12.
Aria wog den Zucker für den Teig ab, wobei sie bereits zum dritten Mal die Menge überprüfte. Sie war mit dem Kopf nicht bei der Sache. Jeden Moment erwartete sie, dass June hereinkam, um ihr mitzuteilen, dass Ben im Laden stand. Einerseits wünschte sie sich, dass er sie besuchte, andererseits fürchtete sie sich davor. Die Sympathien schienen auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Aber Ben wusste nicht, wie sie aussah. Perücke und Bart hatten ihr Gesicht verborgen. Außer den Augen gab es an dem Tag nicht viel von ihr zu sehen. Sie kippte den Zucker in den Mixer und schaltete ihn ein.
Sie sah zur Uhr. Der Ofen sollte eigentlich schon da sein. Der Drachen hatte ihr die Lieferung für heute Morgen fest zugesagt. Deshalb hatte sie einige Teige vorbereitet, um sie gleich ins Rohr zu schieben.
Wie aufs Stichwort rief June nach ihr. »Aria.«
Sie eilte in den Laden und sah die Männer von der Spedition. Eine Sorge weniger. »Guten Morgen.«
»Guten Morgen. Miss Aria Cooper?«
»Ja. Das bin ich.«
»Wir haben eine Lieferung für Sie. Bitte hier unterschreiben.« Der Mann hielt ihr einen Stift hin und sie unterschrieb.
»Wohin damit?«
»In die Backstube. Einmal die Ecke herum bitte, da ist es günstiger als durch den Laden.«
»Wird gemacht.«
Aria öffnete die Tür und die Männer wuchteten den Ofen in die Backstube.
»Bitte sehr Miss.« Die Männer wandten sich zum Gehen.
»Moment bitte.«
»Ja?«
»Schließen Sie ihn nicht an?«
»Nein. Wir sind nur die Spediteure. Selbst wenn wir wollten, ich wüsste nicht, wie ich dieses Teil ans Laufen bekäme.«
»Okay. Dann vielen Dank.«
»Gerne.«
Aria schloss die Tür hinter ihnen. Das durfte nicht wahr sein. Jetzt saß sie mit zwei Öfen hier und war trotzdem nicht in der Lage zu backen. Sie war davon ausgegangen, dass sie ihn anschlossen. Sie kam nicht drum herum, einen Fachmann zu beauftragen. Noch mehr Kosten. Im Geiste sah sie sich im Januar Insolvenz anmelden. Der Schuldenberg wuchs stetig an, was sich von den Einnahmen nicht behaupten ließ. Die rutschten weiter in den Keller.
»Aria?« June war unbemerkt hereingekommen.
»Ja?«
»Da ist jemand für dich im Laden.« Sie sah irritiert auf das neue Gerät. »Haben sie es nicht angeschlossen?«
»Nein. Dafür scheine ich zuständig zu sein. Ich rufe gleich den Drachen an. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.«
»So geht das nicht. Ist deren Inventar.«
»So sehe ich das auch. Wer ist für mich im Laden?«
June grinste. »Ich glaube, es ist dieser Ben, wo du Santa gespielt hast.«
»Oh.« Aria fehlten die Worte. Jetzt war es soweit. Er war tatsächlich gekommen. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte er nicht wählen können. Sie fuhr sich durch die Haare.
»Du siehst super aus.«
»Auf in den Kampf.«
»Du hast Vergleiche.« June schob Aria zur Tür. »Ich rufe in Mr. Stones Büro an. Flirte du mit Mr. Right.«
»Danke.«
»Nicht dafür.«
Aria atmete tief ein und betrat den Verkaufsraum. Da stand er. Ben. Er sah genauso gut aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Vielleicht sogar noch besser. Was für ein toller Mann und dieses Lächeln, mit dem er sie anstrahlte.
»Guten Morgen Santa«, grüßte er sie schmunzelnd.
»Guten Morgen Ben.« Aria wusste vor Verlegenheit nicht, wo sie hinsehen sollte. Sonst war sie nicht so schüchtern.
