KAPITEL 5

Als Jeanette endlich im Corner Spa eintraf, war sie aufgekratzt und verärgerter denn je über Maddie, weil sie ihr den Weihnachtsausschuss aufgehalst hatte. Von September an jede Woche zwei vergeudete Stunden bis zum Beginn der Feierlichkeiten Anfang Dezember! Lächerlich. Obendrein wurde sie prompt von Maddie für ihr Verhalten gegenüber Tom am Sonntagabend gescholten, wenn auch dezent. Obwohl Jeanette damit gerechnet hatte, trug es nur zusätzlich zu ihrem Verdruss bei. Sie grummelte noch immer darüber, als sie Helen im Café begegnete.

»Ah, da bist du ja«, sagte Helen fröhlich. »Wie war die Ausschusssitzung? Hab gehört, der neue Gemeindedirektor ist ein heißer Typ.«

Jeanette bedachte sie mit einem finsteren Blick. »Nicht du auch noch«, brummte sie, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in ihr Büro. »Ich hab von Dana Sue und Maddie schon mehr Lobhudelei über ihn gehört, als ich ertragen kann.« Zusätzlich zu einer demütigenden Belehrung über ihre unangebrachte Unhöflichkeit gegenüber dem neuen Gemeindedirektor am Sonntagabend.

Bevor sie die Tür schließen konnte, trat Helen hinter ihr ein. »Okay, offensichtlich hab ich was Falsches gesagt. Klärst du mich auf, warum?«

»Du kriegst die Kurzfassung«, sagte Jeanette und redete sich wieder in Rage. »Ich will nicht verkuppelt werden. Ich will nicht, dass Maddie, Dana Sue und du auf komische Ideen über mich und Tom McDonald kommen. Falls und wenn ich entscheide, wieder mit jemandem zu gehen, suche ich mir den Mann dafür schon selbst aus.«

In Helens gerissenen Augen funkelte Belustigung. »Verstanden«, sagte sie.

Jeanette schaute nur noch finsterer drein. »Du nimmst mich nicht ernst. Warum nimmt mich keine von euch ernst?«

Schlagartig ernüchterte Helens Gesichtsausdruck. »Ach, Süße, das tun wir doch. Glaub mir, was immer du über den Betrieb im Wellnessbereich zu sagen hast, nehmen wir sogar sehr ernst.«

»Aber nicht dabei«, warf Jeanette ihr vor. »Nicht, wenn’s um mein Liebesleben geht.«

»Das liegt nur daran, dass du so sehr wie wir klingst, kurz bevor wir im seligen Hafen der Ehe gelandet sind«, erwiderte Helen.

Jeanette seufzte schwer. »Ja, das hat Dana Sue auch gesagt.«

»Das haben wir alle erlebt.«

»Was?«

»Die Verleugnung.«

»Wie kann ich irgendwas verleugnen? Ich bin Tom McDonald bisher dreimal begegnet. Und er ist nicht mein Typ. Zu vornehm, zu spießig.« Die Äußerung lag weit von der Wahrheit entfernt, aber sie wollte auf keinen Fall zugeben, dass er ein süßes Grübchen und eine charmante Art besaß. Damit würde sie nur Öl ins Feuer gießen.

»So hat Maddie ihn nicht beschrieben. Dana Sue auch nicht.«

»Wie haben sie ihn denn beschrieben?«, regte sich Jeanettes Neugier.

»Groß, gutaussehend, intelligent, sexy. Und er hat ein Grübchen. Ich glaube, das ist Maddie aufgefallen.«

»Mir nicht«, log Jeanette. »Aber so oder so reicht das wohl kaum als Grundlage für eine lebenslange Verpflichtung.«

»Wahrscheinlich nicht«, räumte Helen ein. »Habe ich reich schon erwähnt? Angeblich stinkt seine Familie vor Geld. Ich glaube, ich bin seinen Eltern mal bei Wohltätigkeitsveranstaltungen in Charleston begegnet.«

»Das ist jetzt keine Empfehlung«, entgegnete Jeanette. »Wenn’s mir um Geld ginge, wäre ich im Chez Bella in Charleston geblieben. Und wenn er wirklich so reich ist, warum arbeitet er dann hier in Serenity für einen Hungerlohn? Haben sie ihn enterbt? Oder soll das seine gute Tat des Jahrhunderts sein? Und was sollte ein reicher Pinkel von einer Frau wollen, die anderen Gesichtsbehandlungen verpasst?«

