Drei Wochen darauf verlor Vanessa ihr Baby. Dr. Carr hatte sie Freitag abend ins Krankenhaus geschickt, und am Sonntag nachmittag hatte sie eine Totgeburt. Acht Tage später wurde sie aus der Klinik entlassen. Angus brachte sie im Taxi heim, und sowie Vanessa das Haus betreten hatte, merkte sie auch schon, daß etwas anders war. Besonders in ihrem Zimmer. Es hingen neue Vorhänge an den Fenstern, die Möbel waren aufpoliert worden, und ein kirschfarbener Spannteppich bedeckte den Fußboden. Die Wände waren mit einer ungemusterten hellgrauen Tapete bekleidet, und die alten Bilder waren verschwunden. Noch immer stand an jeder Wand ein Einzelbett, doch leuchteten ihr nun zitronenfarbene, freundlich wirkende Bezüge entgegen. Vanessa blieb in der Türe stehen, sah Angus an, lächelte schwach und sagte: »Wie hübsch! Danke.«
Er hätte gewünscht, daß sie ihm nicht immer dankte, jedenfalls nicht auf diese höfliche, unpersönliche Art. Er sagte: »Rosie hat die Farben ausgesucht. Ich bin in so was nicht sehr geschickt und meine Mutter schon gar nicht.« Damit drehte er sich zu der in der Küchentür stehenden Schwester um, und Vanessa rief auch ihr ein Danke zu, ruhig, höflich und verbindlich, wie es gut zu einer älteren Frau gepaßt hätte. Von seiten eines jungen Mädchens klang es allerdings merkwürdig.
Rosie nickte und lächelte verlegen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ihr die Schwägerin jemals richtig ans Herz wachsen würde. Im Grunde mochte man jemanden, mit dem man es nicht aufnehmen konnte, ja nie. Aber sie verabscheute ihren Anblick jetzt zumindest nicht mehr. Das war schon etwas. Sie kam einen Schritt näher und sagte: »Ich dachte mir, daß Kirschrot und Grau gut zusammenpassen würden.«
»Tut es auch. Es sieht reizend aus.« Vanessa trat nun vollends ein und ging auf den für zwei Personen gedeckten Tisch zu. Es standen zwei Tassen, ein Milchkrug und eine Zuckerdose darauf; alles paßte zusammen, was vorher nie der Fall gewesen war. Dann gab es einen Teller mit Butterbroten und eine Keksdose. Vanessa betrachtete es sich ruhig, dann wandte sie sich zu Emily um. Die sagte: »Ich dachte, ihr würdet gern hier herinnen essen.«
»Nein, Emily.« Entschieden schüttelte Vanessa den Kopf, was die anderen zum Schweigen veranlaßte, bis Angus sagte: »Es ist schon in Ordnung so, mach dir kein Kopfzerbrechen. Wir werden hier essen.«
»Nein, Angus, bitte nicht.« Sie sah ihm einen Moment lang in die Augen; dann drehte sie sich zu Emily um und sagte abermals: »Nein! Wir essen gemeinsam. Genau wie früher.«
»Schön, wie du willst«, meinte Angus mit der für ihn so charakteristischen ruckartigen Kopfbewegung, als würde er nur höchst widerstrebend auf ein ganz außergewöhnliches Ansinnen eingehen. Aber die drei Frauen erkannten ‒ jede auf ihre Art ‒, daß er über diese Entscheidung ebenso erfreut wie erleichtert war.
Ihr Leben verlief nun anders. Es herrschte eine bedeutend bessere, ja oft sogar fröhliche Stimmung im Haus. Aber während Angus vorher das Empfinden gehabt hatte, daß diese Heirat eine feststehende Tatsache für alle Zeiten sei, fühlte er sich nun keineswegs mehr so sicher in dieser Beziehung. Denn als die Tage verstrichen und Vanessa wieder völlig genas, hatte er das Gefühl, sie könnte jeden Tag aus seinem Leben verschwinden. Es gab nichts, womit er sie hätte festhalten können. Sie war inzwischen unabhängig von ihm. Es war nun nicht mehr nötig, für sie und ihr Kind zu sorgen. Vanessa konnte, frei wie sie nun war, überall hingehen und sich jede nur erwünschte Stelle suchen. Sie sah wunderbar aus, hatte die reinste Mannequinfigur, war noch keine achtzehn Jahre alt und wußte überhaupt noch nicht, was das Leben bedeutete: sie hatte noch gar nicht zu leben angefangen. Jeden Abend eilte er krank vor Sorge heim, sie könne am Ende nicht mehr da sein. Er fühlte, daß es für all dies nur eine einzige Lösung gab: Er mußte sie in die gleiche Lage bringen, aus der sie eben erst befreit worden war. Dann würde alles wieder sein wie vorher.
»Gehen Sie vorsichtig mit ihr um«, hatte Dr. Carr ihn ermahnt. »Sie ist von anderer Wesensart wie Sie. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, ob es Ihnen nun paßt oder nicht.« Er hatte sich kein Blatt vor den Mund genommen, dieser Dr. Carr. »Ihre Mutter hat sich ihr gegenüber höllisch schlecht benommen, um keinen ärgeren Ausdruck zu gebrauchen«, hatte er gepoltert. »Ich habe in eurem Bezirk an die dreihundert Patienten, vier davon allein in eurer Straße, eine nebenan sogar. Man kann den Leuten nicht das Reden verbieten, ich kenne sie, weiß Gott. Drum gebe ich Ihnen ja den Rat: Gehen Sie behutsam mit ihr um. Es wird sich letzten Endes bezahlt machen.«
Nun, er war zwei Monate lang vorsichtig und behutsam mit ihr umgegangen; dabei platzte er beinahe. Es gab keine May mehr, zu der er hätte gehen können, um sein Verlangen zu stillen, und von der Straße hatte er sich nie eine aufgelesen, das war nicht seine Art. Dazu hatte er viel zuviel Angst, sich dabei vielleicht etwas zu holen. Folglich überlegte er unentwegt, wie er sie wohl verführen könnte. Er heckte Plan um Plan. Am besten würde wohl sein, wenn sie am Samstagabend fein ausgingen, in irgendein fabelhaftes Restaurant. Und nach einem besonders guten Abendessen und einer Flasche Wein würde sie dann später schon… Nun ja, das würde an ihm liegen.
So wie er es in den vergangenen zwei Monaten Woche für Woche getan hatte, sprach Angus auch diesmal im Wohnungsvermittlungsbüro vor, ob man nichts ihren Wünschen halbwegs Entsprechendes für sie gefunden hätte. Diesmal begrüßte ihn Reg Walker, der zufällig früher einmal gleichfalls in der Ryder’s Row gewohnt hatte, mit den Worten: »Nein, weit und breit keine passende Wohnung, mein Lieber. Aber ich wüßte gern, ob Sie nicht an einem Haus oder Bungalow interessiert wären.«
»Das liegt noch in ferner Zukunft«, sagte Angus. »Vor einem Haus oder einem Bungalow brauche ich erst mal ein paar Lieferwagen.«
»Schade«, zuckte Reg Walker die Schultern. »Gestern wurde uns nämlich ein Bungalow angeboten, ein richtiger Gelegenheitskauf. An der Peripherie, den meisten Leuten etwas zu weit abgelegen. Ein altes Ehepaar hat dort gewohnt. Nachdem die beiden Leutchen kurz nacheinander gestorben sind und der einzige Sohn in Australien lebt, hat er die Sache telegrafisch zum Verkauf freigegeben. Erinnern Sie sich zu fällig an Arthur Ridley? Er und seine Frau hatten die kleine Eisenwarenhandlung Ecke Wolf Lane.«
»Ja.« Angus nickte. »Ich erinnere mich an sie.«
»Nun, das waren seine Eltern. Arthur Ridley hat mir aus Australien geschrieben, daß ich den Bungalow samt Einrichtung verkaufen soll. Außer der Versicherungssumme, die gerade fürs Begräbnis reichte, ist das alles, was er geerbt hat. Und da er einmal sehr schlechte Erfahrungen mit einem Anwalt gemacht hat, will er nie mehr mit derlei Leuten zu tun haben. So habe ich also die Sache gekriegt.«
»Hm.« Angus überlegte. »Und was kostet es?«
»Nun, man muß es innen und außen gründlich überholen lassen, und auch der Garten ist völlig verwildert. Wenn alles hergerichtet wäre, würde es glatt viertausend einbringen, und das wäre noch billig.«
»O Gott.« Angus schüttelte den Kopf und lachte nur. »Ich will offen sein, Angus.« Reg Walker beugte sich eifrig vor. Ich habe Arthur Ridley einen Preis von zweitausendfünfhundert vorgeschlagen, und er war einverstanden. Also, um den Betrag ist es zu haben. Glauben Sie mir, das ist heutzutage eine ausgesprochen günstige Gelegenheit. Es gehören nämlich noch drei Viertel Morgen Grund dazu, und Sie wissen ja selbst, was der Boden zur Zeit wert ist.«
Abermals machte Angus nachdenklich: »Hm!«, nur schüttelte er jetzt weder den Kopf noch lachte er mehr. Die letzten Wochen hatten sich nicht schlecht angelassen; Fred und er hatten pro Kopf in den vergangenen Wochen sogar siebzig Pfund beiseite legen können. Natürlich mußte man an die Steuer denken. Aber es gab schließlich Samstagsfuhren und Sonntagsextras, letzteres sogar dreimal im Monat, wenn er wollte. Da saß das Geld immer locker. Das letztemal hatte es ihnen achtzig Pfund eingebracht. Die Dinge begannen sich gut zu entwickeln, nur konnte er keine großen Sachen übernehmen, ehe er nicht mehr Wagen hatte; die brauchte er weit dringender als ein Haus. Trotzdem fragte er: »Haben Sie schon eine Annonce aufgegeben?«
»Mhm. Morgen steht es in der Zeitung.«
Angus biß sich auf die Lippen. »Wann könnte ich es mir denn ansehen?«
»Warm Sie wollen. Ich fahre Sie von mir aus auch sofort hinaus.«
»Wenn man etwas tun will, soll man’s am besten gleich tun«, sagte Angus.
