Es war wieder Sommer. Am Strand packten die ersten Urlauber ihr Picknick aus, und die Ponys in der Reitschule waren schon für Wochen im Voraus ausgebucht.

Die Kinder von der Reitschule waren ein Jahr älter geworden, älter und ein wenig vernünftiger – aber sonst waren es immer noch dieselben.

,Sechs Wochen lang keine Schule‘, dachte Stella, als sie an diesem ersten Morgen der Sommerferien aus dem Sieben-Uhr-Bus kletterte. Sechs Wochen, die sie in Audreys Reitschule verbringen konnte! Zu Hause würde man sie nicht vermissen. Ihre Mutter war Witwe und arbeitete den ganzen Tag.

Stella hatte kurzes, glattes Haar und eine Stupsnase. Sie wollte an diesem Morgen unbedingt die Erste sein. Denn obwohl ihre Mutter ihr nur eine Reitstunde in der Woche bezahlen konnte, verbrachte sie jede freie Minute mit Audreys Ponys. Sie brachte sie zum Hufschmied und auf die Weide, sie fütterte und striegelte sie, und wenn sie Glück hatte und einmal ein Schüler eine Reitstunde absagte, durfte sie stattdessen mitreiten.

Aber nicht nur Stella war an diesem Morgen früh auf den Beinen. Aus einer Seitenstraße tauchten Jocelyn und James Allcott auf.

„Da ist Stella!“, sagte James zu seiner Schwester, und plötzlich hatte er es sehr eilig. „Schnell, ich will vor ihr dort sein.“

„Typisch James“, meinte Jocelyn und schaute ihrem dunkelhaarigen Bruder kopfschüttelnd nach. Sie würde niemals durch die Straßen rennen, wenn es nicht unbedingt sein musste. Dazu war sie viel zu ordentlich. Ihr kurzes, kastanienbraunes Haar geriet niemals in Unordnung, nie hatte sie schmutzige Fingernägel oder verlor einen Knopf. ,Wozu diese Eile?‘, dachte sie jetzt und rückte ihre Brille zurecht. ,Schließlich waren wir erst letzten Samstag in der Reitschule. James tut gerade so, als ob wir seit Monaten kein Pony mehr gesehen hätten.‘

Audrey Lewis mistete gerade die Ställe aus, als die Kinder auftauchten. „Da seid ihr ja!“, rief sie. „Würdet ihr die Ponys von der Weide holen? Das Zaumzeug hängt in der Sattelkammer.“

„Wird gemacht“, nickte Stella. „Und ich reite Patchwork.“

„Diesmal bin ich an der Reihe!“, rief Maria Fisher entrüstet. Sie war mit ihren beiden Schwestern auf dem Weg zur Reitschule, und alle drei stritten sich jetzt schon um den nächsten freien Ritt. „In den letzten Ferien habt ihr beide euch andauernd vorgedrängt. Das weiß ich noch ganz genau …!“

„Schrei doch nicht so! Das ganze Dorf kann dich hören.“ Ihre Schwester Anne fragte sich wieder einmal, warum sie nicht zu einer ganz normalen Familie gehören konnte. Es war ihr unangenehm, irgendwo aufzufallen. Und das passierte leider sehr oft, denn ihr Vater war Kunstmaler, und ihre Mutter sah mit ihrem langen Haar und den Ponyfransen in der Stirn überhaupt nicht wie andere Mütter aus.

Bromwyn, das älteste der drei Mädchen, lief verträumt neben seinen Schwestern her. Seit Wochen hatte sie auf diesen Tag gewartet. Doch ihr ging es nicht um die Ponys. Sie wollte malen, ein Bild von der Reitschule, den Ställen und dem bunten Treiben, das sich dort täglich abspielte. Sie nahm ihren Zeichenblock ein wenig fester in die Hand, und wie so oft in den letzten Wochen überlegte sie, wie sie es am besten anfangen sollte, wie Licht und Schatten einfangen, die Betriebsamkeit auf dem Hof, die Ponys, von denen keines wie das andere war. Sie seufzte tief und fragte sich, ob sie sich nicht doch etwas zu viel vorgenommen hatte.

