Freitag.

7

Der Raum, in den sie Tom am nächsten Morgen führten, hatte keine Ähnlichkeit mit den klinischen, klaustrophobischen Verhörräumen, die man aus Film und Fernsehen kannte. Er sah eher aus wie eine normale, spießig deutsche Amtsstube.

Ein Schreibtisch stand darin, zwei Besucherstühle davor. Der Computer stammte offenbar noch aus den späten Neunzigern. Darüber hinaus gab es einen Aktenschrank mit einem massiven Schloss und ein Waschbecken, das ganz offensichtlich schon sehr viel bessere Zeiten gesehen hatte. Der Fliesenspiegel hatte die Farbe von alten Zähnen und war überzogen mit einem Netz aus feinen schwarzen Rissen. Wasserflecken prangten auf dem grauen Bezug des Schreibtischstuhls.

Der einzige Hinweis darauf, dass es sich hier nicht um ein normales Büro handelte, waren die Gitter vor den Fenstern, die den Ausblick auf das langgestreckte ehemalige Flughafengebäude Tempelhof in schmale senkrechte Streifen schnitten.

Tom knirschte mit den Zähnen. Er war nicht zum ersten Mal in diesem Raum: Gestern Abend, direkt nach seiner Festnahme, hatten die beiden Beamten vom SEK ihn schon einmal hierhergebracht. Eine junge Polizistin hatte unter ihrer Aufsicht ein paar Untersuchungen an ihm vorgenommen, unter anderem hatte sie einen Alkoholtest gemacht, über den er sich sogar noch lustig gemacht hatte. Den Schmauchspurentest allerdings hatte er schon viel weniger lustig gefunden. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, hatte man ihm versichert, dass die Kollegin Voss und der Kollege Runge gleich kommen und mit ihm reden würden. Und danach hatte er fast zwei Stunden lang untätig dagesessen und gewartet, bis irgendwann ein weiterer Uniformierter gekommen war und ihm mitgeteilt hatte, dass sich seine Befragung verzögern würde und er über Nacht hierbleiben müsste. Alles Protestieren hatte nichts genützt. Man hatte ihn freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen, dass die deutsche Polizei das Recht hatte, ihn ohne Anweisung eines Haftrichters bis Mitternacht des auf seine Ergreifung folgenden Tages festzuhalten. Man hatte ihn gefragt, ob er einen Anwalt anrufen wolle, und das hatte er verneint.

Heute Morgen war er sich da allerdings nicht mehr so sicher. Die Nacht in der Zelle hatte ihn zermürbt und all die Erfahrungen seiner Jugendzeit in ihm hochgespült. Er fühlte wieder dieselbe Hilflosigkeit wie damals. Das Ausgeliefertsein an einen Apparat, auf den er keinerlei Einfluss hatte. Und vielleicht war das ja genau der Sinn der ganzen Sache gewesen: Er sollte verunsichert werden. Er versuchte, sich zu entspannen, und vertrieb die düsteren Gedanken damit, aus dem vergitterten Fenster zu schauen. Der Streifenpolizist, der ihn heute anstelle des SEK-Beamten bewachte, war auch nicht viel gesprächiger als dieser.

Gegen halb neun endlich erschienen Voss und Runge. Voss trug Jeans und die gleiche Lederjacke wie gestern, Runges Anzug war heute grau. Er hatte die obligatorische Aktenmappe in der Hand und setzte sich mit ihr hinter den Schreibtisch, während Voss sich dafür entschied, stehen zu bleiben. Sie hatte einen braunen Karton dabei, den sie auf den Aktenschrank stellte. Mehrere Sekunden lang starrte Runge Tom schweigend an. Als er merkte, dass das keinen Eindruck machte, zuckte er die Achsel. Er sah blass und übernächtigt aus.

»Vielen Dank für die Gastfreundschaft des deutschen Staates«, ergriff Tom das Wort. Ärgerlicherweise schaffte er es nicht, so spöttisch zu klingen, wie er es gern getan hätte. Die Wut darüber, wie man ihn hier behandelte, nagte an ihm.

Runge schlug seine Akte auf und blätterte darin herum. Tom suchte Voss’ Blick, aber ihre Miene war ausdruckslos. Wie Runge auch wirkte sie, als hätte sie in der Nacht nur sehr wenig geschlafen.

