KAPITEL 19

Jeanette schenkte in ihrer Küche gerade eiskalte Margaritas in Gläser, als Dana Sue ihre Wohnung betrat, ohne anzuklopfen.

»Was zum Geier ist passiert?«, fragte sie, als sie eine große Schüssel Guacamole und eine Tüte Chips auf dem Tisch ablud. »Als du heute Nachmittag aus dem Restaurant weg bist, haben Tom und du praktisch Dampf im Lokal zurückgelassen.«

»Ich weiß«, erwiderte Jeanette. In dem Moment kam Maddie mit einem Teller voller dicker, dekadenter Brownies herein.

»Sag nichts, bis Helen hier ist«, riet Maddie und griff sich einen Drink. »Sonst musst du noch mal von vorn anfangen.«

»Ich bin hier«, verkündete Helen. Sie holte verschiedene Käsesorten und Cracker heraus und legte sie auf die Teller, die Jeanette aus dem für ihren bevorstehenden Umzug vorbereiteten Karton geholt hatte. »Kann mir jetzt jemand sagen, warum?«

Überwältigt vor Dankbarkeit, weil alle gekommen waren und sie sich zum ersten Mal wirklich als süße Magnolie fühlte, sah Jeanette nacheinander ihre drei Freundinnen an, bevor sie in Tränen ausbrach.

»Ach, verdammt«, entfuhr es Helen, die sich nach ihr streckte. Die vielleicht zurückhaltendste der Gruppe tätschelte ihr unbeholfen den Rücken und reichte sie dann an Maddie weiter.

Dana Sue hielt ihr eine Handvoll Taschentücher entgegen. »Gehen wir nach nebenan und setzen wir uns. Dann nimmst du mal einen kräftigen Schluck von deinem Drink und fängst ganz von vorn an.«

Jede griff sich ein paar Snacks, und ausgerechnet Jeanette folgte den anderen mit dem großen Krug Margaritas, was wahrscheinlich ein Fehler war. Sie fühlte sich wackelig auf den Beinen, ganz zu schweigen davon, dass Tränen ihre Sicht trübten.

»Na schön«, begann Dana Sue, nachdem sie Platz genommen hatten. »Als ich dich zuletzt gesehen habe, wolltest du mit Tom auf direktem Weg ins Bett.«

»Du und Tom wolltet miteinander schlafen?« Maddie klang verblüfft. »Heute? Wie konnte mir das entgehen? Ich dachte, ihr würdet nur zu Mittag essen. Dann hat Dana Sue angerufen und gesagt, du müsstest nach Hause, dich ausruhen und … Oh, verstehe.«

Dana Sue grinste, und da Jeanette nichts herauszubringen schien, fügte sie hinzu: »Genau. Eins hat zum anderen geführt.«

»Offensichtlich«, erwiderte Maddie. »Muss ja ein heißes Mittagessen gewesen sein.«

»Was ist passiert?«, bohrte Helen. »War er nicht gut?«

Jeanette drängte ein Lachen zurück, vielleicht auch ein Schluchzen. »Ich weiß es nicht«, gestand sie. »Er … Ach, es ist so demütigend.«

»Er hat was?«, verlangte Helen ungeduldig zu erfahren und verfiel automatisch in ihren Verhörton, der bei Zeugen hervorragend wirkte, bei Freundinnen hingegen fehl am Platz war.

»Jetzt lass sie reden«, befahl Maddie und stupste Helen in die Rippen.

»Er hat mich abgewiesen«, beichtete Jeanette verlegen. »Und dann hat er gesagt, dass er mich liebt. Glaube ich jedenfalls. Oder zumindest etwas in der Art. Zu dem Zeitpunkt bin ich vor Scham zu tief im Boden versunken, um genauer auf seine Worte zu achten.«

»Der Mann hat gesagt, dass er dich liebt, und du hast nicht auf die Einzelheiten geachtet?«, fragte Dana Sue ungläubig.

»Nachdem er sich geweigert hatte, mit mir zu schlafen«, erinnerte Jeanette sie.

»Okay«, ergriff Maddie beschwichtigend das Wort. »Hat er auch gesagt, warum er nicht mit dir schlafen will? Er muss ja einen Grund gehabt haben. Jeder in der Stadt weiß, dass er dich rumkriegen will, seit er hier ist.«

Helen nickte. »Bei Wharton’s kursieren Wetten darüber, wann du nachgeben würdest.«

Jeanette bedachte sie mit einem bestürzten Blick, obwohl sie nicht recht wusste, warum eigentlich. Bei Wharton’s wurde auf alles Mögliche gewettet. Eine Wette lautete darauf, ob sie mit ihm ausgehen würde oder nicht. Warum sollte es dann nicht auch eine darüber geben, ob sie mit dem Mann schlafen würde oder nicht?