»Und Massagen«, fügte Helen hinzu und kämpfte sichtlich damit, sich ein Grinsen zu verkneifen. »Vergiss nicht deine hervorragenden Massagen, die mit Sicherheit ihren Reiz haben. Erik hat schon mehr als einmal vorgeschlagen, ich soll bei dir Unterricht nehmen.«

»Ach, Herrgott noch mal, du weißt schon, was ich meine. Ein reicher Kerl, vor allem einer, der von altem Geldadel abstammt, würde eine Gesellschaftsdame wollen, eine Frau mit Verbindungen, die ich eindeutig nicht habe.«

»Gut«, sagte Helen. »Ich habe keine Ahnung über Tom McDonalds Beweggründe. Wir sind uns noch nie begegnet. Warum fragst du nicht ihn?«

»Weil das ein Interesse an ihm andeuten würde, das ich nicht habe«, erwiderte Jeanette stur. »Wenn’s dir nichts ausmacht, ich brauche jetzt Kaffee mit Koffein, nicht den Kräutertee, den wir hier servieren. Und den muss ich hinter verschlossener Tür kochen. Außerdem warten Kundinnen auf mich.«

Helen grinste. »Bin schon weg. Niemand soll behaupten, ich stünde dabei im Weg, dass hier Geld verdient wird.« Damit wandte sie sich zum Gehen, drehte sich jedoch noch einmal um. »Du, komm doch nächste Woche zum Sonntagsessen vorbei. Alle werden da sein.«

Argwöhnisch verengte Jeanette die Augen zu Schlitzen. »Alle?«

»Maddie, Cal und die Kinder. Dana Sue und Ronnie. Laut Maddie ist Ty vielleicht auch zu Hause, und Dana Sue fragt nach, ob Annie übers Wochenende vom College kommen kann. Und nur, falls du Zweifel hast, Erik wird kochen, nicht ich. Es muss also niemand eine Lebensmittelvergiftung befürchten.«

»Gut zu wissen.« Jeanette überlegte, ob es sinnvoll wäre, an einem Essen teilzunehmen, bei dem ihr Liebesleben erneut auf den Prüfstand gestellt werden könnte. Der Vorteil wäre natürlich, dass sie ihre Haltung verteidigen und irgendwelchen hinterhältigen Aktionen einen Riegel vorschieben könnte. »Danke, gern«, nahm sie die Einladung schließlich an. »Kann ich was mitbringen? Wein? Mineralwasser? Limonade? Einen Kuchen?«

»Vergiss den Kuchen. Erik ist Patissier. Ihm kommt nichts Süßes ins Haus, was er nicht selbst gemacht hat. Einmal hab ich einen Tiefkühlkuchen mitgebracht, das hat er mir einen Monat lang vorgehalten. Wie wär’s mit Tequila? Ich mache Margaritas.«

»Oh Mann.« Jeanette stöhnte. »Die verheerenden?«

Helen grinste. »Gibt’s auch andere? Außerdem ist ja gerade keine von uns schwanger oder stillt. Dann also gegen vier, okay?«

»Passt«, sagte Jeanette, obwohl sie insgeheim Zweifel an Helens Aufzählung der Gäste hegte. Sie traute es der Frau durchaus zu, dass sie auch Tom einladen würde, um zu sehen, ob die Gerüchte über sein gutes Aussehen stimmten – und um sich vielleicht selbst als Kupplerin zu versuchen.

* * *

Kurz vor der Mittagszeit fegte Mary Vaughn ohne Termin an der empörten Teresa vorbei in Tom McDonalds Büro.

Ihr Plan sah vor, ihn zuerst auf etwas über die Weihnachtsfeierlichkeiten anzusprechen und dann unscheinbar die Frage einzubauen, ob er schon Pläne fürs Mittagessen hatte.

Kaum war sie eingetreten, bremste sie abrupt ab. Er war nicht in seinem Büro. Sie wirbelte herum und schleuderte Teresa einen finsteren Blick zu.

