2.
»Mr. Stones Büro«, meldete sich eine schnarrende Stimme.
Irritiert sah Aria auf die Nummer, aber es war die Richtige. »Guten Tag. Hier ist Aria Cooper. Ich möchte mit Estelle Stone sprechen.«
»Mrs. Stone ist gesundheitlich verhindert. Sie hat die Geschäfte auf ihren Enkel übertragen. Mr. Stone ist zurzeit nicht im Haus. Was kann ich ausrichten?«
Aria schloss die Augen. Hoffentlich kam der Enkel nach seiner Großmutter. Sie legte ihr Anliegen dar. Danach herrschte einige Sekunden Stille in der Leitung, bis die Stimme erneut schnarrte, noch unterkühlter, als bisher.
»Miss Cooper. Verstehe ich das richtig? Sie bitten erneut um einen Mietaufschub?«
»Ja.« Aria fühlte sich unbehaglich. Ihr kam es vor, als säße sie auf der Anklagebank.
»Ich werde Ihr Anliegen weiterleiten. Sobald ich eine Antwort von Mr. Stone habe, melde ich mich bei Ihnen.«
Ara hörte ein Klacken in der Leitung. Grußlos aufgelegt. Eine reizende Person. Nun hieß es warten, was nicht zu ihren Stärken gehörte. Sie erledigte am liebsten alles sofort. Untätig herumsitzen, machte sie verrückt, aber es blieb ihr nichts anderes über.
Seufzend zog sie die Jacke an und wickelte sich zusätzlich einen Schal um den Hals. Es schneite. Der Winter hielt dieses Jahr früh Einzug.
Eine halbe Stunde später stand sie in der Backstube. Sie bereitete den Apfelkuchen zu und schob ihn in den Ofen. Danach widmete sie sich den Muffins und Cupcakes. Sie stellte nur eine geringe Stückzahl her. Gestern war so viel übrig geblieben, das ging ins Geld. Hoffentlich verkauften sie alle Reste. So war der Verlust nicht zu groß, aber schwarze Zahlen schrieb sie so nie. Blieb zu hoffen, dass sie den Aufschub bekam, um einer Schließung zu entgehen.
Sie verscheuchte die negativen Gedanken und konzentrierte sich auf die Arbeit.
»Aria. Für dich.« June hielt ihr das Telefon hin. »Mr. Stones Büro.«
Arias Herzschlag beschleunigte sich. Schnell klopfte sie das Mehl von den Händen und nahm den Hörer. »Hier Aria Cooper.« Klang ihre Stimme höher als sonst oder bildete sie sich das ein?
»Ich habe eine Antwort von Mr. Stone«, schnarrte der Vorzimmerdrachen.
Arias Hand krampfte sich um das Telefon. Sie betete, dass die Antwort positiv ausfiel. »Wie hat er entschieden?«
»Es gibt keinen weiteren Aufschub. Bis zum 31. Dezember sind sämtliche Rückstände zu begleichen.«
Aria wurde schwindelig. Das durfte nicht wahr sein. »Auf einmal?«
»Ja. Bis zum genannten Termin muss alles bezahlt sein.«
»Wenn ich das nicht schaffe, was ist dann?«
»Der Vertrag mit Ihnen wird fristlos gekündigt. Mr. Stone gewährt Ihnen fünf Tage, das Geschäft zu räumen.«
»Mehr Zeit habe ich dann nicht?« Aria wusste nicht, wie sie das in den paar Tagen bewerkstelligen sollte.
»Es ist sehr großzügig von ihm, Ihnen die Zeit überhaupt einzuräumen.«
Aria hörte am Tonfall, dass der Drachen ihr es nicht genehmigt hätte.
»Haben Sie noch Fragen dazu?«
»Nein.«
Es klackte in der Leitung. Erneut ohne Gruß aufgelegt. Ein Kurs über gutes Benehmen wäre ein schönes Weihnachtsgeschenk für diese Frau.
»Und?«, fragte June, die gerade die Backstube betrat.
Aria gab das Gespräch wieder.
June lehnte sich gegen die Arbeitsplatte. »Und jetzt?«
»Hoffen wir, dass das Weihnachtsgeschäft genug abwirft. Sonst ist es vorbei.« Aria klang bitter. Estelles Enkel war nicht so großzügig wie seine Großmutter.
