KAPITEL 7

Ebana – Gabun

2008

Ich stieg in meinen Klettergurt und nahm mir Zeit, den Baum, den ich gleich besteigen würde, genauer in Augenschein zu nehmen. Der Stamm war tief eingekerbt und breit aufgestellt; sein Fuß sah aus wie die Tatze eines riesigen Tiers. Die meisten seiner Brettwurzeln wiesen unverkennbare Elefantenschäden auf – tiefe Stoßzahnspuren, die allmählich verschorften, während der Baum versuchte, sich selbst zu heilen. Dunkelbraunes Harz gerann über den verletzten Stellen, um das lebende Gewebe darunter zu schützen, und die rechte Flanke des Baumes war mit dunkelgrauem Schlamm bedeckt, dort, wo die Dickhäuter sich gescheuert hatten. Darüber war der gewundene Stamm mit rotbrauner schuppiger Rinde bedeckt, die ihm ein zottiges Aussehen verlieh. Ich zupfte eine der Schuppen ab, unter der die frische, hellere Rinde zum Vorschein kam. Die Schuppe war bröselig wie verbrannter Toast und roch modrig. Alles in diesem Wald roch modrig. Die Luft war voll von dem intensiven Geruch modernder Pflanzen, fauligen Morasts und dem unverwechselbaren moschusartigen Odeur der Waldelefanten. Manchmal bewegte sich die träge Luft ein wenig, dann konnte ich das Meer riechen. Das gedämpfte Rauschen der Wellen, die sich an einem fernen Strand brachen, erinnerte einen ständig daran, dass dies kein gewöhnlicher Wald war.

Dies war der Ort, wo die dichten Waldgebiete des Kongo sich schließlich zum Atlantik hinabsenkten. Ein dünner Streifen weißen Sands, Hunderte Kilometer lang, trennte die Welt der Bäume von der Welt des Wassers. Dieser menschenleere Landstrich war übersät mit dem sonnengebleichten Totholz zahlloser umgestürzter Bäume. Tonnenschwere Baumstämme waren von riesigen Atlantikwellen mit lässiger Verachtung an den Strand gespült worden. Der Kongo hatte hier einen ebenbürtigen Gegner gefunden, und ein unsicherer Waffenstillstand schien über der ganzen Region zu schweben, als warte der Wald auf den Tag, an dem der Ozean sich endlich erheben und ihn vollständig wegspülen würde.

Ich befestigte mein Kletterseil an meiner Brustklemme, zog das lose Ende durch und hangelte mich vom Boden hoch. Der Baum stand am Rand einer großen Inlandlagune, und am Ende meines Seils schwang ich jetzt in anderthalb Metern Höhe über dem schwarzen Wasser. Dort lauerten Krokodile, und ganz instinktiv beeilte ich mich, höher hinaufzukommen, um mehr Abstand zu dem dunklen Wasserspiegel zu bekommen. Fünf Meter über dem Boden teilte der Stamm sich in drei vertikale Stämme auf, die sich 30 Meter weiter oben zu einem riesigen Laubdach verästelten. Es war eine klassische zentralafrikanische Laubholzart, die vor Ort als ozouga bekannt war. Ein knorriger Troll von einem Baum, dessen Holz stärker war als Stahl.

Bis ich eine Höhe von zehn Metern erreicht hatte, war mir bereits klar, dass es der perfekte Baum für meine Zwecke war. Die letzten drei Tage war ich nur durch diesen Wald gekrochen, auf der Suche nach einem Baum von genügender Stärke und Größe, und ich war erleichtert, ihn endlich gefunden zu haben.

Ich war von einer Fernsehgesellschaft angeheuert worden, um das ultimative Dschungel-Baumhaus zu bauen. Das Produktionsteam hatte dieses urwüchsige Waldgebiet an der abgelegenen Küste von Gabun ausgesucht, und auf den ersten Blick hatte es tatsächlich ideal gewirkt. Es war praktisch menschenleer, ein unberührtes Mosaik aus Wald, Savanne und Lagune, Heimat von Elefanten, Gorillas, Schimpansen, Büffeln, Nilpferden und Krokodilen. Bei näherer Betrachtung hatte sich allerdings herausgestellt, dass es nur sehr wenige Bäume gab, die infrage kamen.

Dieser Trip war eine Erkundungsreise, und was ich brauchte, war ein Baum von genügender Größe und Präsenz, um sich als eigenständiger Akteur zu profilieren. Ein Dschungelriese, der als perfekte Bühne für die drei Moderatoren fungieren konnte, die einen Monat lang in seinem Astwerk leben sollten. Unglaublich stark und gesund musste er obendrein sein. Aber dieser Waldstreifen zwischen Ozean und Lagune war seit Jahrhunderten dem unbarmherzigen Küstenklima ausgesetzt und erwies sich als dichtes, unwegsames Wirrwarr aus verschlungenen Lianen und geborstenen Baumstämmen. Sobald ein Baum sich über die anderen erhob, wurde er von den heftigen Stürmen, die vom Atlantik hereingefegt kamen, zurechtgestutzt. In den Baumkronen hing eine Menge Totholz, und die höheren Bäume lehnten in gefährlich schiefem Winkel und kämpften um Halt in dem lockeren, sandigen Boden. Alle, außer dem Ozouga, den ich nun erklomm. Kein Wunder, dass dieser Baum so weit wie möglich vom Meer entfernt wuchs, direkt am Rand der Lagune. An der Westseite war er durch einen knappen Kilometer Wald geschützt und hatte so viel Wasser, wie er brauchte. Er war etwa 45 Meter hoch, aber was ihm an Höhe fehlte, das machte er durch schiere Masse wett. Seine drei gewaltigen Stämme würden den Boden des Baumhauses sicher tragen. Ich konnte eine maßgeschneiderte Struktur entwerfen, die alle drei Stämme umschloss; zweifellos war das Holz stark genug, mehrere Tonnen an Balken und Bohlen zu tragen. Alles ließ sich sehr gut an, also rief ich meinen Begleitern James (der Produzent) und Joseph (unser Waldführer) zu, sie könnten mich ruhig eine Weile allein lassen. Sie schlenderten plaudernd in den Wald, und ich kletterte weiter, bis ich mich in 15 Metern Höhe befand.

Hier spreizten die drei Stämme sich wie Riesenfinger, und ich zog mein Notizheft hervor, um ein paar Ideen für das Baumhaus zu skizzieren. Die nächsten zwei Tage würde ich mich der Erkundung des Baumes widmen, um die Pläne zu entwerfen, die dann als Grundlage für die Konstruktion dienen würden. Ich hing da in meinem Klettergurt und stellte mir vor, wie das Haus gebaut wurde, wie es um mich herum Form annahm.

