KAPITEL 23

Jeanette hatte zwar zugesagt, Tom zu der Dinnerparty im Haus seiner Eltern in der Woche nach dem Beginn der Weihnachtsfestlichkeiten zu begleiten, war jedoch nicht restlos davon überzeugt, wie klug es war. Auch Tom wirkte gereizt, was sie selbst nur noch nervöser werden ließ. Es gab locker fünf, sechs Möglichkeiten, wie der Abend als Katastrophe enden könnte.

Als Tom das Auto in der mit Ziegelsteinen gepflasterten, runden Einfahrt parkte, suchte sie nach einer Ausrede, um zu kneifen und die Flucht anzutreten. Dem mit seinem Vater geschlossenen Waffenstillstand traute sie nicht recht, seine Mutter war entschieden zu unberechenbar.

»Das ist eine schlechte Idee«, murmelte sie.

»Zu dem Schluss kommst du erst jetzt?«, gab Tom zurück. Er klang selbst ziemlich gedämpft.

»Du könntest allein reingehen«, schlug sie vor.

»Während du was machst? Dich im Gebüsch verstecken?«

»Du könntest mich an einem Restaurant absetzen und später wieder abholen.«

»Keine Chance. Du wirst erwartet. Und muss ich dich daran erinnern, dass es zu unserer Abmachung gehört? Ich überwinde meine miese Einstellung, und du versuchst, mit meinen Eltern auszukommen.«

»Meinetwegen«, brummte sie, längst nicht mehr so begeistert von der Idee, als sie tatsächlich so weit war.

»Meine Eltern müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass wir eine feste Beziehung haben. Gehen wir einfach rein und ziehen es durch«, sagte er.

»Langsam!«, protestierte sie. »Wir sind nicht fest zusammen. Wir schlafen miteinander. Das ist nicht dasselbe.«

Toms Miene verfinsterte sich. »Wir sind auf jeden Fall fest zusammen. Willst du echt hier draußen darüber diskutieren, obwohl wir beide wissen, dass ich dir das Gegenteil beweisen könnte, wenn ich es wirklich wollte?«

Durch seine selbstsicheren Worte wurde sie ein wenig verwegen … oder vielleicht lag es auch an dem Wissen, dass sie sich praktisch unter den wachsamen Augen seiner Eltern befanden. Sie begegnete seinem Blick. »Ach ja?«, sagte sie herausfordernd.

Er blinzelte. Dann jedoch wurde der Ausdruck in seinen Augen sinnlich und gefährlich. »Bist du sicher, dass du mich damit ausgerechnet jetzt auf die Probe stellen willst?«

»Ich denke schon«, erwiderte sie. Dabei lief ihr ein vorfreudiger Schauder über den Rücken.

Im Nu war er aus dem Auto ausgestiegen und tauchte an ihrer Seite auf. Mit einem Ruck öffnete er die Tür und ergriff ihre Hand. »Gehen wir.«

Da erkannte Jeanette, dass sie ihn womöglich ein bisschen zu weit getrieben hatte. »Wohin?«

»Hinten ist ein Gästehaus. Darin wohnt niemand.« Er lief so schnell, dass sie rennen musste, um mit ihm Schritt zu halten.

»Tom, warte«, protestierte Jeanette.

»Darauf warte ich schon, seit ich dich heute Abend zum ersten Mal in dem Kleid gesehen habe.«

»Wir können uns nicht heimlich ins Gästehaus deiner Eltern schleichen und dort unanständig und verschwitzt werden, während sie uns zum Abendessen erwarten. Das wäre unhöflich.« Ganz zu schweigen davon, dass es eine Katastrophe geradezu heraufbeschwor. Jeanette bewegte sich bei seinen Eltern so schon auf äußerst dünnem Eis.

Er lachte. »Willst du jetzt wirklich über Etikette diskutieren?«

»Deine Mutter hat bereits eine außerordentlich schlechte Meinung von mir. Ich will es nicht noch schlimmer machen.«

»Meine Meinung sollte hier die sein, die zählt«, erinnerte er sie. Aber er wurde langsamer und drängte sie gegen einen schmiedeeisernen Zaun. Er ergriff zu beiden Seiten ihres Kopfs zwei Streben, stützte sich daran ab, beugte sich vor und senkte den Mund auf ihren.

