20.
Um sieben Uhr am Thanksgivingmorgen sprang Aria mit einem Elan aus dem Bett, wie lange nicht mehr. Geschlafen hatte sie wenig, aber müde war sie nicht.
Tänzelnd lief sie ins Bad, drehte das Wasser an und stellte sich summend unter die Dusche. Sie fühlte sich berauscht. Von dem Kuss, von Ben und dem, was jetzt zwischen ihnen war. Ben hatte ihr gestern gestanden, dass sie ihn vom ersten Augenblick an, fasziniert hatte und sie unbedingt wiedersehen wollte. Als er sie dann im Café gesehen hatte, war es fast direkt um ihn geschehen. Sie fand es süß, dass seine Wangen sich dabei rot färbten. Er war verlegen, genau wie sie. Es kam ihr irreal vor. Nie hätte sie gedacht, dass ein Mann ihr mal in der Backstube erklärte, er sei verrückt nach ihr. Das war eine verrückte Situation. Sie grinste bei dem Wortspiel vor sich hin.
Sie freute sich auf Ben, nein, sie konnte es kaum erwarten, bis er nachher kam. Auf die Gesichter der Familie war sie gespannt, wenn sie ihnen Ben, als ihren Freund vorstellte. Sie waren ein Paar, ganz offiziell.
Aria drehte das Wasser ab, wickelte sich in ein Handtuch und sah zur Uhr. Nicht mal halb acht. Ihre Eltern schliefen bestimmt noch, aber sie begann gleich mit den Vorbereitungen für das Essen. Umso schneller waren sie nachher fertig. Sie griff nach der Zahnbürste, in Gedanken bereits in der Küche.
»Du bist schon auf?« Gähnend betrat Lucy die Küche. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab und sie trug einen Schlafanzug mit lauter Herzen drauf. Ein Geschenk ihres Vaters zum Hochzeitstag. Sein Geschmack war etwas eigenwillig.
»Ja, ich war früh wach.« Aria lächelte versonnen.
Lucy kniff die Augen zusammen. »Hast du was genommen?«
»Nein. Wieso?«
»Egal was es ist, gib her. Ich möchte auch im Kreis grinsen.« Lucy goss sich Kaffee ein und setzte sich an den Tisch.
»Es ist Ben«, platzte es aus Aria heraus. Eigentlich hatte sie es anders sagen wollen, aber sie musste endlich darüber reden. June war gestern schon gegangen, nachdem Ben sich verabschiedet hatte und zum Anrufen war es zu spät gewesen. June kam nachher auch. Sie freute sich darauf, es mit ihr, von allen Seiten zu beleuchten.
Lucy war mit einem Schlag hellwach. »Setz dich. Seid ihr zusammen? Erzähl mir alles.« Lucy rückte einen Stuhl ab und klopfte drauf.
Schmunzelnd nahm Aria Platz. Ihre Mutter war schrecklich neugierig. Sie erzählte in Kurzform, was gestern passiert war.
»Kind. Ich freue mich so für dich.« Lucy strahlte Aria an. »Das sind wundervolle Neuigkeiten. Ben ist ein toller Mann.«
»Ja, das ist er«, stimmte Aria versonnen zu. Sie hatte ihn gestern noch mal auf die Werbung angesprochen. Es war ihr unangenehm, aber er hatte ihr versichert, dass er den Betreiber kenne und der ihm einen Gefallen schuldig war. Die Werbung hatte er kostenlos geschaltet. Danach war ihr ein Stein vom Herzen gefallen. Es hatte sie belastet, vielleicht hätte das Geld unsichtbar zwischen ihnen gestanden, wer wusste das schon. So war es auf jeden Fall besser.
»Ich bin froh, dass du einen Mann gefunden hast.« Lucy nippte selig lächelnd am Kaffee.
»Du tust so, als wärst du einen Ladenhüter losgeworden.«
»Du weißt, wie ich es meine. Deine Eizellen werden nicht jünger.«
»Mum. Erwähne das bitte nicht vor Ben.« Nachher ergriff er die Flucht, wenn ihre Mutter zwischen Hauptgang und Nachtisch nach Enkelkindern fragte.