Und so fuhren sie los, um sich den Bungalow anzusehen, und Angus teilte sofort Regs Ansicht, daß es sich um einen günstigen, ja sogar äußerst günstigen Kauf handeln würde. Der Bungalow bestand aus sechs Räumen, mit Badezimmer und Garage, man hatte einen herrlichen Blick auf den Fluß und ein gutes Stück Land obendrein dazu. Angus stand auf der Straße und blickte über den verwachsenen Garten auf das Dach des Gebäudes. Das gab den Ausschlag. Wenn es auch gleichbedeutend mit einem Lebewohl für seine Lastwagen war, wenigstens für einige Zeit, denn seine Mutter würde er auf alle Fälle weiter unterstützen müssen. Dabei bedeutete es garantiert erst den Anfang, den Bungalow zu kaufen. Steuern müßten beglichen werden und auch ansonsten würden eine Menge Kosten entstehen. Von der Einrichtung gar nicht zu reden, denn die jetzige war mehr als bescheiden. Angus netzte sich die Lippen und sagte zu Reg Walker: »Können Sie mir bis fünf Uhr Überlegungsfrist einräumen?«
»Geht klar«, sagte Reg. »Ich werde es bis dahin keinem Menschen gegenüber erwähnen. Aber um fünf müssen Sie sich entschieden haben. Länger kann ich es nicht hinausschieben, sonst kommt es nicht mehr rechtzeitig in die Zeitung. Und wenn es dort erst mal drinsteht, ist es weg, das garantiere ich Ihnen.«
»Sie haben mein Wort darauf«, sagte Angus.
Er kam erst nach halb sieben heim. Emily wartete bereits mit dem Essen. »Du bist aber spät dran«, murrte sie. »Ich dachte schon, ihr seid euch unterwegs begegnet.«
Sofort sah Angus zur Zimmertür. »Ist Van denn nicht daheim?«
»Nein. Sie ist am frühen Nachmittag aufgebrochen und wollte ein paar Besorgungen machen oder dergleichen.«
Als er langsam auf sein Zimmer zuging, rief sie ihm nach: »Zieh dir erst die Stiefel aus. Denk an den schönen Teppich. Ich hab’s dir schon hundertmal gesagt.« Er hielt inne, dann setzte er sich vor den Kamin, zog die schweren Stiefel aus und schlüpfte in die Hausschuhe.
»Und wasch dich anschließend… Oder willst du noch ins Bad?«
»Nein… Sie ist um die Zeit doch noch nie ausgewesen.«
»Vielleicht ist sie nach Newcastle gefahren.« Emily machte sich am Herd zu schaffen.
»Was will sie denn dort? Gibt’s hier etwa nicht genügend Geschäfte? Weißt du, was sie vorhatte?«
Emily zog die Pastete aus dem Bratrohr und schnupperte befriedigt. Sie hatte die schönste Kruste, die man sich nur denken konnte, richtig goldbraun. Sie sagte: »Zerbrich dir doch nicht gleich weiß Gott wie den Kopf, wenn sie mal fünf Minuten fortgeht …«
»Es handelt sich nicht um fünf Minuten. Schließlich ist sie bereits nachmittags aus dem Haus gegangen.«
»Na und? Du bist ja heute auch nicht gerade zeitig dran. Im Gegenteil: Eine gute Stunde später als sonst. Wo warst du denn solange?«
Er stand auf, ging in die Spülküche, zog das Hemd aus und fing an, sich zu waschen, ehe er rief: »Ich war mir einen Bungalow ansehen.«
Sie stand in der Tür und musterte ihn verdutzt. »Einen Bungalow?« sagte sie lauter als sonst.
»Genau. Reg Walker hat da eine günstige Sache an der Hand, die hat er mir angeboten. Bis fünf Uhr wollte er Bescheid haben.«
»Wieviel kostete?«
»Zweitausendfünfhundert.«
»Du meine Güte!«
»Es ist viertausend wert, sogar in dem jetzigen Zustand. Man muß es natürlich herrichten lassen.«
»Das wird auch noch eine Stange Geld kosten. Was soll dann aus den Wagen werden, die du haben wolltest.«
»Die müssen eben warten. Eins nach dem andern.«
Er griff nach dem Handtuch, hielt einen Moment inne, drehte sich dann um und meinte: »Du brauchst dich nicht zu sorgen, Mam. Ich werde für alles aufkommen, was du haben willst.«
»Jetzt hör mir mal gut zu«, sagte sie in dem gleichen aggressiven Ton wie früher. »Kümmere dich gefälligst um deine eigenen Angelegenheiten. Ich kann für mich selbst sorgen. Außerdem: Wozu gibt’s eine Arbeitslosenunterstützung? Ich seh’ nicht ein, warum ich die nicht auch einmal kriegen soll. Jeder in unserer Straße hat sie schon mal bezogen. Du sorg für dich und sie. Jedenfalls, wenn Stan und Rosie heiraten, und das müssen sie schließlich einmal, werden sie hier wohnen. Also laß dir meinetwegen keine grauen Haare wachsen und dich nur ja von nichts abhalten.«
Er nickte ihr nur zu.
Ein paar Minuten darauf war er wieder in der Küche und sagte: »Stell das Essen noch auf ein paar Minuten ins Rohr, bis ich mich umgezogen habe. Bis dahin wird sie wahrscheinlich auch wieder daheim sein.«
In seinem Zimmer brannte das Feuer hell im Kamin; es war behaglich und sah nun bedeutend besser aus als je zuvor. Insgeheim war er über all die Veränderungen entzückt, aber Van mußte es immer noch winzig Vorkommen. Wie ein Käfig…
Wo sie nur stecken mochte. War sie auf und davon? Er knabberte nervös an seinen Nägeln. Das wäre so was, wahrhaftig! Er kaufte einen Bungalow für sie, und sie machte sich aus dem Staube. Alles am gleichen Tag. Was würde er ohne sie anfangen? Wie könnte er ohne sie weiterleben? Wie war alles gelaufen, bevor er sie hatte? Und doch, er würde sie niemals in diesem Sinn »haben«. Wochenlang hatte er in diesem Zimmer mit ihr gelebt, ohne sie zu besitzen. All dies gehörte zu seinem Plan für Samstag abend. Er war hirnverbrannt, völlig verrückt. Zum Teufel mit all der Behutsamkeit und Dr. Carrs guten Ratschlägen! Er hätte sich sein Recht bereits vor Wochen verschaffen sollen, das hätte die Sache geregelt. Dann wäre sie im Moment höchstwahrscheinlich schwanger, wie sich’s gehörte. Herrje, es war genauso, wie seine Mutter gesagt hatte: Er war ein Waschlappen, ein verdammter Narr. Die letzten paar Wochen hatte er sich die Seele aus dem Leib gearbeitet, um das Geld für die Lastwagen zusammenzubekommen. Und was hatte er nun getan? Reg Walker fünfzig Pfund Vorschuß hingeblättert und ihm für morgen weitere zweihundertfünf zig versprochen. Das verschlang sein gesamtes Kapital und würde ihn um ein, zwei Jahre zurückwerfen; vielleicht kam er sogar nie mehr auf die Beine. Nun, es geschah ihm nur recht… Und würden sie sich ringsum nicht krummlachen über ihn, wenn es herauskam, daß sie ihn mir nichts, dir nichts verlassen hatte? Darauf hatten sie doch nur gewartet. Wahrscheinlich sogar Wetten abgeschlossen, sicher sogar ‒ er kannte sie doch.
Angus ließ den Kopf sinken und stöhnte unterdrückt auf, so elend fühlte er sich.
Plötzlich hörte er seine Mutter draußen sagen: »Hallo! Wir dachten schon, du seist verlorengegangen.« Mit einem Satz war er an seinem Tisch, und als sie die Tür aufmachte, leerte er scheinbar seelenruhig seine Hosentaschen aus, Banknoten und Kleingeld.
»Hallo«, begrüßte er sie lächelnd. »Du siehst aber erfroren aus. Wo bist du nur gewesen?« Er lächelte noch immer, als er auf sie zuging.
»Ich bin nach Newcastle gefahren.«
»Oh. Mam hat sich so was gedacht.«
Sie legte Hut und Mantel ab. »Es ist bitterkalt«, sagte sie. »Wirklich. Wie schön, daß ein Feuer im Kamin ist.« Sie beugte sich vor, hielt die Hände über die Flammen und sprach über die Schulter zurück: »Du bist heute auch spät heimgekommen, nicht?«
»Mhm. Hatte noch geschäftlich zu tun. Eine kleine Fuhre… Was wolltest du denn in der Stadt? Besorgungen machen?«
Sie drehte sich um, zuckte die Achseln, zupfte ihr malvenfarbenes Wollkleid über dem nun flachen Bauch zurecht und antwortete dann: »Ich hab’ mich nach Arbeit umgesehen.«
Als er kein Wort darauf erwiderte, meinte sie: »Sei jetzt bitte nicht ärgerlich.«
»Ärgerlich? Ich? Ich bin keineswegs verärgert. Worum handelt es sich denn?«
»Um eine Stelle als Verkäuferin bei Daintree.«
»So? Nun, das ist ein ausgesprochen feiner Laden.«
»O ja.« Sie nickte eifrig. »Wirklich nett. Du hast doch nichts dagegen?«
Wenn er seiner Sache nicht so sicher gewesen wäre im Hinblick auf das, was er bezüglich des Bungalows ‒ vor allem aber bezüglich Samstag abend ‒ vorhatte, hätte er nun garantiert erwidert: Ob ich was dagegen habe? Das will ich meinen, sehr viel sogar! Wenn du mit deiner Freizeit nichts anzufangen weißt, dann werde ich schon dafür sorgen, daß du nicht zum Verschnaufen kommst, wart’s nur ab! Statt dessen sagte er nur: »Ich habe eine Art Überraschung für dich, Van.«
»Ja?« Sie wartete ab.
