Während sie in Sally Almonds Schänke auf die letzte Person warteten, überflog Matthew die auf der Tafel aufgelisteten Spezialitäten des Abends: zwei Fischgerichte, eins mit Huhn, eins mit Rind und eins mit Schweinefleisch. Das eine Fischgericht sagte ihm zu, aber er beschloss, erst seinen Rotwein zu trinken und sich die Essensauswahl noch etwas zu überlegen.
»Auf alle Anwesenden«, sagte Hudson und hob sein Glas.
Matthew hob sein Weinglas und Minx Cutter ihres. Sie tranken und lauschten dann der zwischen den Tischen mit ihrer Laute umhergehenden Musikantin, die mit einer rauchigen Altstimme Go no more a-rushing sang.
Nein, an diesem Abend würden sie sich nicht mehr hetzen. Es war die letzte Maiwoche, was jemanden dazu verleitet hatte, sich das Lied zu wünschen, dessen erste Zeile lautete: Go no more a-rushing, maids in May. Am Morgen hatte es geregnet, aber die Erde brauchte diesen Segen. In New York war alles beim Alten, was bedeutete, dass sich jederzeit alles Mögliche ereignen konnte – eine Gruppe Indianer konnte den Broad Way entlangschleichen, ein Heuwagen ein Rad verlieren und Schweine sich wild über die Wall Street jagen.
Matthew hatte sich rasiert. Er hatte sich bei Effrem einen neuen cremefarbenen Anzug mit einer dunkelbraunen Weste gekauft. Er trug neue braune Stiefel und ein neues, gestärktes weißes Hemd. Zu Ehren der Person, die ihrem Brief zufolge um halb acht zu ihnen stoßen würde, hatte er sich seine besten Sachen angezogen. Der Uhr in der Schänke nach zu urteilen sollte sie in acht Minuten eintreffen.
»Noch einen Trinkspruch?«, fragte Hudson, diesmal mit funkelndem Schalk im Blick. Er wartete, bis die Gläser sich wieder hoben. »Auf die, die von den Trauben des Unrechts genascht haben und sie sauer fanden.«
Minx trank. »Aber manchmal ergeben die sauersten Trauben den süßesten Wein«, sagte sie, als sie ihr Glas wieder hinstellte.
»Aha! Und doch kann süßer Wein vergiften, genau wie der sauerste.«
»Wohl wahr, aber was mir süß schmeckt, ist für Euch vielleicht sauer.«
»Ja, und das Gift, das Ihr wohl trinkt, kann mir durchaus schmecken.«
»Gentleman? Lady?«, sagte Matthew. »Haltet den Mund.«
Sie ließen die spitzen Worte bleiben, als erinnerten sie sich plötzlich, dass er zwischen ihnen saß. Minx rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Ihre Miene war gelassen. Sie verriet keinerlei Gefühle, aber sie war nervös, dachte Matthew. Für Lady Cutter war dies ein bedeutender Abend – der Abend, den sie sich verdient hatte, indem sie Matthew auf Pendulum Island zu Hilfe gekommen war. Es war der Abend, mit dem der Rest ihres Lebens begann.
Die Uhr tickte weiter und Matthew fiel auf, dass Minx die Bewegung der Zeiger verfolgte und trank, ohne auf einen Trinkspruch zu warten.
»Nun gut, Mr. Corbett«, hatte Lord Cornbury an jenem Morgen im April gesagt, zwei Tage, nachdem Matthew zurückgekehrt war. »Bitte sprecht.« Und so hatte Matthew begonnen zu sprechen und dem in ein grünes Kleid gehüllten Gouverneur, dem Hauptwachtmeister im lilafarbenen Anzug und dem normal gekleideten Staatsanwalt alles zu erzählen, was es zu sagen gab, vom Anfang bis zum Ende. Natürlich hatte er im Zuge dessen die Hintergründe von Mrs. Lekas Würstchen erklären müssen, woraufhin Staatsanwalt Bynes sich entschuldigen und aus der Amtsstube stürzen musste, denn anscheinend waren er und seine Gattin diesem besonderen Fleischprodukt sehr zugetan gewesen. Matthew hatte seinen Zuhörern von den falschen Mallorys erzählt, von Sirki, den in Matthews Namen explodierenden Bomben, Berrys Entführung, der Reise nach Pendulum Island, der Schießpulver-Fabrik … von allem.