Jeanette schnappte nach Luft, als er die Zunge zwischen ihre Lippen schob. Und da gleichzeitig seine heiße, sehr männliche Härte gegen sie presste, vergaß sie, warum es eine so schlechte Idee war. Ihre Hände hielten sein Gesicht fest, um dafür zu sorgen, dass der Kuss nicht endete. Seine Hüften rieben an ihren. Tom fasste nach unten, hob den Saum ihres Kleids an und ließ die Hand an ihrem nackten Oberschenkel höher gleiten, bis er ihre feuchte Mitte erreichte. Bei der intimen Berührung zuckte sie zusammen und hätte sich um ein Haar auf der Stelle entladen.

»Hör auf«, murmelte sie, gefolgt von: »Nein, hör nicht auf. Nicht … Tom?« Seine geschickten Finger tauchten in sie, und dann kam sie tatsächlich. Mit weit aufgerissenen Augen und flachen Atemstößen begegnete sie seinem Blick. »Das sollte nicht passieren. Es … wir sollten das nicht tun.« Sie vergrub den Kopf an seiner Schulter. »Tom, wie kann ich jetzt noch reingehen? Alle werden merken, was wir gemacht haben.«

Er berührte ihre Wange mit einem Finger und strich ihr eine verirrte Strähne zurück. »Im Gästehaus ist ein Badezimmer. Dort kannst du dich vor dem Spiegel zurechtmachen. Obwohl ich finde, dass du so zerzaust und strahlend einfach fantastisch aussiehst.«

Sofort riss sie die Hand ans Haar, das sich wild kräuselte, obwohl sie sich zu Hause solche Mühe gegeben hatte, es zu bändigen. »Oh, nein.«

»Hör auf«, verlangte er. »Der Look steht dir. Bitte richte es nicht.«

»Mal sehen«, sagte sie. »Wo ist dieses Gästehaus?«

Er führte sie zu einem ehemaligen Pförtnerhäuschen an der Hauptzufahrt zu dem großen Anwesen. Es war kaum kleiner als Jeanettes neues Haus. Die Inneneinrichtung wies mit burgunderroten und marineblauen Schattierungen und beigen Akzenten einen maskulinen Touch auf. Jeanette ließ den Gesamteindruck auf sich wirken, dann drehte sie sich Tom zu. »Deine Mutter hat das für dich eingerichtet, nicht wahr?«

Er nickte. »Meine Eltern hatten die verrückte Idee, ich würde zurück nach Hause ziehen, wenn ich auf dem Grundstück ein eigenes Haus hätte. Zumindest so lang, bis ich heirate und mit dem Leben häuslich werde, das sie sich für mich vorstellen.«

»Und hast du je hier gewohnt?«

Er schüttelte den Kopf. »Aber sie haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Ich sage ihnen immer wieder, sie sollen es vermieten. Machen sie einfach nicht. Mein Vater meint, ich müsste ja eines nahen Tages zur Vernunft kommen und zurück nach Charleston ziehen, wo eine gute Adresse unheimlich wichtig ist.«

In dem Moment fiel Jeanettes Blick auf die Uhr am Kaminsims, und sie stellte fest, dass sie sich verspäteten. »Schau mal, wie spät es ist. Deine Mutter wird uns umbringen … oder mich zumindest. Sie wird mir die Schuld geben.«

»Ich erkläre ihr, dass es meine Schuld war«, versprach Tom.

»Nur zwei Minuten«, kündigte Jeanette an und hetzte ins Bad.

Tom hatte recht gehabt. Ihre Wangen glühten, ihr Haar war zerzaust, allerdings auf eine Weise, für die manche Frauen gutes Geld bezahlten. Sie rückte ihr Kleid zurecht, wusch sich und erneuerte den von Toms Küssen in Mitleidenschaft gezogenen Lippenstift. Nach genau zwei Minuten kehrte sie ins Wohnzimmer zurück.

»Geht das so?«

»Du bist wunderschön«, versicherte er ihr.