Die drei Schwestern hatten alle das gleiche dunkle Haar und blaue Augen. Sie trugen verwaschene Blusen und Reithosen, die schon ziemlich blank gescheuert waren. Man sah ihnen an, dass Kunst in den meisten Fällen nicht allzu viel Geld einbringt. Doch vor kurzem hatte ihr Vater bei einer Ausstellung in New York mit seinen Bildern viel Erfolg gehabt. Seitdem wurde das kleine Haus, in dem sie lebten, umgebaut, und jeden Tag standen andere Handwerker in der Küche und tranken Tee. Niemand wusste genau, wie das Haus nach dem Umbau aussehen würde, aber ihr Vater hatte jedenfalls versprochen, dass alles viel schöner und größer sein sollte als vorher.

„Was habe ich dir gesagt?“ Anne zuckte mit den Schultern, als sie vor dem Hoftor standen. „Was soll der ganze Streit um einen freien Ritt? Die Allcotts und Stella waren schon vor uns da.“

„Hallo!“, rief James den Mädchen zu und schwenkte ein Halfter durch die Luft. „Wir reiten Patchwork, Dawn und Turpin.“

Ivor half seiner Mutter, das Frühstücksgeschirr wegzuräumen. „Fertig, Ma“, sagte er. „Brauchst du irgendetwas aus dem Dorf? Ich wollte nämlich jetzt in die Reitschule gehen.“

Sein Vater war schon vor einer Weile aus dem Haus gegangen. Er arbeitete in dem Bergwerk draußen vor der Stadt und hatte sich schon früh in seinen schweren Bergmannsstiefeln auf den Weg gemacht. Ivor hörte, wie seine Schwester in dem Zimmer über der Küche umherging. Gleich würde sie die Treppe herunterkommen und in aller Eile zur Bushaltestelle laufen. Sie war Friseurin und arbeitete in einem Salon in der Stadt.

„Du könntest beim Metzger vorbeigehen und Gehacktes mitbringen“, sagte seine Mutter.

Draußen auf der Straße konnte Ivor schon das Meer riechen. Er fing an zu laufen und dachte dabei an den letzten Sommer – an den Sommer und die Freunde aus der Reitschule und all die Abenteuer, die sie zusammen erlebt hatten. Sie hatten drei Pferde vor einem schrecklichen Ende in einem Schlachthaus in Frankreich bewahrt, und Ivor spürte heute noch das Gefühl von Triumph und Erleichterung, das er damals bei der glücklichen Rettung der Tiere empfunden hatte. ,Das war der beste Sommer meines Lebens‘, dachte er.

„Du kommst gerade noch rechtzeitig!“, rief Anne Fisher, als er die Reitschule erreicht hatte. „Wir haben auf dich gewartet.“

„Hallo, Ivor!“ Audrey begrüßte ihn lächelnd.

Die Reitschule war Ivors zweites Zuhause. Manchmal fühlte er sich hier sogar wohler als daheim in dem modernen Reihenhaus. Seine Schwester konnte ihn nicht verstehen.

„Wie du wieder riechst!“, sagte sie, wenn er abends aus den Ställen kam. „Ich kann nicht begreifen, was du an diesen Pferden findest. Schon der Geruch würde mich umbringen … Ehrlich, das ist doch nur Zeitverschwendung. Geld kannst du jedenfalls nicht damit verdienen. Da ist ein Friseurladen schon etwas anderes. Das hat Zukunft …“ Und sie musterte ihre sorgfältig lackierten Fingernägel.

„Was ist schon ein Friseursalon? Fremden Leuten die Haare waschen – das ist doch das Letzte!“

Jedenfalls war Ivor fest entschlossen, Jockey zu werden. Mit Audreys Hilfe hatte er sich bei einem Reitstall beworben und irgendwann, vielleicht sogar schon im nächsten Jahr, wollte er mit seiner Ausbildung beginnen.

„Nett, dass ihr gewartet habt.“ Er war ein wenig außer Atem.

Die Kinder machten sich auf den Weg. Es war ein Morgen wie unzählige andere zuvor. Die Möwen ließen sich im Wind treiben, die Fischerboote kehrten heim, und hinter dem grauen Morgendunst stieg langsam die Sonne auf. Es würde ein schöner Tag werden. Der Tau glitzerte noch in den Spinnweben, als die Kinder den schmalen Pfad zur Weide hinunterliefen. Wie oft waren sie diesen Weg zwischen hohen Hecken schon gemeinsam gegangen … Und doch war heute irgendetwas anders als sonst.