»Es gibt keinerlei Notwendigkeit, mich hier stundenlang festzuhalten«, sagte Tom durch zusammengebissene Zähne. »Ich habe mich an Sie gewandt, weil ich Ihnen helfen will, die Mörder Ihrer Kollegen zu fangen.«

Runge blickte von der Akte auf. »Schon klar. In Ihrer idealen Welt hätten wir Sie nach Ihrer vorläufigen Festnahme sofort befragt.«

»In meiner idealen Welt hätten Sie schon längst …« Tom winkte ab, weil Runge finster die Augenbrauen zusammenzog. »Vergessen Sie es!«

Runge nahm ein paar Fotos aus seiner Mappe und legte sie der Reihe nach vor ihn hin. Die ersten zeigten Heller und seine Kollegin, beide in Nahaufnahme und beide mit furchtbaren Löchern im Schädel. Oberau, dachte Tom betäubt, so hatte die Polizistin geheißen. Einen Teil der Nacht hatte er damit verbracht, über ihren Namen nachzugrübeln und sich bizarr schuldig dafür zu fühlen, dass er ihn vergessen hatte.

Er rang die Übelkeit nieder. »Ich kenne diesen Anblick«, hörte er sich sagen. »Ich war dabei, als es passiert ist.«

»Monika Oberau«, sagte Runge und tippte auf das Bild der Frau. »Altmodischer Name für eine so junge Frau, oder?«

Tom unterdrückte ein Seufzen. Er war sich relativ sicher, dass es keinen Sinn hatte, sich gegen Runges Spielchen aufzulehnen, also entschied er sich dafür mitzuspielen.

Fürs Erste.

»Ja«, sagte er.

»Sie hat einen kleinen Sohn«, erklärte Runge.

Schon dieser hochmanipulative Satz zerpulverte Toms gute Vorsätze. »Hören Sie«, brauste er auf. »Ich sagte doch schon …«

»Ich weiß, was Sie sagten, Herr Morell! Sie haben der Kollegin Voss gegenüber am Telefon behauptet, diese beiden Menschen nicht erschossen zu haben, sondern selbst Opfer einer Entführung zu sein.« Betont lässig lehnte Runge sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin ganz Ohr. Erzählen Sie mir noch einmal Ihre Version der Geschichte.«

Tom wusste, dass der Mann versuchte, ihn in einen Widerspruch zu verwickeln, darum unterdrückte er den Impuls, darauf hinzuweisen, dass er das gestern Abend bereits getan hatte. »Ich habe Ihre Kollegen …«

»… nicht umgebracht. Ja. Das sagten Sie bereits mehrfach. Nehmen wir doch einfach an, Sie erzählten mir gern noch mal, was Ihrer Meinung nach passiert ist.«

Was bist du nur für ein Arschloch, dachte Tom. Tief atmete er durch, bezähmte seinen Frust.

»Ihre beiden Kollegen haben mich hm … gebeten« – er malte mit den Fingern Anführungszeichen um das letzte Wort – »sie zu begleiten, als ich sie bei den Schönhauser Allee Arcaden getroffen habe. Keine Ahnung, warum.« Er hielt inne in der absurden Hoffnung, dass Runge ihm eine Erklärung liefern würde. Aber natürlich kam der nicht mal auf die Idee.

»Was ist passiert, nachdem der Kollege Heller und die Kollegin Oberau mit Ihnen in den Streifenwagen gestiegen sind?«, fragte er.

Resigniert liefert Tom ihm einen erneuten ausführlichen Bericht der Dinge. »Die Typen haben mich in den Van gezerrt und nach einer Weile in irgendeinem verlassenen Gewerbegebiet eingehender … befragt«, endete er.

»Was wollten sie von Ihnen?«

»Ein Laborjournal.«

»Ein Laborjournal.«

»Ja. Das ist ein Buch, in dem Wissenschaftler Aufzeichnungen zu ihren Forschungen machen. Versuchsanordnungen, Ergebnisse, so ’n Zeug.«

»Was für Forschungen?«

»Medizinische.«

»Aha.« Ein Moment des Schweigens entstand, in dem Runge und Voss einen längeren Blick tauschten. »Und warum wollten diese Männer dieses Laborjournal?«, fuhr Runge anschließend mit der Befragung fort.

»Keine Ahnung«, log Tom aus einem Instinkt heraus, den er nicht unterdrücken konnte.

