35.
Einige Sekunden starrte Aria Ben an, kniff die Augen zusammen, aber das Bild blieb. Ben stand tatsächlich vor ihr. Wieso? Was wollte er hier und weshalb schenkte er ihr die Kette mit ihren Initialen?
Nur die leise Weihnachtsmusik war zu hören, keiner sagte etwas. Wahrscheinlich hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören können.
Aria löste sich aus der Starre. »Ben?« Wieso fragte sie das? Sie sah ihn doch.
Ben zog die Mütze vom Kopf, gab sie samt dem Bart an Travis weiter. »Aria, ich hoffe, du verzeihst, dass ich mich als Santa hier eingeschlichen habe.«
»Was willst du hier?«
»Ich liebe dich und ich will uns nicht aufgeben.«
In Aria stieg die Wut hoch. Ob die andere Frau ihn abserviert hatte, dass er sein Glück wieder bei ihr versuchte? »Kümmere dich lieber um deine Freundin.« Ihre Stimme klang scharf.
Irritiert sah Ben sie an. »Welche Freundin?«
»Die, mit der du Arm in Arm aus dem Fahrstuhl gestiegen bist. Ich habe euch gesehen.«
Auf Bens Gesicht bildete sich ein Grinsen. »Du bist eifersüchtig.«
»Nein! Was gibt es da zu lachen?« Aria sah ihn finster an.
»Die Frau, die du gesehen hast, ist meine Schwester. Sie ist unerwartet aus Toronto angereist und hat mich im Büro überrascht.«
»Oh.« Mehr bekam Aria nicht heraus. Seine Schwester? Sie wusste, dass sie in Kanada wohnte. Deshalb war sie nicht auf die Idee gekommen, dass es Tracy sein könnte.
»Ich habe ihr von dir erzählt. Sie freut sich, dich kennenzulernen.« Ben streckte eine Hand aus, die Aria zaghaft ergriff und zog sie zu sich. »Du hast dich nicht gemeldet. Also bin ich davon ausgegangen, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest, was ich verstehe. Ich habe dich angelogen, über einen längeren Zeitraum. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aber dann hat Travis mir von einem Gespräch zwischen euch erzählt.«
Aria sah zu ihrem Bruder, der beide Hände hochnahm. »Nur zu deinem Besten. Manchmal muss man jemanden zu seinem Glück zwingen.«
Aria nickte. Sie war ihm nicht böse. Ganz im Gegenteil. Sie war ihm dankbar, sonst würde Ben heute nicht hier stehen. Sie selbst hätte nach dem gescheiterten Versuch, keinen weiteren Anlauf genommen.
»Da stand für mich fest, dich zurückzuerobern. Travis hat mir erzählt, dass du einen Santa frei Haus beauftragen wolltest, für eure Feier. Da haben wir den Plan geschmiedet, dass ich die Rolle des Santas übernehme.« Ben legte beide Hände an Arias Gesicht. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.« Aria legte die Arme um ihn.
»Küsst euch endlich«, rief Charlotte.
»Genau. Küssen«, schloss June sich an.
»Wir wollen was sehen«, sagte Lindy.
»Ich glaube, wir müssen uns der Mehrheit beugen«, sagte Ben.
»Das denke ich auch.«
Ben beugte sich zu ihr hinunter, und als ihre Lippen sich trafen, fühlte Aria die Schmetterlinge wieder fliegen.
Alle klatschten und Aria hatte rote Wangen, als sie den Kuss lösten. Verlegen sah sie in die grinsenden Gesichter. June zeigte beide Daumen nach oben.
»Darf ich dir die Kette umlegen?«, fragte Ben.
»Ja bitte.«
Ben nahm sie und schloss sie in ihrem Nacken. »Ich hoffe, sie gefällt dir.«
»Sie ist wunderschön.« Ihr gefiel die Idee mit ihren Anfangsbuchstaben. Ben war ein aufmerksamer Beobachter. Sie trug nur Silberschmuck. Goldenes besaß sie fast nichts. »Ich habe kein Geschenk für dich«, sagte Aria.