»Hast du keine Möglichkeit, Estelle zu erreichen?«
Aria schüttelte den Kopf. »Sie ist krank. Das geht nicht.« Das kam für Aria nicht infrage, sie damit zu belasten. Ganz abgesehen davon hatte sie außer dieser Nummer, die auf Mr. Stones Büro weitergeleitet war, keine Weitere.
»Stimmt. Du hast recht.«
»Ich habe die Befürchtung, dass ich es nicht schaffe, so eine große Summe zu erwirtschaften.« Aria strich sich über den Kopf. Ein Rest Mehl von den Händen blieb in den Haaren hängen.
»Das Geld musst du so oder so auftreiben. So hast du Zeit bis zum Jahresende. Sieh es also positiv.«
»Stimmt auch wieder.« June hatte recht. Ihr hatte die Gesamtsumme im ersten Moment einen Schrecken eingejagt, aber erwirtschaften musste sie den Betrag auf jeden Fall, wenn sie ihr Geschäft halten wollte.
»Wir schaffen das.«
»Ich hoffe es so sehr.« Ihre Eltern hatten angeboten, ihr Geld zu leihen, aber das wollte sie auf keinen Fall. Es reichte schon, dass sie kostenfrei bei ihnen wohnte. Dass sie ihre Ersparnisse für das Geschäft opferten, ließ sie nicht zu. Entweder, sie schaffte es im Weihnachtsgeschäft oder schloss den Laden. Wenn es ihr jetzt nicht gelang, dann gar nicht mehr.
»Das wird. Ich bin mir sicher.« June drückte sie kurz.
»Danke, dass du an mich glaubst.« Sie war froh, June an ihrer Seite zu haben und das sie so bedingungslos zu ihr hielt. Jeder andere wäre wohl schon geflüchtet, angesichts der verzögerten Lohnzahlungen.
»Dafür sind Freundinnen da.«
Die Ladenglocke bimmelte in dem Moment. »Die Arbeit ruft.«
»Verkauf alles«, sagte Aria lächelnd.
»Ich bemühe mich.« June ging in den Laden und kam einige Sekunden später mit einem Mann im Schlepptau zurück. »Es war nur Travis.«
»Schön, dich zu sehen.« Aria umarmte ihren Bruder.
»Gleichfalls.«
»Was führt dich her?«
Travis klopfte sich auf den flachen Bauch. »Was zu futtern und ich wollte euch von meinem neuen Job erzählen.«
»Das ist klasse. Ich freue mich für dich.« Travis hatte seinen Job als Verkäufer verloren. Sein Chef musste den Laden aufgrund schlechter Verkäufe schließen. Sie war froh, dass er eine neue Anstellung gefunden hatte.
»Ja, am Montag fange ich an.«
»Wo denn?«
Travis grinste. »Ist mal was ganz anderes.«
»Spann uns nicht auf die Folter. Erzähl schon.« June stupste ihn leicht an.
»Ich fahre als Weihnachtsmann verkleidet zu Feiern und verteile die Geschenke. Die Anzeige habt ihr bestimmt auch gesehen. Die Firma ist neu. Unter dem Slogan, Santa frei Haus, werben sie dafür.«
»Ja, die ist mir aufgefallen. Die Idee ist nicht die Neuste, aber die Anzeige bleibt im Kopf«, sagte June.
»Ich kenne sie auch. Guter Werbeschachzug. Da fängst du an?«
»Ja.«
»Ist das ein zeitlich begrenzter Vertrag? Weil nach Weihnachten bucht wohl keiner mehr.«
»Sie bieten auch außerhalb der Festtage diesen Service an. Ganz auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten. Zu Geburtstagen zum Beispiel sind Clowns bei Kindern beliebt. Geschenkeverteiler auf Feiern sind der Hit im Moment.«
»Du bist also fest angestellt?«, fragte Aria.
»Ja, bin ich. Musst dir keine Sorgen machen, dass ich bald wieder auf der Straße stehe.« Travis legte einen Arm um Aria.
»Da bin ich erleichtert. Ich freue mich. Das ist der richtige Job für dich, da bin ich sicher.« Travis liebte Arbeit mit Menschen und das war eine abwechslungsreiche Tätigkeit.
»Ist es. Ich freue mich schon auf den ersten Tag.«
»Berichte dann mal, wie es war.«
»Das mache ich. Aber jetzt brauche ich was zu essen, sonst kippe ich verhungert um.«
»Komm mit du Kuchenmonster.« Lachend zog June ihn am Arm hinter sich her.
Aria widmete sich wieder dem Teig, froh darüber, dass Travis einen Job hatte.