Runges Augenbrauen hoben sich minimal. Voss runzelte die Stirn. Beide hatten die Lüge sofort erkannt. Mist! »Die Forschung, die es enthält, ist …«

»Lassen wir das für den Moment. Ein Gewerbegebiet, sagten Sie. Irgendeine Idee, wo das sein könnte?«

»Nein.«

»Nachdem Ihre Entführer Sie in dieses Gebäude gebracht haben, was ist dann passiert?«

»Sagte ich doch schon: Sie haben mich befragt.« Um zu demonstrieren, was für eine Befragung das gewesen war, zog er seinen Hoodie und das Shirt darunter ein Stück hoch.

Voss beugte sich interessiert vor, wich dann aber zurück. Runge betrachtete Toms Prellung mit zusammengezogenen Brauen. »Und weiter?«

Tom ließ Shirt und Hoodie wieder fallen, zuckte die Achsel.

»Nachdem man Sie also befragt hat«, ergriff Voss das Wort, »wie sind Sie danach entkommen?«

»Die Männer haben mich unter Drogen gesetzt, damit ich ihnen sage, wo das Laborjournal ist. Aber das habe ich nicht, darum haben sie mich betäubt und in Karlshorst in einem alten Schrebergarten liegen lassen. Ich vermute, sie haben gehofft, dass ich sie zu dem Journal führe.«

»Was Sie nicht getan haben.«

»Nein. Ich konnte ihnen entkommen.« Er hätte beinahe gelächelt.

»Aha. Und wie genau?«

»Indem ich mein Handy zerstört habe.« Er erzählte ihnen, wie er es gemacht hatte.

Runge ließ sich nicht anmerken, ob er ihm glaubte oder nicht. »Nachdem Sie also auf diese Weise entkommen sind, was haben Sie dann gemacht?«

»Ich habe Frau Voss angerufen und mich gestell… ihr meine Kooperation angeboten.« Die Entscheidung, die Anrufe bei Isabelle und Nina zu verschweigen, hatte Tom ganz automatisch getroffen. Ein alter Reflex, der vermutlich noch aus seinen Antifa-Zeiten stammte. Sag den Bullen nur das Allernötigste.

»Dieses Laborjournal«, fragte Runge. »Wo ist es jetzt?«

»Ich habe es versteckt.«

»Aha.«

»Was für Forschungsunterlagen enthält es genau?«, fragte Voss.

Tom erklärte es ihr, zumindest so weit, wie er es verstanden hatte.

»Forschungsergebnisse für alternative Heilmittel gegen antibiotikaresistente Bakterien«, fasste Voss zusammen. Während Tom gesprochen hatte, hatte sie sich mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt.

»Genau.«

»Ist ja ein Riesenthema in den Medien gerade. Dieser ganze Zirkus um dieses neue Gesetz und so.« Ohne ihn aus den Augen zu lassen, nahm sie den unbenutzten Besucherstuhl, stellte ihn neben Runge und setzte sich Tom gegenüber. Sie sah aus, als belauere sie ihn. Was wollte sie, dass er jetzt sagte?

Fast beiläufig schlug Runge die Akte erneut auf. »Sie haben etwas gegen die Polizei, oder?«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Mehrere Anzeigen wegen Sachbeschädigung. Die erste im Alter von fünfzehn. Dazu Anzeigen wegen Körperverletzung im Zuge mehrerer Prügeleien.«

Tom glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Das sind Tatbestände aus meiner Jugendakte! Wieso wurden die nicht längst gelöscht, wie es rechtens wäre?«

»Sie kennen sich gut mit Ihren Rechten aus.«

»Beantworten Sie mir verdammt noch mal meine Frage! Jugendstrafsachen müssen nach fünf, spätestens zehn Jahren aus dem Bundeszentralregister gelöscht werden. Warum …«

»Wie gesagt«, fiel Runge ihm ins Wort. »Sie kennen sich gut aus.« Er warf einen weiteren Blick in Toms Akte. »Hinter jedem großen Vermögen steckt ein großes Verbrechen«, las er vor. Dann blickte er Tom direkt in die Augen. »Das und ACAB an Hauswände zu sprühen ist nicht gerade die originellste Art, seine Verachtung für die öffentliche Hand zu bekunden, finden Sie nicht? Und sich mit Neonazis prügeln … nun ja …«

In diesem Moment begriff Tom. »Darum sind die Einträge nicht gelöscht, nicht wahr? Weil sie einen linksextremistischen Hintergrund haben.«

»Sind Sie immer noch linksextrem, Herr Morell?«

Die Frage ließ rote Punkte vor Toms Augen tanzen. »Halten Sie auch rechtsradikale Jugendsünden im Zentralregister vor, oder gilt das nur für Antifa-Strafsachen?«

»Was wollen Sie uns damit unterstellen, Herr Morell?« Während Runge die ganze Zeit kühl und beherrscht gesprochen hatte, klang jetzt eine ärgerliche Schärfe in seinen Worten mit.