„Seltsam!“ James runzelte die Stirn. „Habt ihr die Motorradspuren gesehen?“

„Und das Gatter!“ Maria war ein Stück vorausgelaufen. „Es ist offen!“

Plötzlich blieben alle wie angewurzelt stehen. Niemand sagte etwas.

„Hoffentlich sind die Ponys noch da“, meinte Jocelyn schließlich.

„Hoffentlich …!“

Die Kinder fingen an zu laufen.

Ivor fröstelte plötzlich. Der Weg zum Bahndamm war frei, und wenn die Ponys auf die Schienen gelangt waren, wollte er sich lieber nicht ausdenken, was geschehen konnte. ,Das hätten wir gehört‘, dachte er. ,So etwas spricht sich sofort herum. Wahrscheinlich hätte Dad es schon gestern Abend in seiner Stammkneipe erfahren …‘

„Wenn wir die Ponys nun nicht finden?“, fragte Jocelyn.

„Was soll Audrey denn tun? Der Unterricht heute morgen ist komplett ausgebucht.“

James wunderte sich immer noch über die Motorradspuren. „Weiß der Himmel, was die hier gesucht haben – in so einer gottverlassenen Gegend!“

„Da ist Turpin!“ Maria hatte die Weide erreicht und atmete auf.

„Gott sei Dank!“

„Und Frosty … Aber wo sind die anderen?“

„Vielleicht hinten unter den Bäumen.“ Bromwyn gab sich Mühe, ruhig zu bleiben.

Die Weide senkte sich zu einem schmalen Fluss hinunter. Auf der anderen Seite lag der Bahndamm. Die beiden Ponys standen unten am Fluss und rührten sich nicht. Beide hatten die Hinterhand angewinkelt, und als sie die Kinder bemerkten, setzten sie sich in Bewegung und suchten das Weite.

„Habt ihr die leere Flasche neben dem Gatter bemerkt?“, fragte Jocelyn misstrauisch.

„Ich möchte nur wissen, wo die anderen Ponys sind.“ Maria schaute sich ratlos um. „Welcher Dummkopf hat bloß das Gatter offen gelassen? Dem würde ich gerne mal meine Meinung sagen!“

„Das nützt jetzt auch nichts mehr. Einer von uns sollte sich um Frosty und Turpin kümmern. Und wir anderen müssen die restlichen Ponys suchen.“ Anne seufzte.

„Wie viel Ponys müssen es sein?“

„Sieben natürlich.“

„Sieh nur, Turpin ist ganz schmutzig und voller Schweiß!“ Stella lief entsetzt zu dem Pony hinüber. „Sein Maul blutet.“

„Langsam! Du darfst ihn nicht erschrecken.“

„Wie ist das denn passiert?“, murmelte Anne völlig erschreckt.

„Das weiß ich auch nicht. Aber ich habe einen ganz bestimmten Verdacht.“ James kniff zornig die Augen zusammen.

„Armer Turpin, armer, kleiner Kerl!“

„Und Frosty!“ Maria war ganz blass geworden. „Er blutet auch – an den Beinen!“

„Was machen wir nun?“ Ivor dachte an den Reitunterricht. „Zwei Ponys verletzt und die anderen verschwunden. Audrey muss ihre Schüler wieder nach Hause schicken. Dabei ist sie doch auf jeden Cent angewiesen.“

James dachte nach. „Das ist ein harter Schlag für die Reitschule.“ Er nickte. „Ausgerechnet jetzt in den Ferien. Und ich habe das seltsame Gefühl, als ob das nur der Anfang wäre.“

Die beiden Jungen sahen sich stumm an.

„Trotzdem – wir sollten nicht gleich an das Schlimmste denken.“ James gab sich einen Ruck. „Stella und Maria, ihr beide kümmert euch um die verletzten Ponys! Und wir suchen die ganze Gegend ab. Irgendwo müssen die anderen Ponys ja sein.“

„Vielleicht ist es besser, wenn ich zur Reitschule laufe und Audrey Bescheid sage“, schlug Anne vor.

„Gute Idee.“ James nickte.

Ivor dachte immer noch an den Bahndamm. In Gedanken sah er die Ponys tot auf den Schienen liegen. Er schüttelte sich. „Ich hasse Motorräder“, sagte er, als er über das Gatter kletterte. „Ich konnte die Dinger noch nie leiden.“

Rund um das Gatter war das Gras flach getreten, und die Motorräder hatten tiefe Spuren hinterlassen. James fand eine leere Zigarettenschachtel, Kippen und eine zerbrochene Flasche. Mit einem wütenden Fußtritt beförderte er die Scherben in das nächste Brombeergebüsch.

