»Das sind die schlechtesten Fotos seit Monsieur Daguerre«, sagte Wagner.
»Aber die einzigen. Die anderen Redaktionen beißen in die Druckpressen«, sagte Lena. Sie fühlte sich eins a. »Niemand von denen hatte überhaupt was über den Anschlag. Erst die Abendblätter.«
Wagner hatte einen Spitzenartikel über den Brand geschrieben, der sich immer tiefer in das Land einfraß. Und immer wieder aufflammte wie im Goldenen Anker. Wolff hatte ihn auf der Redaktionskonferenz gepriesen. Und Lena, die das erste Mal in König Wolffs Ritterrunde saß, hatte Beifall bekommen für die Fotos. Beifall! Das hatte es seit Kaiser Wilhelm des Zwoten Abdankung nicht mehr gegeben. Nicht beim Hitlerputsch, jener Operettenrevolte, die den Wolkenkrieger Göring auf Morphium setzte, nachdem ihm die Münchener Polizei eine Kugel verpasst hatte, als der Fliegerheld des Kriegs 1923 neben Hitler bis nach Berlin marschieren wollte. Nicht bei der zweiten Hindenburgwahl, als der Führer gegen den Feldmarschall verloren hatte. Nicht bei der Reichstagswahl am 6. November, als die Nazis so was von auf die Fresse gekriegt hatten. Wagner hatte in seinem Artikel keinen Zweifel daran gelassen, dass die Nazis das Feuer in Puths Kneipe gelegt hatten. Dass sie den Wirt mit Schnaps abgefüllt und dann bewusstlos geschlagen hatten, damit er verbrannte mitsamt seinem Lokal. Wagner hatte gefragt, warum die Polizei den Mann nicht geschützt hatte. Dass es einem Zufall zu verdanken war, dass ein Polizist und eine Reporterin – Reporterin! – des Berliner Tageblatts den Wirt in letzter Zehntelsekunde aus dem Flammeninferno ziehen konnten. Das war zwar dick aufgetragen, aber warum nicht? Jetzt liege der Kneipier im Krankenhaus, und die Polizei werde ihn bald vernehmen.
Vielleicht unterliefe dem Doktor Goebbels mal eine Sekunde der Wahrheit? Vielleicht verurteilte er die Gewalttat im Namen seines Führers und dessen Eids, nur legale Mittel einzusetzen? Oder die Braunen schickten gleich die Mörder los, um den Zeugen umzubringen.
»Pass auf, Hermann. Sie auch, Fräulein Riedle. Sie haben sich gerade neue Freunde gemacht. Ich seh den Klumpfuß kochen. Und noch gefährlicher, diesen Heydrich in München. Aber großartig, wie Sie das hingekriegt haben. Und dieser Polizist, was sagt der?«, fragte Wolff.
Lena versuchte, sich Grün ins Gesicht zu zaubern, laut Goethe die Komplementärfarbe von Rot. »Der arme Mann war erschöpft. Ich werde ihn fragen.«
»Ja, machen Sie doch ein Interview mit ihm!«, sagte Wolff.
Beifälliges Nicken.
Noch vorgestern hätte jemand gefragt, ob die Neue überhaupt wisse, was das sei, ein Interview.