgiftfrösche tragen oft ihre Kaulquappen auf dem Rücken mit in die Baumkronenregion, um sie in wassergefüllten Bromelientrichtern abzusetzen, in denen sie dann ihre Entwicklung vollenden. Mal hüpfte er, mal kletterte er, doch er schien nicht aufzuhalten zu sein, wie ein winziger Roboter, der darauf programmiert war, sich immer nur aufwärtszubewegen, welche Hindernisse auch immer sich ihm in den Weg stellten.

Am Fuß des Baumes angekommen, stopfte ich meinen Klettergurt in den Rucksack und blickte ein letztes Mal zu den über mir hängenden üppigen Gärten hinauf. Dabei kamen mir die Worte von Don Perry in den Sinn, dem Vater der modernen Baumkronenforschung, der seine bahnbrechenden Forschungen in demselben Wald von La Selva durchgeführt hatte. Es hatte zwar schon früher im 20. Jahrhundert Versuche gegeben, mit Seilen in die tropische Baumkronenregion zu gelangen, doch Perry war der Erste gewesen, bei dem es wirklich funktioniert hatte. In den späten 1970er-Jahren entwarf und baute er, was er sein »Baumkronennetz« nannte, ein System von untereinander verbundenen Seilen, die quer durch die Baumkronenregion verliefen, mit deren Hilfe er auch die äußeren Astenden und den leeren Raum zwischen zwei Baumkronen erreichen konnte. Er erschloss ein dynamisches Reich neuer Möglichkeiten, indem er bewies, dass man mit seilbasierten Klettertechniken sicheren Zugang zu den noch völlig unerforschten oberen Bereichen der Baumkronenregion erlangen konnte.

Perry bezeichnete die tropische Baumkronenregion als »das botanisch vielfältigste Ökosystem unseres Planeten«. Er nannte sie »das schwebende Königreich des Lebens«, und in jener Nacht legte ich mich schlafen mit dem Traum von einer Existenz, bei der ich nie aus den Bäumen absteigen müsste.

* * *

Am folgenden Morgen waren wir kurz nach Tagesanbruch wieder im Wald. Es war ein gedämpfter, trüber Tag mit besonders heftigem Regen und schlechter Sicht. Der Dschungel schien unter der Last des Wetters gebückt zu gehen, als habe er jede Hoffnung aufgegeben, jemals wieder Sonnenschein zu erleben. Phil und Sean wollten letzte Hand an das zweite Seilsystem im anderen Teil des Waldes anlegen, daher trennten wir uns an einer Abzweigung, und ich machte mich zu meinen beiden Bäumen auf. Abgesehen von dem hohen Pfeifen der Baumfrösche, die sich über die Nässe freuten, gab es keinerlei Anzeichen von tierischem Leben. Keine Vögel in der Luft, keine huschenden Eidechsen, keine Insekten – nichts als Regen, Schlamm und triefende Blätter.

Das einzige Lebewesen, das ich auf meinem Weg durch den Wald sah, war ein Aguti, ein mittelgroßes braunes Nagetier, ein bisschen wie ein langbeiniges Meerschweinchen. Es hatte unter einem großen Blatt Obdach gefunden, wo es unter einem Schwarm großer Stechmücken zitterte. Hunderte saßen auf der Haut des armen Tieres. Auf seinen Augenlidern, in seinen Ohren – überall, sie bedeckten seinen gesamten Körper, wie ein makabrer schimmernder Mantel. Das Aguti schien unfähig, sich zu bewegen, wie durch einen Schock gelähmt, ließ es die Mücken gewähren.

Dann hoppelte es in den Regen hinaus unter einen etwas weiter entfernten Busch, von wo es mich mit großen, verängstigten Augen ansah, als ich mich näherte. Ich machte einen Versuch, es zu fangen, um die Plagegeister zu verscheuchen. Doch es wich mir aus und flüchtete sich wieder in seinen ersten Unterstand. Es hätte mir nie gestattet, mich ihm so weit zu nähern, dass ich ihm hätte helfen können, daher gab ich widerstrebend auf und überließ es seinem Schicksal. Es war ein deprimierender, mitleiderregender Anblick, und er erinnerte mich an meine Zeit im Kongo, als ich das Gefühl hatte, mein Körper würde nur noch als willkommene Proteinquelle genutzt. Leben: ein Verfahren der Natur, um Fleisch frisch zu halten. Da ich nichts mehr für das zitternde Tier tun konnte, stapfte ich weiter durch den Schlamm zu Davids Baum.