»Wie würde dir ein Bungalow gefallen, hm?«
»Ein Bungalow!« Sie strahlte ihn an.
»Tja, ich habe einen gekauft.«
Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Du hast einen Bungalow gekauft? Was für… was für einen denn?« Sie sagte natürlich nicht: Du kaufst einfach einen Bungalow, ohne daß ich ihn mir vorher ansehen hätte können? Vielleicht gefällt er mir gar nicht…
»Einen großen. Mit sechs Räumen und allem Drum und Dran. Es blieb keine Zeit, dich rechtzeitig zu verständigen. Ich mußte mich bis vorhin fünf Uhr entscheiden. Es ist ein wirklicher Gelegenheitskauf, weißt du. Ich fahre dich morgen früh hinaus, damit du ihn dir ansehen kannst.«
Sie blickte ihn gespannt und mit heiterer Miene an.
»Er liegt ein bißchen außerhalb. In der Gegend der Collier Road, auf dem Hügel droben. Man hat von dort einen herrlichen Blick auf den Fluß.«
Der Fluß. Sofort schnürte sich ihr die Kehle zusammen, und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht, als sie sagte: »Das klingt ja wunderbar. Ist er sehr teuer?«
»Nein ‒ zweitausendfünfhundert. Dabei ist er viertausend wert, sogar im momentanen Zustand. Wenn erst alles hergerichtet ist, kann man gut und gern zweitausend drauf schlagen.«
Van blickte zur Tür und sagte leise: »Aber deine Mutter …«
»Sie weiß es schon. Und sie ist froh darüber.«
»Wollt Ihr beiden denn alles kalt werden lassen?« erklang im selben Moment Emilys Stimme aus der Küche. Die beiden schnitten Gesichter, dann lachten sie leise, und Angus schob seine Frau zur Tür, wobei er sagte: »Ich komme sofort.«
Als Vanessa durch den Flur ging, kam Rosie die Treppe herunter. Sie fragte sie sofort leise: »Hast du die Stelle bekommen?«
Vanessa nickte.
»Was zahlt man dir?«
»Sechseinhalb Pfund.«
Rosie zuckte die Achseln und meinte: »Viel ist das gerade nicht. Schließlich kommt noch das Fahrgeld dazu.«
»Das ist nur für den Anfang, weil ich so eine Art Einarbeitung brauche. Später dann wollen sie mich am Umsatz beteiligen. So nach zwei Monaten ungefähr.«
»Und was meint er?«
»Oh, er hat nichts dagegen.«
Rosie staunte. »Wenn das keine Überraschung ist!«
»Was ist eine Überraschung?« fragte Angus, aus der Tür tretend, wobei er sich das Hemd fertig zuknöpfte. Rosie erwiderte schnippisch: »Geht dich nichts an.«
»Weiß sie es schon?« fragte Angus, als sie in die Küche kamen, und blickte von seiner Mutter zu Vanessa. Vanessa schüttelte den Kopf und seine Mutter sagte: »Nein, es war noch keine Gelegenheit dazu, sie ist ja gerade erst heruntergekommen.« Also wandte er sich an Rosie und berichtete: »Ich habe einen Bungalow gekauft.«
»Einen Bungalow? Hast du einen Haupttreffer in der Lotterie gemacht? Einen Bungalow! Wann denn?«
Als sie am Tisch Platz genommen hatten, erklärte er seiner Schwester kurz, wie alles gekommen war. Prompt sprach Rosie genau das aus, was alle insgeheim dachten: »Das heißt mit einem Wort, daß du die Lastwagen jetzt nicht anschaffen kannst, zumindest eine Zeitlang. Reparaturen kosten eine Unmenge Geld, und dann werdet ihr Möbel brauchen und so weiter. Gut, daß du die Stelle heute bekommen hast.« Sie nickte Vanessa zu, und diese antwortete: »Ja, wirklich.« Sie selbst hatte völlig die Lastwagen vergessen, obwohl sie sich in den letzten Wochen unentwegt in Gedanken damit beschäftigt hatte. Die Stelle, die sie heute angenommen hatte, stand im Grunde im engsten Zusammenhang mit diesem Problem.
Nachdem sie die Mahlzeit beendet hatten, sagte Angus, der plötzlich dazu entschlossen war, seine persönlichen Angelegenheiten ein bißchen in den Vordergrund zu schieben: »Wie wär’s, wenn wir heute alle in den Klub feiern gingen? Freitagabend lohnt es sich schließlich immer.«
Weder Emily noch Rosie erwiderten etwas darauf, aber nach einer winzigen Pause meinte Vanessa: »Fein. Das ist eine gute Idee.«
»Ach, mir ist heute gar nicht danach zumute.« Emily lehnte sich zurück. »Meine Füße bringen mich noch um.«
Dabei hätte es Emily wahrhaftig nicht allzusehr belastet, in den Klub zu gehen. Ja, sie wäre heute Abend sogar besonders gern hingegangen, um sich zu zerstreuen. Das war genau das, was sie derzeit brauchte: Gutaufgelegte Menschen, die sich die Kehle aus dem Leib schrien. Aber als sie das letztemal gemeinsam in den Klub gegangen waren, hatte es sich nicht gerade als großer Erfolg herausgestellt. Es war sozusagen Vanessas Einführung in ihre Art von Unterhaltung gewesen; die Kleine hatte auch die ganze Zeit über brav gelächelt und sich den Anschein gegeben, als ob ihr das Ganze Freude mache. Aber Emily, die sie von Kindesbeinen an kannte, wußte genau, daß sie nur so tat und ihre wahren Gefühle verbarg. Emily bemerkte sehr wohl, daß Vanessa ihre Meinung, was lautstarke Gesellschaft, Gesang und Gelächter anlangte, niemals teilen konnte.
Rosie legte ebensowenig wie ihre Mutter Wert darauf, von Vanessa in den Klub begleitet zu werden. Deshalb schlug sie einfach vor: »Führ Van doch einmal richtig groß aus ‒ zu Donovan. Das wäre die richtige Gelegenheit, um ihren neuen Job gebührend zu feiern.«
Donovan! Angus stieß das Kinn angriffslustig in die Höhe und wiederholte: »Donovan. Tja.« Er sah Vanessa an. »Möchtest du zu Donovan gehen, hm?«
»Ich war noch nie dort. Ich weiß gar nicht, wie das ist.« Sofort erklärte Rosie eifrig: »Donovan ist einfach prima. Dort gehen Samstagabend immer die Rugbyspieler hin. Angus ist früher auch hingegangen, was?«
»Nun ja«, sagte Angus und schüttelte leicht verlegen den Kopf. »Ich war ein paarmal dort. Aber« ‒ sein Blick streifte Vanessa ‒ »Samstagabend würde ich dich nicht dorthin führen.« Dann beugte er sich zu ihr und sagte in scherzendem Ton: »Aber heute ist schließlich Freitag. Der ist ideal für Donovan.«
»Muß man… muß man ein Abendkleid anziehen oder …?«
»Nichts dergleichen«, antwortete er.
»Zieh das Blaue an, das Angus dir zu Weihnachten gekauft hat«, schlug Rosie vor. »Es ist hübsch und warm, und die Farbe steht dir besonders gut. Du siehst einfach umwerfend darin aus.«
Vanessa lächelte Rosie zu: Wenn sie nur von allem Anfang so zu mir gewesen wären, schoß es ihr durch den Kopf.
Sie schämte sich noch immer, daß sie versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Sie hatte das Gefühl, daß ihre Handlungsweise das Eingeständnis dafür gewesen war, daß sie Schiffbruch erlitten hatte. Sie war genau wie Brett. Brett hatte ihr ein Kind angehängt, und dann hatte er sich aus der Affäre gezogen. Weil er die Konsequenzen nicht ertragen konnte. Sie waren einander würdig: Nett, aber schwach. Seine Schwäche hatte das Kind zum Leben erweckt, und ihre Schwäche hatte es getötet. Gleichgültig, was Dr. Carr auch Gegenteiliges sagen mochte ‒ sie würde immer das Gefühl haben, daß das Kind wegen ihres Selbstmordversuchs sterben hatte müssen. Es war zu Tode geschockt worden, als es eben zum Leben erwachen wollte…
»Du bist doch dafür, nicht?« Angus brachte sie mit dieser Frage wieder in die Gegenwart zurück, und sie antwortete eifrig: »Ja, ja, natürlich, ich würde riesig gern gehen. Das heißt, wenn wir nicht zu spät dran sind. Ich muß mich erst anziehen, und es ist bereits sieben vorbei.«
»Oh, in solchen Lokalen ist vor neun, zehn Uhr ohnehin nichts los.«
»Nun, dann sitz hier nicht herum«, sagte Emily mit Nachdruck. »Und hör auf, dich vollzustopfen«, fügte sie hinzu und nahm Angus den Teller fort. »Wozu gebt ihr sonst das schöne Geld für ein großartiges Abendessen aus!«
Eine halbe Stunde danach waren die beiden angezogen, und als sie zum Ausgehen bereit in der Küchentür auftauchten, dachte Emily: So verschieden sie auch sein mögen ‒ wenn sie herausgeputzt sind, ist so gut wie nichts davon zu bemerken. Sie blickte voll Stolz auf Angus: Er trug nichts von dem grellen Zeug, das in dieser Gegend sonst bevorzugt wurde. Er hätte ebensogut aus Brampton Hill stammen können. Von Kleidung verstand er etwas, ihr Angus. Und wie man sich zu benehmen hatte. Auch früher war er schon hie und da zu Donovan gegangen und hatte sich mit spielender Leichtigkeit unter die Stammgäste gemischt. Oh, sie befürchtete nicht im geringsten, daß er sich in dem feinen Restaurant nicht so gebührend benehmen könnte.
