15.
Ein Weihnachtslied summend betrat Aria die Backstube. Sie fühlte sich großartig. Der Abend mit Ben war wunderschön gewesen. Sie hatten viel geredet und gelacht. Es war, als kannten sie sich seit Jahren. Es wirkte so vertraut. Sie hatte den Abend in vollen Zügen genossen. Im Laufe des Tages kam Ben auf einen Kaffee vorbei. Alleine bei dem Gedanken daran, verstärkte sich das Glücksgefühl und im Bauch tanzten Schmetterlinge.
Aria schaltete das Radio ein und bereitete die Teige vor. Die Zeit verflog und als June in die Backstube kam, sah sie diese verwundert an.
»Wieso bist du schon da?«
»Es ist acht Uhr.«
»Oh.«
»Daraus entnehme ich, dass du mit deinen Gedanken woanders warst. Lass mich raten. Ben? War das Date ein Erfolg? Erzähl.«
»Es war toll.« Aria lächelte versonnen. »Ich fühle mich, als könnte ich schweben.«
»Dann schweb mal zum Backofen, kleines Luftschiff. Egal, was drin ist, es möchte, glaube ich, heraus.«
»Oh verdammt.« Aria öffnete den Ofen, aus dem ihr eine Rauchwolke entgegenkam. Hoffentlich war nichts angebrannt. Das kam davon, wenn man einen Mann im Kopf hatte. Sie nahm das Blech heraus. »Glück gehabt.« Erleichtert stellte sie die Muffins ab. Sie waren nur minimal dunkler. Gleich probierte sie einen, aber es sah gut aus.
»Das war knapp. Ben hat dir den Kopf verdreht«, stellte June grinsend fest.
»Ein bisschen vielleicht.« Verlegen schob Aria die nächsten Bleche ins Rohr.
»Die Untertreibung des Jahres. Du wirst rot.«
»Das ist die Hitze vom Ofen.«
»Und ich bin Santa Claus.«
»Der bin eher ich oder Travis.« Aria zog eine Grimasse. Sie hasste, dass sie so schnell errötete, aber damit kämpfte sie bereits seit der Kindheit.
»Miss Claus.«
»Genau. Wenn ich pleite gehe, fange ich dort an. Hat echt Spaß gemacht.«
»Ich komme dann mit, aber jetzt räume ich die Theke ein.« June schnappte sich ein Tablett und ließ Aria alleine. Die widmete sich dem Gebäck, aber diesmal passte sie auf, dass nichts anbrannte.
»Aria! Komm mal«, rief June vom Laden aus. Ihr Ton klang panisch.
Aria stürzte, auf das Schlimmste gefasst, in den Verkaufsraum. Ihr bot sich ein völlig untypisches Bild. Es befanden sich fast fünfzehn Kunden im Laden. Sie kniff die Augen kurz zusammen, aber es war keine Fata Morgana. Die Leute waren real.
»Hilf mir beim Bedienen. Damit die Wartezeit nicht so lang ist«, sagte June.
Aria erwachte aus der Starre. Lächelnd fragte sie den nächsten Kunden nach den Wünschen.
»Einen Blaubeermuffin und ein Stück Apfelkuchen. Ich habe gehört, er ist nach einem alten Familienrezept gebacken.«
Verblüfft nickte Aria. »Das stimmt. Darf ich fragen, wie Sie auf unser Geschäft aufmerksam geworden sind?«
»Mein Freund Ben hat Sie empfohlen. Er sagt, hier gibt es das beste Gebäck der Stadt.« Der Mann zeigte auf die anderen Kunden. »Das sind meine Mitarbeiter. Meine Firma ist nur fünf Minuten entfernt. Deshalb haben wir uns entschlossen, unsere Frühstückspause heute hier zu verbringen. Inhaber kleiner Geschäfte müssen sich gegenseitig unterstützen. Mir ging es am Anfang genauso. Der Sprung in die Selbstständigkeit ist schwer. Deshalb helfe ich gerne.«
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Danke. Vielen Dank. Das bedeutet mir unendlich viel. So viele Kunden waren noch nie gleichzeitig im Geschäft.« Aria verdrückte sich ein Freudentränchen. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Ben erzählte es einem Freund und der rückte gleich mit der ganzen Belegschaft an. Sie war beiden unendlich dankbar. Am Ende des Tunnels sah sie plötzlich wieder Licht.