Über meinem Kopf führte das Kletterseil durch einen dünnen Laubschleier. Ich wand mich hindurch und befand mich jetzt in dem weiten Raum unterhalb der Baumkrone. In 20 Metern Höhe war ich von einem Geflecht aus horizontalen Ästen umgeben. Manche davon hatten einen Durchmesser von gut einem Meter und wirkten unermesslich stark. Sie schlängelten sich in alle Richtungen und boten schier grenzenlose Möglichkeiten für Entwürfe. Ein Aststumpf drei Meter über mir fiel mir auf, der aussah, als ob er hohl sei. Ich beschloss, ihn mir genauer anzusehen, falls er eine noch unentdeckte Fäulnis im Innern des Stammes offenbaren sollte.

Just in diesem Moment kam eine Honigbiene von oben und begann mir wütend ums Gesicht zu summen, um dann Kurs auf meine rechte Augenbraue zu nehmen. Ich schlug nach ihr, und sie flog weg, aber den Stachel ließ sie stecken. Ich versuchte ihn herauszuziehen, aber ungeschickt, wie ich war, quetschte ich nur den daranhängenden Giftsack aus, der noch mehr Gift in mich hineinpumpte. Afrikanische Honigbienen haben es echt in sich, und an meinen Fingerspitzen war Blut. Aber sie stechen nicht ohne Grund; offenbar war ich an ein Nest geraten. Ein kurzer Blick zu dem hohlen Aststumpf hinauf bestätigte meinen Verdacht. Ein Blizzard aus kleinen schwarzen Punkten wirbelte aus ihm auf. Nachdem die sterbende Biene ihren Stachel in meinem Fleisch gelassen hatte, war sie direkt zum Stock zurückgeflogen und hatte eine zornige Spur von Pheromonen hinterlassen, der die nächste Welle der Verteidiger nur zu folgen brauchte. Sekunden später kam es schon zur nächsten Attacke. Ein Stich ins linke Augenlid, während eine weitere Biene mir ins linke Nasenloch kroch. Ich fühlte, wie mehrere andere versuchten, mir in den Mund zu krabbeln. Nachdem sie mich gestochen hatte, kehrte jede Biene ins Nest zurück, um noch mehr Verstärkung herbeizurufen, und die Situation eskalierte gefährlich, während ich 20 Meter über dem Boden hilflos um mich schlug.

Eine schaffte es, durch meine fest zusammengepressten Lippen zu schlüpfen, und stach mich von innen in die Backe. Ich zermalmte sie zwischen den Zähnen und spuckte sie aus, aber schon krabbelten drei weitere hinein, um es ihr gleichzutun. Ich spürte, wie meine Kehle anschwoll und wie ich hyperventilierte. Eine Welle von Adrenalin durchfuhr mich, und mein Herz hämmerte wie wild. Wenn es zu einem anaphylaktischen Schock kam, würde meine Luftröhre noch mehr zuschwellen, ich würde recht bald das Bewusstsein verlieren und ohnmächtig an meinem Seil baumeln. Dutzende von Bienen waren mir unters Hemd gekrochen, während andere durch die Belüftungsritzen meines Helms geschlüpft waren, um mir mehrfach in den Kopf zu stechen. Mir brummte der Schädel vor lauter Bienengift, und ich fing an, Sterne zu sehen. Wenn ich hier oben blieb, konnte das nur böse enden, so viel war sicher.

Ich musste machen, dass ich runterkam, hing vorerst aber immer noch sieben Stockwerke weit oben und zappelte wie eine Marionette an meinem Seil. Ich musste die Abseilvorrichtung am Gurt aktivieren, doch dafür musste ich die Hände vom Gesicht nehmen. Ich konnte nicht mehr klar denken, aber meine Hände wussten auch so, was zu tun war, und hatten auf Autopilot geschaltet. Seil rüber in die Abseilvorrichtung, Füße in die Trittschlingen, Brustklemme lösen, in den Klettergurt zurücklehnen, Handklemme lösen und ab!

Ich war kurz davor, ohnmächtig zu werden, als ich, so fest ich konnte, den Hebel an meiner Abseilvorrichtung drückte und praktisch im freien Fall am Seil hinabrauschte. Der Schwarm folgte mir nach unten, also schwang ich mich ans Ufer, streifte hektisch den Gurt ab, den ich am Seil hängen ließ, und stürzte mich kopfüber in die Sicherheit der Lagune. Zum Teufel mit den Krokodilen. Ich tauchte vollkommen unter und konnte nicht glauben, dass ich von einigen Unentwegten immer noch weiter gestochen wurde. Ich riss mir den Helm herunter, zerquetschte alle Bienen, die sich in meinen Haaren und Ohren verfangen hatten, hielt den Atem an, solange ich konnte, und hangelte mich dann an den Baumwurzeln zurück ans Ufer. Der Hauptansturm war vorüber. Ich hatte allerdings nicht vor, auf die Nachhut zu warten, und wankte in den Wald, um mich so weit wie möglich von dem wütenden Schwarm zu entfernen.

Nach ein paar Minuten blieb ich stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Ich hatte Ohrensausen, und alles klang so verschwommen, als wäre ich immer noch unter Wasser. Ich war froh, das wütende Summen nicht mehr zu hören, aber mein Atem ging flach, und ich fühlte mich, als hätte ich eine ganze Flasche Whisky auf ex getrunken. Ich musste mich übergeben, hatte aber nichts im Magen, würgte nur Speichel hoch, keuchend vor Anstrengung. Die letzten Bienen, die sich in meinen Kleidern verfangen hatten, wanden sich im langsamen Todeskampf, und gelbe Eingeweide quollen aus ihren Hinterteilen. Die Luft war voll vom bitteren Geschmack des Gifts, und ein scheußlicher roter Ausschlag breitete sich auf meinen Händen aus. Es war eine anaphylaktische Reaktion, aber da ich keine Medizin dabeihatte, konzentrierte ich mich darauf, tief und langsam zu atmen, damit das Herzrasen aufhörte und das Gift sich nicht so schnell in meinem Körper ausbreitete. Ich brauchte unbedingt eine ordentliche Dosis Antihistamin, also wischte ich die letzten Bienen von mir ab und machte mich torkelnd wie ein Betrunkener auf den Weg zu unserem anderthalb Kilometer entfernten Lager. Der Adrenalinschub war inzwischen abgeklungen, und ich fühlte mich nur noch erschöpft, verwirrt, zittrig. Es ging mir miserabel.

