Impressionen von Schleswig-Holsteins Nordseeküste

Immer ein Hauch von Salz, Weite und Freiheit

Raue Winde, plattes Land und schier endlose Sandstrände – die Nordseeküste Schleswig-Holsteins hat viele Gesichter

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Beeindruckendes Naturschauspiel: der Kniepsand von Amrum bei Süddorf

»Ich bin wie eine Fahne von Fernen umgeben. Ich ahne die Winde, die kommen, und muss sie leben.«

Rainer Maria Rilke, deutscher Schriftsteller (1875–1926)

Wer es einmal gesehen hat, vergisst dieses Schauspiel nie wieder. Glichen die weißen Wölkchen eben noch Schäfchen, so zart und weiß, türmen sie sich Momente später zu einer dramatisch dunklen Wand auf. Sogar Farben lassen sich darin erkennen: Lila, Dunkelblau, ein Hauch von Grün oder Indigo zeigen sich in der Wolkenwand. Schnell kämpfen sich die Sonnenstrahlen hervor, beleuchten Wiesen und Bäche mit intensivem Licht. Das hat Emil Nolde hundertfach in seinen Aquarellen festgehalten, Theodor Storm wusste es mit Worten zu beschreiben. Nordseemomente mit dunklen Wolken und heller Sonne sind ein faszinierendes Himmelsspiel und seit jeher eine Inspirationsquelle für Dichter und Maler.

Die Landschaft platt wie eine Flunder, raue Winde und ein Meer, das einen Teil des Tages verschwindet. Auf den ersten Blick kann ein Urlaub an der Nordseeküste kaum konkurrieren mit Ferien an Mittelmeer oder Adria …

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St. Severin in Keitum auf der Insel Sylt (links), das blaue Band des Nord-Ostsee-Kanals bei Brunsbüttel (rechts)

Liebe auf den zweiten Blick

Viele Nordseereisende werden gefragt: Was hat sie eigentlich so Besonderes, diese kühle, herbe Landschaft im Norden Deutschlands? Möglicherweise ist es keine Landschaft für die Liebe auf den ersten Blick. Aber von Hals-über-Kopf-Entscheidungen sind die Nordlichter sowieso nicht angetan, sie nehmen sich lieber Zeit für Entscheidungen. Auch die norddeutsche Gastfreundschaft ist oftmals im ersten Moment nicht so offensichtlich. Doch wer mit den Norddeutschen ins Gespräch kommt, weiß ihren Witz, den trockenen Humor und ihre Gradlinigkeit ebenso zu schätzen wie die Herzlichkeit auf den zweiten Blick.

Und dann ist da doch diese grandiose Natur! Das von der UNESCO als Weltnaturerbe gelistete Wattenmeer ist sogar ein wahres Naturwunder. Deutlich wird das, wenn der Wattführer aus dem grauen Schlick lauter Leben herausholt: Würmer, Muscheln, Krebse – erstaunlich viele Tiere wohnen in diesem trist wirkenden Boden.

An der Nordsee sonnt man sich an den Wiesen hinter dem Deich, die gleich ins Meer übergehen. Hier ist es normal, auf den Tidenkalender zu schauen, wenn man baden will, weil der Wasserstand alle sechs Stunden von Hochwasser auf Niedrigwasser wechselt: Ebbe und Flut, der ewige Rhythmus, der an der Küste alles bestimmt mit seiner uralten Kraft. Bei Ebbe läuft der Binnenhafen in Husum leer, die Schiffe kippen aufs Trockene. Bei auflaufendem Wasser kann es sein, dass beim Strandparken in St. Peter-Ording die Reifen des Autos plötzlich in einer riesigen Pfütze stehen, wo vor einigen Stunden noch harter Sandboden war.

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»Klein-Holland« in Friedrichstadt (oben), Radfahrer bei Kampen auf der Insel Sylt (unten links), eine Kegelrobbe in der Seehundstation Friedrichskoog (unten rechts)

Neues Traumziel – gegen den Wind

St. Peter-Ording ist wohl einer der schönsten Orte an der Nordseeküste. Sand, soweit das Auge reicht, kleine Pfützen, in denen sich die Wolken spiegeln, und Autos direkt am Meer. Surfer machen sich startklar für das Spiel mit dem Wind, junge Pärchen klappen den Campingtisch aus. Eine Stimmung, wie sie in der Fernsehserie »Gegen den Wind« dargestellt wird.