»So schnell sieht man sich wieder.«
»Ja das stimmt. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Gerne. Einen Muffin nehme ich auch. Die sehen zu verführerisch aus.« Ben sah in die Auslage. »Diesen.« Er zeigte auf einen Schokoladenmuffin.
»Gute Wahl. Sie haben einen flüssigen Kern aus Schokolade.« Aria legte den Muffin auf einen Teller. »Setzen Sie sich. Ich hole den Kaffee.« Sie zeigte auf die Sitzecke, in der drei kleine Tische standen, die leider fast immer unbesetzt blieben.
»Sie leisten mir aber Gesellschaft, oder?«
»Natürlich.« Lächelnd wandte Aria sich der Kaffeemaschine zu. Er hatte fast ein wenig ängstlich geklungen.
»Da bin ich beruhigt, dass Sie mich nicht abschieben.« Ben nahm Platz und Aria setzte sich dazu. »Bitte sehr.« Sie stellte die Tassen ab.
»Vielen Dank.« Ben musterte Aria ganz offen, was sie ein wenig nervös machte.
Sie trank einen Schluck Kaffee, so war sie wenigstens beschäftigt, während Ben sie mit den Augen scannte.
»Wissen Sie was?« Er lehnte sich ein Stück vor.
»Nein. Aber ich wette, Sie verraten es mir gleich.«
»Sie sind als Santa schon hübsch, aber ohne das Kostüm sind Sie einfach atemberaubend.«
Aria riss die Augen auf. Das kam unerwartet. So ein unverblümtes Kompliment hatte sie noch nie bekommen.
»Ich hoffe, ich war nicht zu forsch.«
»Nein. Überhaupt nicht. Ich war nur perplex über ihre Direktheit. Vielen Dank.« Aria spürte, dass ihre Wangen sich rot färbten.
»Tut mir leid. Ich sage gerne, was ich denke und es entspricht der Wahrheit. Sie sind eine sehr attraktive Frau.«
»Sie aber auch.« In dem Moment, wo es raus war, schalt sie sich eine dumme Nuss. Hatte sie Ben gerade als Frau bezeichnet? Er hatte sie vollkommen aus dem Konzept gebracht.
»Dankeschön«, sagte er breit grinsend.
»Ich meinte natürlich nicht, dass ich Sie als Frau sehe. Sie sind ein Mann, das weiß ich. Ein attraktiver Mann, also, das wollte ich damit sagen.« Sie redete sich um Kopf um Kragen. So kam es ihr vor. Aber Ben nahm es locker.
»Da bin ich beruhigt, dass Sie wissen, dass ich ein Mann bin.« Ben schaffte es nicht, das Lachen zurückzuhalten. »Tut mir leid. Ich lache Sie nicht aus. Versprochen.«
»Kein Problem.« Aria fiel in das Lachen ein. Das Eis war auf jeden Fall gebrochen.
»Sie sind herrlich natürlich Aria. Ich bin froh, dass Sie ihren Bruder an diesem Tag vertreten haben.«
»Ich auch.« Sie notierte sich im Geiste, Travis dafür zu danken.
Ben biss in den Muffin. »Der ist köstlich.«
»Danke.«
»Backen Sie die selbst?«
»Ja. Alles, was wir verkaufen, backe ich hinten in der Backstube.«
»Das schmeckt man. Wirklich sehr lecker.« Er verschlang den Rest des Muffins.
»Aria, darf ich kurz stören?« June kam zu ihnen.
»Klar. Hast du das Büro erreicht?«
»Ja. Der Drachen von Mr. Stone lässt dir ausrichten, dass sie das Altgerät abholen lassen, aber das Anschließen des neuen Ofens ist unsere Sache. Es muss fachmännisch durchgeführt werden. Sonst übernehmen sie keine Kosten, wenn erneut so etwas passiert, wie mit dem Alten.«
»Danke. Ich kümmere mich gleich um einen Fachmann, damit ich endlich wieder backen kann.« Sie hatte es geahnt. Dabei hatte der Tag so gut angefangen.