Und auch allem, was er über Professor Fell wusste, und die Tatsache, dass der Professor auf einem Schiff namens Temples Rache entkommen war. Und dass vielleicht ein Brief nach London geschickt werden sollte, damit die Obrigkeit dort eine Suche nach dem Schiff beginnen konnte.
Als Matthew zu Ende geredet hatte, bat er um ein Glas Wasser – und man musste es Lillehorne lassen, er ging hinaus und kam kurz darauf mit einem Glas und einer Karaffe mit frisch geschöpftem Brunnenwasser wieder. Dann hatte Lillehorne sich zurück in seine Ecke gesetzt, und er und Lord Cornbury hatten sich eine Minute lang unbeweglich angestarrt, als wollten sie sich gegenseitig fragen, ob sie glaubten, was ihnen da soeben zu Ohren gekommen war.
»Danke, Mr. Corbett«, hatte der damenhafte Lord schließlich gesagt. Den Blick seiner grün angemalten Augen schien er fest auf die Schreibtischplatte geheftet zu lassen. »Ihr dürft jetzt gehen.«
Matthew war aufgestanden. »Ihr könntet zumindest einen Brief mit der Bitte schreiben, dass Frederick Nash überprüft wird. Und der Geldwechsler Andrew Halverston.«
»Ja. Ich nehme das zur Kenntnis, danke.«
»Ich denke, dass es von größter Dringlichkeit ist, Gentlemen.« Er benutzte das letzte Wort leichtfertig. »Irgendwo in London steht eine Speicherhalle, deren Lager noch voll mit Kymbelin sein können. Der Professor hat vielleicht noch vor, das Pulver an eine feindliche Armee zu verkaufen … oder vielleicht wird es einfach angezündet und es kommt zu einer Explosion, in der alle umliegenden Gebäude zerstört und viele Menschen …«
»Ich nehme es zur Kenntnis«, hatte Cornbury ihn unterbrochen. »Danke, dass Ihr gekommen seid und Euch die Zeit genommen habt. Ihr dürft jetzt gehen.«
Nach Unterstützung suchend hatte Matthew Lillehorne angeschaut. Der Hauptwachtmeister wiederholte es: »Ihr dürft gehen.«
Vor dem Gouverneurshaus hatte Berry im Schatten einer Eiche auf ihn gewartet, für den Fall, dass ihre Aussage gebraucht wurde. »Haben sie dir nicht geglaubt?«, fragte sie, als sie auf den Broad Way zugingen. Berry war an jenem Tag ein wahres Farbenspektakel, ein Aprilblumenstrauß aus rosa Strümpfen, violettem Kleid und rotem Band um ihren weißen Strohhut, der mit gelben Blüten verziert war.
»Doch, ich denke, geglaubt haben sie mir schon. Ich habe nur das Gefühl, dass sie überfordert sind. Sie wissen nicht, was sie mit diesen Neuigkeiten anstellen sollen.« Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Ich glaube, sie wollen sich nicht die Finger schmutzig machen.«
Berry zog die Augenbrauen zusammen. »Aber … das scheint so vollkommen unüblich für New Yorker Natur zu sein!«
»Da stimme ich dir zu. Sie haben die Tatsachen. Was sie jetzt damit machen, ist ihre Angelegenheit.« Er trat beiseite, um ein Ochsengespann vorbeizulassen, das einen mit Holz beladenen Wagen Richtung Broad Way zog. Um die Trinity Church herum herrschte viel Kutschen- und Wagenverkehr; so viel, dass bald irgendeine Form der Verkehrsregelung nötig sein würde. Gerade am Nachmittag zuvor hatte es einen Streit zwischen einem Mann mit vollen Teerfässern auf dem Wagen und einem Straßenhändler gegeben, der eine Handkarre mit Perücken schob. Bei dem Zusammenstoß stellte sich heraus, dass Teer und Perücken keine gute Mischung ergaben – und sich weder das eine noch das andere allzu leicht von der Straße entfernen ließ.