»Er ist nicht da.«

»Das hätte ich dir sagen können, wenn du wenigstens einen Schritt langsamer geworden wärst«, erwiderte Teresa mit einem befriedigten Funkeln in den Augen.

»Wo ist er?«

»Bei einer Besprechung außer Haus.«

»Wann kommt er zurück?«

»Schwer zu sagen. Soll ich ihm ausrichten, dass du hier warst?«

Mary Vaughn überlegte. Wenn sie nicht erklärte, was sie hergeführt hatte, wäre für jeden mit einem Funken Verstand offensichtlich, dass es an persönlichen Motiven lag. Sie wusste haargenau, dass alle in der Stadt sie für mannstoll hielten. In Wahrheit hatte es in ihrem gesamten Leben nur einen Mann gegeben, nach dem sie ein wenig verrückt gewesen war, und zwar Ronnie Sullivan. Nachdem sie ihn inzwischen zweimal an Dana Sue verloren hatte, war es höchste Zeit, diesen speziellen Traum abzuhaken. Er hatte ihr nur Kummer bereitet.

Ihre Ehe mit Sonny Lewis war eine reine Notlösung gewesen, die sie jeden Tag ihres Lebens bereute. Es hatte sie kein bisschen überrascht, dass ihre Ehe kaum zehn Jahre gehalten hatte. Überrascht hatte sie nur, dass er, der so liebenswerte, entspannte Sonny, sie beendet hatte. Mary Vaughn hatte eine Tochter, die sie abgöttisch liebte, und eine erfolgreiche Karriere, die ihr finanzielle Unabhängigkeit sicherte. Die Ehe mit Sonny hatte ihr das Ansehen verschafft, nach dem sie sich seit ihrer Kindheit gesehnt hatte. Wahrscheinlich hätte sie noch viel länger zufrieden neben Sonny vor sich hin gelebt, wenn er das Ende nicht erzwungen hätte.

»Hast du dich schon entschieden?«, fragte Teresa und holte sie damit abrupt in die Gegenwart zurück.

»Worüber?«, fragte Mary Vaughn verständnislos.

»Soll ich Tom sagen oder nicht, dass du vorbeigeschaut hast?«

»Nein«, antwortete sie. »Danke, Teresa. Ich erwische ihn schon früher oder später.«

Teresa murmelte etwas vor sich hin, und es klang verdächtig nach: »Dann werd ich ihn davor warnen.« Aber sie hatte eine Unschuldsmiene aufgesetzt, als sich Mary Vaughn zu ihr umdrehte und sie mit einem bohrenden Blick bedachte.

»Schönen Tag noch«, sagte die Sekretärin.

»Gleichfalls«, erwiderte Mary Vaughn genauso unaufrichtig wie Teresa.

Vor dem Rathaus wollte sie gerade die Hauptstraße überqueren, als sie Tom aus seinem Auto aussteigen sah. Sofort hellte sich ihre Miene auf.

»Hallo«, rief sie ihm zu. »Ich hab gerade nach Ihnen gesucht.«

Einen Moment lang wirkte er verwirrt, dann trat Erkennen in seine Züge. »Mary Vaughn, richtig?«

»Sie haben ein wunderbares Gedächtnis«, lobte sie. »Bestimmt ist alles ziemlich viel auf einmal, wenn man in eine neue Stadt zieht. Obwohl ich da natürlich nicht mitreden kann. Ich bin schon mein Leben lang hier. Es gibt keinen Winkel von Serenity, den ich nicht wie meine Westentasche kenne. Und genauso gut weiß ich über die Menschen hier Bescheid. Ich kenne alle ihre kleinen schmutzigen Geheimnisse.«

»Ach ja?«

Sie errötete unter seinem leicht missbilligenden Blick. »Natürlich gibt’s davon nicht viele. Ich meine damit nur, dass ich alle sehr gut kenne. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen einen Schnellkurs. Falls Sie Zeit haben, lade ich Sie gern zum Mittagessen bei Wharton’s oder im Sullivan’s ein. Das Sullivan’s ist das beste Restaurant der Stadt. Haben Sie dort schon gegessen?«

»Ja«, antwortete er. »Es ist spitze. Danke auch für die Einladung, aber ich hab einen mit Terminen gespickten Vormittag hinter mir, und der Nachmittag sieht kaum besser aus. Ich werd nur ein Sandwich am Schreibtisch essen. Teresa müsste es schon bestellt haben.«

