11.
»Herein«, sagte Aria, ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen. »Es ist offen.«
»Hey Schwesterherz.« Travis betrat das Minizimmer, das sie zum Büro erkoren hatte. So stand der Schreibtisch nicht im Wohnzimmer.
»Hast du Sehnsucht nach mir?«
»Nein. Ich war bei Mum. Sie hat für mich mitgekocht.«
»Wenigstens bist du ehrlich.« Aria zog eine Grimasse.
»Aber ich muss mit dir reden. Hast du Zeit?« Travis setzte sich auf die Schreibtischkante.
Sein Blick gefiel Aria nicht. »Ist was passiert?«
»Nein. Ja. Nein, nicht wirklich. Oder doch. Ja. Es gab da einen Zwischenfall.« Travis sah zu Boden und verknotete nervös die Finger.
»Sag nicht, du bist gefeuert worden?« Hoffentlich war es nicht ihre Schuld, weil sie ihn vertreten hatte.
»Nein. Alles gut.«
Erleichtert sank Aria in sich zusammen. »Zum Glück. Aber was ist denn vorgefallen? Du siehst aus, als hättest du etwas ausgefressen.« Diesen Blick hatte Travis als Kind aufgesetzt, wenn er Mist gebaut hatte. Das war sein – sei mir bitte nicht böse Blick. Den kannte sie zu gut. Bei ihrer Mutter funktionierte er noch.
»Ich wurde heute zum Chef beordert.«
»Weswegen?«
»Weil ein Kunde angerufen hat.«
»Gab es eine Beschwerde?«
»Nein. Im Gegenteil. Der Kunde war begeistert und hat der Firma ein großes Lob ausgesprochen und das er uns auf jeden Fall weiterempfiehlt.«
»Das ist klasse. Da siehst du mal, wie gut du in deinem Job bist.« Aria freute sich für Travis. Vielleicht bekam er bald eine Gehaltserhöhung.
»Das ist es ja. Das Lob gebührt nicht mir.«
»Weswegen hat dein Chef dann dich ins Büro gerufen?«
»Der dachte, dass ich den Auftrag ausgeführt habe.« Travis grinste breit.
Aria ging ein ganzer Kronleuchter auf. »Du meinst. Ben hat angerufen und mich gelobt?«
»In den höchsten Tönen. Du hättest meinen Chef hören sollen. Der war richtig aus dem Häuschen. Der Kunde ...«
»Ben.«
»Ja genau.«
»Grins nicht so blöd.« Aria verschränkte die Arme vor der Brust. Hoffentlich errötete sie nicht.
»Das ist ein wissendes Grinsen. Das ist ein Unterschied. Du stehst auf ihn.«
Aria verdrehte die Augen zur Decke. »Erzähl weiter.«
»Also Ben ist ein großes Tier in der Immobilienwelt.«
Bei dem Wort Immobilie zuckte Aria zusammen. Das erinnerte sie an ihr eigenes Fiasko. »Wie heißt seine Firma denn?«
»Du warst doch da.«
Aria überlegte, wie die Firma hieß. So genau hatte sie nicht hingeschaut, sondern sich gleich am Empfang gemeldet. Sie zuckte die Schultern. Es fiel ihr nicht ein.
»JazmanImmo. Klingelt da was?«
Aria nickte. Ja, das Wort sagte ihr was. Sie meinte, es gelesen zu haben.
»Ben ist jedenfalls der Inhaber. Wenn er die Firma weiterempfiehlt, macht mein Boss das Geschäft seines Lebens.«
»Ich hoffe, er lässt dich daran teilhaben.« Normal war es ja leider so, dass derjenige am unteren Ende vom Gewinn nichts abbekam.
»Er hat mir tatsächlich eine Gehaltserhöhung in Aussicht gestellt, wenn in der nächsten Zeit viele Aufträge auf Bens Empfehlung eingehen.«
»Sehr vage, aber ich drücke dir die Daumen.«
»Danke. Nichts anderes habe ich erwartet.« Er grinste.
»Gern geschehen.« Aria wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Ist noch was?«, fragte sie, da Travis sitzen blieb.
»Ja.«
»Ich höre.«
»Wie ich sagte, war Ben sehr angetan.«
»Und? Rede weiter. Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.« Ungeduldig klopfte Aria mit den Nägeln auf die Tischplatte. Sie hatte noch so viel Bürokram zu erledigen.
»Er wollte sich unbedingt bei Santa persönlich bedanken.«
Arias Magen zog sich zusammen. Sie wusste nur nicht genau, wieso. »Das geht nicht.« Die Daten der Mitarbeiter durfte Travis´ Chef nicht herausgeben.
»Normal nicht. Mein Chef hat mich gefragt, ob ich einverstanden wäre, wenn er ihm meine Handynummer gibt.«
»Oh mein Gott. Sag nicht, du hast eingewilligt?« Aria ahnte Böses.
»Ja, habe ich. Stell dir vor, ich lehne ab. Was meinst du, wie misstrauisch mein Chef wäre. Das kommt wirklich so gut wie nie vor. Es ist eine Ehre. Ich musste einwilligen.«
Das sah Aria ein. »Okay. Hat er dich angerufen?«
»Ja. Er war ein wenig verwundert, dass ich plötzlich so eine tiefe, männliche Stimme habe.« Travis schlug sich auf den Oberschenkel und lachte vergnügt.
Aria sah ihn wütend an. Sie fand das alles andere als witzig.
»Sorry.«
»Schon gut. Rede weiter.«
»Ich habe dann gebeichtet, dass du für mich eingesprungen bist, weil ich krank war. Er fand das super von dir und war kein bisschen böse. Ganz im Gegenteil. Er hat sich bei mir bedankt, weil er dich sonst nicht kennengelernt hätte.«
»Glück gehabt. Ist ja alles gut ausgegangen.«
»Ja.« Travis wischte sich einen imaginären Schweißtropfen von der Stirn. Er rutschte von der Tischplatte.
»War es das jetzt?«
»Fast. Ich habe ein wenig mit Ben gequatscht.«
»Über was denn?« Aria konnte sich nicht vorstellen, was ihr Bruder mit einem völlig Fremden zu bereden hatte.
»Über dies und das. Was Männer halt so reden.« Travis betrachtete ein Bild. Zu interessiert fürs Arias Geschmack.
»Beichte. Jetzt. Was hast du ihm erzählt?«
»Nicht viel. Dass du meine Schwester bist, keinen Freund hast und so.«
»Und so?«
»Ich glaube, ich habe ganz zufällig erwähnt, dass du eine Konditorei betreibst.« Travis kroch fast in das Bild hinein.
»Du hast was? Bist du irre?« Was, wenn Ben im Laden auftauchte?
»Ich übe mich als Kuppler. Du findest ihn nett. Was spricht dagegen, wenn er dich im Geschäft besucht? Wenn es ihm schmeckt, empfiehlt er deinen Laden vielleicht weiter? Du kannst eigentlich nur gewinnen, oder?«
So gesehen hatte Travis recht. Ändern konnte sie es eh nicht mehr. Also hieß es abwarten. »Okay. Überzeugt.«
»Ich wusste, es gefällt dir im Endeffekt doch. Ich habe ihm gleich die Adresse dazugegeben. Konditoreien gibt es ja viele. Nicht, dass er erst suchen muss. Ich gehe dann mal.« Mit einem breiten Grinsen verließ Travis ihre Wohnung und Aria war gespannt, ob Ben wirklich bei ihr aufschlug.