»Wohin bist du jetzt unterwegs?«, fragte Matthew.
»Ich gehe mit dir mit.«
»Ja. Aber … ich bin auf dem Weg zu Minx Cutter. Ich habe ihr ein Zimmer in Anna Hiltons Gasthaus besorgt, du weißt schon, drüben in der Garden Street.«
»Ach ja.«
»Ich behalte sie im Auge«, sagte Matthew und merkte sofort, dass er das Falsche gesagt hatte. »Ich meine, ich kümmere mich um sie.« Auch wieder falsch. »Und sehe, dass sie in der Stadt bleibt.«
»Wo sollte sie denn hingehen?«
»Das weiß ich nicht, aber ich will sicherstellen, dass sie nirgendwohin verschwindet.«
»Warum?«
»Es ist jemand unterwegs«, sagte Matthew, »der sie gern kennenlernen würde, glaube ich. Es ist sogar äußerst wichtig, unumgänglich im Grunde, dass die beiden sich kennenlernen.«
»Von wem redest du?«
Jetzt, an diesem Maiabend in Sally Almonds Schänke, stand die Uhr auf zwei Minuten vor halb acht. Matthew rückte seinen Stuhl so, dass er die Tür beobachten konnte.
»Sie wird kommen, mach dir keine Sorgen«, sagte Hudson. »Ich bestelle noch eine Flasche Wein. Sind alle damit einverstanden?«
»Ich schon«, sagte Lady Cutter in einem Ton, der andeutete, dass sie den großen Mann doppelt und dreifach unter den Tisch trinken konnte.
Als Matthew an jenem Morgen im April mit Berry den Broad Way entlanggegangen war, hatte sie eine Weile lang geschwiegen und über sein Interesse an Minx Cutter nachgedacht. Dann stellte sie die Frage, die Matthew erwartet hatte: »Magst du sie?«
»Wen?«
»Du weißt, wen. Minx Cutter. Magst du sie?«
»Ich habe nichts gegen sie.«
Berry blieb abrupt stehen und blockierte ihm in den Weg. Ihre Augen blitzten wie Messer. Sie hob ihr Kinn, trug ihren Sternenhimmel von Sommersprossen stolz im Gesicht. »Du hast deinen Spaß daran, mit mir zu spielen, stimmt’s? Mit deinen Wortspielen und … angeblichen Missverständnissen. Ich habe dir eine Frage gestellt, Matthew. Magst du Minx Cutter? Auf romantische Art?«
Er überlegte, sah zu Boden, schaute zum Himmel empor. Er betrachtete seine Hände und polierte die Knöpfe seiner Jacke mit dem Ärmel. Dann sah er in das Gesicht, das er so wunderschön fand und wusste, dass der Verstand dahinter schön war und ebenso das Herz. Und er sagte so kalt, wie es ihm an einem so warmen Tag nur möglich war: »Vielleicht. Und wenn?«
Sie sah verwundet aus. Aber lediglich ein paar Sekunden lang. Falls ihr in dieser kurzen Zeitspanne das Herz gebrochen war, dann setzte sie es genauso schnell wieder zusammen.
»Ich verstehe«, sagte sie.
Aber Matthew wusste, dass sie es nicht verstand. Matthew wusste, dass Berrys Kopf ihr von Sirkis Messer vom Körper abgetrennt und ihre Schönheit im Darm eines Kraken hätte verdaut werden können. Oder, dass sie in der Dunkelheit an einer Klippenkante ins Leere treten und zu Tode hätte stürzen können. Oder von dem Suchtrupp gefunden und … was? … in einer Kerkerzelle zusammengeschlagen und hätte vergewaltigt werden können? Er konnte es nicht ertragen, sich auch nur eine einzige dieser Möglichkeiten auszumalen, und dass manche davon fast eingetreten waren. Deshalb hatte er in der letzten Nacht entschieden, was er tun würde. Und jetzt war der Moment gekommen, in dem er die Entscheidung umsetzen konnte. Er hatte beschlossen, sich so zu benehmen, dass sie ihn hassen würde.