Sie verdrehte die Augen über sein voreingenommenes Urteil. »Danke, aber du überlegst dir besser eine Erklärung für unsere Verspätung, die rein gar nichts damit zu tun hat, was wirklich passiert ist.«

»Kein Problem. Ich sage einfach, wir sind ein bisschen zu spät losgefahren und im Verkehr hängen geblieben.« Tom führte sie einen Weg entlang zum hell erleuchteten Hauptgebäude.

Es war ein für die Jahreszeit seltener warmer Abend. Durch die offenen Fenster und Flügeltüren zur Terrasse drangen Musik und Gelächter heraus. Zusammen huschten sie durch die Tür hinein.

»Da seid ihr ja!«, rief seine Mutter und steuerte schnurstracks auf sie zu. »Ich dachte schon, du hättest den Weg nach Hause vergessen, Tom.« Zwar runzelte sie die Stirn, als sie Jeanette betrachtete, begrüßte sie aber recht höflich.

»Danke, dass Sie mich miteingeladen haben«, sagte Jeanette, obwohl Mrs. McDonald dreinschaute, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen. Der Gesichtsausdruck wurde allmählich allzu vertraut.

»Tom, du musst deinen Vater suchen. Er will dir jemanden vorstellen.«

»Okay«, erwiderte Tom. Als er Jeanettes Hand ergreifen wollte, schob sich seine Mutter in den Weg.

»Jeanette ist bei mir gut aufgehoben. Ich stelle ihr die Leute vor, obwohl ich mir denken könnte, dass sie einige der Stammkundinnen im Chez Bella schon kennt.«

Tom erstarrte. »Mutter, wenn du absichtlich etwas machst, damit sich Jeanette unwohl fühlt …«

»Sie ist ein Gast in meinem Haus«, erklärte seine Mutter steif. »McDonalds bringen ihre Gäste nicht in Verlegenheit.«

Er bedachte sie mit einem harten Blick, dann nickte er. »Ich verlasse mich auf dein Wort.«

Jeanette schaute ihm bestürzt hinterher, aber da sie keine andere Wahl hatte, straffte sie die Schultern, setzte ein Lächeln auf und sagte: »Ihre Dekoration ist wunderschön, Mrs. McDonald. Das Nussknacker-Motiv ist genial. Bestimmt haben Sie wochenlang daran gearbeitet.«

Damit übertrieb sie nicht. Der Raum erstrahlte vor glitzernden, bunten Lichtern. Es duftete nach Immergrün, obwohl Tom ihr erzählt hatte, dass es sich beim Dekor um künstliche Zweige handelte. Das Nussknacker-Motiv war mit sichtlichem Enthusiasmus umgesetzt worden. Hunderte kleine Nussknacker zierten den Baum, größere den Kaminsims und lebensgroß den Eingang zu dem Raum.

Auf der anderen Seite des Flurs bestand die Dekoration – soweit Jeanette es flüchtig erkennen konnte – aus der Zuckerfee mit durch die Zweige geflochtenen hellrosa, violetten und silbernen Bändern sowie Tausenden winzigen weißen Lichtern.

Jeanette war schon in Kaufhäusern gewesen, die zu Weihnachten mit weniger Liebe zum Detail geschmückt gewesen waren.

»Dieses Haus ist zu Weihnachten immer ein Musterbeispiel gewesen«, erklärte Mrs. McDonald stolz. »Das ist eine Tradition, die ich mit Freuden fortsetze.«

»Sind Ihre Töchter hier? Ich würde sie zu gern kennenlernen«, sagte Jeanette.

»Heute Abend nicht. Diesmal ist es ein Geschäftsessen, keine Familienfeier«, erwiderte die Frau pointiert.

Der Hinweis auf den Unterschied und die nicht gerade subtile Andeutung, dass sie für eine Familienfeier nicht eingeladen worden wäre, ließen Jeanette innerlich zusammenzucken.

