„Schnell, hinterher!“ Pete trieb Galahad zum Galopp an.
Erdbrocken flogen unter den Hufen des Braunen auf, und der Schmutz spritzte mir ins Gesicht, als ich versuchte, mit den beiden Schritt zu halten.
Cinders war klein, aber sie war schnell!
Sie legte ihre kleinen, katzenähnlichen Ohren flach an den Kopf und schlängelte sich mit wehendem Schweif durch den Verkehr. Emma konnte sich kaum auf ihrem Rücken halten.
„Das schaffen wir nie!“, keuchte ich. „Wir holen die beiden nie ein.“
Ein Auto konnte dem Pony gerade noch schlingernd ausweichen, und ein Lastwagen kam mit zischenden Bremsen zum Stehen. Ich wagte kaum hinzuschauen. In meinen Ohren klang nur das Quietschen der Reifen auf dem Asphalt, wenn die Autofahrer das Kind mit seinem Pony auf der Fahrbahn entdeckten. Mir schlug das Herz bis zum Halse.
Ernie hatte offenbar noch Spaß an der Sache. Mit einem kurzen Schlenker lenkte er seine Maschine vom Grünstreifen auf die Fahrbahn, ließ laut seine Hupe ertönen und brauste hinter Emma und dem aufgebrachten Pony her.
Ich dachte mit Entsetzen daran, was geschehen konnte. Cinders konnte jeden Augenblick den Mittelstreifen überqueren und auf die Gegenfahrbahn geraten. Und dann?
In diesem Augenblick bremste vor ihr ein blauer Wagen scharf ab. Die Türen flogen auf, und ein Mann und ein Junge rannten dem Pony mit langen Sätzen entgegen.
„Ian und sein Vater! Gott sei Dank!“ Pete atmete auf. Er zog Galahads Zügel an und sprang zu Boden.
Der Tierarzt packte Cinders am Zaumzeug. Doch das Pony schreckte zurück. Es wollte sich wieder losreißen, aber da war Ian zur Stelle. Er fasste die Stute mit festem Griff an der anderen Seite des Reithalfters.
Mit angstverzerrtem Gesicht löste Emma ihre Finger aus Cinders Mähne und glitt von ihrem Rücken. Sie taumelte, und ich streckte rasch meine Hand aus, um sie aufzufangen.
„Meine Beine sind ganz zittrig“, murmelte sie.
Dann brach sie in Tränen aus.
Als ich den ersten Schrecken überwunden hatte, waren es zwei Dinge, die mir ganz deutlich vor Augen standen: Das eine war Ernies Gesicht unter dem Sturzhelm und der Motorradbrille. Ich werde wohl nie den grausamen Zug vergessen, der um seinen Mund lag, als er sich umdrehte und zusah, wie Cinders beinahe in den Gegenverkehr gerast wäre.
Und das andere war der schwarz-gelb gewürfelte Helm, den einer seiner Freunde trug. Ich wusste genau, ich hatte diesen Helm schon einmal gesehen. Auch die schwarze Lederjacke mit der großen Sieben in einem weißen Kreis auf dem Rücken. Und ich wusste auch, wem diese Jacke gehörte: Colin Blackmoor.
Als wir die Ponys durch die Unterführung auf das Feld auf der anderen Seite der Fernstraße brachten, erzählte ich Ian und Pete, was ich beobachtet hatte.
„Stimmt“, nickte Pete. „Ich habe Colin auch schon in solch einer Jacke gesehen. Er trug sie immer, wenn er auf Ernies Motorrad auf dem alten Flugplatz übte. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir auch sein Helm wieder ein. Er war schwarz-gelb.“
Ich schaute meinen Zwillingsbruder über die Schulter an. „Hast du nicht gesagt, dass Colin ein neues Motorrad bekommen sollte?“
„Ja, er hatte letzte Woche Geburtstag. Die Maschine war ein Geschenk seiner Eltern. Er hat sie im Sportverein überall herumgezeigt.“
„Also, ich bin mir nicht sicher.“ Ian zuckte die Schultern. „Mein Vater und ich hatten alle Hände voll zu tun, mit Cinders fertig zu werden. Ich habe auf diese Idioten mit ihren Motorrädern nur einen ganz flüchtigen Blick geworfen.“ Er bückte sich und hob Cinders Zügel auf, die Emma fallengelassen hatte. „Aber ich glaube, ich kann mich erinnern. Einer von den Burschen trug einen schwarz-gelben Helm. Und er fuhr eine nagelneue Maschine.“
„Es war ein neues Motorrad!“ Ich war mir meiner Sache ganz sicher. „Als sie uns auf dem Radweg überholten und hinter Emma herfuhren, ist mir dieses Motorrad gleich aufgefallen. Ich fand, dass es schrecklich teuer aussah. Und ich habe mich gewundert, dass einer von Ernies Freunden so viel Geld hat.“