»Tschüs«, sagte Vanessa und sah von Emily zu Rosie. Und die beiden sagten gleichfalls forsch und munter: »Tschüs, ihr zwei. Unterhaltet euch gut.«
»Bleib nicht auf, bis wir kommen, Mam«, mahnte Angus in der Tür, und Emily erwiderte lautstark: »Aufbleiben? Deinetwegen etwa? Mach dich nicht lächerlich. Verschwindet gefälligst.«
Als sie an der Haltestelle standen und auf den Bus warteten, sah Angus Vanessa an und sagte: »Etwas fehlt.«
»Was denn?«
»Ein Wagen. Zu Donovan fährt man nicht mit dem Bus. Dort ist alles voller Autos.«
»Wir könnten ja eine Haltestelle vorher aussteigen und so tun, als hätten wir unseren Wagen am Straßenende geparkt.«
Sanft stieß er sie in die Seite und sagte anerkennend: »Du verstehst’s.« Er war so glücklich wie noch nie zuvor. Im Bus fragte ihn Van direkt aufgeregt: »Kann man dort tanzen?«
»Tja, eine kleine Tanzfläche gibt es schon, aber…« Er sah sie von der Seite an. »Du kannst tanzen? Komisch, das hab’ ich dich noch nie gefragt, ob du tanzt.«
»Ich habe sogar Tanzunterricht genommen«, sagte sie und zog die Brauen hoch.
»Aber ausgegangen bist du noch nicht. Ich meine, tanzen.« Er fühlte sich vortrefflich. Da konnte er ihr endlich etwas beibringen, denn er war ein sehr guter Tänzer und trotz seiner breiten Statur flink und behende.
»Ein einziges Mal«, sagte sie.
»Tatsächlich?« fragte er in gutmütigem Spott. Dann fügte er hinzu: »Das eine sag’ ich dir: Wenn du mir auf die Zehen trittst, schrei ich wie am Spieß.«
Als sie lachend auf seine riesigen Füße niedersah, durchströmte ein niegekanntes Glücksgefühl seinen ganzen Körper; am liebsten hätte er sie gepackt und fest an sich gepreßt. Ohne ihr etwas zu tun. Nur an sich drücken, Wie Onkel Dick es mit Tante Arm zu tun pflegte. Die beiden waren über zwanzig Jahre miteinander verheiratet gewesen, und immer war er verliebt und zärtlich mit ihr umgegangen, und sie hatte ebenso verliebt und zärtlich zu ihm aufgelacht. Tante Ann war eine kleine, rundliche Frau gewesen, und doch verband die beiden immer etwas ganz Besonderes. Angus erinnerte sich, wie er zum Begräbnis seines Onkels gefahren war: Damals hatte er Van im Zug getroffen. Mein Gott, das schien eine Ewigkeit her zu sein. Hätte er sich damals etwa träumen lassen, daß sie und er… Nein, wahrhaftig, eher hätte er sich vorstellen können, auf den Mond zu fliegen.
Sie kletterten aus dem Bus, und als sie am Parkplatz des Restaurants anlangten und die Wagen dort dicht nebeneinanderstanden, wußte Angus sofort, daß heute abend was los war.
»Vielleicht… vielleicht bekommen wir gar keinen Tisch«, sagte er kleinlaut. »Ich hätte ihn vorher bestellen müssen. Zu dumm, daß ich nicht rechtzeitig daran gedacht habe.«
»Ich glaube nicht, daß das viel genützt hätte. Sicher muß man auf Tage voraus bestellen. Aber wir können es ja auf alle Fälle versuchen.« Sie lächelte ihm tröstlich zu, und ihre Blicke blieben längere Zeit auf seinem Gesicht haften. Sie schämte sich nicht, mit ihm auszugehen; das war es, wofür sie dankbar war. Auch dafür, daß er nicht mit lauter Stimme lospolterte. Daheim, ja da brüllte er leicht herum. Aber außerhalb des Hauses waren seine Manieren ganz anders. Er gab sich Mühe, ihr Angus, o ja, er gab sich die größte Mühe. Sie hätte gewünscht, daß er sich von ihr helfen lassen würde. In den vergangenen Wochen hatte sie eine Menge über den Mann gelernt, den sie geheiratet hatte. Sie wußte zum Beispiel, daß er ständig in der Angst lebte, sie könnte ihn verlassen, mm, wo es nichts mehr gab, das sie zu halten imstande war. Nur eine Ehe, die man mit Leichtigkeit wieder auflösen konnte, da sie bis heute nicht »konsumiert« worden war. Außerdem wußte sie genau, daß er nicht wollte, daß sie arbeiten gehe, damit sie nicht am Ende einen andern Mann kennendem. Sie fing an, all seine kleinen Gewohnheiten, seine Stimmungen zu verstehen, aber das milderte die Angst, die sie vor ihm hatte, nicht im mindesten. Diese Angst würde sich entweder verstärken oder erlöschen, wenn er etwas von ihr fordern würde; und der Zeitpunkt hierfür stand knapp bevor. Das spürte sie. Sehr knapp sogar.
Nachdem sie an der Garderobe ihre Mäntel abgegeben hatten, gingen sie Seite an Seite durch die Cocktail-Bar, überquerten die mit dicken Teppichen ausgelegte Halle, in der es diverse Sitzgruppen gab, bis sie schließlich in den Speisesaal gelangten. Da blieb er plötzlich stehen und sagte: »Möchtest du vorher vielleicht einen Drink an der Bar?« Vanessa antwortete: »Nein, nein, lieber nicht.« Sie war aufgeregt, direkt nervös und merkwürdigerweise bedeutend befangener als er.
»Guten Abend, Sir. Guten Abend, Madam«, sagte der Ober. »Haben Sie einen Tisch reservieren lassen?«
»Leider nein«, sagte Angus. »Wir sind einfach vorbeigekommen. Auf gut Glück.« Seine Stimme klang sorglos und munter.
»Aha!« Der Oberkellner sah Angus erwartungsvoll an, und Angus sagte: »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie einen hübschen Tisch für uns auf treiben könnten.« Diese Worte klangen wie ein Versprechen, und der Ober reagierte auch sogleich: »Nun, Sir, wir haben Glück. Es hat vor wenigen Minuten eine Absage gegeben… Ein sehr hübscher Tisch. In der Nische dort drüben. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Madam.«
Der Tisch war wirklich gut plaziert. Durch ein schmiedeeisernes Gitter vom größten Getriebe abgeschirmt, gab er jedoch den Blick aufs Tanzparkett und auf das kleine Podium, auf dem vier Musiker saßen, frei. Nachdem sie Platz genommen hatten, holte Angus tief Atem, zupfte seine Jacke zurecht und sagte: »Nett, nicht?«
»Sehr sogar.« Sie nickte ihm über den Tisch hinweg zu. Kaum hatte die Band eingesetzt, kam ein anderer Kellner und überreichte Angus die Weinkarte.
»Also…«, begann er, nachdem er darauf geblickt hatte, und sah sie fragend an. »Was möchtest du gern?«
»Einen Sherry«, sagte sie.
»Süß oder herb, Madam?« erkundigte sich der Kellner. »Herb, bitte.«
Angus fügte kurz entschlossen hinzu: »Dann zwei, bitte.«
»Und anschließend, Sir? Möchten Sie Wein zum Essen?«
»O ja, natürlich.« Abermals warf Angus einen Blick auf die Weinkarte. Er verstand nichts von Weinen. Er konnte auf Anhieb einige im Lande hergestellte Biersorten nennen, aber was Weine anlangte, war er völlig unwissend. Er spürte, wie die Hitze der Verlegenheit ihm den Nacken emporschlich, rettete sich aber geschickt davor, richtig rot zu werden, indem er zu Vanessa hinüberblickte und rasch fragte: »Hast du einen bestimmten Lieblingswein?«
Rein instinktiv wußte sie sofort, daß er Hilfe benötigte, und so antwortete sie: »O ja. Ich hätte gern einen »Graves Supérieur.« Sie sah Angus an, als warte sie seine Entscheidung ab.« Er atmete erleichtert auf und bestellte sofort, wobei er die Weinmarke beinahe so aussprach, wie Vanessa es getan hatte.
»Sehr wohl, Sir.«
Als sie wieder allein waren, betrachtete er sie mit insgeheimer Bewunderung. Sie kannte sich aus in Weinen. Der Unterschied zwischen ihnen war wieder einmal klar zutage getreten.
Sie beugte sich vor und flüsterte, als hätte sie seine Gedanken lesen können: »Ich weiß nur deshalb etwas über Weine, weil Vater mit Mutter darüber zu beraten pflegte, wenn Leute zum Essen zu uns gekommen sind.« Bei den letzten Worten erstarb ihre Stimme, nun hatte sie das Falsche gesagt! Soweit sie sich erinnern konnte, war es das erstemal, daß sie ihren Vater ihm gegenüber erwähnt hatte. Seit sie verheiratet waren, jedenfalls. Das konnte am Ende die gute Stimmung stören. Sie sagte rasch: »Entschuldige.«
»Aber weshalb denn? Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen, daß du dich in Weinsorten auskennst.« Er machte eine flüchtige Handbewegung und ignorierte den Umstand, daß sie ihren Vater erwähnt hatte.