Maddie warf Helen einen missbilligenden Blick zu. »Musst du das ausgerechnet jetzt erwähnen? Ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt.«

»Ich berichte nur Fakten«, brummelte Helen.

Maddie drückte Jeanettes Hand. »Beachte sie gar nicht. Wenn sie auf Klatsch hört, dann hat sie neuerdings eindeutig zu viel Zeit. Also, was hat Tom zu dir gesagt?«

Jeanette stürzte den Rest ihrer Margarita hinunter, dann platzte sie heraus: »Er … er hat mir vorgeworfen, ich würde nur seinen Körper wollen.«

Die anderen drei Frauen starrten erst sie an, bevor sie sich gegenseitig ansahen. Maddie kapitulierte als Erste vor dem vergeblich unterdrückten, in ihr aufsteigenden Lachen. Dann lachten alle drei über Jeanette … oder vielleicht eher mit ihr. Es war irgendwie schwer zu sagen, da sie schließlich selbst den Humor darin erkannte und mit einstimmte. Sie lachte, bis ihr Bauch schmerzte.

»Ich glaub, ich bin ein bisschen beschwipst«, murmelte sie schließlich.

»Nicht von einer Margarita!«, sagte Helen. »Auch wenn sie stark genug sind, um Tote wiederauferstehen zu lassen.«

»Ich glaube, dir ist das Wichtigste daran entgangen, was heute Nachmittag passiert ist«, meinte Maddie, als auch ihr Lachen letztlich versiegte. »Tom hat gesagt, dass er dich liebt. Sollte nicht eigentlich das zählen?«

Jeanette schenkte sich eine weitere Margarita ein, dann seufzte sie. »Ich wollte wirklich, wirklich mit ihm schlafen, obwohl er eine Mutter aus den Tiefen der Hölle hat.« Sie schenkte ihren Freundinnen ein brüchiges Lächeln. »Hab ich euch schon erzählt, dass meine Mutter ihn mag und er sie? Das ist so viel besser, als dass ich seine Mutter nicht ausstehen kann.«

»Vielleicht ist sie ja doch betrunken«, murmelte Helen. »Ist das deine zweite Margarita, Jeanette?«

»Nein, ich glaub, ich hatte schon ein, zwei, bevor ihr gekommen seid.«

Helen verdrehte die Augen. »Dann ist dieses Gespräch wahrscheinlich sinnlos. Du solltest ins Bett gehen. Wir können es morgen noch mal versuchen.«

»Aber ich brauche jetzt einen Rat«, argumentierte Jeanette.

»Warum? Ist Tom unterwegs, um hier zu übernachten?«, fragte Helen.

»Nein, aber …«

Die anderen sahen sie erwartungsvoll an.

»Ich weiß nicht, warum«, gestand Jeanette schließlich.

»Das war’s.« Helen stand auf. »Geh duschen und dann ins Bett.«

»Ich bleibe«, bot Dana Sue an. »Nur, um sicherzustellen, dass sie nicht ertrinkt. Immerhin ist das zum Teil meine Schuld. Ich hab sie ja heute Nachmittag praktisch mit meinem Segen und meiner Empfehlung auf den Weg geschickt.«

Jeanette ließ den wirren Kopf an die Rückenlehne des Sofas sinken, während Maddie und Helen die Snacks wegräumten, bevor sie sich mit einem Kuss auf die Wange von ihr verabschiedeten.

»Okay, gehen wir«, sagte Dana Sue und zog an ihrem Arm.

»Wohin?«

»Erst duschen, dann ins Bett.«

Jeanette sträubte sich. »Ich will doch nicht mit dir schlafen«, murmelte sie.

»Gott bewahre«, erwiderte Dana Sue.

Jeanette seufzte. »Nur mit Tom«, fügte sie hinzu, als sie unter das eiskalte Wasser trat, das Dana Sue aufgedreht hatte. Sofort sprang sie wieder heraus. »Das ist kalt«, protestierte sie und schauderte.

Dana Sue drückte sie wieder unter den frostigen Strahl. »Morgen früh wirst du mir dankbar dafür sein.«

Ein paar Minuten später kroch sie in einem zu großen T-Shirt ins Bett und nahm das Aspirin an, das Dana Sue ihr hinhielt.

Ihre Freundin legte ihr die Hand auf die Wange. »Tom und du, ihr kriegt das schon hin«, versprach sie.

»Ich weiß nicht, wie.«

»Ihr werdet reden. Und eure Signale richtig setzen.«

»Dasselbe wollen«, murmelte Jeanette schläfrig und schloss die Augen. Sie mussten sich eigentlich nur einig werden und dasselbe wollen. Und hätte sie nicht solche Kopfschmerzen, wüsste sie vielleicht,was es war.