Tom warf Voss einen Blick zu und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie beinahe gelächelt hatte. Er beschloss, Runges letzte Frage zu überhören. Es war in seiner derzeitigen Lage vermutlich nicht die klügste Idee, den Mann damit zu konfrontieren, dass er die Polizei für auf dem rechten Auge stockblind hielt. Also verschränkte auch er die Arme vor der Brust.

Voss ließ ihre sinken.

»Hängen Sie immer noch linksradikalen Theorien an?«, fragte Runge erneut.

»Und wenn?« Tom seufzte. »Ich bin bei der Antifa raus, ungefähr als ich zwanzig geworden bin. Die Antwort auf Ihre Frage ist also: nein. Ich bin kein Linksradikaler. Und ich bin auch niemand, der Terroranschläge plant und durchführt. Das ist es doch, was hinter all Ihren Fragen steckt, oder?« Er hatte diese Worte mit solcher Wut hervorgestoßen, dass Voss sich genötigt sah einzugreifen.

»Okay. Kommen wir doch nochmal zu der Frage, wie Sie in den Besitz dieses Journals gekommen sind. Aber vorher erzählen Sie uns doch bitte noch einmal genau, wie Sie es vor den Männern, die Sie entführt haben, in Sicherheit gebracht haben.«

Er erzählte, wie er das Buch in der violetten Kiste der Antiquarin versteckt hatte und es anschließend nicht mehr zurückholen konnte, weil er Heller und Oberau in die Arme gelaufen war.

Während er sprach, beugte Runge sich vor und nahm ein weiteres Foto aus der Mappe. Er hielt es jedoch so, dass Tom nicht sehen konnte, was darauf war. »Erinnern Sie sich an den Namen dieses Antiquariats?«

»Stockhausen, glaube ich.«

»Antiquariat Stockhausen?«, wiederholte Runge. Sein Zeigefinger tippte auf die Kante des Fotos.

»Ja.«

Runge legte das Foto auf den Schreibtisch und drehte es zu Tom um. Es zeigte eine Schaufensterscheibe, auf deren oberes Drittel ein violettes Logo mit einem Steinbock-Symbol abgebildet war.

»Das ist es, ja«, bestätigt Tom. In seinem Magen rumorte etwas. Was kam jetzt?

»Wir konnten uns gestern Abend nicht sofort um Sie kümmern«, sagte Runge, »weil wir zu einem weiteren Mord gerufen wurden.« Er zog noch ein Foto hervor, betrachtete es angelegentlich.

Aus dem Rumoren in Toms Magen wurde ein schmerzhafter Krampf. Er wusste, was nun passieren würde.

Runge drehte das Foto um. Es zeigte eine grauhaarige Frau. Ihr Blick ging starr und leblos ins Leere, und genau auf ihrer Stirn prangte ein Einschussloch wie ein kreisrundes rotes Bindi.

Tom erstarrte. Er kannte die Frau. Es war die Antiquarin, der er das Journal untergeschoben hatte.

Nina betrat das S2-Labor in einem weißen Kittel mit YouGen-Logo, der so sehr gestärkt war, dass er knisterte. Im Raum war es ein bisschen zu kühl für ihren Geschmack. Eine Zentrifuge lief und erfüllte die Luft mit ihrem leisen Brummen.

Maren war dabei, mit einer Impföse Material aus einer Petrischale zu nehmen und es auf mehrere große, quadratische Agarplatten auszuplattieren.

Nina trat hinter sie und deutete auf das rote Nährmedium in der Petrischale. »Sind das die Proben von Sylvie Morells Rachenabstrich?«

Maren schaute von ihrer Arbeit auf und nickte.