»Ich finde Minx Cutter … faszinierend«, sagte er. »Sie ist so ganz anders.«
»Finde ich auch. Sie trägt Männerkleidung.«
»Sie ist einzigartig «, fuhr Matthew fort. »Sie ist eine Frau und kein Mädchen.«
»Nicht gerade weiblich «, kam die Antwort.
»Äußerst weiblich«, sagte Matthew. »Und das finde ich sehr aufregend. Nach einer Weile wird einem das Gewöhnliche einfach langweilig, weißt du.« Er dachte, dass dies die Worte waren, die sie erledigen würden.
Aber Berry stand noch, und zwar immer noch an seiner Seite. »Ich denke, du wirst selbst herausfinden, dass manche gewöhnlichen Menschen, wie du sie nennst, außergewöhnlich sind. Wenn du dir die Mühe machst, näher hinzuschauen.«
»Ich führe ein aufregendes Leben«, sagte Matthew und hätte sich am liebsten selbst geschüttelt. »Warum sollte ich mich mit einem langweiligen Liebesleben zufriedengeben?«
»Warum bist du heute so abweisend? Du klingst gar nicht wie du selbst!«
»Das ist mein neues Ich«, erklärte er. Und vielleicht lag auch etwas Wahrheit darin, denn er war sich nicht sicher, dass er alle von Nathan Spades Eigenschaften abgelegt hatte.
»Dein neues Ich mag ich nicht sonderlich, Matthew«, sagte sie. »Oder besser gesagt, ich kann dein neues Ich nicht ausstehen.«
»Ich bin nun mal, wer ich bin. Wer ich immer sein werde.« Er runzelte die Stirn, hatte seine kaltherzigen Lügen satt. »Ich muss jetzt sehen, dass ich zu Minx komme. Wenn du mich entschuldigen willst? Ich gehe lieber allein, als mich mit solchen albernen Diskussionen abzugeben.«
»Ach ja?« Sie nickte. Ihre Wangen waren hochrot und die Sommersprossen sahen wie Pfeffer aus. Aber er hätte sich am liebsten seine eigenen Augen aus dem Kopf gerissen, um in ihren Augen nicht die Verletztheit sehen zu müssen, die ihm in der Seele wehtat. »Na dann, Matthew. Also gut. Ich dachte, wir wären Freunde. Ich dachte … wir wären was. Was, weiß ich nicht.«
»Ich auch nicht«, antwortete er wie der größte Sauhund der Welt.
»Ich kann einfach nicht … ich verstehe nicht … wieso …«
»Ach, hör auf mit deinem Geplapper«, sagte er.
»Ich bin dir zu Hilfe gekommen, wenn du mich gebraucht hast. Das ist alles, was ich je wollte, Matthew! Dir helfen! Siehst du das denn nicht?«
»Genau das versuche ich klarzustellen.« Er holte tief Luft, denn seine nächsten Worte waren vielleicht die, die tödlich trafen. »Ich hätte mich dir in der Nacht auf dem Schiff nicht anvertrauen sollen. Das war ein Zeichen von Schwäche, und ich bereue es. Denn Tatsache ist, dass ich dich nie gebraucht habe. Gestern nicht, heute nicht und morgen auch nicht.«
Dieses Mal sah er das kleine Sterben in ihren Augen. Es tötete vor allem ihn.