* * *

Tom saß hinter seinem Schreibtisch und starrte trübsinnig auf einen Bericht über die marode Infrastruktur der Stadt, als Cal, Ronnie und Erik mit verkniffenen Mienen hereinkamen.

»Was ist euch denn über die Leber gelaufen? Ist was passiert?«, fragte er.

»Du hast Jeanette wehgetan«, erklärte Cal.

Sein düsterer Ton brachte Tom zum Blinzeln. »Und was jetzt? Müsst ihr mir wehtun?«

Ronnie grinste. »So ungefähr. Wir sollen ein ernstes Gespräch mit dir führen.«

»Obwohl ich mir beim besten Willen nicht erklären kann, warum irgendwas davon deine Schuld sein soll«, räumte Erik ein. »Du hast ihr doch gesagt, dass du sie liebst, nicht wahr?«

»Ja.« Tom überraschte nicht im Geringsten, dass seine Freunde davon wussten. Allmählich verstand er, wie die Gerüchteküche in Serenity funktionierte. Auch das Internet war langsamer.

Er bedachte die drei mit einem herausfordernden Blick. »Und warum geht das euch was an?« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, winkte er ab. »Vergesst es. Dumme Frage. Zusammenhalt der süßen Magnolien oder so ähnlich.«

»Genau«, bestätigte Cal. »Anscheinend ist gestern Abend bei Jeanette eine ziemliche Party gestiegen. Mit Margaritas und allem, was sonst noch dazugehört. Jeanette hat geweint. Das hat schon gereicht, um dich in Schwierigkeiten zu bringen, mein Freund.«

»Jeanette hat geweint?«, echote Tom.

»So hab ich’s auch gehört«, bestätigte Erik.

»Und was passiert jetzt?«, fragte Tom. »Teer und Federn?« Er scherzte nur halb. Diese Männer selbst kamen ihm zwar recht vernünftig vor, aber ihre Frauen jagten ihm zusammengenommen einen Heidenrespekt ein.

»Keine Ahnung«, gestand Ronnie. »Ich glaube, wir sollen dafür sorgen, dass du’s nicht noch mal machst.«

»Reicht mein Versprechen?«, fragte Tom.

Erik zuckte mit den Schultern. »Mir schon.«

»Mir auch«, fügte Cal hinzu.

»Na schön.« Ronnie klang damit ebenfalls zufrieden. »Ich muss zur Arbeit.«

»Ich auch«, sagte Cal.

Erik seufzte schwer. »Dann bleibt’s wohl an mir hängen zu berichten, dass der Auftrag ausgeführt ist, was? Ihr wisst aber schon, dass Helen die Königin der Skepsis ist, oder?«

»Du könntest es auch einfach Dana Sue sagen, wenn du sie bei der Arbeit siehst«, schlug Ronnie vor. »Soll sie es doch weitergeben.«

»Damit ich es mir einen Monat lang von meiner Frau vorhalten lassen kann?«, entgegnete Erik. »Wohl kaum. Ich sag’s Helen.« Er bedachte Tom mit einem warnenden Blick. »Wenn sie damit nicht zufrieden ist, kann’s leicht sein, dass sie bei dir auf der Matte steht, bevor der Tag rum ist. Mach dich darauf gefasst. Diese Frau kann verhören, dagegen nimmt sich die Inquisition handzahm aus.«

»Ist vermerkt«, erwiderte Tom. »Was haltet ihr davon, heute Abend ein paar Körbe zu werfen? Seid ihr dabei?«

»Solltest du heute Abend nicht lieber für Versöhnung sorgen?«, schlug Cal vor.

Tom dachte darüber nach. »Bevor ich das versuche, sollte ich vielleicht abwarten, wie der restliche Tag verläuft. Eine Runde Basketball geht sich trotzdem aus.«

»Bin dabei«, kam von Ronnie.

»Ich auch«, sagte Cal zu. Er sah Erik an. »Hast du heute Abend frei?«

Erik nickte. »Ich komme, sofern Helen mir nicht den Hals umdreht, weil ihr die überbrachte Botschaft nicht passt.« Er grinste Tom an. »Was dagegen, wenn ich es ein bisschen ausschmücke, indem ich ihr sage, du hast elend ausgesehen und bist bereit, vor Jeanette auf die Knie zu fallen?«

»Nur zu«, willigte Tom ein. Was immer Erik erzählen mochte, es würde wahrscheinlich nicht weit von der Wahrheit entfernt sein. Sobald seine Wut verraucht war, hatte er sich albern und schlecht gefühlt. Er hatte die Chance gehabt, mit der Frau ins Bett zu gehen, in die er sich verliebt hatte, und er hatte sie vermasselt. Gut, dafür zeichneten sein angeborener Sinn für Anstand und der Wunsch verantwortlich, dass sie seine Gefühle erwiderte. Sein Körper war trotzdem stinksauer.