Mary Vaughn gab sich sofort geschlagen. »Dann ein anderes Mal. Übrigens, haben Sie schon eine Bleibe gefunden? Howard hat mir erzählt, dass Sie etwas suchen. Ich kann Ihnen gern ein paar Objekte zeigen. Wenn Sie wollen, schicke ich Ihnen Unterlagen über meine Empfehlungen für Sie.«

»Gern«, sagte er. »Bin nur nicht sicher, wann ich dazu komme, sie mir anzusehen. Ich würde mich dann melden, ja?«

Mary Vaughn unterdrückte ein Seufzen. An diesem Tag hatte sie rundum versagt, aber sie würde es erneut versuchen. Wie immer. Sie setzte ein fröhliches Lächeln auf und überlebte. So hielt sie es schon ihr Leben lang. Niemand in der Stadt ahnte auch nur, wie gut sie darin war, ihre Probleme zu überspielen.

»Sie können jederzeit anrufen«, ließ sie ihm mit ihrem gewinnendsten Lächeln wissen.

Dann ging sie mit gestrafftem Rücken und weitgehend unversehrtem Stolz davon.

* * *

»Hat Mary Vaughn schon ihre Krallen in Sie geschlagen?«, fragte Teresa, kaum dass Tom das Büro betreten hatte.

»Was?«, hakte er zerstreut nach. »Mary Vaughn? Der bin ich gerade auf der Straße über den Weg gelaufen. Ich bin mir nicht mal sicher, was sie eigentlich wollte.«

»Sie«, antwortete Teresa, die ihm in sein Büro folgte. »Die Frau will Sie. Hab ich Sie nicht erst neulich davor gewarnt? Vertrauen Sie mir. Dieses Funkeln hab ich schon öfter in ihren Augen gesehen. Zuletzt hatte sie es auf Ronnie Sullivan abgesehen, aber dem hat Dana Sue einen schnellen Riegel vorgeschoben.«

Tom schaute auf. »Teresa, Klatsch interessiert mich nicht.«

Allerdings war ihm Mary Vaughns Interesse keineswegs entgangen. Sie hatte ihn zum Mittagessen eingeladen. Das Angebot, ihm Immobilien zu zeigen, schien ihr erst nachträglich eingefallen zu sein.

Aber er hatte nicht das geringste Interesse, Teresa darin einzuweihen. »Tatsächlich«, behauptete er, »will sie mir lediglich ein Haus verkaufen.«

Teresa verdrehte die Augen. »Männer!«, brummelte sie schnaubend. »Ihr Sandwich liegt auf Ihrem Schreibtisch. Schinken, Käse, Roggenbrot. Ich hab Salat und Tomaten dazugeben lassen, damit Sie sich einreden können, es wäre gesund.«

»Danke. Geben Sie mir fünfzehn Minuten, bevor Sie irgendwelche Anrufe durchstellen, ja?«

»Es ist auch meine Mittagspause. Anrufe lasse ich auf dem Anrufbeantworter landen«, ließ sie ihn wissen.

Noch besser, dachte Tom. Er biss von seinem Sandwich ab und trank einen Schluck von der lauwarmen Limonade, die Teresa dazugestellt hatte. Dann griff er zum Telefon, wählte die Nummer des Corner Spa und verlangte Jeanette. Er hatte etwas Legitimes mit ihr zu besprechen und eine neue Strategie, um ihre Mauer ins Wanken zu bringen. Tom freute sich schon darauf, es zu versuchen.

Als sie sich meldete, klang sie gehetzt.

»Viel zu tun?«, erkundigte er sich. »Hier Tom.«

»Ich bin gerade mitten in einer Behandlung. Kann ich Sie zurückrufen?«

»Tun Sie es auch?«

»Natürlich.« Sie hörte sich verschnupft an. »Außer, Sie rufen an, um mich um ein Date zu bitten. In dem Fall sage ich sofort nein und spare uns beiden Zeit.«

Tom lachte. »Ich würde Sie zwar gern um ein Date bitten, bin mir aber nicht sicher, ob mein Ego eine weitere Abfuhr verkraftet. Nein, ich wollte mich mit Ihnen zusammensetzen, um über die Sache mit den Verkaufsständen beim Weihnachtsmarkt zu reden.«

»Wirklich?« Sie klang skeptisch.