* * *

Ein paar Stunden später erwachte ich auf meinem Bett in unserem Lager. Es war dunkel und kühl. Ich hörte Regen draußen, ab und zu Donnergrollen. Aufgeregtes, schrilles Gezirpe von den Fledermäusen, die über mir in den Balken der Hütte hingen. Ich tastete unter dem Kissen nach meiner Stirnlampe und wurde augenblicklich von dem Licht geblendet, das von dem weißen Moskitonetz um mich her zurückstrahlte. Alles kam mir surreal vor, und ich brauchte eine Weile, um mir darüber klar zu werden, wo ich war und was passiert war. James und Joseph hatten die Attacke mitbekommen. Meine Schmerzensschreie und Warnrufe waren durch den Wald gehallt, und die beiden waren zu dem Ozougabaum zurückgerannt. Als sie dort ankamen, hievte ich mich gerade aus dem Wasser und rannte in blinder Panik an ihnen vorbei. Joseph, der gleich kapiert hatte, was los war, hatte James schnell aus der Gefahrenzone gelotst und eine Abkürzung genommen, um mich in sicherer Entfernung auf dem Wildpfad abzupassen. Von dort aus hatten sie mir beide zum Lager zurückgeholfen, wo sie mir eine große Dosis Antihistamin verpassten und mich ins Bett steckten.

Die Schwellung in meiner Kehle war zum Glück völlig verschwunden, aber ich fühlte mich immer noch schwindelig und desorientiert. Mittlerweile spürte ich jeden einzelnen Stich. Ich zählte mindestens 40 allein an Kopf und Armen, aber manche davon fühlten sich wie Stiche auf Stichen an. Meine Unterlippe war so geschwollen, wie ich es nicht mehr erlebt hatte, seit ich in der Schule eine aufs Maul gekriegt hatte, und mein rechtes Ohr brannte höllisch. Auf meinem Kissen waren Blutflecken, und ich konnte schwere Prellungen rund um die Augen und auf den Handrücken fühlen – überall da, wo Haut auf Knochen trifft und wenig Fleisch vorhanden ist, um den Stich abzufangen. Alles in allem fühlte ich mich, als hätte ich drei Runden im Ring mit einem Schwergewichtsboxer absolviert. Aber ich war noch am Leben, und das war schließlich alles, was zählte. Es hätte auch anders ausgehen können.

Die ganze Episode war ein ziemlicher Albtraum gewesen. Aber was mich außerdem beunruhigte, war die Art, wie die Bienen sich verhalten hatten. Sie waren direkt auf mein Gesicht losgegangen. Diese Bienen, die noch nie einen Menschen gesehen hatten, wussten irgendwie, dass Augen, Mund und Nase die besten Ziele für eine Attacke waren. Die Vorstellung solch einer angeborenen kollektiven Intelligenz war mir unheimlich. Wahrscheinlich ergab es jedoch einen evolutionären Sinn, da sie es gewohnt waren, ihren kostbaren Honig gegen Primaten zu verteidigen. Schimpanse, Gorilla, Mensch … für eine Biene sehen wir wohl alle gleich aus.

Ich knipste die Stirnlampe aus und ließ mich in die tröstliche Dunkelheit zurücksinken. Das Geräusch des Regens und dazu das ferne Wellenrauschen halfen mir, mich zu entspannen. Ich lag da, war kurz davor wegzudösen und machte mir Vorwürfe, dass ich meinen Verbandskasten nicht in den Wald mitgenommen hatte. Außerdem hatte ich keine Spur von dem Nest entdeckt, bevor ich losgeklettert war. Ich hätte den Baum länger vom Boden aus beobachten sollen, bevor ich überhaupt die Schnur hinaufschoss. Normalerweise tue ich das auch, aber ich war wohl einfach so erleichtert gewesen, nach langem Suchen endlich einen passenden Baum gefunden zu haben, dass ich alles andere vergaß. Ich war zu selbstsicher gewesen und hatte alle Vorsicht sausen lassen. Ich schloss die Augen und fiel durch weichen Wellenschaum in tiefen Schlaf.

* * *

Am nächsten Morgen wurde ich um halb fünf wach. Eine Stunde lag ich da und wartete auf die Morgendämmerung, dann ging ich mit meinem Becher Tee ans Ufer der Lagune, um die Sonne durch den Dunst aufsteigen zu sehen. Meine Gelenke waren steif, und mir tat alles weh, aber der Giftnebel hatte sich aufgelöst, und mein Kopf war klar.

Ich war nicht scharf darauf, gleich wieder in den Wald loszumarschieren, geschweige denn, wieder in meinen Klettergurt zu steigen, aber wir hatten nur noch zwei Tage, um den richtigen Baum zu finden.

Mit Joseph zu dem Ozougabaum zurückzuschleichen, um meine Seile abzuhängen, war mir wie eine Art Therapie vorgekommen, als würde man ein Trauma noch einmal erleben oder an einen Tatort zurückkehren. Ich nehme an, es tat mir gut. Ich sah oder hörte keine Biene mehr, obwohl sie an so einem schönen Tag bestimmt sehr aktiv waren. Ich fand meinen Klettergurt noch am Seil, schlaff am Fuß des Baumes hängend. Es wimmelte von Ameisen, die emsig damit beschäftigt waren, die Leichen der Bienen auszuschlachten, die sich für die Verteidigung ihres Stocks geopfert hatten. Ich warf einen letzten Blick auf den weiland perfekten Baum und kehrte zurück in den Wald, um weiterzusuchen.

Glücklicherweise standen wir schon zwei Stunden später am Fuß eines weiteren potenziell passenden Baumes, auch dieser wieder am Ufer der Lagune. Joseph klopfte mit der Breitseite seiner Machete dagegen und sagte: »Ebana.« Ich besann mich auf mein Schulfranzösisch, um ihn zu fragen, ob Ebana gutes, starkes Holz war. Er strahlte mich an: »Oui, oui, il est bon bois. Très fort. Pas de problème.«

Joseph war der Sohn des Dorfvorstehers von Sette Cama, dem nahe gelegenen Dorf. Er war so groß wie ich, aber mit breiteren Schultern, und er hatte einen eigenartigen Humor. Als ich ihn zum ersten Mal traf, gingen wir in der Lagune schwimmen. Er war untergetaucht und hatte mich bei den Beinen gepackt, um dann schallend über mein angstverzerrtes Gesicht zu lachen. Anschließend ließ er noch eine strenge Warnung wegen der Krokodile vom Stapel. Wir traten gerade 100 Meter vom Ufer entfernt Wasser, und mir war schleierhaft, wieso er diese Tatsache nicht erwähnt hatte, als wir noch auf dem Trockenen waren, aber ihn freute das alles ungemein. Ich hatte ihn gleich ins Herz geschlossen.