Dann bestellten sie das Essen. Hier kannte er sich aus. Das war fester Boden für ihn ‒ dachte er zumindest. Bis er die Speisenkarte ansah. »Wie wär’s als Einleitung mit einem Shrimp-Cocktail?« fragte er sie vorsichtig. »Großartig«, antwortete sie.
»Zwei Shrimp-Cocktails.«
»Und als Hauptgang, Sir?«
Abermals schielte Angus hinüber zu Vanessa. Sie warf einen Blick auf die Speisenkarte, die größtenteils in französischer Sprache abgefaßt war.
Auch er konzentrierte sich wieder auf die Speisenkarte, ziemlich lange sogar. Dann sagte er gelassen: »Für mich ein Steak, halb durchgebraten.«
»Sehr wohl, Sir. Und Sie, Madam?«
Sie sagte nicht Chicken sauté á la Marengo, sondern: »Brathuhn mit Reis, bitte.«
Als das vorbei war, atmeten sie beide, wenn auch aus verschiedenen Gründen, auf.
Es hatten bereits einige Paare zu tanzen begonnen; unwillkürlich begann sie mit den Fingern den Takt auf den Tisch zu klopfen. Da sagte er lachend: »Du willst doch nicht etwa gleich aufstehen und es ihnen zeigen, bevor du etwas gegessen hast?«
Sie lächelte ihm verhalten zu, als einige Paare mit lautstarkem Gelächter aus der Cocktail-Bar kamen und sofort beim Einsetzen der Band zu tanzen begannen. Angus beobachtete das Treiben mit gönnerhafter Miene und meinte: »Ich dachte, das sei nicht erlaubt. Das Tanzparkett gehört eigentlich nur für Gäste des Restaurants.«
Als das Gelärme und Gelächter die Musik übertönte, bemerkte er: »Die haben alle einen sitzen. Sieht mir doch sehr nach Samstagabend aus.«
»Du warst schon früher an Samstagen hier?«
»Ein- oder zweimal, nach dem Spiel.«
»Bis heute hatte ich keine Ahnung, daß du Rugby gespielt hast.«
Er lächelte ein bißchen krampfhaft und meinte: »Es gibt eine Menge Dinge, die du nicht weißt, was mich betrifft, Van.«
Als sie seinem Blick auswich, zog er die Sache rasch ins Scherzhafte und fügte hinzu: »Ich besitze zum Beispiel eine Lebensrettungsmedaille. Ich bin einmal in einen eineinhalb Meter tiefen Tümpel getaucht und hab’ einen Lausejungen herausgeholt.« Als sie losprustete, sagte er: »Das ist Tatsache. Da stand so eine Rasselbande beisammen, und einer schrie plötzlich, daß ihr Willie ertrinke. Da bin ich hingerannt und kopfüber hineingesprungen. Es dauerte beinahe eine Viertelstunde, bis ich wieder hochkam, so hab’ ich mir den Kopf dabei angeschlagen.«
»Ist jemand dabei ertrunken?«
»Keine Ahnung, ich hab’s bis zum heutigen Tag nicht herausbekommen.« Sie lachten nun beide aus vollem Hals. »Aber das ist noch nicht alles«, sagte er. »Was glaubst du wohl, woher das hier stammt?« Dabei schob er sich das strohfarbene Haar aus der Stirn und deutete auf die Narbe.
»Ich weiß es nicht. Aber ich hab’ mich schon oft gefragt, wie du dazu gekommen bist.«
»Das war die Belohnung für eine gute Tat. Ich stand auf dem Oberdeck eines Busses, als eine Frau mit einem Einkaufskorb nach unten klettern wollte. Ich nahm ihn ihr ab, damit sie sich besser festhalten konnte. Ich war damals ein großer, stämmiger Junge von fünfzehn und bot ihr an: »Geben Sie nur her, Missis. Ich trag’s Ihnen runter.« ‒ »Danke, meine Junge«, sagte sie und ging mir voran. Plötzlich stolperte ich und knallte mit der Stirn an die Haltestange. Ich kann dir sagen: Nie im Leben habe ich so viel Gemüse durcheinanderkollern gesehen. Das war ein Zirkus.«
Sie lachte, daß es sie nur so schüttelte. Ihre Schultern waren gekrümmt, sie schlug sich mit der Hand auf den Mund und stammelte: »Oh, Angus, hör auf!« Das machte ihn ganz glücklich. Er war also imstande, sie zu unterhalten. Sie sah richtig übermütig drein; so kannte er sie überhaupt nicht. Er hatte sie überhaupt noch nie lachen sehen. Also fuhr er eifrig fort: »Das ist noch gar nichts. Ich könnte wahrhaftig Bücher darüber schreiben. Jedesmal, wenn ich etwas Gutes anstellen wollte, hab’ ich Ohrfeigen dafür einstecken müssen.« Sofort fühlte er, daß dies eine taktlose Bemerkung war und hoffte insgeheim, diesmal ausnahmsweise keine einstecken zu müssen. Weil das Leben jetzt doch erst richtig anfing. »Wenn ich nur an das Feuer bei Mrs. Halliday denke«, sagte er. »Du kennst sie doch, sie wohnt fünf Häuser weiter unten. Eines Tages, als ich die Straße entlangkam, quoll Rauch aus ihrem Fenster, und sie kam schreiend herausgerannt und rief: »Mein Gasofen brennt!« Natürlich ist der tapfere Angus Cotton sofort ins Haus gestürzt. Ich konnte gar nicht an den Ofen ‚ran. »Haben Sie Salz daheim!« rief ich. Mam hat Feuer immer mit Salz gedämpft, wenn der Kamin rauchte, weißt du. Und Mrs. Halliday schrie: »Was?« Und ich brüllte: »Salz!« Sie war eine vorbildliche Hausfrau und hatte alles daheim, was man nur brauchte. Jeder pflegte sich von ihr was auszuborgen. Jedenfalls deutete sie auf einen Topf, und ich griff ihn mir prompt ‒ nur daß es nicht Salz, sondern Zucker war. Den schüttete ich ins Feuer. Glaub mir, es hat uns beinahe bis zum Bahndamm gefegt.«
Van hielt den Kopf gesenkt, die Hände fest in den Schoß gepreßt und hatte feuchte Augen. Sie blickte unter ihren dichten, kurzen Wimpern hervor und fragte: »Und wie ist es ausgegangen?«
»Die Feuerwehr mußte ausrücken. Ihre Küche ist völlig ausgebrannt. Monatelang wagte ich mich nicht einmal an ihrer Tür vorbei.«
Abermals sagte sie: »Oh, Angus.« Er war nett. Sie hatte immer gewußt, daß er nett war. Er versuchte, sie glücklich zu machen. Ach, wenn er nur…
Das Steak kam halb durchgebraten, wie bestellt, das Huhn war knusprig, die Beilagen köstlich. Sie aßen alles auf, was auf ihren Tellern war. Und danach suchten sie sich vom Teewagen Süßigkeiten aus. Schließlich wollten sie Kaffee trinken.
»Nehmen Sie ihn hier oben in der Halle, Sir?«
Sie entschlossen sich für die Halle, gingen um die kleine Tanzfläche herum, an dem Oberkellner vorbei, dem Angus mit einem freundlichen Wort eine zusammengefaltete Banknote zusteckte, und wurden abermals zu einem hübschen Platz geleitet.
Über die Kaffeetassen hinweg fragte Angus Van: »Gefällt es dir?«
»Es ist wunderbar, Angus, wirklich großartig. Weißt du, es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich zum Diner aus bin. Ich hab’ mich noch nie so unterhalten wie heute abend.«
Seine Blicke glitten über ihr strahlendes Gesicht. Die ganze Anspannung der letzten Wochen war daraus verschwunden; es sah weich und wunderschön aus. Es gab keine Frau ringsum, die ihr auch nur das Wasser hätte reichen können. Und dabei war das erst der Anfang: In zwei, drei Jahren würde sie ein Bild von einer Frau sein ‒ voll erblüht. Ob ihr das klar war? Ob sie eine Ahnung hatte, wie sie auf andere Menschen wirkte? Er mußte sie um jeden Preis behalten ‒ mit redlichen oder unredlichen Mitteln ‒ er mußte sie behalten. So etwas, wie sie hatte er sich sein ganzes Leben lang gewünscht. Und er hatte sie bekommen. Aber wenn sie sich ihres Wertes bewußt wurde, wenn sie erwachte ‒ würde er sie halten können? Denn die ungeschminkte Wahrheit war nun mal, daß sie noch nicht erweckt war, in keiner Beziehung. Sie war schwanger gewesen und doch noch unberührt.
Er stand unvermittelt auf, knöpfte sich den Rock zu und sagte: »Na, wollen wir mal, Van? Es ist ein Quickstep. Hast du jemals einen Quickstep getanzt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Twist getanzt, den kann ich«, sagte sie im Brustton der Überzeugung. »Twist kann jeder«, zog er sie auf. »Aber Quickstep, das ist ganz etwas anderes. Ich habe erst unlängst im Fernsehen in der Reihe »Leute von heute« gesehen, wie ein Junge den Arm um die Taille seines Mädchens gelegt hat dabei. Genau wie in alten Zeiten. Es kommt ja alles wieder. Und soll ich dir was verraten? Für unsere Begriffe hat es richtig unschicklich gewirkt!«
Damit hatte er sie aus dem Weg aufs Tanzparkett wieder zum Lachen gebracht. Dort legte er den Arm um sie und führte sie mit sanftem Schwung vor- und rückwärts.
