Es war uns allen ein Rätsel, aber Bennys leises Flüstern führte zum Ziel.
„Jetzt ist alles wieder gut, nicht wahr, mein Freund? Schön ruhig! So, bald sind wir fertig.“
Benny wisperte dem Hengst beruhigend zu, während Sergeant Sam sein Fell schor.
Einen Augenblick hielten wir alle noch einmal den Atem an, als Jennys Großvater an Sultans Bauch kam. Hier war eine Stelle, an der der Hengst besonders kitzlig war. Aber Benny hob nur mit sanftem Druck Sultans Vorderhand an. Wenn der Araber sich nun bewegen wollte, würde er unweigerlich das Gleichgewicht verlieren.
„Nur ein paar Minuten, mein Freund!“
Es dauerte nicht lange, und Sultan blieb geduldig stehen, bis die Arbeit getan war.
Benny war zurückgekehrt! Nun gehörte er wirklich zu uns, und er schien uns Glück zu bringen, als er uns mit flinken Fingern zur Hand ging. Wir lichteten zerzauste Mähnen, wuschen den Schmutz aus den Schweifen und striegelten die Ponys, bis ihr Fell wie Seide glänzte.
Nun konnte der große Tag kommen.
Obwohl ich wirklich alle Hände voll zu tun hatte, musste ich immer wieder an Colin und Ernie denken. Wo steckten sie? Und was hatten sie vor? Planten sie vielleicht schon die nächste Gemeinheit?
„Oh, Pippa, nun vergiss die beiden doch endlich!“ Pete konnte offenbar Gedanken lesen. „Sie sind es nicht wert. Denk doch an morgen! Du nimmst an dem großen Turnier in Boxheath teil und reitest für Stableways! All deine Ponyträume gehen endlich in Erfüllung, und du lässt dir von zwei Idioten die Freude verderben!“
Ich gab mir alle Mühe, nicht mehr an die Übeltäter zu denken, aber als ich dann an diesem Abend zu Bett ging, verfolgten sie mich doch noch bis in den Schlaf. Ich quälte mich mit bösen Träumen und war froh, als ich am anderen Morgen zeitig aufwachte.
Als wir auf Stableways ankamen, war Benny schon fleißig bei der Arbeit und flocht Zöpfe in Clouds und Cavaliers Mähne. Er fand immer etwas, wo er sich nützlich machen konnte und schien überall gleichzeitig zu sein. Eben hatte er noch Clouds Schweif hochgebunden, und nun war er bereits damit beschäftigt, einen unansehnlichen Riemen aus Sultans Halfter gegen einen neuen auszutauschen. Als wir den Araber und die Ponys überreden mussten, in den Pferdetransporter zu klettern, da war er wieder zur Stelle.
Endlich war es so weit. Sergeant Sam setzte sich hinter das Steuer, und ich quetschte mich irgendwie zwischen Jenny, Ian und Pete. Ich spürte, wie ich von Minute zu Minute nervöser wurde. Natürlich würden die Hindernisse bei den Juniorpaaren nicht übermäßig hoch sein. Aber die Strecke war sicher nicht einfach. Wahrscheinlich gab es ein paar versteckte Tücken und verborgene Schwierigkeiten. Hoffentlich kommen wir rechtzeitig an, betete ich im Stillen. Ich wollte mir die Strecke unbedingt vorher noch in aller Ruhe ansehen. Sonst würde ich später bestimmt die Reihenfolge der einzelnen Hindernisse vergessen und disqualifiziert werden.
Auf dem Turniergelände parkte der Colonel seinen Wagen neben unserem Transporter. Emma winkte uns durch das Wagenfenster aufgeregt zu.
„Am besten lässt du die Tiere noch im Transporter“, sagte er zu Sergeant Sam. „Es dauert noch eine Weile, bis sie an die Reihe kommen.“ Dann schaute er Pete und mich erwartungsvoll an. „Und ihr beide? Na, wie fühlt ihr euch? Lauft schnell zum Zelt des Turniersekretärs! Ihr müsst euer Startgeld bezahlen und eure Nummern in Empfang nehmen.“
„Dann bleibe ich solange bei den Ponys“, bot Benny eifrig an und wollte schon über den Rücksitz in den Laderaum schlüpfen.
Doch diesmal war Sergeant Sam schneller.