Nina war erleichtert. Wie Tom gebeten hatte, hatte sie gestern Abend seine Frau angerufen und um ihre Mithilfe gebeten. Es war ein zähes Gespräch gewesen, in dem Nina versucht hatte, Isabelle Morell davon zu überzeugen, dass es auf keinen Fall schaden konnte, bei Sylvies Behandlung parallel zu Dr. Heinemanns Bemühungen auch noch einen alternativen Weg zu beschreiten. Als Nina aufgelegt hatte, war sie nicht sicher gewesen, ob es ihr gelungen war. Aber wie es aussah, hatte Isabelle den Arzt ihrer Tochter tatsächlich informiert.

Maren deutete auf eine Styroporkiste mit dem Logo des Loring-Klinikums. »Der Kurier hat Sylvies Proben gestern gebracht, und wir haben Rachenabstrich und Sputum gleich ausgestrichen und inkubiert, damit wir schöne Reinkulturen für die weiteren Tests haben.«

Nina nahm eine der Petrischalen und hielt sie ins Gegenlicht. Der typische Drei-Impfösen-Ausstrich mit seinen überlappenden parallelen Strichen hatte tatsächlich schöne Einzelkolonien hervorgebracht. Zufrieden stellte sie die Schale wieder weg und nahm stattdessen eine der quadratischen Agarplatten, auf denen über Nacht Sylvies Pseudomonas zu einem grünlichen Rasen heranwachsen würde. An dem würden sie dann im nächsten Schritt testen, ob die Phagen Sylvies Keim wirklich zu Leibe rückten.

Sie warf einen Blick durch die offene Tür in den Nebenraum, wo zwei mittelgroße silberne Fermenter standen. Ethan hatte in ihnen bereits vorgestern die Phagen zur Vermehrung angesetzt. Heute früh dann hatte Maren die ersten davon für die Labortests geerntet und abzentrifugiert.

Ninas Haut kribbelte vor Aufregung, wie immer, wenn eine Sache in den richtigen Bahnen lief. Bisher hatte einfach alles perfekt funktioniert! »Ist Ethan auch schon da?«, fragte sie.

»Der bereitet gerade die molekulargenetischen Tests vor.« Mit einer Kopfbewegung deutete Maren zu einer Tür, die in das Sequenzier-Labor direkt nebenan führte.

Nina wusste, dass Ethans Leute modernste mikrobielle Diagnostikmethoden anwandten: Damit würden sie die Bakterienart verifizieren und außerdem die bekannten Resistenzgene nachweisen. Dass Ethan den dazu nötigen PCR-Test allerdings selbst durchführte, verwunderte sie ein wenig. Das hätte auch seine Laborassistentin gekonnt, dachte sie mit einem Anflug von Belustigung.

Sie ging nach nebenan, wo sie Ethan an der Laborbank vorfand. »Hey«, begrüßte sie ihn.

Über die Schulter warf er ihr einen Blick zu. »Hey! Guten Morgen!« Er stand im Kittel mit blauen Handschuhen und Laborschutzbrille vor dem PCR-Analytik-Gerät und bediente das Display. »Sylvies Stamm ist wirklich ein kleines Arschloch.«

Sie spürte, dass er auf eine Nachfrage ihrerseits wartete, und tat ihm den Gefallen. »Wieso?«

»Seine Antibiotikaresistenz kann sehr unterschiedliche molekulare Grundlagen haben. Das können wir nur rausfinden, wenn wir eine Komplettsequenzierung durchführen.«

Sie stellte sich neben ihn und betrachtete, wie er routiniert die Probenträger bestückte. »Ich hätte nicht gedacht, dass du solche Arbeiten noch selbst machst. Immerhin bist du Geschäftsführer von YouGen.«

Er grinste. »Zirkuspferde können eben das Tanzen nicht lassen. Ich stehe ganz gern ab und zu noch selbst an der Laborbank.«

Sein Blick glitt in Richtung Tür, und Nina konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eigentlich Maren der Grund dafür war, dass er hier mitarbeitete. Von der ersten Sekunde an – also bereits auf dem Flughafen – war etwas zwischen ihrer Freundin und Ethan gewesen, ein spürbares Knistern. Nina kannte das schon. Maren taxierte Männer beim Kennenlernen meist sehr schnell, und wenn ihr einer gefiel, ließ sie ihn das auch sofort merken. Und in diesem Fall schien die Anziehung gegenseitig zu sein, jedenfalls der Art nach zu urteilen, wie Maren und Ethan ständig die Nähe des anderen suchten.

Nina nahm sich vor, ihre Freundin bei nächster Gelegenheit darauf einmal anzusprechen.