„An den Zigaretten sind Lippenstiftspuren.“ Bromwyn wies auf den Boden hinunter. „Auf jeden Fall war auch ein Mädchen dabei.“

„Wahrscheinlich war es eine ganze Bande.“ Ivor musterte die Spuren im Gras. „Mindestens ein halbes Dutzend!“

„Was nun?“, wollte Bromwyn wissen. Sie dachte daran, dass sie eigentlich an diesem Tag malen wollte.

„Wir teilen uns auf“, schlug Ivor vor. „Jeder nimmt sich ein Stück des Geländes vor. Wer kommt mit mir?“ Er lief los, und Jocelyn folgte ihm. Auch sie dachte an den Bahndamm, und sie spürte, wie ihre Augen hinter den Brillengläsern brannten. Wenn Ivor nun recht hatte? Wenn die Ponys auf die Schienen geraten waren?

„Bis später!“ Anne winkte noch einmal. „Ich sage Audrey Bescheid.“ Während sie den Weg zur Reitschule einschlug, machte sie sich selbst Mut. ,Die anderen übertreiben‘, dachte sie. ,Die Ponys werden schon wieder auftauchen. Es gibt bestimmt eine ganz harmlose Erklärung für alles.‘

„Ich gehe ins Dorf. Kommst du mit, Bromwyn?“ James hatte es sehr eilig. „Wir müssen die Polizei benachrichtigen.“ Er spürte, wie sein Herz klopfte und eine seltsame Angst seine Kehle zuschnürte.

„Die Polizei? Ist das nicht ein bisschen voreilig?“

„Man kann nicht vorsichtig genug sein.“

„Vielleicht.“ Bromwyn seufzte. „Ich mag die Ponys ja auch, aber ich dachte immer, es gibt auch noch Wichtigeres.“

James sah sie verständnislos an. „Dann kannst du nicht ganz richtig im Kopf sein.“ Und er war froh, dass er schon das Haus des Wachtmeisters sehen konnte, ein kleines, sauberes Haus mit bunten Blumenbeeten unter den Fenstern.

„Die Polizei wird uns helfen. Dazu ist sie schließlich da!“, entschied er und öffnete das Gartentor.

Ivor und Jocelyn hatten inzwischen den Golfplatz erreicht.

„Vorsicht!“, warnte Jocelyn. „Du darfst nicht auf den Rasen treten.“

„Wenn du sonst keine Sorgen hast …“ Ivor seufzte. Er wünschte, Maria wäre mit ihm gekommen und nicht diese Jocelyn Allcott, die immer so ordentlich und bedächtig war.

„Sollen wir nicht den Boden nach Hufspuren absuchen?“ Wenn Jocelyn eine Aufgabe übernommen hatte, fing sie die Sache mit Überlegung und Methode an.

„Nein, der Untergrund ist viel zu hart. Ich gehe zum Bahndamm. Vielleicht finden wir da irgendeinen Hinweis.“

„Ich überlege die ganze Zeit, was die Motorradfahrer mit der ganzen Geschichte zu tun haben.“ Jocelyn runzelte die Stirn.

„Bestimmt haben sie das Gatter offen gelassen.“

„Und die Ponys mit Steinen beworfen …“

„Vielleicht.“

Am Ende des Golfplatzes lag der Bahndamm. Ein Zug mit Frachtgut schob sich langsam über die Schienen, und aus der Lokomotive quoll dunkler Rauch, den der Wind in grauen, schmutzigen Fetzen auseinander trieb. Ivor fing an zu rennen.

„Warte doch!“ Jocelyn rang nach Luft. „Wahrscheinlich stehen die Ponys bei irgendeinem fremden Bauern auf der Weide. Und wir rennen uns hier die Lunge aus dem Leib!“ Sie holte ihr Taschentuch aus der Tasche und putzte sorgfältig ihre Brille.

Frosty und Turpin waren sichtlich verstört. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich von den beiden Mädchen anfassen ließen.