Die nächste halbe Stunde lang ertrug sie neugierige Blicke und kühle Begrüßungen von Frauen, die ihr früher einige ihrer intimsten Geheimnisse anvertraut hatten. Sie waren es nicht gewohnt, jemandem wie Jeanette auf Augenhöhe zu begegnen. Es war allen sichtlich unangenehm. Obwohl sich keine der feinen Damen unverhohlen unhöflich verhielt. Sie wussten einfach nicht, was sie von Jeanettes Anwesenheit halten sollten, vor allem ohne Tom an ihrer Seite. Und vielleicht hatten sie auch noch die Gerüchte über die Klage in den Ohren, mit der Mrs. McDonald ihr damals gedroht hatte.

Jeanette hielt den Kopf hoch erhoben, plauderte kurz und begab sich dann an die Bar, wo sie um ein Glas Wein bat. Sie wollte damit auf die Terrasse und dort nur kurz verweilen, um sich zu sammeln, als sie aus einem anderen Raum erhobene Stimmen hörte. Da eine davon Tom gehörte, schwenkte sie stattdessen in diese Richtung.

* * *

»Dad, wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich nicht in eine Anwaltskanzlei in Charleston einsteige?«, fragte Tom hitzig. »Ist dir eigentlich klar, wie peinlich dieses Gespräch für Dwight Mitchell und für mich war?«

»Und ist dir klar, wie dumm es von dir war, ihn abzuweisen? Mitchell & McLaughlin ist eine der ältesten und renommiertesten Kanzleien in Charleston. Tatsächlich im gesamten Staat. Wenn du dort unterkommst, hast du es geschafft – nicht nur finanziell, du hättest auch ein ideales Sprungbrett für jede politische Karriere, die dir vorschwebt.«

»Ich habe weder vor, als Anwalt zu arbeiten, noch für irgendein Amt zu kandidieren«, entgegnete Tom vehement. »Keine Ahnung, wie ich es noch deutlicher sagen soll.«

»Wann hörst du endlich auf, Entscheidungen zu treffen, nur um mir zu trotzen?«, erwiderte sein Vater.

»Papa, meine Entscheidungen haben nichts mit dir zu tun. Ich habe einen Job, den ich liebe. Bitte akzeptier das endlich, damit wir dieses Gespräch nicht immer wieder führen müssen.«

»Und gilt dasselbe für Jeanette? Liegt dir wirklich etwas an ihr?«

»Das weißt du genau. Ich möchte, dass du und Mutter sie kennenlernt. Sie ist mir sehr wichtig. Das seid ihr auch, ob du’s glaubst oder nicht. Deshalb liegt es mir am Herzen, dass wir alle miteinander auskommen.«

Sein Vater seufzte schwer. »Das will ich ja auch. Ich hatte nur so große Hoffnungen für deine Zukunft. Genau wie deine Mutter.«

»Papa, ich arbeite an der Zukunft, die ich mir wünsche. Und die ist absolut respektabel, auch wenn es nicht die ist, die du für mich ausgesucht hättest. Außerdem bin ich mit einer Frau zusammen, die ich liebe, einer Frau, die mich glücklich macht.«

»Obwohl sie keine von uns ist?«

Tom lachte. »Weil sie ihre Vorfahren nicht bis zum englischen Königshaus zurückverfolgen kann? Oder was auch immer Mutters Kriterien sind. Komm schon, Papa. Sie ist von jeher ein bisschen versnobt gewesen, aber doch nicht du.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann ergriff Mr. McDonald das Wort. Er klang müde. »Du hast recht. Ich sollte in der Hinsicht lieber still sein. Meine Vorfahren haben hart dafür gearbeitet, was sie erreicht haben. Und mein Vater hätte mit seiner Trinkerei, seiner Spielsucht und seinen Affären um ein Haar alles verprasst. Ich habe mein Leben mit dem Versuch verbracht wiederherzustellen, was wir durch ihn beinah verloren hätten. Damit meine ich nicht nur Geld, sondern vor allem unseren Ruf. Das ist alles, woran mir etwas liegt, Tom. Ich will, dass unser guter Name fortgeführt wird und in Charleston die bedeutende Stellung einnimmt, die er einmal hatte. Deine Mutter ist ein gewaltiges Risiko eingegangen, indem sie mich nach dem skandalösen Verhalten meines Vaters geheiratet hat. Ich habe ihr damals versprochen, dass sie es nie bereuen würde. In letzter Zeit schämt sie sich zu sehr, um sich irgendwo zu zeigen.«