»Und wir können immer noch darauf zählen, dass du Jeanette am Samstag beim Umzug hilfst, oder?«, fragte Cal. »Da sie jetzt zurück ist, wurde der Abschluss auf Freitag vorverlegt, und am Samstag ist der große Tag.«

»Natürlich«, versicherte Tom ihm.

Erik nickte. »Das sage ich Helen auch. Du brauchst jeden Pluspunkt, den du kriegen kannst.«

»Ich dachte, davon hätte ich schon haufenweise gesammelt.«

Cal bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick. »Mann, du hast sie zum Weinen gebracht. Es gibt nicht genug Punkte auf der Welt, um das auszugleichen.«

Tom schüttelte den Kopf. Obwohl er sich eigentlich immer gut auf den Umgang mit Frauen verstanden hatte, musste er offenbar noch eine Menge lernen, wenn die Frau eine süße Magnolie war.

* * *

Jeanette hatte von dem Gespräch gehört, das die Ehemänner ihrer Freundinnen mit Tom geführt hatten. Sie hatte zwar keine Ahnung, was man ihnen erzählt hatte, um sie dazu anzustiften, oder was sie zu Tom gesagt hatten, dennoch schien es nur ein weiterer demütigender Moment in einer ganzen Reihe davon zu sein, die sie in letzter Zeit erlebte. Zum Glück blieb ihr nicht viel Zeit, um darüber zu grübeln. Wenn sie nicht bei der Arbeit war, packte sie in ihrer Wohnung für den Umzug in ihr neues Haus.

Der Abschluss am Vortag war reibungslos über die Bühne gegangen, der Umzug stand an diesem Morgen an. Alle Männer packten mit an. Obwohl Maddie ihr versichert hatte, dass Tom trotz allem mithelfen wollte, war Jeanette nicht überzeugt, dass er auftauchen würde. Ebenso wenig war sie sicher, ob sie es überhaupt wollte. Tatsächlich vermochte sie im Moment nicht zu sagen, ob sie ihn jemals wiedersehen wollte, guter Küsser hin, guter Küsser her. Dass er dachte, er würde sich in sie verlieben, verwirrte sie zutiefst.

Schließlich hörte sie das Brummen des gemieteten Umzugswagens, schaute nach draußen und sah, wie Cal und Erik ausstiegen. Von Ronnie und Tom fehlte jede Spur.

»Ich wusste es«, murmelte sie und konnte sich ein enttäuschtes Seufzen nicht verkneifen.

Da sie sich vor den beiden Männern nichts anmerken lassen wollte, lächelte sie strahlend, als sie hereinkamen.

»Ich habe Kaffee und Gebäck in der Küche«, teilte sie ihnen mit. »Ich bin euch so dankbar fürs Helfen. Es müsste alles recht gut verpackt sein, also sollte es hoffentlich nicht lange dauern. Ich hab die Kartons nicht zu schwer gemacht, also kann ich sie runtertragen, wenn ihr euch um die Möbel kümmert.«

Cal warf ihr einen tadelnden Blick zu. »Du trägst gar nichts. Dafür sind wir ja hier. Eigentlich solltest du besser voraus zum Haus fahren und dir schon mal überlegen, wo du was haben willst, sobald wir nachkommen.«

»Ich hab die Kartons beschriftet«, teilte sie ihm mit.

Erik schüttelte den Kopf. »Aber du willst bestimmt nicht stapelweise Kartons in jedem Raum. Glaub mir, das ist überwältigend. Such dir ein Zimmer aus und lass uns dort alle reinstellen. Wir können sie danach sortiert stapeln, wo sie am Ende hinsollen. Dann kannst du einen Karton nach dem anderen dorthin bringen, wo er hingehört, und ihn auspacken. So fühlen sich neunundneunzig Prozent vom Haus bewohnbar an.«

Sie strahlte ihn an. »Hervorragende Idee. Ich wünschte, ich hätte es schon bei anderen Umzügen so gemacht.«

»Okay, dann fahr los und such ein Zimmer dafür aus. Wahrscheinlich musst du sowieso auch die anderen beaufsichtigen.«

Verständnislos sah sie ihn an. »Die anderen?«

»Helen, Maddie und Dana Sue schrubben gerade, Ronnie und Tom streichen. Sie helfen uns beim Ausladen, sobald wir dort sind.«