„Frostys Hufeisen hängt nur noch an einem Nagel.“ Stella untersuchte das Pony sehr sorgfältig. „Er muss sofort zum Hufschmied. Vorher darf niemand ihn reiten.“

„Und der Schnitt in seinem Bein sieht auch nicht gut aus. Vielleicht hat er sich auch noch eine Sehne gezerrt. Er sollte zur Sicherheit eine Anti-Tetanus-Spritze bekommen.“

Turpin ließ traurig den Kopf hängen. Das kleine, schwarze Pony war Audreys ältestes Tier, und unzählige Kinder hatten auf seinem Rücken das Reiten gelernt. Er war sanft und zutraulich, und jeder, der ihn kannte, hatte ihn in sein Herz geschlossen.

An diesem Morgen sah er noch älter aus als sonst. Sein Blick war voller Schmerz, und sein Maul war an einer Seite aufgerissen und blutete. Getrockneter Schweiß klebte in einer dicken Kruste auf seinen runden Flanken. Maria wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen.

„Komm!“ Stella legte tröstend ihre Hand auf ihre Schulter. „Wir bringen die beiden so schnell wie möglich nach Hause.“

„Armer, kleiner Turpin!“ Maria schluckte. „Wie sie ihn zugerichtet haben! Das war bestimmt die Motorradbande. Darauf gehe ich jede Wette ein. Armes Pony!“

Die Mädchen hatte Mühe, die Ponys von der Weide zu treiben. Frosty zögerte bei jedem Schritt, und Turpin scheute bei dem geringsten Geräusch in den Sträuchern. Sogar die Schatten auf dem Weg machten ihm Angst.

„Was Audrey wohl gesagt hat?“, überlegte Stella.

„Und die Reitschüler?“

„Der Unterricht kann so jedenfalls nicht stattfinden.“

„Natürlich nicht – wie denn?“

„Sieh mal, da kommt jemand die Straße entlang. Er winkt uns zu.“

Anne war ganz außer Atem, als sie in der Reitschule ankam. Audrey hatte gerade die Ställe ausgemistet und lehnte die Mistgabel an die Stallmauer. Ihr Hund nahm an einem geschützten Plätzchen ein Sonnenbad. Und plötzlich sah Anne, wie schäbig und bescheiden dieser Hof war – nichts weiter als sieben alte, ein wenig baufällige Boxen, ein Unterstand und die Scheune mit der Sattelkammer. Und dann war da noch das kleine Haus mit den winzigen Fenstern, in dem Audrey wohnte. Zwei Perlhühner scharrten neben der Hafertonne im Sand, und auf einer alten Pferdedecke lag die Katze und schnurrte leise.

„Audrey, Audrey!“ Annes Stimme überschlug sich beinahe. „Eine Katastrophe!“

Und im nächsten Augenblick war es mit der Ruhe auf dem kleinen Hof vorbei. Der Hund richtete sich auf, die Katze hob misstrauisch den Kopf, und die beiden Perlhühner suchten gackernd das Weite und flohen zu der Koppel hinüber, wo schon die Hindernisse für den Reitunterricht aufgebaut waren.

„Was ist passiert?“ Audrey kam aus der Sattelkammer, die Arme hoch beladen mit Zaumzeug und Zügeln. „Wo sind die Ponys?“

„Sie sind weggelaufen. Nur Frosty und Turpin waren noch da. Und die beiden sind völlig verängstigt.“

„O nein!“ Audrey ließ das Zaumzeug zu Boden fallen. „Aber warum?“

Anne versuchte, ihr alles zu erklären. Aber eigentlich wusste sie selbst nicht, was geschehen war. „Wahrscheinlich hatten sie Angst vor den Motorrädern“, meinte sie schließlich.

„Aber was sollte ein Motorradfahrer dort unten bei den Weiden suchen?“ Audrey schüttelte den Kopf.

„Vielleicht wollten sie ein Mitternachts-Picknick machen.“

„Auf einer Pferdeweide? Da könnte ich mir den Golfplatz oder das Flussufer viel besser vorstellen.“

„Die anderen suchen schon die Gegend ab.“ Anne zuckte mit den Schultern. „Kann ich helfen?“

„Ich wüsste nicht wie.“ Audrey seufzte. „Die Schüler müssen jeden Augenblick kommen. Komm, wir laufen schnell zur Weide hinunter. Vielleicht hatten die anderen ja Glück und haben die Ponys gefunden. Sie müssen schließlich in der Nähe sein.“

„Aber warum hat sie dann keiner gesehen?“ Anne pfiff nach dem Hund und verließ mit Audrey den Hof. „Das ergibt doch alles keinen Sinn!“