»Bei all den Partys, die ihr zwei über die Weihnachtszeit veranstaltet, kann sie sich so sehr nicht schämen«, entgegnete Tom. Dann zögerte er kurz. »Papa, Jeanette hat angedeutet, dass du und Mutter mir etwas verheimlicht, das erklären würde, warum euch das alles so viel bedeutet. Geht es darum? Um Großvater?«

»Er hätte uns beinah ruiniert, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch unseren Ruf«, sagte sein Vater. »Ich weiß, dass du alles, was deiner Mutter so am Herzen liegt, für albern und unnötig hältst. Aber für uns ist es wichtig, weil wir hart darum kämpfen mussten, es zurückzubekommen.«

»Ich verstehe.«

»Tust du das wirklich, Sohn?«

»Ich glaube, ich fange an, es zu begreifen.«

»Komm deiner Mutter ein wenig entgegen, ja?«

»Wenn ihr beide uns ein wenig entgegenkommt«, verhandelte Tom. »Ich liebe Jeanette. Ich habe vor, sie zu heiraten, wenn sie mich will.«

»Bitte tu das nicht, Tom. Es würde deine Mutter umbringen.«

»Nur dann, wenn sie sich nicht die Zeit nimmt, Jeanette kennenzulernen. Damit würde sie uns am Ende vertreiben«, sagte Tom. »Das kann ich dir garantieren. Papa, es tut mir leid zu hören, was Großvater angerichtet hat, aber es kann sich nicht auf mich auswirken. Das war in der Vergangenheit. Ich bin sicher, die Leute haben es längst vergessen. Jedenfalls hab ich noch nie ein schlechtes Wort über ihn gehört.«

»Weil deine Mutter und ich nicht wollten, dass du oder deine Schwestern davon erfahren. Wir haben getan, was nötig war, um das von meinem Vater angerichtete Chaos zu beseitigen. Und letztlich haben es die Leute tatsächlich vergessen oder uns zumindest gestattet, es hinter uns zu lassen. Du hast ein Erbe, auf das du stolz sein kannst. Das ist zum Großteil das Verdienst deiner Mutter, die mir eine Chance gegeben hat.«

»Papa, ich bin immer stolz auf dich gewesen. Ich bin zwar oft nicht deiner Meinung und kann mein Leben nicht nach deinen Erwartungen ausrichten. Aber das ändert nichts daran, was ich für dich empfinde.«

Die Miene seines Vaters wirkte müde, als er durch den Raum deutete. »Das alles sollte dir gehören.«

»Ich brauche es nicht«, erwiderte Tom sanft. »Ich hab schon gefunden, was ich brauche. Einen Job, der mir Freude bereitet, eine Frau, die ich liebe.«

»Und du wirst es dir nicht anders überlegen?«

Tom schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist das Leben, das ich will. Kannst du das bitte akzeptieren?«

»Ich werde es versuchen.« Sein Vater klang niedergeschlagen. »Jetzt geh zurück zur Party. Es gibt bald Essen. Sag deiner Mutter, dass ich gleich rauskomme.«

»Papa, es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe. Ehrlich.«

»Muss es nicht. Ich weiß besser als die meisten, dass ein Mann den Weg wählen muss, den er für richtig hält. Mein Leben lang habe ich versucht, nicht den meines Vaters einzuschlagen.«

Zögerlich stand Tom neben ihm. »Bist du sicher, dass es dir gut geht?«

Sein Vater lächelte reumütig. »Ich hab schon schlimmere Rückschläge als den überstanden. Jetzt geh. Ich komme gleich nach.«

Als Tom die Tür erreichte, rief sein Vater ihm hinterher. »Sohn?«

»Ja?«

»Nur, damit du’s weißt, ich mag deine junge Frau. Ich hatte gehofft, du findest hier in Charleston jemanden, und ich hatte das Gefühl, ich müsste zumindest versuchen, dafür zu sorgen. Aber letztendlich ist es deine Entscheidung. Jeanette hat Rückgrat. Falls ihr wirklich entscheidet zu heiraten, hoffe ich, ihr werdet zusammen genauso glücklich wie deine Mutter und ich.«

Als Tom das Zimmer verließ, sah er Jeanette, die gerade in den anderen Raum zurückkehren wollte. Er folgte ihr hastig und holte sie ein, bevor sie sich davonstehlen konnte.