»Aber …« Jeanette hatte keine Ahnung davon gehabt. Sie hatte nur mit ein bisschen Muskelkraft fürs Tragen der schweren Teile gerechnet. »Sie putzen und streichen?«

»In diesem Augenblick«, bestätigte Cal. »Und Tom wollte unbedingt eins der Schlafzimmer marineblau streichen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob das auch in deinem Sinn ist, aber er hat gesagt, ihm gefällt’s so.«

»Was um alles in der Welt …« Dann fiel ihr sein hartnäckiger Plan ein, sich das Haus mit ihr zu teilen. Sie war überzeugt gewesen, dass er die Idee schon vor Wochen ad acta gelegt hatte. Spätestens ihr Verführungsversuch und seine Reaktion darauf hätten das endgültige Aus dafür sein müssen. Offenbar hatte sie sich geirrt.

Sie schnappte sich ihre Handtasche vom Esszimmertisch. »Seid ihr sicher, dass ihr mich hier nicht braucht?«

Erik grinste. »Nicht so sehr, wie du dort gebraucht wirst«, gab er zurück.

»Wir haben alles im Griff«, versicherte Cal ihr.

Sie war schon fast zur Tür hinaus, als Cal nach ihr rief. »He, Jeanette. Falls du ihn erwürgen willst, warte damit, bis wir da sind, ja?«

»Damit ihr ihn beschützen könnt?«

Cal schüttelte den Kopf. »Nein, damit wir zusehen können.«

»Genau. Ist irgendwie erfreulich, wenn man zur Abwechslung mal nicht selbst das Opfer ist«, fügte Erik hinzu. »Wir haben’s schon hinter uns. Warum soll’s ihm anders gehen?«

Jeanette schüttelte den Kopf. »Wem wollt ihr hier was vormachen? Eure Frauen lieben euch heiß und innig.«

»Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir sie nicht hin und wieder auf die Palme treiben«, sagte Cal. »Das solltest du dir vielleicht merken.«

»Was meinst du damit?«

»Dass ein gelegentlicher Streit nun mal dazugehört«, erklärte Erik. »Liebe ist kompliziert.«

»Und steinig«, ergänzte Cal.

»Niemand hat was von Liebe gesagt«, konterte Jeanette.

Cal grinste. »Doch, schon. Hab ich zumindest gehört.«

»Ich auch«, bestätigte Erik.

»Eure Frauen haben zu lose Mundwerke«, sagte Jeanette.

Erik lachte. »Erzähl uns lieber was Neues. Trotzdem muss man sie einfach lieben.«

Jeanette seufzte. »Ja, ich weiß.«

Anscheinend hatten sie vor, Jeanettes Interessen um jeden Preis so zu schützen, wie es die jeweilige Lage ihrer Meinung nach erforderte. Auch wenn dabei all ihre demütigenden Geheimnisse preisgegeben wurden.

* * *

Tom hatte bereits eine Schicht marineblaue Farbe auf die Wände im unteren Gästezimmer aufgetragen, als Jeanette hereinstürmte. Mit großen Augen und entrüsteter Miene bremste sie abrupt ab.

»Was soll das werden?«, verlangte sie eine Erklärung.

»Ist das nicht offensichtlich?«

»Marineblau? Wer will in einem so dunklen Zimmer schlafen?«

»Na ich«, erwiderte er.

»Du schläfst weder in diesem Zimmer noch sonst irgendwo in diesem Haus.«

»Neulich hast du was anderes vorgeschlagen«, erinnerte er sie.

»Ein Gentleman würde das nicht mal erwähnen.«

»Dann wissen wir wohl beide, was ich bin«, antwortete er und malte unbeirrt weiter.

»Ein widerwärtiges Schwein«, schlug sie zuckersüß vor.

Tom verkniff sich ein Lächeln. Wenigstens redete sie mit ihm. Er war sich nicht sicher gewesen, ob sie das würde.

Sie stapfte auf ihn zu und starrte ihn eindringlich an. »Lächelst du etwa? Bitte sag, dass du nicht lächelst.«

»Ich lächle nicht«, sagte er, obwohl seine Lippen weiterhin zuckten.

»Tom McDonald, das ist kein bisschen witzig. Ich will nicht, dass du auf dumme Gedanken über mich oder dieses Zimmer kommst.«

»Zu spät«, erwiderte er. »Davon hab ich schon jede Menge. Die meisten hast du mir in den Kopf gesetzt.«

»Tja, dann werd sie wieder los.«

»Tut mir leid, Süße, das geht nicht. Schon gar nicht, während du feuerspeiend direkt vor mir stehst. Irgendwie weckt das in mir den Wunsch, dich zu küssen.«

Mit erschrockener Miene wich sie einen Schritt zurück. »Kein Küssen.«

Mit ernstem Gesichtsausdruck sah er sie an. »Du scheinst in letzter Zeit Schwierigkeiten zu haben, dich für etwas zu entscheiden.«

»Ach, scher dich doch zur Hölle«, herrschte sie ihn an und fegte hinaus.