„Halt, mein Freund!“ Er konnte den Jungen gerade noch am Kragen packen. „Die Tiere sollen wenigstens eine kleine Weile ihre Ruhe haben. Du kannst mit uns zum Zelt kommen.“
An dem Tisch, wo wir uns anmelden mussten, wartete schon eine lange Schlange von Reitern. Da wurden Formulare ausgefüllt, Startgebühren bezahlt und Wechselgeld gezählt. Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis wir endlich fertig waren und uns unsere Startnummern umbinden konnten. Dann sahen wir uns den Parcours an, auf dem Pete und ich starten sollten. Sergeant Sam und der Colonel zeigten uns die einzelnen Punkte, auf die wir besonders achten sollten, während Benny und Emma mit großen Augen von Hindernis zu Hindernis liefen. Sie waren mindestens genauso aufgeregt wie ich. Es gab keine Stelle im Parcours, zu der sie uns nicht großzügig ihren „fachmännischen“ Rat zukommen ließen und uns auf versteckte Tücken aufmerksam machten.
Das war sicher alles sehr gut gemeint, aber allmählich begann sich alles in meinem Kopf zu drehen.
„Ich glaube nicht, dass uns das hilft“, flüsterte ich meinem Bruder zu, als Sergeant Sam uns gerade vorzählte, wie viele Schritte wir zwischen die beiden Sprünge der Kombination schieben mussten. „Ich wünsche, sie würden aufhören, damit wir uns einmal in Ruhe selbst umsehen können.“
„Kopf hoch, Pippa!“ Pete schmunzelte. „Cavalier und ich sind ja bei dir. Wenn du nicht zurechtkommst, brauchst du nur im gleichen Schritt wie wir zu gehen. Die Hindernisse sind auch nicht viel anders als die, an denen wir trainiert haben.“
Seine Worte gingen in einem plötzlichen Lärm unter. Irgendwo wieherte ein Pferd in panischer Angst. Und im nächsten Augenblick war die Menge der Reiter und Zuschauer in heller Aufregung.
Verblüfft schauten wir uns um.
„Verflixt! Das ist Sultan!“ Benny riss entsetzt die Augen auf, als Jennys Hengst wie gehetzt durch das Gedränge der Besucher stürmte. Er schlüpfte unter der Absperrung hindurch und setzte hinter dem aufgebrachten Pferd her. Ian, Sergeant Sam und der Colonel waren ihm dicht auf den Fersen.
Es genügte, wenn die drei sich an Sultans Verfolgung machten. Wir anderen liefen hastig zum Pferdetransporter. Wir hörten, wie es im Laderaum eigentümlich polterte und die Ponys ängstlich schnaubten und stampften.
Als ich über Petes Schulter über die Laderampe schaute, wollte ich meinen Augen nicht trauen. Zwei Jungen krallten sich aneinander und lieferten sich dort wutentbrannt eine heftige Schlägerei. Es waren Colin und Ernie!
Sie taumelten gegen Cloud und Cavalier, und die Ponys zerrten ängstlich an ihren Stricken. Es war einfach unglaublich. Die Tiere sollten in der nächsten Viertelstunde an einem Turnier teilnehmen. Konnten diese beiden Dummköpfe sich keinen anderen Platz aussuchen, um ihren Streit auszutragen?
„Lass mich los, du gemeiner Kerl!“ Ernie keuchte und wand sich vergeblich. Es gelang ihm nicht, sich aus Colins hartem Judogriff zu befreien.
„Jetzt ist aber Schluss!“ Pete polterte zornig die Laderampe hinauf.
Die Ponys wussten sich schließlich auch nicht mehr zu helfen. Es gab keinen Platz, wohin sie ausweichen konnten, und in seiner Not keilte Cavalier erbost mit der Hinterhand aus.
Seine Hufe trafen genau auf Ernie und Colin, da kugelten beide kopfüber die Laderampe hinunter.
Sie landeten direkt vor Colonel Lyalls Füßen, der sich in diesem Augenblick durch die Menge drängte.
Mit einem entschlossenen Griff packte er die beiden an den Haaren und zerrte sie zu zwei Polizisten, die eilig herbeiliefen.
Inzwischen hatten sich auch Ian und Sergeant Sam einen Weg durch die verblüfften Zuschauer gebahnt. Jennys Großvater führte Sultan an einem Seil, während Benny auf seinem Rücken saß. Der Junge streichelte mit beiden Händen sanft über Sultans Nacken und flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr.
Da ertönte der Lautsprecher: „Wir beginnen gleich mit dem Springwettbewerb der Juniorpaare. Die Teilnehmer mit den Nummern drei und vier, elf und zwölf und fünfzehn und sechzehn bitte zum Sattelplatz!“
„Das sind wir!“ Ich packte meinen Zwillingsbruder am Arm. „Nummer elf und zwölf. Komm, Pete!“
Mit weichen Knien kletterte ich in den Transporter und griff nach Clouds Halfter. Das Pony hatte sich noch nicht beruhigt und schreckte ängstlich zurück.