Obwohl er ebenfalls am Rand der Lagune stand, hätte der Baum, zu dem wir jetzt aufschauten, sich nicht stärker von unserem gestrigen Ozouga unterscheiden können. Während der »Bienenbaum« von massiver Statur gewesen war, wirkte dieser Ebana schlank und anmutig, fast fragil. Seine Rinde war glatt und grauscheckig, sie fühlte sich an wie stark abgeschmirgeltes Sandpapier. Auch dieser Stamm wurde regelmäßig von Elefanten zum Scheuern genutzt und war deswegen mit etlichen Schlammschichten bedeckt, die teilweise noch feucht waren. Fünf Meter über dem Boden teilte er sich in drei Stämme, die sich jeweils noch vielfach verästelten. Die Baumkrone, die sich 30 Meter über uns im Wind wiegte, wirkte wie ein eigener Wald. Der Baum erinnerte mich an die uralten Buchen, die ich von daheim kannte. Ich begutachtete ihn durchs Fernglas und konnte keine Höhlen oder Schäden daran erkennen, also schoss ich eine Schnur hinauf, um meine Seile zu befestigen. Der schwache Geruch nach Bienengift, der immer noch an meinem Klettergurt haftete, verursachte mir Herzklopfen; ich holte tief Luft und versuchte mich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren.

Ich hatte mein Kletterseil so angebracht, dass es mich über die Mitte des Baumes hinaufführte. Sobald ich oberhalb des Hauptstamms angelangt war, hing ich in einer herrlich offenen Kolonnade aus mehreren Stämmen, die sich immer mehr vervielfachten und immer schmaler wurden, je höher ich kam. Ich schwang an meinem Seil durch die Mitte, um nach einem Ast auf der anderen Seite zu greifen. Er bog sich unter meinem Gewicht, schnellte zurück und schlug leicht gegen seinen Nachbarn, als ich losließ und wieder wegschwang. Je mehr ich mich der Baumkrone näherte, desto verlockender wurden die Ausblicke auf die Lagune. Ich hatte kein Seil mehr, aber noch sechs Meter bis zum Wipfel zu bewältigen, also begnügte ich mich mit den Klettergurten und kraxelte den Rest freihändig hinauf. In dieser Höhe war die Krone etwa 15 Meter breit, und die vielfachen Stämme erstreckten sich zu meiner Rechten wie die Säulen eines Kreuzgangs, um den Kreis zu meiner Linken zu vollenden. Ich hatte einen weiten Überblick über die Lagune tief drunten. Das Wasser glitzerte wie Diamanten in der afrikanischen Sonne, doch hier oben unter dem Blätterdach herrschte grüne Kühle. Ich hatte die Muffigkeit des Unterwuchses weit hinter mir gelassen und konnte das Salz des Meeres schmecken, das die frische Brise herantrug. Der Baum raschelte bei jedem Lufthauch, und die Stämme schwankten in immer größeren Kreisen, bis sie sanft zusammenstießen, fast bedauernd, wie Leute auf einer überfüllten Tanzfläche. Ich blickte hinab in das Herz des Baumes, zu dem Hauptstamm mehr als 20 Meter unter mir, von dem aus die vielfachen Stämme sich mir schlängelnd entgegenstreckten wie die Tentakel einer gigantischen Krake oder Seeanemone. Ich schloss die Augen und fühlte alles um mich her in ewigem, wiegendem Auf und Ab, und während die freundliche Brise mir den Schweiß trocknete, wurde mir bewusst, dass wir endlich unseren Baum gefunden hatten.

* * *

Zwei Tage danach flogen James und ich nach England zurück, um alles in die Wege zu leiten. Zehn Tage später war ich wieder in Gabun, mit einigen Werkzeugkästen und jeder Menge Kletterausrüstung. James war in England geblieben, um Texte fertigzustellen, und jetzt wurde ich von Nick begleitet, einem britischen Kollegen, der sich bestens mit Bäumen und Holzverarbeitung auskannte. Wir würden das Baumhaus gemeinsam bauen. In meiner Abwesenheit hatte Joseph ein kleines, aber tatkräftiges Team aus seinem Dorf rekrutiert, und wir hatten drei Wochen, um so viel wie möglich noch vor Weihnachten geschafft zu kriegen. Viel Zeit war das nicht, und meine Entwürfe waren ziemlich anspruchsvoll. Aber falls das georderte Holz angekommen war, konnte es gleich losgehen.

War es aber nicht. Wir hatten es bei einer kleinen Sägerei in Gamba gekauft, der nächsten Stadt, eine vierstündige Bootsfahrt entfernt auf der anderen Seite der Lagune gelegen. Offenbar hatte der Besitzer des Sägewerks sich seit Tagen nicht mehr blicken lassen und war wie vom Erdboden verschluckt. Unser Zeitplan war knapp bemessen. Wir hatten insgesamt 22 Tage, um das Baumhaus fertig zu bekommen, und ich wurde immer nervöser, je mehr Tage ungenutzt und ohne Nachricht verstrichen. Ich sagte mir, dass es sich nur um eine kleine Verzögerung handele, sicher würde alles noch gut gehen. Aber in Zentralafrika wirken sorgfältig ausgetüftelte Pläne oft lachhaft; nach sechs Tagen schien mir mein Optimismus reichlich fehl am Platz. Selbst wenn das Holz morgen ankäme, hätten wir nur noch zwei Wochen, um das Ding hochzuziehen. Frustriert beschlossen Nick und ich, am Strand zu joggen und schwimmen zu gehen, einfach um mal aus dem Lager herauszukommen und uns ein bisschen abzureagieren. Wie Touristen schnappten wir uns unsere Handtücher und Flipflops und machten uns auf den Weg hinunter zum menschenleeren Strand.

Weißer Sand erstreckte sich in einer langen, sanft geschwungenen Bucht vor uns, um am nördlichen Horizont in einem Dunstschleier zu verschwinden. Schwere Brecher rollten in endloser Folge heran, und die sonnengebleichten Gerippe toter Bäume lagen halb begraben im Sand wie Saurierfossilien. Zu unserer Rechten lag der Wald, eine dicke Wand aus wild wuchernder Vegetation. Gelegentlich ragte ein einzelner Baum bis über die Hochflutgrenze hinaus, aber es war so dunkel unter dem Blätterdach, dass ich zwischen den Bäumen nichts erkennen konnte.