Diesmal konnte er das Grinsen endgültig nicht unterdrücken, das sich in seinem Gesicht ausbreitete. Er versuchte es nicht mal. Das war gut gelaufen. Besser als erwartet.

Er hatte in den letzten Tagen viel über seine Dummheit nachgedacht. Wenn sie ihm das nächste Mal ein Angebot unterbreitete, würde er es nicht ablehnen. Natürlich konnte es angesichts des Ausgangs beim letzten Mal eine Weile dauern, bis es ihm gelingen würde, ihr ein weiteres Angebot zu entlocken. Und da er kein besonders geduldiger Mensch war, musste er alles in seiner Macht Stehende tun, um die Sache zu beschleunigen. Sie von Zeit zu Zeit zu reizen, damit ihr Blut in Wallung kam, schien vielversprechend zu sein. Gerade eben hatte sie ausgesehen, als wäre sie nur ein Sticheln von einem weiteren denkwürdigen Zungentanz entfernt gewesen.

* * *

Jeanette hatte zwar nicht annähernd genug Möbel, um das Haus zu füllen, aber was sie hatte, befand sich an seinem Platz und glänzte vor Politur. Die Parkettböden schimmerten, und die Zimmer im Erdgeschoss waren alle frisch gestrichen, auch das lächerlich marineblaue Gästezimmer. Tatsächlich sah es in Kombination mit dem glänzenden weißen Holz ziemlich gut aus, wenngleich sie es keiner anderen Menschenseele gegenüber zugegeben hätte. Sie hatte sogar absichtlich diesen Raum zum Lagern der Kartons ausgewählt. Tom sollte ruhig merken, dass sie ihn nicht darin einziehen lassen wollte. Es war beinah unmöglich, sich durch die Tür hineinzuquetschen.

Die leeren Pizzakartons und Bierflaschen waren zusammen mit einer vollen Ladung Müll und dem ersten Schwung leerer Verpackungskartons beseitigt worden. Mittlerweile befand sich Jeanette allein in ihrem neuen Haus. Während sie sich umsah, traten ihr Tränen in die Augen. Die Erkenntnis, dass all das wirklich ihr gehörte, fühlte sich überwältigend an. Sie hatte tatsächlich ein gemütliches Zuhause, in dem sie sich das Leben aufbauen konnte, das sie sich wünschte.

Als die letzte CD verstummte, kehrte Stille ein. Nach so vielen Jahren in beengten Wohnungen mit Nachbarn nur ein paar Rigipswände entfernt fühlte es sich ein wenig unheimlich an, so vollkommen allein zu sein. Als jemand leise an die Haustür klopfte, zuckte sie nervös zusammen.

Sie zog den Spitzenvorhang an der Tür beiseite und spähte durch die Scheibe hinaus. Tom stand auf der Veranda, in einer Hand eine Flasche Champagner, in der anderen einen Blumenstrauß. Bei dem Anblick schlug ihr das Herz bis in den Hals. Er sollte nicht zurück sein, schon gar nicht ausgerechnet, wenn sie sich ein bisschen zu allein und verletzlich fühlte.

Jeanette öffnete die Tür einen Spalt. »Was willst du hier?«

»Dir helfen, dein neues Zuhause zu feiern.«

»Du warst hier, als wir vorhin angestoßen haben. Das muss reichen.«

»Ich dachte mir, dass eine etwas intimere Feier angebracht wäre.«

Jeanette konnte den Blick nicht von dem hoffnungsvollen Schimmer in seinen Augen lösen. »Du verwirrst mich«, murmelte sie.

Sein Mund verzog sich. »Gleichfalls.«

Kurz dachte sie über ihre Möglichkeiten nach. Schließlich trat sie beiseite und ließ ihn herein. »Du kannst ein paar Minuten bleiben. Gerade lang genug für ein Glas Champagner.«

»Okay«, willigte er mit ernster Miene ein.

»Was ist in der Tüte?«

»Champagnergläser. War mir nicht sicher, ob du welche hast oder ob sie schon ausgepackt sind.« Er holte zwei elegante Kristallflöten hervor. Ein Bauchgefühl sagte ihr, dass sie alt und wertvoll waren.