Ich fand das Stahlseil, aufgewickelt auf seine Rolle, wo Sean es am Tag zuvor hingelegt hatte. Ich befestigte das Ende an dem aus der Baumkrone herabhängenden Seil, dann schnitt ich mit Hilfe meiner Machete eine grobe Achse für die Rolle zurecht, sodass sie sich frei drehen konnte, wenn man das Seil abwickelte. Nachdem ich alles vorbereitet hatte, ging ich hinüber zum Baum der Brüllaffen.

Ich entfernte den Regenschutz von meinem Rucksack, den ich zwischen den Brettwurzeln verstaut hatte, und öffnete die Klappe. Dann fuhr ich mit der Hand hinein und holte meinen Helm hervor, nur um ihn entsetzt sofort wieder fallen zu lassen. Eine Schlange lag aufgerollt darin. In der Nacht war es einer Stülpnasen-Lanzenotter irgendwie gelungen, durch die schmale Öffnung in den Rucksack zu kriechen. Offenbar war ich nicht der einzige, der die Nase voll hatte vom ständigen Regen. Zum Glück war sie noch träge und lethargisch, sonst wäre ich sofort gebissen worden. Meine Hand war nur Millimeter von ihrem Maul entfernt gewesen. Mein roter Helm lag auf dem Boden, wo ich ihn hatte fallen lassen, die Schlange hatte sich fest um den Kinnriemen gewickelt. Sie hatte wohl nicht die Absicht, ihr trockenes Plätzchen zu räumen, daher nahm ich einen Stock und trieb sie damit sanft hinaus. Sobald sie auf dem Laubboden war, wurde sie augenblicklich lebendig und unternahm einen blitzartigen Ausfall gegen meinen Stiefel, bevor sie rasch davonkroch und unter einem großen verrottenden Ast in der Dunkelheit verschwand.

Nasses Wetter treibt die Frösche ins Freie, und wo es Frösche gibt, sind Schlangen nicht weit. Ich habe viele hinderliche Ängste, aber die Angst vor Schlangen gehört nicht dazu. Doch genauso wenig verspüre ich Todessehnsüchte, daher nahm ich mir vor, meinen Rucksack das nächste Mal vorsichtiger zu öffnen und den Ast, unter dem die Schlange verschwunden war, nicht als Sitzgelegenheit zu nutzen!

Die gerade noch mal gut gegangene Begegnung mit der Lanzenotter war eine deutliche Warnung, nicht in Leichtsinn zu verfallen. Ich war total erschöpft und bis auf die Haut durchnässt, und im Dschungel ist das genau der Zeitpunkt, an dem Unfälle passieren und die Dinge einen schlechten Verlauf nehmen können. Daher verwendete ich jetzt besondere Sorgfalt darauf, meine Seile vor dem Klettern noch einmal durchzugehen und besonders den Teil genau zu prüfen, der am oberen Ankerpunkt über dem Ast lag – ein meterlanger Abschnitt Nylonseil, der im Normalfall vom Boden aus unsichtbar ist. Bei früheren Klettertouren war es schon vorgekommen, dass dieser Abschnitt nachts von Tieren durchgebissen worden war, daher zog ich die Seile in einer großen Schlinge einmal ganz herum und ging jeden Zentimeter durch. Dies nahm geraume Zeit in Anspruch, doch die dadurch gewonnene Sicherheit war jede Minute wert.

Dann holte ich vorsichtig meinen Klettergurt aus dem Rucksack, stieg hinein, klinkte mich am Seil ein und zog das lose Ende durch. Ich setzte einen Fuß auf den Stamm und begann mit dem Aufstieg in die Baumkrone. Mein Plan war, das Stahlseil von dort oben herauf- und herüberzuziehen, damit ich es leichter durch die verworrenen Vorhänge der Kletterpflanzen bugsieren konnte. Alles erschien so, wie ich es am Vortag zurückgelassen hatte, doch als ich mich dem ersten Ast in 30 Metern Höhe näherte, fiel mir wieder eine geheimnisvolle Reihe tiefer Klauenabdrücke an einem freien Abschnitt des Stammes auf. Sie wirkten frisch, genau wie diejenigen, die ich weiter oben gesehen hatte, und wieder hatte ich keine Ahnung, was für ein Tier sie hinterlassen haben könnte. Ich kletterte weiter.