Ich legte mein Handtuch auf einem gefallenen Baumstamm ab und schlenderte zum Waldsaum, um zu pinkeln. Während ich noch an meinen Shorts fummelte, gewahrte ich plötzlich eine Bewegung, und als ich zu dem dichten Blattwerk aufsah, wurde es plötzlich von etwas gesprengt, das sich mit unglaublicher Geschwindigkeit bewegte. Ein Elefantenbulle brach aus der Deckung hervor, geradewegs auf mich zu. Die riesigen schwarzen Ohren aufgestellt, den Rüssel zornig eingerollt, aber was mir vor allem auffiel, das waren seine Stoßzähne: knapp zwei Meter lang und rasend schnell näher kommend. Vielleicht bluffte er nur, aber es sah ganz so aus, als wollte er ernst machen. Keine Warnung, kein Trompeten, nur diese schreckliche stumme Absicht, begleitet vom unheilvollen Krachen der Äste, während er seine fünf Tonnen durch die Baumstämme und Büsche wuchtete, als ob sie Gras wären. Er war ungefähr noch 15 Meter entfernt, aber der Abstand verringerte sich beängstigend. Ich drehte mich um und rannte barfuß über den Strand, noch die Shorts hochziehend. Im Vorbeirennen schlug ich Nick auf die Schulter: »Elefant! Lauf!« Im Bruchteil einer Sekunde hatte er begriffen, was los war, und sprintete neben mir auf die Wellen zu.

Der Bulle jagte uns quer über den Strand bis ans Wasser. Er war uns dicht auf den Fersen, aber am Wellensaum ging es steil abwärts, und fünf Meter hinter uns bremste er ab, unter wütendem Gebrüll. Es war ohrenbetäubend, selbst über das Tosen der Brecher hinweg. Ein ungeheurer Urschrei der Wut, den ich im Zwerchfell vibrieren fühlte, obwohl ich bis zum Bauch im schäumenden Wasser stand. Ich konnte direkt in sein offenes rosa Maul sehen, als er trompetend den Rüssel reckte, ehe er den Kopf senkte und angriffslustig mit den großen, dornenzerfetzten Ohren fächelte. Wir wichen weiter in die Wellen zurück, während er aufstampfend Sandfontänen in unsere Richtung kickte. Er war unfassbar zornig, voller Empörung über unsere Anwesenheit. Doch ich entdeckte auch einen Anflug von kindlichem Stolz, in der Art, wie er nun dastand und seinen riesigen Schädel hin- und herschwenkte. Eine reißende Strömung trieb uns parallel zum Strand durchs Wasser. Die Körpersprache des Bullen verriet so etwas wie Selbstzufriedenheit, als er auf gleicher Höhe mit uns mittrabte und uns ab und zu einen Seitenblick zuwarf. Er hatte unmissverständlich klargestellt, dass dies hier sein Revier war. Nachdem er uns eine Weile beschattet hatte, kehrte er zu den Bäumen zurück, und wir konnten zusehen, wie wir uns halb watend, halb schwimmend in Sicherheit brachten. So waren wir ja doch noch zu unserem Strandlauf gekommen, inklusive Badestart, dachte ich grimmig. Durchnässt trotteten Nick und ich zurück zu unserer Hütte und kamen uns vor wie abgewatschte kleine Jungs. Gut, dass Joseph nicht da war, um uns in Empfang zu nehmen, sonst hätte er uns ewig damit aufgezogen. Ich schenkte uns beiden einen dringend benötigten Whisky ein; wir hockten in nachdenklichem Schweigen da und blickten über die Lagune. »Das stand so aber nicht im Prospekt, oder?«, murmelte Nick.

* * *

Um sechs Uhr am folgenden Morgen saß ich mit meinem Becher Tee da und sah den Vögeln am Wasserrand beim Grasrupfen zu. Diese kleinen schwarzroten Vögel flogen in die Palmen über unserer Hütte hinauf, mit langen Halmen im Schnabel, die wie Girlanden hinter ihnen herwehten. In jedem Baum hingen Dutzende von Nestern – ein ganzer hängender Garten voll perfekt geformter kleiner Baumhäuser. Jede Palme schwirrte vor geschäftigem Treiben. Neidvoll sah ich ihnen beim Bauen zu; ich hätte längst selbst oben in meinem Baum an meinem eigenen Baumhaus werkeln sollen. Gerade hatte ich mich wieder der aufgehenden Sonne zugewandt, als ich fernes Motorbrummen vernahm. Nick kam aus der Hütte und gesellte sich zu mir, just als eine blaue Barkasse vom anderen Ufer der Lagune her in Sicht kam, wie eine Vision aus dem Morgendunst auftauchte. Sie war voll beladen mit Holz und lag sehr tief im Wasser. Planken und Balken waren bis über das Dollbord gestapelt und ragten zu beiden Seiten noch drei Meter darüber hinaus. Obendrauf thronte Joseph und rief dem Bootsführer Anweisungen zu. In weitem Bogen kurvte das Boot aufs Ufer zu. Joseph strahlte übers ganze Gesicht, während wir hinunterliefen, um den Bug aufs Ufer zu geleiten.

Eine Woche hatten wir auf diesen Moment gewartet, sieben Tage verloren. Ein Drittel der Zeit, die wir für den Bau zur Verfügung hatten, war verpufft. Außerdem fiel mir auf, dass diese erste Lieferung nur Dachmaterialien enthielt. Was wir aber unbedingt brauchten, waren die Balken für das Grundgerüst. Doch mir war schon alles egal, so erleichtert war ich, dass wir überhaupt etwas zum Ausladen hatten. Vielleicht würde es noch den ganzen Tag dauern, bis das restliche Bauholz eintraf, aber wenigstens war schon etwas in Gang gekommen. Der Holzhändler hatte die Abmachung eingehalten, und ich war heilfroh, dass wir am nächsten Morgen endlich in den Baum steigen konnten, um das zu tun, wozu wir hergekommen waren.

* * *

Die morgendliche Stille wurde von der Kettensäge zerrissen. Es war ein aus Gamba gemietetes Uraltmodell mit einer mehr als einen Meter langen Schneide, ohne Sicherheitsvorrichtung. Nachdem das Monster sich ein paarmal geräuspert hatte, erwachte es brüllend zum Leben, und Aubin, sein barfüßiger Betreiber, war sofort in eine türkisfarbene Abgaswolke gehüllt. Er jagte den Motor hoch, bis er kreischte, und setzte die Säge an einem Brett an, wo sie untätig ruhte, ehe sie abprallend auf den Waldboden flog und sich abwürgte. Mir gellte es in den Ohren, und der Gestank verbrannter Chemikalien biss sich abscheulich mit der Friedlichkeit unserer Umgebung.