Hatte St. Peter-Ording noch vor einigen Jahren den Ruf, ein etwas altmodischer Kurort für ältere Menschen zu sein, so hat der Ort wie kaum ein anderer an der Nordsee den Imagewandel geschafft – auch als neues Traumziel vieler Hamburger, die in einer guten Stunde Autofahrt dort sind.

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Buntes Wahrzeichen der Insel Helgoland: die Hummerbuden am Binnenhafen

Leuchttürme, Schafe und Kohl

Gleich in Sichtweite von St. Peter-Ording steht der rot-weiße Leuchtturm Westerhever mit seinen beiden Wärterhäusern. Der Spaziergang zu den vorgelagerten Salzwiesen gehört zu den schönsten in der Gegend. Nicht nur hier wird man begleitet von den gelassenen Schafen, die gemütlich kauend am Wegesrand stehen. Schafe sind Frieslands wichtigstes Nutztier, denn sie liefern nicht nur Fleisch und Milch, sondern pflegen zugleich die Deiche, indem sie sie festtreten und das Gras kurzhalten. So ist es auch kein Wunder, dass auf vielen Speisekarten entlang der Küste Schafspezialitäten zu finden sind. Genauso wie Kohl, schließlich ist Dithmarschen das größte Kohlanbaugebiet Europas. Ob Wirsing, Rosenkohl oder klassisch als Sauerkraut eingelegt – vor allem im Herbst und Winter hat das Gemüse hier Hochsaison.

Und das ist noch längst nicht alles, was die Nordsee an Spezialitäten zu bieten hat: Matjes aus Glücksburg und feine Krabben aus Büsum sind ebenso typisch wie frische Austern von List aus Sylt. Überhaupt: Sylt. Eine Genussinsel, nicht nur wegen der vielen Dünen und Sandstrände, sondern vor allem wegen ihrer Kulinarik. Und wegen der erstaunlichen Erfolgsgeschichte der Sansibar von der einfachen Strandhütte zum Kulttreffpunkt der Nation.

Auch Sylts Schwestern wie Amrum und Föhr können sich sehen lassen. Mit ihren Stränden, den schönen Dörfern und kulturellen Leckerbissen sind sie wahre Trauminseln.

Einzigartige Halligen und kreative Städtchen

Weltweit einmalig aber sind die Halligen. Nirgendwo sonst gibt es dieses Phänomen, dass regelmäßiges »Land unter« zum Alltag gehört. Ob auf Hooge oder Nordstrandischmoor – wer an der Nordsee ist, sollte sich mindestens einen Tag auf einer Hallig gönnen, um diese einzigartig ruhige Atmosphäre zu genießen, ganz nach dem friesischen Lebensmotto: rüm hart – klaar kiming (weites Herz – klarer Horizont).

Auch die Städte sind eigene Entdeckungen wert. Husums Hafenseite zeigt sich bunt und fröhlich. Selbst im Winter greift die Stadt in die Farbpalette, wenn das größte Krokusvorkommen Europas seine Blütenpracht öffnet. Ob das kleine Kino mit der Bedienung am Tisch oder die inhabergeführten Geschäfte, die sich erfrischend anders von den großen Ketten abheben – Husum lohnt einen Ausflug ebenso wie Friedrichstadt, das mit seinen Grachten und den schmalen, kleinen Häusern wohl einzigartig ist in Deutschland. Ein Facelifting braucht es hier nicht, denn die ganze Stadt strahlt eine Puppenhausatmosphäre wie vor 300 Jahren aus. Anders verhält es sich dagegen mit Büsum, der Krabbenstadt, der – noch – der Ruf einer überalterten Kurstadt anhaftet. Allerdings erfindet sich Büsum gerade neu, vor allem mit einem riesigen Hotelkomplex direkt am Hafen.

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Wattwandern an der Nordsee (bei Föhr), wo sich Ebbe und Flut alle 6 Std. abwechseln

Wasserwege, wie ein blaues Band

Während die meisten nördlichen Nordseeregionen Schleswig-Holsteins mit Watt und Meer locken, liegt der Charme der südlichen Nordseeküste in den Wasserwegen. Gestochen gerade zieht sich der Nord-Ostsee-Kanal wie ein blaues Band durch Dithmarschen, und an mancher Stelle scheint es, als schipperten riesige Schiffe über grüne Wiesen. Wenn sie dann noch hupen, ist sie wieder da, diese Sehnsucht nach der Ferne – nach einem Hauch von Salz, Weite und Freiheit …