Das schwere Stahlseil ohne fremde Hilfe hinaufzuziehen war ein schweres Stück Arbeit, und als ich sein Ende schließlich an meinem Ast wieder zum Boden hinunterlassen konnte, war ich erschöpft und mit Schmutz bedeckt. Doch ich war erleichtert, das Schlimmste hinter mir zu haben, von jetzt ab sollte der Rest ziemlich glattgehen. Meine Kletterseile behinderten jetzt jedoch den Verlauf des Stahlseils, daher kletterte ich ein Stück höher in die Baumkrone hinauf, um einen neuen Ankerpunkt zu legen.

Ich war bisher noch nicht so hoch hinaufgeklettert, und in etwa 50 Metern Höhe bemerkte ich eine schwache Bewegung auf einem Ast, hinter einem dichten Vorhang aus hängenden Ranken. Ich schob sie zur Seite und zuckte zusammen. Dahinter tauchte der größte Leguan auf, den ich je gesehen hatte. Ein gewaltiges Männchen, wohl fast zwei Meter lang, in voller Länge auf einem üppigen Bett aus Bromelien und Orchideen ausgestreckt. Was in aller Welt er hier oben verloren hatte, 17 Stockwerke über dem Erdboden, war einigermaßen rätselhaft, und er schien genauso überrascht, mich hier anzutreffen. Wir starrten uns eine gefühlte Ewigkeit lang an. Es war ein Mordsbrocken, eine Art auf den Bäumen lebender Drache, der sich direkt vor mir in strahlender Grandezza auf dem Ast fläzte. Die Klauenabdrücke am Baumstamm waren kein Rätsel mehr – ich hatte den Verursacher vor mir. Ein Blick auf seine langen, gekrümmten Klauen und die starken sehnigen Beine erklärte alles.

Sein smaragdgrüner Körper war mit Schuppen bedeckt, die wie Edelsteine aussahen, und ein Kamm aus langen Stacheln lief über seinen Rücken bis zum Ansatz seines langen gestreiften Schwanzes. Nach etwa einer Minute verengte sich sein dunkelgelbes Auge, er hob langsam den Kopf und entfaltete einen gewaltigen Kehlsack unterhalb seines Unterkiefers. Er ruckte zweimal mit dem Kopf, dann nahm er mit hochgerecktem Kopf und fächerförmig ausgebreitetem Kehlsack eine Imponierhaltung ein und starrte mich herausfordernd an, während die Regentropfen über seine Schuppen perlten. Er war strahlend schön, einfach herrlich anzuschauen. Ich hatte erwartet, auf Primaten und Vögel so weit oben in der Baumkronenregion zu stoßen, niemals aber auf einen fast zwei Meter langen Leguan. Vorsichtig schloss ich den Vorhang aus Schlingpflanzen wieder und setzte meinen Weg in bester Stimmung fort, nachdem ich einem der prächtigsten Besucher der Baumkronenregion begegnet war.

Auf dem nächsthöheren Ast lag ein zweiter Leguan, genauso groß und beeindruckend. Er verharrte regungslos, nur sein gelbes Auge drehte sich, um mich zu verfolgen, als ich an ihm vorbeikletterte. Es war erstaunlich, diese Tiere in so großer Höhe auf ihren Ästen hingestreckt in einer Haltung anzutreffen, als sei dies ihre gewohnte Umgebung. Sie schienen sich in ihren Penthouse-Suiten vollkommen zu Hause zu fühlen, und ich konnte nur staunen über den unglaublichen Reichtum und die Vielfalt des Lebens in diesem großartigen Baum.

Aber allzu lange konnte ich nicht verweilen und sie still betrachten. Mir blieb noch ein Tag, um die Montage der Seile zu vollenden, und es gab noch eine Menge zu tun.