»Keine Sorge. Ich bin ja nicht doof.«
»Ich verlasse mich drauf.«
»Meine Lippen sind versiegelt. Aber du bist bald dreißig und ...«
»Mum!«, fiel Aria ihr ins Wort.
»Okay. Bin schon still.«
Aria stand auf. »Das Essen kocht sich nicht von selbst.«
»Ich dusche kurz, dann helfe ich dir.« Lucy verließ die Küche und Aria widmete sich dem Braten.
***
Aria riss die Tür auf, als es klingelte. »Da bist du ja endlich.« Sie zog June ins Haus.
»Ich habe mich extra beeilt. Bin ich die Erste?«
»Ja. Wir haben noch Zeit zum Reden.«
June folgte Aria in die Wohnung hinauf. »Was für ein Mistwetter.« Sie zog den Mantel aus.
»Schön ist anders. Kaffee?«
»Ja bitte.« June ließ sich aufs Sofa fallen.
»Hier.« Aria gab ihr die Tasse und setzte sich zu ihr.
»Jetzt erzähl. Ich bin gestern fast vor Neugier geplatzt, als ich gegangen bin. Jetzt will ich hören, was passiert ist und lass kein Detail aus, auch nicht die Schmutzigen.«
»Also wirklich. Denkst du, wir sind in der Backstube übereinander hergefallen?« Lachend trank Aria einen Schluck Kaffee.
»Schade. Das wäre so romantisch.«
»Ja, das Mehl, das man dann überall hat, ist sehr romantisch.« Aria zeigte ihr einen Vogel. Aber ein reizvoller Gedanke war es trotzdem.
»Okay, du gewinnst.«
»Wir haben uns geküsst.« Nicht nur einmal und bei jedem Kuss kamen ihre Knie ihr gestern weicher vor. So hatte sie schon lange nicht mehr für einen Mann empfunden. Ben hatte sie vollkommen in ihren Bann gezogen.
»Ich bin gespannt, was deine Eltern sagen.«
»Mum träumt von Enkeln.«
»Weia.«
»Ich habe ihr verboten, etwas in die Richtung zu sagen. Du kennst sie ja. Manchmal ist sie wie der Elefant im Porzellanladen.« Ihre Eltern besaßen ein Gespür für Fettnäpfchen.
»Oh ja. Was für einen Wagen hat er dir geliehen?«
»Einen Jeep. Ein tolles Auto.« Aria war in den Jeep verliebt. Er fuhr sich gut und bot jede Menge Platz.
»Wow. Den hat er einfach so rumstehen, nur damit seine Eltern einen fahrbaren Untersatz haben, wenn sie mal zu Besuch kommen?«
»Ja, sieht so aus.« Bens Firma florierte gut. Geld schien für ihn keine Rolle zu spielen, so wie sie das bis jetzt mitbekommen hatte.
»Beeindruckend. Hast du ihn auf die Werbung angesprochen?«
»Ja.« Aria berichtete kurz, wie es dazu kam.
»Zum Glück hat er dafür kein Geld ausgegeben.«
»Das wäre mir unangenehm gewesen.«
»Verständlich. Übernachtet er heute hier?«
»Wir haben nicht darüber gesprochen, aber ich denke nicht.«
»Man muss es ja nicht überstürzen.«
»Eben.« Aria ließ sich überraschen, wenn es sich ergab, war es so, aber sie versuchte, nichts zu erzwingen.
»Hat es gerade unten bei deinen Eltern geklingelt?«
»Ich glaube ja. Das wird Travis sein.« Aria sah zur Uhr. »Ich denke, Ben kommt auch gleich.« Sie stand auf. »Gesellen wir uns dazu und stillen die Neugier meines Bruders.«
Die Freundinnen verließen die Wohnung und Aria war gespannt, was der Tag noch brachte.