„Was ist denn? Ich bin es doch.“ Ich versuchte, wie Benny mit leiser, dunkler Stimme auf die Stute einzureden. „Sei schön brav, mein Mädchen!“ Als ich über Clouds Mähne strich, bemerkte ich, dass die Zöpfe, die wir so sorgfältig geflochten hatten, sich alle auflösten. „Sieh dir das an, Jenny!“ Mir stiegen beinahe die Tränen in die Augen. „Ernie hat die Zopfbänder zerschnitten. Die Flechten lösen sich auf, und wir haben keine Zeit mehr, das in Ordnung zu bringen.“
Als Pete auch noch Cavalier die Rampe hinuntergeführt hatte, winkte Jenny Ian herbei.
„Komm, sei nett und hilf den beiden. Wir kämmen die Mähnen einfach wieder glatt. So wichtig ist das bei den Juniorpaaren nicht.“
„Und Sultan?“, erkundigte sich Emma. „Er kann doch nicht mit offener Mähne bei der Dressur starten!“
„Was soll ich denn tun?“ Jenny seufzte. „Mit einem Arm in der Schlinge kann ich keine Zöpfe flechten. Aber ich habe mein Nähzeug dabei. Man kann ja nie wissen, ob man nicht einmal rasch ein Zopfband mit ein paar Stichen festnähen muss.“ Sie drückte Benny das Nähzeug in die Hand. „Komm, du Wunderknabe! Du wirst das schon machen.“
Inzwischen brachten die beiden Polizisten Ernie und Colin zu ihrem Streifenwagen. Die beiden Jungen rührten sich nur widerwillig vom Fleck, und die Beamten mussten nachhelfen, bis sie sich endlich in Gang setzten.
„Ich frage mich, warum Colin und Ernie sich geprügelt haben.“ Nachdenklich runzelte ich die Stirn. „Und dann ausgerechnet in dem Pferdetransporter.“
„Das würde ich auch gerne wissen.“ Jenny nickte. „Nun, ich denke, wir werden es noch erfahren, aber zerbrecht euch darüber jetzt nicht den Kopf. Ihr braucht all eure Konzentration für den Wettbewerb!“
Wir erreichten den Sattelplatz, als das erste Paar die Strecke gerade ohne Fehler hinter sich gebracht hatte.
„Nummer elf und zwölf an den Start!“, ertönte es aus dem Lautsprecher.
Ich versuchte verzweifelt, mein Pony zu beruhigen. Der Schrecken steckte der kleinen Stute immer noch in den Gliedern, und sie zitterte am ganzen Leib. Immer wieder scherte sie seitwärts, als ich sie auf den Parcours ritt.
Ich spürte, wie mir ein Kloß im Hals saß. Wie sollte ich mit einem derart aufgebrachten Pony gut über die Strecke kommen?
Pete war dicht an meiner Seite, als wir uns an der Startlinie aufstellten.
„So, Pippa!“, flüsterte er.„Es geht los. Bleib bitte neben mir!“
Die Startglocke erklang, und wir ritten los. Da war auch schon gleich das erste Hindernis. Cloud bockte nervös, als ich die Zügel fester nahm und auf das Gatter zuhielt. Aber wir schafften es. Pete und ich kamen genau im gleichen Augenblick auf der anderen Seite an und gingen gleich das nächste Hindernis, die Bahnschranke, an.
So weit, so gut.
Nun kam eine scharfe Wende. Wir mussten unsere Ponys auf der Hinterhand wenden, dann ging es an die Kombination. Der erste Sprung klappte noch ganz gut. Doch ich spürte, wie Cloud vor dem zweiten Sprung, einem dicken, massiven Lattenzaun, einen kleinen zusätzlichen Schritt einschob. Die Stute hatte einfach noch nicht ihren Rhythmus gefunden. Es kam, wie es kommen musste. Cloud streifte die Latte mit der Hinterhand, und sie fiel polternd zu Boden.
„Schon der erste Fehler!“ Ich stöhnte.
Die Hecke lag vor uns. Jetzt musste ich Cloud unbedingt unter Kontrolle bringen. Wir mussten es einfach schaffen. Obwohl die Sträucher dicht und breit vor uns aufragten, wusste ich, dass es kein schwerer Sprung war. Und dann waren wir auch schon glücklich auf der anderen Seite.
Ich glaube, ich werde nie verstehen, was dann passierte. Gerade in diesem entscheidenden Augenblick kamen mir wieder Colin und Ernie in den Sinn. Ich vergaß alles andere um mich herum und zergrübelte mir wieder den Kopf, warum die beiden sich in dem Pferdetransporter geprügelt hatten. War es Ernies Plan gewesen, nach Boxheath zu fahren und die Zopfbänder in den Mähnen unserer Ponys zu zerschneiden? Hatte er Colin überredet, mitzukommen? Aber warum hatten sie sich dann gestritten?
„Pippa!“ Petes aufgeregte Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah mich erschrocken um. „Es geht in der Mitte der Bahn entlang, du Schaf! Du kommst vom Kurs ab!“