Wir standen in einer neu geschaffenen Lichtung am Fuß des Ebana. Die Blätter tropften noch vom nächtlichen Regen, und alles leuchtete smaragdgrün im Gegenlicht der Morgensonne. Silberne Reflexe der Uferwellen huschten am Stamm des Ebana auf und ab. Ein Eisvogel schoss wie ein blauer Blitz vorbei, während weit draußen in der Lagune ein Schwarm Silberreiher über spiegelndes Wasser glitt. Es war fast ein Sakrileg, hier einen solchen Krach zu veranstalten, aber es ging nicht anders. Mit Handsägen konnte man an dem tropischen Hartholz nichts ausrichten. Wir waren vollkommen abhängig von der tollwütigen Maschine, die da qualmend zu Aubins Füßen lag.

Zunächst mussten wir mal in den Baum hinauf und den Leuten unten zurufen, welche Maße wir brauchten, damit das Team aus Sette Cama uns die Balken zuschneiden konnte. Wir hatten Glück mit den Jungs, und einer von ihnen, Justin, war ein begnadeter Zimmermann. Er übernahm die Rolle des Vorarbeiters und sorgte dafür, dass am Boden alles rund lief, während Nick und ich oben im Geäst des Ebana herumturnten.

Ich schnallte den Klettergurt um, warf mein Kletterseil über einen Ast und zog mich an dem schlammbedeckten Stamm hoch. Meine Augen folgten den tanzenden Wasserspiegelungen, bis ich in die lebende Struktur des Blattwerks über uns spähte. Plötzlich überkamen mich unerwartete Schuldgefühle. Dieser Baum war in perfekter Harmonie mit seiner Umgebung gewachsen. Ich hatte keine Ahnung, wie alt er war, doch bisher hatte er friedlich in seiner stillen Ecke des Waldes gelebt, dazu bestimmt zu altern und zu sterben, wie die Natur es vorgesehen hatte. Aber nun sollte sein Schicksal für immer geändert werden, und alles nur für einen Fernsehbeitrag. Kopfschüttelnd schwor ich mir, dass unser Baumhaus diesem Baum auf keinen Fall Schaden zufügen durfte. Ich war zuversichtlich, dass wir die Tragfläche einpassen konnten, ohne Nägel in die Äste zu schlagen, aber all das zusätzliche Gewicht, das wir heraufschafften, müsste so verteilt werden, dass es dem Ebana nichts ausmachte. Es sollte auch eine nützliche Funktion erfüllen, die weit über einen bloßen Fernsehbeitrag hinausging. Kurz und gut, ich wollte etwas so Schönes wie diesen Baum nicht zerstören, indem ich das Ganze hier verbockte.

Und damit begannen zwei der intensivsten Wochen meines Lebens. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang holte das Team Nick und mich mit dem Boot ab. Dann ging es direkt zu unserem Baum, wo wir uns ins Zeug legten, um so viel wie möglich zu schaffen in diesen ersten Stunden des Tages, bevor die Hitze uns wie Sirup umgab und lähmte. Ich hatte das Baumhaus so entworfen, dass es an Stahlkabeln hängen sollte, die hoch oben in den Astgabeln zu verankern waren. Diese mussten zuerst angebracht werden. Also schwangen Nick und ich ab sechs Uhr morgens in 25 Metern Höhe zwischen den Ästen, bis die Kabel – wie Stahlranken fünf Meter über dem Waldboden hängend – um die Enden der Tragebalken geschlungen werden konnten.

Bald schon begann die Plattform Gestalt anzunehmen. Das jaulende Geheul der Kettensäge wurde von unaufhörlichem Hämmern begleitet. Alle waren mit Feuereifer bei der Sache. Ein solcher Arbeitsaufwand verschlingt eine Menge Energie, und genügend Nahrung zu bekommen wurde allmählich zum Problem. Wir hatten keine Zeit, zum Mittagessen ins Lager zurückzukehren, daher fuhr jeden Morgen gegen neun einer aus dem Team mit dem Boot los, um unweigerlich zwei Stunden später mit einem halben Dutzend wunderschöner frischer Fische im Eimer wiederzukommen. Die Jungs aus Sette Cama waren alle großartige Fischer, und während Nick und ich hoch droben an unseren Seilen baumelten und die Mannschaft am Boden das Holz zurechtsägte und es zu uns hinaufhievte, bereitete einer von ihnen über einem offenen Feuer die unglaublichste Fischpfanne zu.

Das Mittagessen wurde für uns alle bald zum wichtigsten Moment des Tages. Nick und ich hatten längst keine Vorräte mehr in unserer Hütte, und da wir abends nichts zu essen bekommen würden, langten wir mittags zu, bis wir uns kaum noch rühren konnten. Dann krochen wir in den Schatten, um eine Stunde oder so zu dösen. Gegen zwei hievten wir uns wieder in den Baum hoch, um weiter Planken festzuhämmern, aber erst ab drei, wenn die Hitze langsam nachließ, waren wir wieder fit. Dann schwangen wir durch den Baum und arbeiteten wie die Besessenen, kriegten die Bretter und Balken schneller justiert, als die Mannschaft unten sie zuschneiden konnte. Jeden Tag arbeiteten wir in dem Baum, bis es dunkel wurde. Die goldene Nachmittagssonne zog sich die schlanken Silberstämme entlang zurück, bis der ganze Baum vom Wald im Westen überschattet wurde. Die kurze tropische Dämmerung sog die Farben aus unserer Umgebung, und die Hämmer und Sägen verstummten. Während wir unser Werkzeug einpackten und ins Boot stiegen, hörten wir jeden Abend das ferne Knacken der Zweige und das dumpfe Röhren der Elefanten, die durch den Wald ihren Weidegründen am Ufer der Lagune zustrebten.