»Du hast alles gehört, oder?«, fragte er.

Sie nickte. »Ich wollte nicht lauschen. Eigentlich wollte ich nach draußen, um frische Luft zu schnappen, da hab ich laute Stimmen gehört.«

»Ein paar der Dinge, die mein Vater gesagt hat, tun mir leid.« Er lächelte. »Aber du hast auch gehört, dass er dich mag, richtig?«

»Hab ich. Und es bedeutet mir viel, weil es ihm unheimlich schwergefallen sein muss, das auszusprechen.« Sie lächelte strahlend. »Jetzt muss ich nur noch deine Mutter für mich gewinnen.«

»Das könnten wir an einem anderen Abend machen«, schlug er vor. Er sah ihr tief in die Augen. »Wollen wir von hier verschwinden? Mir kommt das Haus auf einmal unerträglich stickig und überfüllt vor.«

Jeanette geriet in Versuchung, doch der Anstand gebot, dass sie noch blieben. »Würde ich gern, aber ich finde, das wäre nicht gut. Deine Mutter wäre gekränkt. Damit würde ich keine Pluspunkte bei ihr machen.«

»Eigentlich wäre sie wahrscheinlich erleichtert. Das Abendessen wäre ohne uns viel entspannter.«

Jeanette schüttelte den Kopf. »Netter Versuch, aber wir bleiben.«

Tom bückte sich und stahl ihr einen Kuss. »Was ich nicht alles für dich auf mich nehme«, murmelte er. »Zuerst die Weihnachtsfestlichkeiten, und jetzt das.«

»Wenn das alles ist, was du je für mich tun musst, kommst du noch glimpflich davon.«

An der Stelle kündigte ein Dienstmädchen das Essen an. Im Speisesaal mit dem glitzernden Kronleuchter, dem polierten Silber und dem funkelnden Kristall schimmerten weiße Kerzen zwischen sattgrünen Winterbeerenzweigen. Das Essen verlief überraschend gut. Mrs. McDonald verhielt sich makellos höflich, und Mr. McDonald bemühte sich sogar aufrichtig, Jeanette in die Konversation einzubeziehen.

Vielleicht lag es am Wein in Verbindung mit dem hervorragenden Lamm und dem dekadenten Schokoladendessert, jedenfalls wurde viel gelacht. Als der Kaffee serviert wurde, schienen alle rundum zufrieden zu sein.

Auf dem Weg ins Wohnzimmer beugte sich Tom zu Jeanette. »Können wir uns jetzt entschuldigen? Es wird allmählich spät, und wir müssen morgen ja wirklich früh bei den Festlichkeiten sein.«

»Du klingst überraschend froh darüber«, merkte Jeanette an.

»Erstaunlicherweise bin ich das wirklich.«

Mit strahlender Miene sah sie ihn an. »Das hört man gern. Verabschieden wir uns von deiner Mutter.«

Sie schlängelten sich durch die Menge zu ihr und stellten fest, dass sie hocherfreut über den Erfolg der Party wirkte.

»Mutter, ich muss mich entschuldigen«, verkündete Tom. »Wir müssen los.«

»Es war ein bezaubernder Abend«, sagte Jeanette aufrichtig. »Nochmals vielen Dank, dass ich mit eingeladen wurde. Tut mir leid, dass wir schon gehen, aber unsere Weihnachtsveranstaltung geht morgen früh weiter, und wir müssen beide anwesend sein.«

»Ich dachte, das war letztes Wochenende«, sagte Toms Mutter und drehte sich ihm mit einem Blick zu, als hätte sie ihn bei einer Lüge ertappt.

»Letztes Wochenende war die offizielle Eröffnung«, erklärte er.

