91.

Raben machte einen Plan. Es wurde Zeit nach einer Nacht im Keller, mit Träumen, die ihn schreckten, obwohl er sich am Morgen nicht mehr an Einzelheiten erinnern konnte. Ihm tat alles weh, nachdem er sich auf den kalten Boden gesetzt und an die Wand gelehnt hatte. Nun war draußen die Luft bestimmt rein, und er hatte einen müden, aber klaren Kopf. Einen Plan also.

Ja, mach nur einen Plan/Sei nur ein großes Licht/Und mach dann noch ’nen zweiten Plan/Gehn tun sie beide nicht.

Er wäre gern mit Lena ins Theater am Schiffbauerdamm gegangen, in Brechts Dreigroschenoper, schon weil sich die Nazis über das Stück ärgerten. Allein hatte er es bereits gesehen. Aber ohne Plan ging es auch nicht. Seine letzten waren in die Hose gegangen. Er musste Schritt für Schritt denken. Erstens aus dem Keller rauskommen. Zweitens aus dem Hinterhof rauskommen. Drittens aus München rauskommen. Er brauchte neue Kleidung. Und sich waschen würde nicht schaden.

Ungeduldig wartete er auf die Dämmerung. Wenn es schon um fünf Uhr dunkel wurde, fand er vielleicht eine offene Tür. Oder er marschierte notfalls wieder durch des Metzgers Innereien. Raben fand den Plan einfach genug, besser als null Komma fünf Chancen. Jeder Schritt seines Plans war möglich. Außer es kam was dazwischen.

Es kam jemand dazwischen. Ein Klacken, und das Licht ging an. Raben nahm die Pistole in die Hand. Versteckte sich hinter dem Schrank. Schritte näherten sich. Ein Husten. Eine Wolke Zigarettenqualm erreichte seine Nase. Dann ging ein Mann an der Parzelle vorbei.

»Halt!«, sagte Raben. Zielte mit der Pistole auf den Mann. Mein Gott, bist du blöd, sagte eine innere Stimme.

»Ach, sind Sie der Herr, den die Grünen suchen?«

Raben zeigte seine Dienstmarke.

»Ja, ja«, sagte der Mann. Dunkelblaue Augen unter grauen Haaren. Der Kinnbart bewegte sich, wenn er sprach. »Und jetzt wollen Sie aus dem Keller raus? Wie sind Sie denn reingekommen?«

»Fenster«, sagte Raben.

Der Mann nickte. Blickte auf das Vorhängeschloss. »Ich darf?« Er öffnete das Schloss, indem er den Bügel hochzog. »Der Scholtzenmeier Kurt verliert jeden Schlüssel.« Er öffnete die Tür. »Bitte sehr, der Herr! Jetzt erklären Sie mir noch, warum die Bullen hinter Ihnen her sind … Sie sind doch auch …«

»Bulle, danke«, sagte Raben.

Der Mann musterte ihn.

»Weil ich einen Nazi suche …«

»Ja, um Gottes willen, dann ist in Berlin ja alles noch normal.«

»Halbwegs«, sagte Raben.

»Kommen Sie mit«, sagte der Mann. »Sie brauchen neue Kleidung. Stecken Sie die alberne Knarre weg. Die Franzosen haben mich nicht erschossen, die Russen auch nicht. Und die Nazis sind zu blöd dafür. Sie schaffen das auch nicht.« Er blickte Raben in die Augen.

Der steckte die Pistole hinten in den Gürtel.

Der Mann ging voraus, Raben folgte ihm. Der Mann öffnete die Kellertür, wandte sich um zu Raben und legte den Finger auf die Lippen. Er lauschte ins Treppenhaus. »Kommen Sie!« Sie eilten in den zweiten Stock. Terpentingestank, Wachs.

Ja, mach nur einen Plan, dachte Raben.