* * *

Ich lag auf dem Rücken im Dunkeln. Ich war vom grausigen Kreischen einer Ratte aufgewacht, die über mir im Gebälk von einer Schlange erbeutet wurde. Ich konnte das leise Knirschen der Knochen im Würgegriff hören und das letzte verzweifelte Scharren der Krallen, bevor die Ratte dem Unvermeidlichen erlag. Kein besonders schönes Erwachen, weder für mich noch für die Ratte. Aber da war noch ein anderes Geräusch, das mich geweckt hatte. Ein mehrfaches wuchtiges Poltern, irgendwo dort draußen in der Dunkelheit. Jetzt war alles wieder still, aber kaum drehte ich mich auf die Seite, um wieder einzuschlafen, ertönte es noch einmal. Ein dumpfer Knall, der die Hütte erzittern ließ, und gleich darauf eine Lawine von herabfallenden Dingen, wie Äpfel von einem Baum. Ich sah auf die Uhr: fünf. In einer halben Stunde musste ich sowieso aufstehen, also kroch ich gleich aus dem Bett, um nachzusehen, was da los war. Es begann gerade zu dämmern, als ich vorsichtig aus der Hütte trat. Ein riesiger dunkelgrauer Schatten stand in etwa 15 Metern Entfernung unter den Bäumen. Der Elefantenbulle. Er stieß mit dem Kopf gegen jede der Palmen, und bei jedem Stoß rauschte eine Kaskade von reifen Früchten zu Boden. Dann schlurfte er dazwischen herum, um sie eine nach der anderen mit dem Rüssel aufzuheben und sie sich fein säuberlich wie Pralinen ins Maul zu schieben. Er musste sich beobachtet gefühlt haben, denn plötzlich fuhr er mit überraschender Geschwindigkeit herum, beäugte mich einen Moment und zog ab in Richtung Wald, mit hocherhobenem Kopf und gelblich schimmernden Stoßzähnen. Genauso majestätisch, wie ich ihn in Erinnerung gehabt hatte.

»War das unser Freund?«, fragte Nick leise, als er neben mich trat. Er sah hager und müde aus. Die harte Arbeit bei karger Kost setzte uns beiden zu. Ich sah auch nicht viel besser aus. Während der letzten Woche war unser Leben immer erbärmlicher geworden. Wir plagten uns von früh bis spät, mussten mit einer Mahlzeit am Tag auskommen und hatten keine Zeit, die lange Bootsfahrt nach Gamba zu unternehmen, um neue Vorräte zu besorgen. Wobei wir ohnehin nicht genug Benzin für die Reise oder genug Geld für Essen gehabt hätten.

Ohne überschüssige Zeit oder Kraft, um unsere Sachen zu waschen und unsere Hütte sauber zu halten, wurde alles allmählich etwas schmuddelig. Das kühle, klare Wasser der Lagune war unsere Rettung, aber bei Nacht mit Stirnlampe zu baden und dabei ständig nach Krokodilen Ausschau zu halten war auch nicht gerade entspannend. Zusätzlich zu Hunger, Dreck und Erschöpfung hatte ich mir auch noch eine Hautinfektion eingefangen. Die eine Seite meines Gesichts war von einem nässenden Ausschlag bedeckt, der von einem parasitischen Wurm im Tierkot ausgelöst wurde. Reizend. Außerdem waren Nick und ich von juckender Ringelflechte und Sandflöhen befallen. Die Sandflöhe vergraben sich rings um die Zehennägel, um ihre Eier abzulegen, die dort nach und nach reifen und neue Flöhe in den Sand entlassen. Die Haut zwischen meinen Zehen ging teilweise schon in Fäulnis über. Ich wartete, bis die Eier reif waren, dann grub ich sie mit einer heißen Nadel aus und reinigte die Wunde. »Das stand auch nicht im Prospekt, oder?« Tja, wieder einmal verlangte Afrika seinen Tribut. Was war es nur, das mich immer aufs Neue hierherzog?

Als wir später an diesem Morgen aus dem Boot ans Ufer sprangen, begrüßte uns ein penetrantes Elefantenaroma, das in Schwaden am Fuß unseres Ebana zu hängen schien, und neben unserem Holzstapel in der Mitte der Lichtung fand sich ein Riesenhaufen Dung. Der Sandboden ringsum war schwarz von Urin, der schon eine Unmenge von kleinen gelben Schmetterlingen angezogen hatte. Drei enorme, kreisrunde, schlammige Fußabdrücke zierten eine der Planken, die neben dem Baum lagen, und Dutzende weitere verteilten sich auf dem Boden um uns herum. Der Stamm des Ebana war mit frischem Schlamm getüncht. Ungaublich: Trotz des Höllenlärms, den wir bei Tag veranstalteten, war unser Bauplatz nachts von Elefanten besucht worden. Wer weiß, wie er für sie gerochen hatte. Die beißende Mischung aus Menschenschweiß, Urin und Abgasen hätte sie eigentlich in die Flucht schlagen müssen. Aber Elefanten sind überaus intelligente, neugierige Wesen, und ich nehme an, sie waren einfach mal vorbeigekommen, um nachzusehen, wo all der Krach herkam. Nichts war beschädigt; es muss eine magische Szene gewesen sein, wie sie hier standen, silbern gescheckt vom Mondlicht, und sich gegenseitig anbrummten, während sie die seltsame Holzkonstruktion über ihren Köpfen betrachteten.

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Ich nahm mir ein paar Minuten, um zu unserem Baumhaus hochzublicken und den Tag vorauszuplanen. Der Unterboden war jetzt praktisch fertig. Dreieckig und knapp zehn Meter lang, ragte er wie ein Schiffsbug über das Wasser der Lagune. Im gescheckten Blätterschatten war das Baumhaus gut vor der Sonne geschützt, sodass es mein bevorzugter Ruheplatz geworden war; nachmittags streckte ich mich dort aus und ließ mich von dem Baum sanft in den Halbschlaf wiegen.

Am 20. Tag, dem 13. seit Baubeginn, war die kleinere obere Plattform ebenfalls fertig und mittels einer Leiter zu erreichen, die durch eine Luke vom Unterboden hinaufführte. Diese Plattform schwebte im mittleren Raum der Baumkrone, deren mächtige Äste teilweise durch sie hindurchreichten.

Nach Weihnachten würden wir wiederkommen, um das Dach anzubringen und noch eine kleinere Plattform in einem der benachbarten Bäume zu bauen, aber fürs Erste war’s das jetzt. Als wir an jenem Abend über die spiegelglatte Lagune zurückschipperten, sah ich den gleichen stillen Stolz, den ich empfand, auch in den Gesichtern um mich her. Wir hatten in weniger als zwei Wochen unglaublich viel geschafft. Ich konnte nur hoffen, dass wir bei unserer Rückkehr in vier Wochen alles noch im gleichen Zustand wiederfinden würden.

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Neujahr in England kam und ging, und ehe ich mich’s versah, saß ich wieder dort oben auf den Planken, in der Dunkelheit, mit dem Rücken an den Stamm gelehnt. Die laue Abendluft war erfüllt vom Gesang der Zikaden, und von oben war das eigentümliche nasale Bellen der Flughunde zu hören. Unter mir plätscherte das Wasser der Lagune ans Ufer, und das ganze Baumhaus schwankte leise im Wind, behaglich knarzend wie ein Schiff, das vor Anker lag. Es war ein magischer Ort. Ich nahm noch einen Schluck Whisky und streckte mich auf dem rauen Holz aus. Tief aufseufzend fühlte ich, wie ich eins wurde mit dem Moment.