»Die Festlichkeiten dauern zwei Wochen und gehören zu den größten Veranstaltungen der Stadt«, fügte Jeanette hinzu und ignorierte Tom, der sie wenig subtil in die Rippen stupste. »Sie sollten hinfahren. Den ganzen Tag lang haben jede Menge Stände geöffnet. Kirchenchöre treten auf. Der Baum auf dem Marktplatz leuchtet bereits, die Geschäfte sind festlich geschmückt, und abends ist es besonders schön.«

»Das klingt bezaubernd.«

Jeanette lauschte aufmerksam auf einen abfälligen Unterton, aber es klang aufrichtig. »Sie sollten wirklich kommen«, betonte sie. »Tom hat hart daran gearbeitet, und der Baum ist unglaublich.«

»Vielleicht machen wir das«, meinte Mrs. McDonald schließlich. Abermals sah sie ihren Sohn an. Diesmal wirkte sie seltsam zögerlich. »Wäre das für dich in Ordnung?«

Tom setzte ein Lächeln auf. »Natürlich. Jeanette und ich werden irgendwo dort sein. Haltet unbedingt nach uns Ausschau.«

»Und nochmals vielen Dank für heute Abend«, sagte Jeanette.

Seine Mutter zögerte erneut, als suchte sie nach den richtigen Worten. »Ich freue mich, dass ihr kommen konntet«, sagte sie schließlich. Es klang etwas verlegen, schien aber aufrichtig gemeint zu sein. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste Tom auf die Wange. »Ich erzähle deinem Vater von den Festlichkeiten. Hoffentlich sehen wir uns morgen.«

»Gute Nacht, Mutter.«

Draußen seufzte Jeanette erleichtert. »Ich kann wieder atmen.«

»Ich auch«, sagte Tom und lockerte seine Krawatte.

»War gar nicht so schrecklich, wie ich befürchtet hatte«, gab sie zu.

»Ich glaube, meine Eltern haben sich wirklich Mühe gegeben.«

Sie griff nach seiner Hand. »Glaub ich auch.« Sie musterte aufmerksam seine Züge, bevor sie fragte: »Hast du ernst gemeint, was du zu deinem Vater gesagt hast? Darüber, dass du mich heiraten willst?«

Er grinste. »Ah, das hast du also auch gehört.«

»Ist ja nicht so, als hättest du’s ihm ins Ohr geflüstert. Und?«

»Mein Plan sieht es definitiv vor«, bestätigte er. »Nur wenn ich dir einen Antrag mache, dann nicht in der Einfahrt meiner Eltern. Sondern in einem romantischen Umfeld.«

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Gut zu wissen.«

* * *

Als Dana Sue Hilfe dabei brauchte, das Sullivan’s weihnachtlich zu schmücken, bot sich Jeanette als Erste dafür an. Als Maddie erwähnte, sie sollten im Corner Spa eine Weihnachtsfeier für ihre Kundinnen veranstalten, meldete sich Jeanette freiwillig für die Planung. Dann beschloss sie, eine eigene Weihnachtsparty zu geben, die erste in ihrem neuen Zuhause. Sie kaufte edle Einladungen, holte alle ihre Kochbücher heraus, um die festlichsten Rezepte zu finden, und kaufte einen Baum, der mit Müh und Not in ihr Wohnzimmer passte. Tom schleppte ihn sogar klaglos für sie ins Zimmer, wenngleich er sich mit einer Ausrede verdrückte, als es Zeit zum Schmücken des Baums wurde.

Am Montag nach dem Verschicken der Einladungen nahm Maddie sie beiseite. »Trinken wir ein Tässchen Tee«, schlug sie vor und führte Jeanette auf die Terrasse, wo die Sonne ein warmes Fleckchen geschaffen hatte und sie so ungestört waren, wie Maddie es offensichtlich wollte.