* * *

Drei Tage später lag ich in unserer Hütte in meinem Bett und versuchte wieder einzuschlafen, nachdem ich um zwei Uhr morgens von einer Kakerlake rüde geweckt worden war. Ich hatte ihre langen Fühler an meinem Gesicht gespürt, als sie sich vorgebeugt hatte, um Speichel aus meinem geöffneten Mund zu trinken. Ich war aus dem Bett gestürzt, um das Licht einzuschalten, und dabei beinahe gegen die Badezimmertür geprallt. Sie saß auf meinem Kissen und strich mit einem langen staksigen Beinchen über ihre Kiefer, vermutlich um die letzten Reste meines Speichels abzulecken. Als ich mich niederkniete und mit der Taschenlampe unter das Bett leuchtete, sah ich ein weiteres Dutzend dort hocken, die nur darauf warteten, dass ich das Licht ausschaltete, um wieder loszukrabbeln. Ich bin kein großer Freund von Kakerlaken, schon gar nicht in meinem Mund. So legte ich mich also zum ersten Mal seit meinem zwölften Lebensjahr mit eingeschaltetem Licht schlafen. Ehrlich gesagt – manchmal ist ein Zelt einfach gemütlicher.

Doch jetzt, wo ich wach war, konnte ich nicht mehr einschlafen. David und der Rest des Teams waren am Tag zuvor eingetroffen. Ungefähr die Hälfte der Dreharbeiten in der Baumkronenregion hatten wir hinter uns. Der Regen hatte gerade zur rechten Zeit aufgehört, und wir hatten an diesem Tag Phils Sequenzen abgedreht. Es hatte gut ausgesehen, als David in die Kamera sprach – über die Vielfalt in der Baumkronenregion und die Art von Tieren, die man in 30 Metern Höhe über dem Boden antreffen könne, wie Faultiere, Nasenbären und Affen. Hinter diesen mühelos wirkenden Bildern steckten zehn Tage harter Arbeit von Phil, ein geistreicher Text von einem schwindelfreien David und ein erfahrenes Händchen von unserer Kamerafrau Justine.

Jetzt war ich an der Reihe, und das machte mich ziemlich nervös. Heute war der Tag, an dem wir David auf 40 Meter Höhe in die Baumkrone befördern und dann eine 20 Kilo schwere Kamera an einem 90 Meter langen Stahlseil mit 40 Stundenkilometern auf ihn zufahren lassen wollten. Wie viele Sicherheitskomponenten auch in dem System stecken mochten – und ich hatte sichergestellt, dass es eine Menge waren –, es war trotz allem eine nervenaufreibende Vorstellung. Der Schlaf rückte in immer größere Ferne, ich lag da und sah zu, wie die Kakerlaken über den Boden huschten. Hier ging es immerhin um David Attenborough, und die halb witzig gemeinten Worte meiner Schwester, die sie mir kurz vor meiner Abreise aus England zugeraunt hatte, kamen mir wieder in den Sinn: Lass ihn um Gottes willen nicht abstürzen.

* * *

Wassertropfen hingen am Drahtseil, glitzerten in der Morgensonne wie an einer langen Schnur aufgereihte Perlen. Ich klopfte gegen das Seil und sah zu, wie die Tropfen in die Tiefe hinunterfielen. Der Regen hatte kurz zuvor aufgehört, und ein gewisser Zeitdruck lag auf mir, die Szene fertigzudrehen, bevor er wieder einsetzte. Als ich zu dem anderen Baum hinüberschaute, sah ich dort unterhalb des Stahlseils eine bekannte Gestalt in einem kurzärmeligen blauen Hemd zwischen den Ästen hängen. Mir war vollkommen klar, dass David nun schon eine halbe Stunde dort oben hing und geduldig darauf wartete, dass wir mit den Vorbereitungen zum Drehen fertig würden.

Am Stahlseil neben mir hing der Wagen mit der Kamera, bereit, losgelassen zu werden. Der Kamerawagen war eine einfache Konstruktion mit zwei Rollen, an der die Kamera befestigt war. Das Ganze rollte, nur von der Schwerkraft angetrieben, an dem Stahlseil hinunter. Das Einzige, was den Wagen daran hinderte, am anderen Ende in den Ankerpunkt zu krachen, war ein langes Halteseil, locker zusammengerollt in einem offenen Beutel, der an meinem Klettergurt befestigt war. Ich hatte diese Leine sorgfältig so abgemessen, dass der Kamerawagen spätestens sechs Meter vor dem Ende des Stahlseils gestoppt wurde. Ein einfaches, aber effektives System, das ich schon viele Male benutzt hatte, allerdings ohne den zusätzlichen Nervenkitzel, dass sich jemand unterhalb des äußeren Endes befand.