»Ich hoffe, wir können ein wenig dazu beitragen, um ihr Geschäft anzukurbeln. Einen Kaffee nehme ich auch.«
»Noch mal vielen Dank.« Aria reichte das Gewünschte über die Theke. Kurz darauf waren alle Stühle belegt.
»Ein toller Anblick«, sagte June leise.
»Oh ja. Ich hoffe, das sehen wir in Zukunft oft.«
»Das hoffe ich auch.« June nahm die Kaffeekanne. »Ich schenke mal nach.«
»Ich bin wieder hinten. Ruf mich beim nächsten Ansturm.«
»Folge dann einfach meinen Schreien.« June ging mit der Kaffeekanne herum und Aria verzog sich glücklich lächelnd in die Backstube.
Zwei Stunden später steckte June den Kopf zur Backstube hinein. »Deine Eltern sind da.«
»Ich komme.« Aria wusch sich das Mehl von den Händen und ging in den Laden. »Was treibt euch her?« Ihre Eltern besuchten sie eher selten, weil sie nicht bei der Arbeit stören wollten.
»Wir waren gerade in der Gegend und uns gelüstet es nach Kaffee und Kuchen.« Ihr Vater sah begehrlich in die Auslage.
»Wir nehmen zwei Kaffee und Apfelkuchen«, entschied Lucy.
»Und einen Schokodonut plus einen Schokomuffin«, ergänzte Tom.
»Das sind zu viele Kalorien.« Lucy stemmte die Hände in die Hüften.
»Wir wollen Aria unterstützen. Das funktioniert nicht mit einem Kuchenstück.«
Daher wehte der Wind. Sie fand das süß von ihnen. »Ihr seid verrückt«, sagte sie schmunzelnd.
»Reiner Egoismus. So kann ich endlich mal schlemmen, wie ich möchte.« Er sah zu June. »Packen Sie das Genannte schnell auf einen Teller, bevor meine Frau erneut protestiert.«
»Ich stehe neben dir und höre dich. Nur so als Info.« Lucy fixierte ihren Mann, der betont interessiert in eine andere Richtung sah.
»Gönn es Dad. Er stopft sich ja nicht jeden Tag so voll«, sagte Aria.
»Das fehlte noch, aber du hast recht. Ich erlaube es dir.«
»Habe ich nicht ein Glück? Mein Kerkermeister zeigt sich gnädig.« Tom schnappte sich das Tablett und verzog sich an einen Tisch.
»Aber ich habe den Schlüssel.« Drohend sah Lucy ihn an.
»Da seht ihr, was ich ertragen muss.« Tom biss vom Donut ab. »Köstlich Kleines.« Er zeigte den Daumen nach oben.
»Danke Dad. Mum. Such dir etwas aus. Ihr könnt dann am Tisch weiterstreiten, aber ich hole mir vorher Popcorn«, neckte sie ihre Mutter.
»Du bist wie dein Vater«, sagte sie seufzend.
»Zum Glück. Stell dir vor, wie langweilig dir sonst wäre«, rief Tom.
»Mir ist nie langweilig.« Lucy sah in die Auslage und June stellte ihr einen Teller zusammen.
»Setzt du dich ein paar Minuten zu uns?«, fragte Lucy.
»Klar. Ich hole mir eben einen Kaffee.« Als Aria hinter die Theke ging, öffnete sich die Ladentür und Arias Herz klopfte schneller. Es war Ben.