»Okay, was ist los mit dir?«, fragte Maddie. »Ich hab die Einladung zu deiner Party gekriegt.«

»Du kommst doch, oder? Mit Cal und den Kindern.«

»Natürlich kommen wir, aber Süße, findest du nicht, dass du es allmählich mit Weihnachten ein bisschen übertreibst? Du hast zwei Tage lang deine ganze Freizeit damit verbracht, Dana Sue bei der Dekoration im Sullivan’s zu helfen. Du hast unsere Party geplant, die ein großer Erfolg war. Und jetzt willst du auch noch deine eigene Party veranstalten. Geht’s hier darum, verlorene Zeit aufzuholen? Oder soll das so was wie ein Test für Tom sein?«

Die Frage ließ Jeanette verdutzt blinzeln. »Das ist doch verrückt. Warum sollte ich Tom testen wollen?«

»Sag du es mir.«

Jeanette nippte an ihrem Tee und dachte über Maddies Frage nach. Übertrieb sie es? Wollte sie Tom auf die Probe stellen? Sie glaubte nicht. »Bei Tom und mir läuft es gut, seit wir bei seinen Eltern waren. Ich hab endlich das Gefühl, wir könnten eine echte Chance haben.«

»Okay, weißt du, was ich in dem Fall denke?«, sagte Maddie. »Ich denke, du versuchst, eine Leere zu füllen. In Wirklichkeit willst du, was du früher mit deinen Eltern hattest. Kann das sein?«

Der Gedanke war Jeanette nie gekommen, aber nun, da Maddie ihn äußerte, wurde ihr klar, dass sie genau das tat. Nach so vielen Jahren hatte sie endlich ihre Liebe zu Weihnachten zurückerlangt, aber sie wollte mehr. Sie wollte, dass alles wieder so wurde, wie es einst gewesen war. Das war natürlich nicht möglich, also versuchte sie, mit all den anderen Aktivitäten das zu ersetzen, was ihr während der Feiertage fehlen würde – ihre Familie.

»Mit meinen Eltern läuft es inzwischen viel besser«, sagte sie langsam. »Wir reden mindestens einmal die Woche miteinander. Aber über Weihnachten haben sie bisher kein Wort verloren. Ich glaube, sie sind noch nicht bereit, sich damit auseinanderzusetzen.«

»Hast du sie gefragt? Sie vielleicht zu dir eingeladen?«, hakte Maddie nach. »An einem neuen Ort, an dem sie völlig neue Erinnerungen schaffen können, fällt es ihnen vielleicht leichter, sich wieder auf Weihnachten einzustellen. Du weißt, dass sie am ersten Weihnachtsfeiertag herzlich im Sullivan’s bei uns anderen eingeladen sind.«

»Ich könnte sie wohl zumindest fragen«, meinte Jeanette.

»Und falls sie ablehnen, denk dran, dass es nichts mit dir zu tun hat. Es geht nur darum, was sie verkraften können.«

»Du hast recht.« Jeanette nickte. »Ich schaffe das. Wenn ich mich sogar Toms Eltern angenähert habe, sollte ich wohl in der Lage sein, die Verbindung zu meinen eigenen zu stärken.«

Maddie grinste. »Das ist nicht dasselbe. Bei seinen Eltern hattest du sehr niedrige Erwartungen. Soweit ich von Tom gehört habe, war es praktisch ein Wunder, dass sie letzten Samstag tatsächlich zu den Festlichkeiten hergekommen sind. Bei deinen Eltern scheinen mir Wunder mit so viel emotionalem Ballast noch schwieriger zu sein.«

»Stimmt, aber ich bin es ihnen und mir selbst schuldig, es zu versuchen«, sagte Jeanette entschlossen. »Ich gehe jetzt rein und rufe sie gleich an.«

»Viel Glück«, rief Maddie ihr nach. »Und egal, was passiert, denk dran, dass du hier Menschen hast, die dich lieben und dich als Familie betrachten.«

»Danke.« Jeanettes Augen wurden feucht. Das Wissen, dass Maddie jedes Wort aufrichtig meinte, verlieh ihr den Mut, sich bei ihren Eltern zu melden. Bei jedem anderen Anlass wäre das Risiko gering, Weihnachten jedoch barg etliche Fallstricke. Aber vielleicht würden ihre Eltern nach so langer Zeit endlich bereit sein, den mit den Feiertagen verknüpften Kummer hinter sich zu lassen.