Da sie von Haus aus über Leichtigkeit, Anpassungsvermögen und ein Gefühl für Rhythmus verfügte, waren sie bald aufeinander eingespielt, und sie strahlte förmlich, daß es so gut klappte. Zwei- oder dreimal stießen andere an sie an, und gelegentlich mußte Angus sich entschuldigen, weil ihm auf dem engen Raum dasselbe passierte ‒ es war rappelvoll, lange ehe die Gesellschaft von vorhin wieder aus der Cocktail-Bar hereingestürmt kam.
Als sie durch ein stolperndes, lachendes Paar beinahe aus dem Gleichgewicht gebracht worden wären, fauchte Angus schließlich doch zornig: »Moment mal. Immer mit der Ruhe, ja?« Und er starrte auf den Rücken des Mannes, der Vanessa beinahe umgerannt hätte und der weit davon entfernt schien, nüchtern zu sein, so sehr hatte er den Kopf am Hals seiner Partnerin vergraben, während er sich vor Lachen nur so schüttelte. Aber Angus’ Tonfall störte ihn in seiner Ausgelassenheit doch, denn er drehte sich plötzlich um und musterte sie. Dabei blieb ihm der Mund offenstehen, und er sagte: »Guter Gott! Cotton… Und du!« Er zog die Brauen hoch und starrte Vanessa unentwegt an. Dann brach er wieder in Gelächter aus und rief: »Also so was, würde man das für möglich halten? Vanessa Ratcliffe!« Damit schob er sich dicht an sie heran. »Du kennst mich doch. Erinnerst du dich nicht an Susans Fest? Brian Cornell. Komisch, dich hier zu treffen.«
»Ja, komisch«, sagte Angus trocken, legte den Arm fest um Vanessa und schob sie weiter.
In Sekundenschnelle tanzte Cornell wieder an Van heran und schrie ihr über die Musik und das Gelärme hinweg zu: »Wir müssen unbedingt Zusammenkommen, ja?« Angus antwortete nichts darauf, und ein paar Minuten später führte er Vanessa in die Halle zurück.
»Du kennst ihn?«
Sie verzog das Gesicht, als versuche sie krampfhaft, sich zu erinnern. »Ja, ja, ich hab’ ihn schon wo gesehen. Er war, glaub’ ich, auf einer von Susans Partys. Du… du kennst ihn auch?«
»Er war im Rugby-Team. Oder ist es immer noch, soviel ich weiß.« Er unterließ es, hinzuzufügen, daß Cornell zu jenen Individuen gehörte, die nur zu gewissen Gelegenheiten mit jemandem wie ihm sprachen: im Ankleideraum, wenn es sein mußte, oder wenn er ‒ wie jetzt ‒ betrunken war. Auf der Straße hätte er glatt durch ihn hindurchgesehen. Und da hieß es, daß es heutzutage keine Klassenunterschiede mehr gäbe. Ha! Er erinnerte sich daran, daß er ganz genau dasselbe gedachte hatte, als er Colin Brett damals auf dem Bahnhof begegnet war. »Noch einen Kaffee?« fragte er sie.
»Ja, ich glaube, ich nehme noch einen.«
»Wie wär’s mit einem Likör?« erkundigte er sich und beugte sich hinüber. »Möchtest du einen?«
»Nein«, wehrte sie energisch ab. »Und hör auf, das Geld zum Fenster hinauszuwerfen.« Sie lächelte ihn jedoch sanft dabei an. »Von jetzt ab wirst du jeden Penny bitter nötig haben.«
»Ich weiß«, sagte er. »Aber heute Abend ist eine Ausnahme.«
Sie sahen sich an ‒ dann sank ihr Kopf auf die Brust, sie rührte in der Tasse um und sagte: »Ich bin froh, daß ich die Stelle bekommen habe, Angus. Es wird uns ein Stück weiterhelfen, nicht?«
Einen Moment lang schwieg er, dann erwiderte er zögernd: »Ich will gar nicht, daß du arbeiten gehst, Van. Das weißt du doch, nicht wahr?«
»Aber ich kann nicht den ganzen Tag lang daheim hocken, Angus. Es gibt so gut wie nichts zu tun für mich.«
»Das wird alles anders werden, wenn du erst im Bungalow wohnst. Da kriegst du mehr zu tun, als du schaffen kannst.«
Abermals versanken ihre Blicke ineinander, bis er ausrief: »Ach was, reden wir jetzt nicht davon. Trink deinen Kaffee aus, dann kannst du mir wieder auf die Zehen steigen.«
Kaum hatte sie die Tasse hingestellt, ragte die große, umfangreiche Gestalt Brian Cornells hinter ihnen auf. »Ha, ha!« rief er und legte jedem von ihnen eine Hand auf die Schulter. »Hab’ ich euch erwischt.«
Angus blieb ruhig sitzen, legte den Kopf schief und starrte in das grinsende Gesicht des Angeheiterten.
»Du wirst sie doch eine Minute lang entbehren können, was?« sagte Cornell heiser, ohne den Blick von Vanessa zu wenden. »Komm, tanzen wir.«
»Sie tanzt nicht mehr.«
»Was!« Cornell richtete sich jäh auf. »Komm, komm, Cotton. Spiel da nicht den gestrengen Herrn und Gebieter. Das müßtest du allmählich hinter dir haben. Wie lange seid ihr miteinander verheiratet? Vier Monate? Sechs Monate? Jedenfalls habe ich sie längst vor dir gekannt.« Damit schlug er Angus lachend und nicht allzu sanft auf die Schulter.
»Du erinnerst dich doch an mich, nicht?« Er beugte sich über Vanessa, das Gesicht dicht an dem ihren. »Susans Party. Soll ich dir was sagen? Ich weiß noch genau, wie ich mir damals gedacht habe, daß du Susan nach Noten schlägst. Komm, Van, schenk mir diesen Tanz, hm?« Er packte ihren Arm, aber sie blieb sitzen.
»Laß sie los!« befahl Angus und sprang auf.
»Was? Um Himmels willen, Cotton, benimm dich gefälligst.« Zugleich stieß er Angus vor die Brust. »Mach mal halblang, Mann. Du nimmst dir zuviel heraus. Dort, wo sie herkommt, benimmt man sich nicht so.«
Seine lautstarke Stimme hatte die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste erregt. Rechter Hand von ihnen saß zum Beispiel ein Mann, der sich bereits umgedreht hatte und alles gespannt verfolgte.
»Ich… ich möchte nicht tanzen, danke«, sagte Vanessa; dann blickte sie von Cornell zu Angus und fügte rasch hinzu: »Es ist Zeit, daß wir aufbrechen.«
Der beschwörende Blick, den sie Angus zuwarf, sagte klar und deutlich: Bitte, mach keine Szene! Und er gehorchte. Mit knirschenden Zähnen und geballten Fäusten wartete er reglos ab, daß Cornell gehen würde. Aber Cornell hatte gar nicht die Absicht, zu gehen. Er schlängelte sich rasch und geschickt hinter Vanessas Stuhl und murmelte ihr zu: »Hat mich überrascht, dich zu sehen. Hätte nicht gedacht, daß sie dich aus den Slums da drunten ‚rauslassen.«
In der nächsten Sekunde stand Brian Cornell wieder dort, wo er Sekunden vorher gestanden war, denn Angus hatte ihn an den Rockaufschlägen gepackt und mit einem Ruck hinter Vans Stuhl hervorgezogen.
»Komm nach draußen.«
»Geh zum Teufel«, knurrte Cornell und schüttelte Angus mit geringschätziger Miene ab.
»Kommst du nun mit oder nicht?«
»Besser wär’s, Mann«, sagte ihr Tischnachbar, der sich offenbar sehr für die Vorgänge nebenan interessierte. Er war klein, um die Vierzig und gut angezogen.
»Ach, du bist’s, Fowler«, sagte Cornell und drehte sich zu ihm um. »Halt dich besser da ‚raus.«
»Kommst du jetzt mit hinaus, oder soll ich dir hier eine verpassen?«
»Ganz wie du willst, Freundchen. Aber vergiß nicht: Du hast es so gewollt«, sagte Cornell und kräuselte höhnisch die Lippen.
Als sie durch die Halle gingen, rief Cornell: »Arthur! Tony!« Aber als Arthur und Tony hinter der Theke hervorgekrochen kamen, hielt der Mann, den Cornell mit Fowler angesprochen hatte, sie an. »Laßt mal«, sagte er. »Das sollen die beiden da draußen unter sich ausmachen.«
»Was, zum Teufel, ist denn los?«
»Das könnt ihr Cornell fragen, wenn es vorbei ist.«
Es war sehr rasch vorbei. Draußen in der Nähe des Parkplatzes rechneten sie miteinander ab.
Wäre Cornell nüchtern gewesen, dann hätte er für Angus einen nicht zu unterschätzenden Rivalen abgegeben. Aber in seiner gegenwärtigen Verfassung verpufften seine wütenden Schläge in der Luft. Die von Angus jedoch keineswegs. Auf einen scharfgezielten Hieb gegen den Magen folgte blitzartig eine Linke ins Gesicht des Betrunkenen. Während Cornell mit gekrümmtem Leib an die Mauer stolperte, trat Angus keuchend einen Schritt zurück.