Ich gab David ein Zeichen, sich bereit zu machen, dann schnellte mein Puls schlagartig hoch, als der Film in der Kamera leise zu surren begann und ich den Wagen losließ. Er glitt leise am Seil entlang in die Tiefe, zuerst langsam, dann immer schneller. Schon bald sauste er in voller Fahrt hinunter, während die Rollen einen feinen Sprühnebel verbreiteten. Das gelbe Halteseil schoss aus dem Beutel, das Stahlseil vibrierte und sandte einen hohen Heulton aus, während die Kamera hoch über den Baumkronen dahinflog, direkt auf Sir David Attenborough zu. Im Kopf zählte ich stumm mit, während ich meinen Griff um das Halteseil verstärkte, um die Kamera sanft abzubremsen, wenn sie sich dem Ziel näherte. Drei, zwei, eins – Stopp. Die Kamera blieb in der Luft hängen, sechs Meter von David entfernt. Sicherlich hätte ich sie auch noch etwas näher an ihn heranfahren lassen können. Die Sicherheitsleine hätte verhindert, dass irgendjemand verletzt wurde, doch, ehrlich gesagt, hatte ich nicht den Mut, es darauf ankommen zu lassen. Es war nahe genug, und es hatte gut funktioniert, und nun war alles vorbei. Zehn Tage Arbeit für eine Sequenz von 20 Sekunden. Und während sich David auf die lange Reise zurück zum Boden machte, zog ich den Kamerawagen mit zitternden Händen wieder zu mir hinauf.

* * *

Nachdem David von Phil sicher wieder nach unten gebracht worden war und ich die Kamera hinuntergelassen hatte, blieb ich ganz allein in der Baumkrone zurück. Es gab noch eine Menge zu tun. Das Abbauen der Seile würde mehrere Stunden beanspruchen. Doch all das konnte bis morgen warten. Einstweilen genoss ich es in vollen Zügen, einfach nur hier oben zu sein. Die Anspannung der Dreharbeiten und der ganze Erwartungsdruck waren verflogen, und der größte Teil des Teams war, bevor der angekündigte Regen einsetzte, zur Unterkunft zurückgekehrt. Eine große Last war von mir abgefallen, ich genoss das Gefühl, einfach nur dort oben in meinem Klettergurt zu hängen. Die Abenddämmerung war nicht mehr weit und brachte eine sowohl spürbare als auch hörbare Veränderung der Stimmung im Wald mit sich. Die Tagesschicht schickte sich an, den Geschöpfen der Nacht das Feld zu überlassen. Aus weiter Ferne tönte, kaum hörbar, das an- und abschwellende, gespenstische Geheul von Brüllaffen herüber, und als die ersten Regentropfen fielen, vernahm ich die hohen Töne eines Baumfrosches, der aus seinem nahe gelegenen Versteck in der Baumkrone rief.

Ich wusste, dass mir der Abschied von diesem Baum schwerfallen würde. In wenigen Tagen sollte ich nach Hause fliegen und danach weiter nach Ecuador. Dort würde es auch wunderbare Bäume geben, doch der Baum, den ich am meisten liebe, ist immer derjenige, in dem ich mich gerade befinde, und dieser Riese in Costa Rica – dieser Baum des Lebens oder árbol de la vida – war geradezu perfekt. Die Affen, die Leguane, die Kolibris und all die anderen herrlichen Lebewesen, die sich seine Krone zur Heimat erkoren hatten, waren der lebendige Beweis, dass solche Bäume geradezu den Mittelpunkt des Lebens im Regenwald bilden. Sie erinnern uns daran, dass alles in der Natur miteinander verbunden ist und zusammenhängt. Eine Kletterpartie auf einen solchen Baum ist für jemanden, der sich für die Natur begeistert, in gewissem Sinne nichts weniger als eine Pilgerfahrt. Mit Davids Worten: »Dort oben in den Baumkronen, in 30 oder 40 Metern Höhe über dem Boden, dort findet sich der wahre Reichtum des Waldes.«

Dieser Baum in La Selva schien alles zu verkörpern, was mich an der Baumkronenregion schon immer so stark angezogen hatte. Ein »schwebendes Königreich« wie kein zweites.