»Du bist mir genug.« Ben küsste sie auf die Stirn und Aria musste sich beherrschen, nicht wohlig aufzuseufzen.
»Gibt es jetzt Essen?«, fragte Charlotte. »Oder ist der schnulzige Teil noch nicht vorbei?«
Mit der Frage hatte sie die Lacher auf ihrer Seite.
»Meine Großmutter verhungert gleich.«
»Das lassen wir nicht zu.« Ben küsste Aria. »Ab in die Küche Weib.«
»Das fängt ja gut an.« Grinsend ging Aria, gefolgt von June in die Küche.
»Das merke ich mir«, sagte Travis. »Klappt echt super.«
»Vergiss es«, hörten sie Junes Stimme.
»Mist.« Travis seufzte. »Komm mit. Du kannst dich im Schlafzimmer umziehen. Dort habe ich deine Sachen deponiert.«
Aria schloss die Küchentür. »Hast du davon gewusst?« Sie sah June an, die schuldbewusst nickte.
»Ja. Travis hat mich eingeweiht. Ich hoffe, du bist nicht böse, dass wir das heimlich arrangiert haben.«
»Nein. Ich bin euch dankbar. Ich hätte mich nach dem Desaster nicht mehr bei ihm gemeldet.« Aria schaltete die Herdplatten an.
»Das habe ich mir gedacht. Deshalb war ich mit Travis´ Plan einverstanden.«
»Dafür bin ich sehr dankbar.« Aria schauderte es bei dem Gedanken, dass sie sonst wohl nicht mehr zueinandergefunden hätten. Nur weil sie eine Situation falsch eingeschätzt hatte. Manchmal war Reden eben doch Gold.
»Die Kette ist wunderschön«, sagte June.
»Ja, das ist sie.« Aria berührte sie mit den Fingern, wie, um sich zu überzeugen, dass sie wirklich vorhanden war. Sie lächelte versonnen.
»Du siehst glücklich aus.«
»Ich könnte vor Glück platzen.« All die Sorgen und Gedanken der letzten Tage lösten sich buchstäblich in Luft auf. Sie kniff sich in den Arm.
»Was machst du da?«
»Prüfen, ob ich nicht träume.«
»Ich versichere dir, es ist alles real. Wenn du möchtest, trete ich dir gerne in den Hintern.« June stellte die Teller auf den Tisch und packte das Brot in einen Korb.
»Ich verzichte. Sagst du den anderen Bescheid? Ich hole Ben.«
»Klar.«
»Danke.« Aria blieb vorm Schlafzimmer stehen und klopfte.
»Herein.«
Ben schlüpfte in die Schuhe, als sie das Zimmer betrat.
»Ich bin gerade fertig.«
»Das Essen auch.« Aria schloss die Tür.
Ben trat dicht an sie heran und nahm sie in die Arme. »Fast hätte ich dich verloren. Es tut mir aufrichtig leid, dass ich dich belogen habe.«
»Alles okay. Wahrscheinlich hätte ich mich an deiner Stelle genauso verhalten. Was hältst du von einem Neustart?«
»Einverstanden.« Ben zog sie an sich. »Ich liebe dich Aria Cooper und ich muss dir was sagen.«
»Was denn?«
»Ich bin dein Vermieter.« Ben grinste schelmisch.
»Kann ich dich mit einem Kuss bestechen?«
»Auf jeden Fall.«
»Sag mal, wieso warst du bei der ausstehenden Miete so unnachgiebig? Deine Großmutter hat mir immer gesagt, dass die Miete für sie zweitrangig ist und es nicht schlimm wäre, wenn ich Rückstände habe. Warum hast du mir gleich mit der Kündigung gedroht?« Die Frage brannte Aria unter den Nägeln.
»Grandma wurde krank und hat direkt danach die Reha angetreten. Sie hat alles Geschäftliche an mich übergeben, mich aber über eure Vereinbarung nicht informiert.«
»Verständlich, wenn man plötzlich krank wird.«
»Ganz genau. Sonst hätte ich mich an ihre Vorgaben gehalten.«
Lächelnd sah Aria Ben an. »Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Ben senkte den Kopf und verschloss ihren Mund mit einem zärtlichen Kuss.