»Gut«, sagte Berry. Und dann wieder, als sich die starre Kälte in ihr schloss: »Gut. Einen schönen Tag noch.« Sie klang ein bisschen erstickt und räusperte sich schnell. Dann drehte sie sich um und ging raschen Schrittes davon. Nach sechs Schritten wandte sie sich wieder zu ihm um. Tränen strömten ihr übers Gesicht, und ihre Stimme brach, als sie sagte: »Wir sind fertig miteinander.«
Es war gut, dass sie so schnell ging. Matthew wankte wie ein Betrunkener in die andere Richtung davon, obwohl er nichts als Wasser getrunken hatte. Er ging nicht zur Garden Street. Alles war verschwommen und fühlte sich schrecklich falsch an, und sein Herz schmerzte und seine Augen taten weh, als würden sie bluten. Ein paar Schritte weiter brach ihm der rechte Absatz ab, wonach er noch viel betrunkener ging. Und wie ein Trinker blieb er unter einem Baum auf dem Friedhof der Trinity Church sitzen, umgeben von denen, die ihren Anteil des Lebens, der Liebe und des Verlusts bereits erschöpft hatten. Eine Weile lang blieb er dort sitzen und wünschte sich, dass ihm irgendein Gespenst etwas über Kraft und Stärke und den Willen weiterzumachen oder ähnlichen Mist ins Ohr flüstern würde. Aber kein Gespenst sprach. Und so wischte er sich die Augen ab, zwang sich auf die Beine und machte sich wieder auf den Weg. Irgendwo im Himmel oder in der Hölle, so dachte er, applaudierte eine Seele, deren Name Nathan gewesen war. Der jetzt schon lange tot war. So viel hatte Nathan die Liebe genützt. Bevor Matthew dieses Reich der Gespenster verließ, überfiel ihn der Drang, nach Berry zu rufen – als ob sie ihn hören könnte. Nach ihr zu rufen und ihr zu sagen, dass es ihm leidtat, dass er ein Lügner war und nichts davon so gemeint hatte, aber dass er Angst um sie hatte. Angst um sie wegen Professor Fell.
Es ging also nur um die Angst. Aber er rief nicht, denn es hätte nichts geändert und er hatte seine Entscheidung getroffen. Wir sind fertig miteinander. Vier Worte, die er mit sich nehmen würde, wenn sie ihn eines Tages in sein eigenes Bett in diesem Reich der stummen Schläfer rollen würden.
»Ja«, sagte Matthew, den Blick um sieben Uhr neunundzwanzig auf Sally Almonds Schänkentür gerichtet. »Natürlich noch eine Flasche.«
»Du trinkst in letzter Zeit ganz schön viel, fällt mir auf.« Greathouse schenkte Matthew den letzten Schluck Wein ein und hielt dem Serviermädchen die leere Flasche hin. »Woran liegt das?«
»Am Durst«, antwortete Matthew.
Ein leises metallisches Klicken kam von der Uhr, als der Minutenzeiger sich bewegte. Und im selben Moment öffnete sich die Tür und Katherine Herrald trat ein.
Wie schon im Oktober zog ihre gepflegte Gestalt Aufmerksamkeit und Bewunderung auf sich. Sie war um die fünfzig Jahre alt, hatte scharf geschnittene Gesichtszüge und stechende Augen. Sie bewegte sich elegant und mit geradem Rücken, und nichts an ihr wirkte alt oder gebrechlich. Ihre dunkelgrauen Haare unter dem modisch schief getragenen dunkelbraunen Reiterhut hatten ausgeprägte Geheimratsecken und waren an den Schläfen weißmeliert. Sie trug ein mit Lederknöpfen verziertes dunkelbraunes Kleid, das an der Taille mit einem breiten Ledergürtel eng zusammengezogen war. Um ihren Hals war ein Schal fast der gleichen Farbe wie die Indianerblutglasur von Stokelys Keramikgeschirr geschlungen. Sie hatte braune Lederhandschuhe an.