Im Nu hatte sich um die beiden eine Menschenmenge gebildet, lauter Männer, mit Ausnahme Vans. Und als sie an Angus’ Seite trat, schob er sie heftig zurück und murmelte nur: »Hol die Sachen.«
Sie zögerte sekundenlang, drehte sich dann aber gehorsam um, um ins Haus zu gehen, als sie im selben Augenblick einen von Cornells Freunden erblickte, der mit erhobenen Fäusten von hinten auf Angus einschlagen wollte ‒ was ihm jedoch nicht gelang. Denn in einer zornigen Aufwallung, die ganz neu für Van war, sprang sie auf den Angreifer los und schrie: »Aufhören, du betrunkenes Schwein!« Ob es nun der Schlag war, den sie dem Verdutzten versetzte, oder die Überraschung darüber, von einer Frau angegriffen zu werden: Jedenfalls stolperte er ein paar Schritte zurück, und die Umstehenden begannen sofort zu kichern. Dieses Gekicher erstarb jedoch sehr rasch, als Brian Cornell sich schwerfällig erhob und sich an die Mauer stützte. Blut rann ihm aus dem Mundwinkel, und eines seiner Augen schwoll bereits sichtlich an.
Nun kam ein anderer Mann Cornell zu Hilfe, indem er Angus entgegentrat und ihn anschrie: »Du solltest dich was schämen. Wenn ein Polizist in der Nähe wäre, würde ich dich ihm glatt übergeben. Aber die sind ja nie da, wenn man sie braucht.«
Eine ruhige Stimme unterbrach den Zornigen: »Sie wenden sich an den Falschen ‒ er hat ja nicht angefangen.«
»Ich hab’ genau gesehen, wie es angefangen hat, ich war in der Halle. Er hat ihn zuerst angegriffen.«
»Aber nur, weil Cornell ihn herausgefordert hat.«
»Komm.« Angus schob Vanessa rasch an den Männern vorbei in die Halle, wo der Ober ihnen bereits entgegengeeilt kam. Diesmal lag kein Lächeln auf seinem Gesicht, sondern er sagte nur äußerst förmlich: »Was für ein unglücklicher Zwischenfall, Sir.«
»Sie sollten sich die Leute genauer ansehen, die hier hereinkommen. Und Betrunkenen sollten Sie auf keinen Fall mehr etwas zu trinken servieren.«
»Angus!« Vanessas Aufforderung war ein einziger Mahnruf. Er drehte sich auch sogleich zu ihr herum, biß sich auf die Lippen und sagte mit rauher Stimme: »Schön, schön. Hol deine Sachen.«
Es dauerte keine Minute, bis Vanessa Hut und Mantel herbeigeschafft hatte. Als sie wieder in die Halle kam, sprach Angus mit dem gutgekleideten kleinen Dicken, oder besser gesagt, der Dicke mit Angus. Nun wandte er sich an Vanessa: »Machen Sie sich wegen dieser Angelegenheit keine Sorgen. Ich habe Ihrem Mann soeben erklärt, daß ich jederzeit zu Ihren Gunsten aussagen würde, falls die Geschichte Folgen haben sollte.«
»Danke.« Sie neigte den Kopf, und er sagte lächelnd, indem er sie genau ansah: »Sie kennen mich nicht, aber ich weiß über Sie Bescheid. Zufällig bin ich mit den Braintrees verwandt.« Er schien zu spüren, wie die beiden erstarrten, denn er fügte rasch hinzu: »Allerdings nur ganz entfernt. Brian und mein Vater sind Cousins. Sie verkehren jedoch nicht miteinander. Wir waren nicht einmal zur Hochzeit eingeladen.« Er schnitt ein Gesicht, beugte sich zu ihr und fuhr fort: »Ich habe Sie sofort erkannt. Sie waren vor etwa drei Jahren bei den Taylors, als ich auch dort eingeladen war. Sie haben sich nicht sehr verändert. Mein Name ist Fowler, Andrew Fowler.«
Alles, was sie herausbrachte, war ein gehauchtes »Oh!«. Ihr Gesicht hatte sich gerötet. Sie wußte, daß er versuchte, nett zu sein, um die Wogen wieder zu glätten, aber sie wünschte, er würde es bleibenlassen. Denn nach ihrer Überzeugung mußte die reine Erwähnung, er sei mit ihrer oder mit Susans angeheirateter Familie verwandt, Angus zornig machen. Aber Angus schien über den Mann keineswegs verstimmt zu sein, sondern wünschte ihm nur höflich guten Abend. Als er sich zur Tür wandte, drehte der Mann sich um und sagte: »Ich gehe auch gleich.« Auf den Stufen des Hotels verließ er sie, indem er hinzufügte: »Leben Sie wohl. Und zerbrechen Sie sich über diese Sache um Himmels willen nicht den Kopf. Cornell hat diese Abreibung wahrhaftig verdient.«
Sie überquerten die Auffahrt und gingen über den Parkplatz zur Bushaltestelle, die ganze Zeit über schweigend. Als sie dort warteten, fuhr Andrew Fowler in seinem Wagen an ihnen vorbei. Er blieb mit einem Ruck stehen, setzte zurück und fragte: »Kann ich Sie mitnehmen?«
Angus zögerte einen Moment, dann nickte er und bedankte sich, öffnete den Wagenschlag und half Vanessa ins Wageninnere.
»Wo darf ich Sie absetzen?«
»Oh, irgendwo in der Nähe der Caxton Bridge«, sagte Angus so ungezwungen wie möglich.
Als sie eine kurze Strecke gefahren waren, wandte Fowler den Kopf nach hinten und fragte: »Sie arbeiten auf Auftrag, nicht wahr?«
»Ja. Wieso wissen Sie das?«
»Nun, ich bin Architekt und erinnere mich, Sie im Büro bei Ralstons gesehen zu haben. Zufällig bemerkte jemand dort, daß Sie auf eigene Rechnung arbeiten.«
Das kann ich mir denken, dachte Angus. Sicher hat derjenige dann hinzugefügt: »Das ist nämlich der Bursche, der die Ratcliffe-Tochter in andere Umstände gebracht hat …« Nur daß die Ausdrucksweise garantiert nicht so höflich gewesen war.
»Wie gehen die Geschäfte?«
»Danke, nicht schlecht. Könnte allerdings auch besser sein.«
»Wie viele Wagen haben Sie denn laufen?«
»Bloß zwei im Moment.« Er sprach, als gehöre die Firma ihm.
»Hm!« Einige Zeit war es still, bis Andrew Fowler bemerkte: »Wenn Sie nicht auf ewig von den großen Firmen abhängig sein wollen, brauchen Sie aber wirklich mehr als zwei.«
Als ob er das nicht wüßte.
Beim Halt an der Brücke händigte Andrew Fowler Angus seine Visitenkarte aus und sagte: »Möglich, daß Sie sich mit mir in Verbindung setzen wollen, wenn die wegen heute Abend irgendwas aushecken. Wie ich bereits sagte, bin ich gern bereit, meine Zeugenaussage abzugeben, daß man Sie provoziert hat. Cornell ist ein unangenehmer Patron, in jeder Beziehung ‒ ich finde, es ist besser, Sie wissen Bescheid.«
»Ich bin im Bilde. Wir waren einmal miteinander im selben Rugby-Team.«
»Oh!«
»Aber auf alle Fälle besten Dank. Auch fürs Mitnehmen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, sagte auch Vanessa. »Und danke schön.«
Er nickte den beiden zu und wünschte ihnen ebenfalls gute Nacht, dann fuhr er davon.
Sie gingen die Hauptstraße hinunter, überquerten die Kreuzung und eilten an der Eisenbahnbrücke vorbei ihre Straße hinauf. Knapp ehe sie die Haustür erreicht hatten, blieb Angus in der schwachen Beleuchtung einer Laterne stehen und sagte zu Van: »Es tut mir leid. Es… es war so ein schöner Abend, aber… aber es war im Grunde genommen nicht meine Schuld.«
»Das weiß ich doch, Angus! Er hat sich einfach gräßlich aufgeführt, und ich bin heilfroh, daß du ihn niedergeschlagen hast.« Es lag eine Heftigkeit in ihrer Stimme, die er noch nie vorher vernommen hatte ‒ er lächelte leicht und fragte etwas überrascht: »Tatsächlich?«
»Natürlich. Am liebsten hätte ich ihn selbst niedergeschlagen.« Auch sie mußte nun lächeln. »Ich hab’ dem andern einen ganz ordentlichen Stoß versetzt, weißt du.« Sie legte die Hand an die Wange, als sie hinzufügte: »So was hab’ ich noch nie vorher getan. Aber… aber ich hab’ mir im Moment nichts so sehr wie einen tüchtigen Knüppel gewünscht.«
Er streckte rasch die Hand nach ihr aus, preßte sie einen Moment an sich, und dann gingen sie ins Haus.
Emily war daheim; Rosie und Stan leisteten ihr Gesellschaft. Emily drehte sich überrascht um und meinte: »Ihr seid aber früh zurück.«
»War’s nicht nett?« fragte Rosie.
»Sehr nett«, sagte Vanessa. »Wirklich.« Sie sah von der einen zur andern; dann begann sie zu lachen. Sie lehnte sich an den Tisch an und lachte und lachte.
Sie hatten sie niemals derartig lachen hören, ja sie hatte in diesem Haus noch nie den Mund zu einem wirklichen Gelächter geöffnet. Verblüfft beobachteten sie wie Van die Arme in die Seiten stützte, als das Lachen immer stärker wurde. Es kam beinahe einem hysterischen Ausbruch gleich, und sie wurden auch davon angesteckt. Angus ließ sich schwer auf den nächsten Stuhl niederplumpsen und warf den Kopf in den Nacken. Emily lachte ebenso wie Rosie und Stan, obwohl keiner von ihnen eine Ahnung hatte, worüber sie lachten ‒ schließlich lachten sie um die Wette.