Es war zehn Uhr abends am 5. Februar, und das Baumhaus war vollendet. Es besaß sogar eine kleine Küche, und um mich herum stapelte sich der Expeditionsproviant. Die drei Moderatoren unseres Films würden morgen eintreffen, darunter Guy (den ich zuletzt in Australien gesehen hatte, als wir zusammen Roaring Meg bestiegen) und Julie, eine Primatologin. Mein Freund Gavin, ein Kameramann, mit dem ich schon oft gearbeitet hatte, würde ebenfalls mit von der Partie sein. Die nächsten sechs Wochen wäre das Baumhaus ihr Zuhause, aber heute Abend war noch keiner da, und ich feierte auf meine Weise – indem ich eine Nacht allein verbrachte. Ich hatte das Haus, das wir gebaut hatten, ganz für mich und schlummerte bald sanft und selig.

Ein paar Stunden später erwachte ich davon, dass eine steife Brise die Töpfe klappern ließ, die an dem Balken über mir hingen. Ich stand auf, beugte mich übers Geländer und spähte in die Dunkelheit. Im Wald war es verdächtig still. Selbst die Zikaden waren verstummt. Am Horizont wetterleuchtete es, und die ersten schweren Tropfen landeten auf dem Strohdach über meinem Kopf. Der Wind wurde immer stärker, bis das ganze Baumhaus zu ächzen begann, als ob es sich aus seiner Verankerung reißen wollte. Die größte Bedrohung für das Baumhaus war der Ebana selbst, und bald schon spürte ich die ersten Erschütterungen, als die riesigen Äste über mir gegen das Holz schlugen. Einer von den Töpfen fiel scheppernd hinter mir auf den Boden, während eine heftige Windbö wie eine Wand aus Luft das Eintreffen des Orkans ankündigte. Der Luftdruck fiel schlagartig ab, und der Himmel explodierte in einem weißlilafarbenen Feuerwerk. Die Luft kribbelte, der Donner rollte, und der Regen peitschte durch die offenen Seiten der Plattform hinein. Ich rannte über die Planken, um die Schutzrollos herabzulassen, aber die wirbelnde Luft sog die Wachstuchplanen hinaus in die Dunkelheit, wo sie nutzlos umherpeitschten, während die Plattform komplett durchnässt wurde. Jeder Blitz erhellte das totale Chaos: Töpfe, Pfannen, Tücher, Eimer flogen kreuz und quer über die Planken.

Mittlerweile schwankte die ganze Plattform unter ohrenbetäubendem Dröhnen hin und her. Manchmal bebte das Gerüst so stark, dass ich fürchtete, es würde mit mir darin zu Boden krachen. Der Drang, sich davonzumachen, war fast übermächtig. Aber wohin? Ein Wald voller Elefanten war mitten in einer Sturmnacht auch keine echte Zuflucht. Außerdem musste man hier immer mit Stürmen rechnen. Dies war der ultimative Test für unser Baumhaus: ein unerlässlicher Initiationsritus, dem ich mich nicht entziehen wollte. Also legte ich mich wieder auf die nassen Planken und überließ mich vollkommen der Macht des Sturms, bis ich vor Erschöpfung eindöste. Allmählich ließ der Regen nach, und ich wusste, das Schlimmste lag hinter mir. Es war ein harter Ritt gewesen, aber meine Konstruktion hatte gehalten.

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Sechs Wochen später stand die Heimreise bevor. Die Filmerei war erfolgreich beendet, und Eigentümer des Baumhauses war jetzt offiziell der World Wide Fund for Nature hier in Gabun. Die Abschiedsparty war eine gute Gelegenheit für alle, Dampf abzulassen und die Nacht durchzutanzen. Ich war physisch und psychisch ausgelaugt, und so schön es auch war, von den fröhlichen Gesichtern so vieler neuer Freunde umringt zu sein, hing ich um zehn Uhr abends schon in den Seilen. Die Party war immer noch in vollem Gang. Alle wirbelten durch die Schatten eines riesigen Lagerfeuers aus Treibholz, während ich in die Nacht hinaustrat und auf eine leere Hütte am Rand des Camps zuging. Ich spannte mein Moskitonetz auf der Veranda auf und legte mich hin, blickte zu den Sternen empor, sah zu, wie die Silhouetten der Palmen im Feuerschein flackerten, und sank in einen friedlichen Schlaf.

Nach ein paar Stunden weckte mich ein tiefer Brummton, wie von einem Orgelpedal. Ich schlug die Augen auf: Es war stockfinster. Die Sterne wurden von einem riesigen Schatten direkt über mir verdunkelt, und die Spitzen zweier enormer gelber Stoßzähne schwebten anderthalb Meter über meinem Kopf. Ich lag vollkommen reglos da, während der Elefantenbulle das Moskitonetz vor meinem Gesicht mit seinem Rüssel abtastete. Er atmete tief ein, und ich hörte, wie die massiven Lungen in der Brust des Giganten sich ausdehnten, bis ich schon fürchtete, sie könnten platzen. Ich konnte sogar fühlen, wie die Luft in seinen Rüssel eingesogen wurde, als er mich beschnupperte. Kaum hatte ich registriert, was da geschah, wurden mir die Augen von einer Luftlawine zugedrückt, als er ausatmete. Ich roch das Gras, das in seinem Magen gärte, während mein Moskitonetz sich mit der feuchten Luft aus seinen Lungen füllte.

Ich dankte dem Himmel, dass er besserer Laune war als bei unserem ersten Zusammentreffen. Er hatte wohl vom Waldrand aus der Party zugesehen und gewartet, bis das Feuer niedergebrannt war, bevor er auf die Lichtung heraustrat, um unter den Palmen zu weiden. Dabei war er quasi über mich gestolpert und hatte beschlossen, sich das Ding mal genauer anzusehen. Obwohl ich unmittelbar unter fünf Tonnen Elefant lag, war ich erstaunlich ruhig. Er hätte mich schon im Schlaf zertrampeln können, wenn er darauf aus gewesen wäre, und außerdem wusste ich nicht, wohin flüchten. Zu behaupten, dass er die Oberhand hatte, wäre stark untertrieben gewesen. Er ließ noch so ein tiefes Brummen ertönen, das mir durch und durch ging, ehe er still in die Nacht entschwand. Mir war, als hätte ich einen Test bestanden. Die Sterne tauchten wieder auf, und am Horizont jenseits der Lagune zeigte sich ein fahler Schimmer. Es war der Anbruch eines neuen Tages, doch für mich war es Zeit, Zentralafrika zu verlassen – gerade, als ich allmählich das Gefühl hatte, von den Einheimischen akzeptiert zu werden.