Mrs. Herrald kam quer durch die Schänke direkt auf ihren Tisch zu, wo Matthew und Hudson bereits aufgestanden waren, um sie zu begrüßen. Sie war ihre Dienstherrin – ihr ermordeter Ehemann hatte die Herrald-Vertretung gegründet und war auf Auftrag von Professor Fell von Tyranthus Slaughter umgebracht worden. Im Oktober hatte sie Matthew gesagt, dass sie sich auf den Weg nach England machte und im Mai zurück sein würde. Und hier war sie nun. Vom Dock House Inn hatte sie ihnen am Vortag ihre Ankunft in New York per Brief mitgeteilt. Matthew hatte zurückgeschrieben: Ich habe hier eine Person, deren Bekanntschaft Ihr machen müsst. Ihr Name ist Minx Cutter und sie hat für Professor Fell gearbeitet.
»Zum Gruße, Miss Cutter«, sagte Mrs. Herrald und hielt ihr die Hand hin. Minx schüttelte sie. »Ich möchte gern mehr über Euch hören. Und auch über das, was Ihr erlebt habt, Matthew. Euer Brief hat mit Einzelheiten gegeizt. Wenn ich ein Glas Wein getrunken und mich entschieden habe, was ich essen möchte, will ich alles erfahren.« Sie setzte sich ihm gegenüber, um sein Gesicht besser lesen zu können.
Matthew nickte. Er dachte, dass Mrs. Herrald in ungefähr zwei Stunden, nachdem er seine und Minx ihre Geschichte erzählt hatten, ihre Augen auf die Messerprinzessin richten und sagen würde: »Ihr scheint auf Eurem Weg durchs Leben ein paar falsche Schritte gemacht zu haben, Miss Cutter. Und doch seid Ihr nun hier, auf dem rechten Weg. Es beweist großen Mut, dass Ihr hier am Tisch sitzt, obwohl Ihr wusstet, dass ich komme, und auch wisst, was mich mit dem Professor verbindet. An Mut, so habe ich das Gefühl, mangelt es Euch nie. Ich muss Euch fragen: Interessiert Euch der Vorgang des Entdeckens ? Denn falls ja – und falls Ihr Interesse daran habt, Euren momentanen Weg fortzusetzen und vielleicht einiges wieder gutzumachen –, dann sollten wir beide uns noch ein bisschen länger unterhalten.«
Aber zuerst bestellten sie sich Essen. Sally Almond persönlich nahm ihre Wünsche entgegen.
In der Zwischenzeit hatte Matthew nachgedacht. Besonders über Raubtiere. Über das Meer des Lebens und die Kreaturen, die darin ihr Unwesen trieben. Über die gefährlichen Strömungen, in die sein Beruf – inzwischen seine Berufung – ihn führte. Zur Wahl stand wirklich nur entweder zu schwimmen oder zu versinken. Sein Herz schmerzte immer noch unerträglich wegen Berry. Trotzdem meinte er, sie verlassen zu müssen, um sie zu beschützen, um weiterzukommen, um sich auf seine nächste Konfrontation mit Professor Fell vorzubereiten. Denn die würde es geben, und wahrscheinlich eher, als er sich dachte.
Doch zuvor musste er den neuesten Brief eines gewissen Mr. Sedgeworth Prisskitt aus Charles Town beantworten, der einen Begleiter für seine Tochter Pandora zum alljährlichen Damoklesschwert-Ball Ende Juni in Charles Town suchte. Er wunderte sich, dass ein Vater jemanden bezahlen musste, um seine Tochter zu begleiten. War sie so hässlich? Er fragte sich auch, was sich auf einer solchen Reise ereignen mochte, denn mit dem Namen Pandora … gab es doch sicherlich irgendwo eine Büchse, aus der … etwas entfleuchte, sobald sie geöffnet war?
Das würde man dann sehen.
Aber ihm gingen immer noch Raubfische im Kopf herum; schreckliche, bösartige Silhouetten, die durch die Dunkelheit glitten und vielleicht schon ihre Kreise um ihn zogen.
Er war ausgehungert. Diese Art von Gedanken würden bis nach dem Essen und Wein warten müssen.
Matthew sah sich die Tafel mit der Speisekarte eine Weile an und sagte Sally dann, was er essen wollte.
Sie antwortete, dass der Fisch fangfrisch und sehr schmackhaft war, und dass sie ihm den gebratenen Hai gleich bringen würde.
– E N D E –
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