„Na ja, was Ernie angeht, so hat er seine Maschine mit Sicherheit auf Raten gekauft“, knurrte Pete grimmig. „Und bei Colin – wenn es wirklich Colin war – ist es kein Wunder. Sein Vater ist wahnsinnig reich. Der weiß gar nicht, wohin mit seinem Geld.“
„Ist euch eigentlich klar, was wir Colin unterstellen?“ Ian schaute meinen Bruder und mich erschrocken an. „Gut, keiner von uns mag Colin leiden. Aber Emma und ihr Pony so lange zu jagen, bis Cinders durchgeht und mitten zwischen die Autos gerät, das ist wirklich kein dummer Streich mehr. Die beiden hätten umkommen können! Ob man Colin so etwas zutrauen kann?“
„Vergiss nicht, dass Ernie der Anführer war!“, erinnerte ich ihn. „Colin, wenn er tatsächlich dabei war, und der andere Junge in dem roten Helm sind mit ihren Rädern zurückgeblieben.“
„Wie auch immer“, meinte Pete. „Heute Nachmittag kommt Colin in den Reitstall. Sergeant Sam hat ihn herbestellt, damit er noch einmal die Geländestrecke abreitet. Dann können wir ihn ja unter die Lupe nehmen.“
„Stimmt. Er kommt bestimmt mit seinem neuen Motorrad. Vielleicht können wir herausfinden, ob er wirklich einer von diesen Strolchen war.“
Als Colin an diesem Nachmittag mit seinem Motorrad in den Hof von Stableways einbog, hatte er einen schwarz-gelben Sturzhelm auf. Doch statt einer schwarzen Lederjacke mit einer Sieben auf dem Rücken trug er eine Fliegerjacke aus blauem Leder mit einem Pelzkragen, helle Reithosen und Reitstiefel aus schwarzem Gummi.
„Seht euch seine Maschine an!“, flüsterte Pete. „Ganz neu! Das stimmt jedenfalls schon einmal.“
„Aber Colins Motorrad hat dieses L-förmige Schutzblech“, wandte Ian ein. „Das ist mir heute Morgen nicht aufgefallen.“
„Trotzdem, er war es! Ganz bestimmt!“ Ich sah den Jungen mit seinem gepflegten, glänzenden Haar voller Abscheu an.
Da brachte Sergeant Sam Jennys Hengst aus der Box.
„Da bist du ja!“, begrüßte er den Jungen. „Komm, du kannst gleich in den Sattel steigen. Den letzten Geländeritt hast du ja leider verpatzt. Aber du sollst noch einmal eine Chance haben.“
„Hast du gehört?“ Pete beugte sich zu Ian herüber. „Sergeant Sam scheint nicht gerade überzeugt von Colins Springkünsten zu sein. Ich würde mich nicht wundern, wenn er doch noch dich für das Turnier in Boxheath aussuchen würde.“
Wir drei gingen zu Benny und Jenny hinüber, und gemeinsam warteten wir gespannt, wie Colins zweite Prüfung ausfallen würde. Emma war zu Hause geblieben. Kein Wunder, sie hatte den Schreck von heute Morgen noch nicht überwunden!
Colins Züge wirkten verkrampft, als er mit Sultan zur Startlinie ritt. Auch der Araber war nervös. Er tänzelte unruhig und scheute vor der geringsten Kleinigkeit. Das war sonst gar nicht seine Art.
„Ob es immer noch das Juckpulver ist?“ Ich runzelte verwundert die Stirn.
„Mit Sicherheit nicht“, meinte Ian. „Gestern Abend bin ich mit ihm noch einmal die Dressur geritten, da war er friedlich wie ein Lamm.“
„Stimmt, ich habe euch zugeschaut.“ Jenny seufzte. „Es liegt an Colin. Er ist nie gerne gesprungen. Aber so verkrampft und nervös wie heute war er noch nie. Und das überträgt sich natürlich auf Sultan.“
Sergeant Sam gab das Startzeichen – dann ritten sie los.
Colin nahm das erste Hindernis zu schnell, aber Sultan flog in hohem Bogen darüber hinweg und hatte sicher noch gut einen halben Meter Platz zwischen sich und der Latte.
Nun kam der doppelte Oxer. Es war ein hoher und weiter Sprung. Sultan musste unbedingt im richtigen Moment den Absprung finden. Colin durfte hier keinen Fehler machen.
Wir liefen das Feld entlang, um zu sehen, ob sie es schafften.
Kurz vor dem Hindernis nahm Colin die Zügel straffer. Ein kurzes Kommando, ein Schlag mit den Hacken, und dann trieb der Junge den Hengst vorwärts.
Der Oxer war übersprungen, dann gingen sie die Triple-Barre an. Sultan lief in scharfem Galopp, und wir kamen gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie er die Stangen überflog.