»Hast du den Porzellanschrank deiner Mutter geplündert?«

Er lachte. »So ungefähr.«

Sie entdeckte unten das Waterford-Zeichen. »Guter Geschmack.«

»Freut mich, dass sie dir gefallen«, sagte er, öffnete den Korken des Champagners und schenkte die Gläser randvoll. Er grinste über ihre Reaktion. »Da du es auf ein Glas beschränkt hast, will ich das Beste daraus machen.«

Er reichte ihr eine Champagnerflöte und erhob die eigene. »Mögest du in deinem neuen Zuhause alles Glück finden, das du verdienst.«

»Danke«, sagte sie, stieß mit ihm an und nippte am Champagner.

Schließlich wagte sie einen Blick in seine Augen und stellte die Frage, die sie schon den ganzen Tag beschäftigte. »Was willst du wirklich hier? Und ich meine den ganzen Tag, nicht nur jetzt.«

»Ist das nicht offensichtlich?«

»Nicht für mich.«

»Ich versuche, mich zu entschuldigen.«

»Wofür?«

»Dafür, dass ich dich habe abblitzen lassen. Dafür, dass ich dich in Verlegenheit gebracht habe. Dafür, dass ich dir den völlig falschen Eindruck vermittelt habe, ich würde dich nicht wollen.« Er begegnete ihrem Blick. »Wie stelle ich mich an?«

»Das ist ein guter Anfang. Mach weiter.«

Mit ernster Miene beugte er sich vor. »Du hast mich überrumpelt. Ich hatte mich so lange nach dir gesehnt, und auf einmal warst du so begierig, so willig. Da habe ich unwillkürlich deine Motive in Frage gestellt. Das war dumm.«

Sie seufzte. »Nein, war es eigentlich nicht. Du hattest schon recht damit, sie zu hinterfragen. Und du hattest auch recht damit, dass ich es am Ende bereuen würde, wenn es nichts bedeutet hätte.«

»Es hätte etwas bedeutet«, betonte er mit Nachdruck. »Etwas anderes wäre gar nicht möglich, nicht zwischen uns.«

»Aber es hätte nicht das bedeutet, was es sollte«, argumentierte sie. »Es wäre keine Verpflichtung gewesen. Das wäre nicht der erste Schritt zu etwas Dauerhaftem gewesen.«

»Du klingst dir ziemlich sicher.«

»Ich bin mir sicher. Du bist ein ehrgeiziger Mann. Du hast deine gesamte Zukunft vorausgeplant. Und das bewundere ich, ehrlich. Mir scheint nur, für mich ist darin kein Platz.«

Halb rechnete sie damit, dass er widersprechen würde, doch das tat er nicht. Stattdessen nickte er, womit er ihre Befürchtungen bestätigte.

»Vor ein paar Wochen hab ich noch nicht verstanden, wie du zu dem Schluss kommen kannst«, sagte er. »Ich glaube, jetzt verstehe ich es.«

»Ach ja?«

»Du hast mir ja erzählt, was nach dem Tod deines Bruders passiert ist«, sagte er schlicht. »Ich weiß, wie dich deine Eltern in ihrer Trauer verdrängt und dir das Gefühl gegeben haben, du wärst unwichtig. Das muss entsetzlich wehgetan haben.«

»Du hast ja keine Ahnung, wie sehr«, bestätigte sie.

»Ein solcher Schmerz hinterlässt Narben«, fuhr er fort. »Er härtet einen ab. Du willst nicht zulassen, dass dir das irgendjemand noch mal antut. Du willst dich nie wieder weniger wichtig fühlen, als du es verdienst.«

»Du irrst dich«, erwiderte sie. »Lange Zeit dachte ich, dass ich genau das verdient hätte. Ich habe mich in Beziehungen gestürzt, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt waren, und ich wusste es. Natürlich ist es dann jedes Mal genau so gekommen. Ich war zweitrangig hinter der Karriere, einer anderen Frau, alles Möglichem. Als ich nach einer weiteren katastrophalen Beziehung hergezogen bin, hab ich mir geschworen, dass ich damit fertig bin.«

»Also hast du beschlossen, niemanden mehr an dich ranzulassen, um dich zu schützen«, folgerte er. »Vor allem nicht jemand so Riskanten wie mich.«

»Genau.«

»Was, wenn ich dir beweisen kann, dass ich kein so großes Risiko bin, wie du denkst?«

»Ich glaub nicht, dass du das kannst. Du hast mir deine Zukunftspläne ja schon erklärt. Das kannst du nicht zurücknehmen.«

»Lässt du es mich versuchen?«

»Ich wüsste nicht, wie du das ungesagt machen willst. Deine Pläne sind nun mal deine Pläne«, sagte sie kläglich.

»Pläne können sich ändern«, erwiderte er schlicht.