»Was ist denn nur? Sag uns, um Himmels willen, was so komisch ist«, prustete Rosie außer Atem, und als Vanessa keuchend vor Lachen kurz innehielt, brachte sie nur hervor: »Er… hat eine Rauferei gehabt.« Da stockte Emilys Lachen blitzartig, und sie schrie: »Allmächtiger! Das darf nicht wahr sein. Nicht im Donovan!«
Vanessa nickte heftig, als Rosie, die gleichfalls aufgehört hatte zu lachen, sagte: »Aber Angus! Eine Rauferei im Donovan? Dir trau ich zu, daß du dich bloß aufspielen wolltest!«
Vanessa, die immer noch nach Luft rang, versuchte, ihren Heiterkeitsausbruch, der ihr die Tränen über die Wangen laufen ließ, zu stoppen und keuchte: »Nein, nein, so war es ja gar nicht. Da war ein Kerl, der mich belästigt hat und überhaupt nicht damit aufhören wollte ...« Sie warf Angus einen Blick zu und mußte abermals lachen. »Da hat ‒ da hat er ihn aufgefordert, nach draußen zu gehen, und dort hat er ihm ein Auge blau geschlagen.« Damit fiel sie, nun auch völlig ermattet, gleichfalls auf einen Stuhl.
»Oh, mein Gott!« Emily war alles andere als belustigt.
Sie starrte Angus an und fragte: »Wer war es denn? Jemand Wichtiges?«
»Ach, Mam!« Auch Angus hatte aufgehört zu lachen. »Wichtig? Wer ist schon wichtig? Ja, ich glaube, man kann ihn als wichtigen Mann bezeichnen ‒ ist dir jetzt leichter? Es war Brian Cornell.«
»Cornell? Der vom Warenhaus Cornell? Der, der die Ladenkette besitzt?«
»Ja, genau der.«
»Ich muß sagen, da hast du dir wenigstens einen Richtigen zum Zusammenschlagen ausgesucht.«
»Das kann man wohl behaupten, Mam. Und ich werde ihn wieder zusammenstauchen, wo immer ich mit ihm aneinandergerate.«
»Bravo!« sagte Stan. »Ich weiß Bescheid über die Cornells. Bierkönige. Die sind nicht von Pappe. Richtige Widerlinge.«
»Da sind wir ganz deiner Meinung, Stan«, pflichtete Angus bei.
»Ach, du meine Güte, ach, du meine Güte!« jammerte nun Emily. »Das wird dich noch in Teufels Küche bringen. Als ihr weggingt, hätte ich mir nie träumen lassen, daß euch so was zustoßen würde.«
»Wir haben gespeist wie die Götter«, sagte Vanessa nun.
»Was denn?« fragte Stan, im Bestreben, das Thema zu wechseln.
Vanessa erzählte es ihnen, jedes einzelne Detail. Und sie schloß: »Und getrunken haben wir dazu ›Graves Supérieur‹.«
»Grave… was? Was soll denn das nun wieder sein?« erkundigte sich Rosie.
»Eine Weinsorte. Angus hat sie ausgesucht.«
Rosie und Emily sahen Angus verblüfft an. Sie fragten ihn nicht, weshalb und wieso er über dieses Gravesdingsda Bescheid wisse, sie sahen ihn bloß an, und er strahlte ihnen offen entgegen. Er war plötzlich wieder glücklich, sehr glücklich. Van hielt zu ihm. Sie hatte gesagt, daß er den Wein ausgesucht hätte. Er beugte sich vor, deutete mit dem Zeigefinger auf seine Mutter und sagte: »Und noch etwas, was du nicht glauben wirst, Mam. Sie hat dem einen Burschen glatt eins übergezogen.« Sein Daumen wies nun auf Vanessa. Sofort stand Vanessa wieder im Mittelpunkt, und Emily sagte ganz entsetzt: »Ist nicht wahr!«
»Doch.« Vanessa nickte eifrig und grinste.
»Da mußt du einen sitzengehabt haben«, sagte Rosie. »Keineswegs. Ich hab’ nur einen Sherry und zwei Glas Wein getrunken, weiter nichts.«
»War es auch dieser Cornell?« fragte Emily.
»Nein, ich weiß nicht, wer es war. Nur so viel, daß dieser Kerl, nachdem Angus Brian Cornell erledigt hatte, Angus von hinten zusammenschlagen wollte. Ich sah genau, wie er den Ansatz dazu machte, und da hab’ ich ihm einen mächtigen Stoß versetzt, so gut ich eben konnte.« Nach einigen Schrecksekunden war die Küche plötzlich erneut von Gelächter erfüllt. Es schwoll immer mehr an. Rosie lehnte den Kopf hilflos an den fülligen Busen ihrer Mutter, und so schüttelte es sie gemeinsam. Stan bog sich vor Lachen und Angus desgleichen, während Vanessa sich abermals die Tränen aus den Augen wischte.
Nie vorher hatte Vanessa dieses befreiende Gefühl echten Gelächters verspürt. Daheim hatten sie niemals gelacht, nicht wirklich jedenfalls. Gelächelt, das schon. Immerzu. Aber niemals herausgelacht. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ihren Vater jemals aus vollem Hals lachen gehört zu haben. Sie hatte ihn höchstens einmal kichern sehen. Selbst Susan lachte niemals frei heraus. Das war in ihren Augen nicht fein. Und Ray? Ray konnte in Freude ausbrechen, aber nicht in Lachen. Niemand lachte wie diese Menschen hier, mit denen sie sich selbst und freiwillig verbunden hatte und die sie in diesem Moment liebte. Und im selben Augenblick erwachte auch ihre Liebe zu Angus.
Als sie etwa eine Stunde später in ihr Zimmer gingen, sagte er, indem er eine Faust machte: »Ich hab’s vorhin gar nicht bemerkt, aber meine Knöchel tun mir richtig weh.«
»Ich wette, daß ihm sein Gesicht noch bedeutend mehr weh tut.«
Sie standen auf dem Teppich vor dem Kamin; das Feuer war beinahe schon ausgegangen. Sie sahen sich an, dann streckte er die Hand nach ihr aus, berührte sanft ihre Wange und sagte leise: »Du warst heute großartig, wirklich großartig.«
Sie senkte die Lider, wandte sich ab und antwortete aufseufzend: »Man könnte meinen, ich hätte mich regelrecht geschlagen, so müde bin ich.«
Angus hatte es sich angewöhnt, das Licht auszumachen, wenn sie sich auszog. Er wußte, daß das von allem Anfang an eine verschrobene Idee war, aber nachdem er einmal damit angefangen hatte, war es einfach zur Gewohnheit geworden. Heute abend machte er es jedoch nicht aus. Er entledigte sich seiner Jacke, lockerte die Krawatte, dann griff er nach seinem Pyjama, der unter dem Kopfkissen lag.
Vanessa stand mit dem Rücken zu ihm. Sie hatte ihr Kleid ausgezogen und stand im Unterrock da. Es überraschte ihn zu sehen, wie sie das Nachthemd über den Kopf streifte, ein paar schlängelnde Bewegungen machte und Unterrock und Höschen zu Boden sanken. So machte sie das also!
Nun, er hatte keinerlei »Entkleidungs-Kabine«. Er brauchte auch keine. Nachdem er seine Wäsche abgelegt und den Pyjama angezogen hatte, schlüpfte sie ins Bett und sah ihn nicht an. Bis er zu ihr kam und sich neben sie setzte. Das Gewicht seines Körpers bog die Ecke der Matratze sofort herunter, so daß sie ganz automatisch leicht auf ihn zurollte. Während sie sich ansahen, drang das Gelächter von Emily und Rosie aus dem Zimmer über ihnen an ihr Ohr. Und ohne den Blick voneinander abzuwenden, sagte er: »Sie sind glücklich.«
Sie nickte ihm zu.
«Sie finden, daß du ausgesprochene Spitze bist.«
Van wußte nichts darauf zu erwidern. Sie hatten sie keineswegs immer »ausgesprochene Spitze« gefunden. Vielleicht hatten sie jetzt, wo sie annahmen, daß sie ihresgleichen sei, ihre Meinung über sie geändert.
Er sagte: «Was für ein merkwürdiger Abend, nicht? Es ist eine Menge geschehen.«
Abermals nickte sie; sie war nicht imstande, ein Wort hervorzubringen.
«Wir könnten es schön miteinander haben, wunderschön, Van«, sagte er. Seine Hand streichelte ihre Wangen, den Hals, die Brustspitzen. Sie zitterte, bebte aber nicht vor ihm zurück. Er sagte sanft und beschwörend: »Van… Van!« Als sie weder etwas antwortete noch ihn ansah, wollte er schon hinzufügen: »Schön, dann lassen wir’s eben.« Aber da wäre er sich albern vorgekommen. Sollte er wieder mal die halbe Nacht mit aufgepeitschten Sinnen daliegen, als wäre sein Inneres mit siedendem öl gefüllt? Man mußte zu Taten übergehen. Er hatte sich schließlich dazu durchgerungen, daß es heute oder morgen nacht geschehen sollte. Wenn ihr Schweigen ihn heute aus der Fassung brachte, würde es ihn auch morgen aus der Fassung bringen. Und alle darauffolgenden Nächte.
Als er sich rasch vom Bett erhob, wurden ihre Augen riesig, und sie starrte ihm nach, als er das Zimmer durchquerte und das Licht ausmachte. Dann schlug er ihre Decke zurück, und in der nächsten Sekunde lag sie in seinen Armen, und sein Mund preßte sich sanft und liebevoll auf den ihren, und seine Hände liebkosten sie. Und es war ganz, ganz anders, als damals mit Brett…