Nun ging es ein Stück am Waldrand entlang, dann folgte die Kombination. Sie sah so einfach aus, aber wir alle wussten, dass sie ihre Tücken hatte. Ein Sprung, aufsetzen und wieder ein Sprung. Der Boden war schlüpfrig, Sultan schien zu zögern. Anscheinend wollte er nach dem ersten Sprung zuerst wieder festen Halt finden. Da versetzte Colin ihm einen Schlag mit der Reitgerte. Der Hengst war so überrascht, dass er sich aus dem Stand aufrichtete. Er streckte sich und setzte in weitem Bogen über das zweite Gatter hinweg.
Atemlos liefen wir zum Wassergraben. Dieser Sprung war schwieriger als sonst. Sergeant Sam hatte den Graben verbreitert und auf der anderen Seite noch eine zusätzliche Schwelle gelegt. Doch Sultan fand im richtigen Augenblick den Absprung, reckte die Nase weit nach vorn und kam sicher auf der anderen Seite an.
Bis jetzt hatte Colin sich gar nicht so schlecht geschlagen, doch die zusätzliche Schwierigkeit am Wassergraben hatte ihn offenbar aus dem Konzept gebracht.
Er riss Sultans Kopf zur Seite und wendete scharf. Der Hengst glitt aus, verlor sein Gleichgewicht und wäre beinahe gestürzt.
Taumelnd suchte er wieder festen Halt auf dem Boden. Seine Nüstern waren weit gebläht, an den Kanten seiner Trense stand weißer Schaum. Sein Fell glänzte vor Schweiß. Plötzlich schlug Colin wieder zu.
Neben mir biss sich Jenny auf die Lippen.
„Armer Sultan!“ Sie konnte es kaum mit ansehen, wie Colin ihren Hengst behandelte. „Dieser Ausrutscher war allein Colins Fehler. Er hätte Sultan beinahe zu Boden gebracht. Wie kann er das nur an dem armen Tier auslassen!“
„Das beweist nur, welch ein übler Typ er ist“, schimpfte Pete, als wir über den Zaun kletterten und zum nächsten Feld rannten. Wir nahmen eine Abkürzung, um rechtzeitig am Hohen Wall zu sein. Wie würde Colin hier zurechtkommen?
Colin ritt mit verbissenem Gesicht. Seine Fäuste ballten sich über den Zügeln, er hielt die Arme steif wie zwei Feuerhaken. Der Wall war das schwierigste Hindernis der ganzen Strecke. Obwohl Colin automatisch das Tempo erhöhte, sahen wir sofort, dass er nicht mit seinem Herzen dabei war. Ohne jedes Einfühlungsvermögen trieb er den Hengst verdrossen an, und einen Augenblick lang dachte ich, dass er nur darauf wartete, dass Sultan verweigerte.
So kam es auch. Der Hengst war nun so dicht vor dem Wall, dass er eigentlich springen musste. Aber er hielt unvermittelt an und bohrte schlitternd seine Hufe in das schlüpfrige, frühlingsfeuchte Gras.
Dann hob Colin noch einmal seine Reitgerte und ließ sie wütend auf Sultans Flanke sausen.
Voller Schreck über diese Bestrafung hob Sultan ab. Colin schlug schwer im Sattel auf, und ich war sicher, dass ihm dieser Aufprall ziemlich schmerzhaft in die Wirbelsäule fuhr. Doch er konnte sich halten. Sultan landete tatsächlich mit der Vorderhand auf dem Kamm des Walls. Irgendwie gelang es ihm auch noch, die Hinterhand nachzuziehen. Dann trieb ihn die Angst vor neuen Schlägen weiter. Viel zu schnell flog er über das Gatter auf der Spitze des Damms und sprang in weitem Bogen den Steilhang auf der anderen Seite hinunter. Colin war völlig überrascht. Er verlor das Gleichgewicht, rollte seitlich über Sultans Hals und stürzte. Er hielt die Zügel des Arabers fest umklammert und riss das Tier mit sich zu Boden.
Im Fall krümmte Sultan sich zur Seite. So konnte er verhindern, auf seinen Reiter zu fallen, aber als er dann versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, traf er mit der Hinterhand genau gegen Colins Stirn.
„O weh! Das sah böse aus.“ Ian kniff die Augen zusammen und rannte los.
Während wir anderen uns besorgt über den reglosen Jungen beugten, hatte Benny nur Augen für Jennys Hengst. Der Araber stand verängstigt am Fuß des Damms.
„Colin hat die Besinnung verloren.“ Ian zog seine Jacke aus und breitete sie über den verletzten Jungen. „Wir dürfen ihn nicht bewegen.“
„Ich fürchte, es ist ziemlich ernst“, sagte er besorgt zu Jennys Großvater, der in aller Eile über das Feld gelaufen kam. „Wir müssen sofort einen Arzt holen.“