»Nicht über Nacht.«

»Stimmt«, räumte er ein. »Es könnte einige Zeit dauern, dich davon zu überzeugen, dass es zwischen uns funktionieren kann.«

»Aber verstehst du denn nicht? Genau das haben wir nicht – Zeit. Du ziehst weiter. Vielleicht nicht morgen oder nächsten Monat oder sogar nächstes Jahr, aber irgendwann. Ich hingegen habe den Ort gefunden, an dem ich für immer bleiben möchte.«

Einen Moment lang wirkte er von ihren Worten entmutigt. Dann jedoch ergriff er ihre Hände. »Was, wenn ich dir beweisen kann, dass der Ort, wo du für immer sein willst, in Wirklichkeit mein Herz ist? Wenn mir das gelingt, würde es keine Rolle mehr spielen, wo wir wohnen würden.«

Die Süße seiner Worte verlockte Jeanette genauso sehr wie die Aufrichtigkeit in seinem Gesicht. Dennoch flimmerte vor ihren Augen neonrot das Risiko. Diesen Sprung ins Ungewisse hatte sie schon zu oft gewagt. Dabei hatte sie immer auf ihr Herz vertraut und die Fakten ignoriert. Diesmal konnte sie das nicht.

»Es geht nicht nur um ein Haus oder eine Stadt«, erklärte sie ihm.

»Ich weiß. Es geht darum, dass du mir wichtiger sein willst als alles andere«, erwiderte er. »Und ich sage dir, dass ich glaube, das bist du. Um es mit Sicherheit herauszufinden, gibt es nur eine Möglichkeit, und die heißt Zeit.«

»Da sind so viele Hindernisse im Weg«, entgegnete Jeanette.

»Nenn mir eines.«

»Deine Mutter.«

»Ein Ärgernis, kein Hindernis.« Er machte eine auffordernde Geste. »Was noch?«

»Du bist ein Weihnachtsmuffel.«

Darüber lachte er. »Du doch auch.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Zum ersten Mal seit Jahren erinnere ich mich wieder daran, wie sehr ich Weihnachten geliebt habe, als ich klein war. Ich glaube, der Baum war ein Wendepunkt für mich. Ein Hauch von jenem Duft, ein Blick auf diesen prächtigen Baum, und alles ist wieder über mich hereingebrochen.«

»Na schön, wenn Weihnachten dir so wichtig ist – es sind ja nur ein paar Wochen im Jahr. Da kann ich Begeisterung vortäuschen.«

»Erinnere mich daran, den Spruch bei dir zu bringen, falls wir je zusammen im Bett landen«, konterte sie sarkastisch.

Ihre Worte schienen ihn zum Nachdenken zu bringen. Nach einigen Herzschlägen fuhr er fort. »Wie wär’s damit? Von jetzt bis Neujahr verhalten wir uns wie ein Paar. Wir machen den ganzen Feiertagszauber so, wie du es willst. Wir verbringen Zeit miteinander und mit unseren Familien. Wir treffen uns mit Freunden. Ich ringe mich sogar dazu durch, Weihnachtslieder singen zu gehen, wenn du darauf bestehst.«

»Na, was für ein edles Opfer«, sagte Jeanette. »Ich muss nett zu deiner Mutter sein, und du musst dafür in der Öffentlichkeit singen. Inwiefern soll das fair sein?«

»Ich packe noch haufenweise Frohsinn bei der Eröffnung der Festlichkeiten dazu«, erhöhte er den Einsatz. »Ich werde ein Musterbeispiel an Weihnachtsstimmung sein.«

Die Vorstellung mitzuerleben, wie er versuchte, seine Aversion gegen das Fest zu überwinden, war zu verlockend. Zumindest zog Jeanette das als Ausrede dafür heran, dass sie einlenkte.

»Na schön«, willigte sie schließlich ein.

Seine Züge hellten sich auf. »Kann ich einziehen?«

»Ich kann mich nicht erinnern, dass Sex oder mein Gästezimmer bei den Verhandlungen vorgekommen wären«, gab sie zurück.

»Bist du sicher? Ich dachte, das wäre stillschweigend enthalten.«

Sie bedachte ihn mit einem sarkastischen Blick. »Du bist ein erfahrener Verhandler. Ich bezweifle stark, dass du sonst irgendetwas offen für Interpretationen lässt. Kein Sex, kein Zimmer.«

»Ganz sicher, dass du unseren mündlichen Vertrag nicht ändern oder ergänzen willst?«

»Hundertprozentig«, beteuerte sie. »Aber du kannst ja von Zeit zu Zeit wieder nachfragen.«

Während sie sein verführerisches Grinsen und die Lust in seinen Augen auf sich wirken ließ, ahnte sie bereits, dass sie es ihm viel zu leicht machen würde, sie umzustimmen.