»Ich schwör’s«, beteuerte er. »Howard wird mir demnächst deswegen auf die Pelle rücken, und dann will ich vorbereitet sein.«

»Sie wollen also ein dienstliches Treffen«, wiederholte sie. »In Ihrem Büro?«

Sie klang zwar immer noch misstrauisch, aber vielleicht auch ein wenig enttäuscht. Genau darauf hatte er gehofft.

»Oder wo auch immer es Ihnen passt«, gab er unbeschwert zurück. »Ich kann auch zu Ihnen kommen. Oder wir können uns irgendwo auf einen Kaffee treffen. Ich denke nicht, dass man das als Date interpretieren könnte. Suchen Sie es sich aus.«

Sie schwieg so lange, dass er schon dachte, die Verbindung wäre vielleicht abgebrochen. »Jeanette?«

»Ich überlege noch«, sagte sie. »Kommen Sie um sechs Uhr her. Wir können auf der Terrasse einen Eistee trinken. Um die Zeit ist es hier ziemlich ruhig.«

»Sie lassen mich ins Corner Spa?«, fragte er gespielt erstaunt.

»Nein, tu ich nicht. Sie können den Seiteneingang nehmen und zur Terrasse kommen. Unter meiner Aufsicht schleichen sich keine Männer in den Laden.«

»Verflixt. So knapp dran«, sagte er mit nicht ganz gespielter Enttäuschung. »Wir sehen uns um sechs.«

»Passt«, sagte sie und klang bereits wieder abgelenkt.

»Jeanette«, fügte er hinzu, »ich freue mich schon darauf.«

Er war gerade dabei aufzulegen, als er sie rufen hörte: »Es ist dienstlich!«

»Wie du meinst, Süße«, murmelte er, als er auflegte. »Wie du meinst.«

* * *

»Dienstlich!«, murmelte Jeanette mindestens fünfzig Mal vor sich hin, während der Nachmittag verflog. Wenn Tom sie wirklich rein dienstlich treffen wollte, würde sie eine Dose der teuersten Feuchtigkeitscreme auslöffeln, die sie im Corner Spa hatten. Dieser Schuft benutzte die Weihnachtsfeierlichkeiten, um ihre Regel gegen Dates auszuhebeln! Tja, nur durchschaute sie ihn. Wenn er nicht fünf Sekunden nach seiner Ankunft anfinge, über das vorgeschobene Thema zu reden, würde sie ihn rauswerfen. Falls Hand angelegt werden müsste, würde sie vielleicht Elliot um Hilfe bitten, aber verschwinden würde der Kerl auf jeden Fall.

»Du kommst mir gereizt vor«, merkte Maddie an, als sie kurz vor sechs den Kopf in Jeanettes Büro steckte. »Irgendwas, das ich wissen sollte?«

Sie hatte nicht vor, ihr mitzuteilen, dass Tom dienstlich ins Corner Spa kommen würde. Maddie würde sich kaputtlachen.

»Nein. Alles unter Kontrolle.«

»Okay, dann geh ich ausnahmsweise mal pünktlich nach Hause. Bis morgen.«

»Schönen Abend.«

»Dir auch. Irgendwelche Pläne?«

»Nur ein dienstliches Treffen«, antwortete Jeanette und hätte sich gleich darauf am liebsten selbst in den Hintern getreten. Obwohl sie den Wellnessbetrieb weitgehend eigenständig leitete, hielt sie Maddie in der Regel über alle anstehenden Entscheidungen oder Termine auf dem Laufenden. Sie hätte dieses dämliche Treffen nicht erwähnen sollen.

Zu ihrer Bestürzung hielt Maddie abrupt inne. »Was für ein dienstliches Treffen?«

»Hat nichts mit dem Spa zu tun«, beteuerte Jeanette. Sie seufzte. Nun konnte sie es genauso gut auch ausspucken. »Es geht um die Weihnachtsfeierlichkeiten.«

Sofort flammte ein verruchtes Funkeln in Maddies Augen auf. Genau deshalb hatte Jeanette nichts davon sagen gewollt. Sie konnte weder Belustigung noch Spekulationen gebrauchen.

»Du triffst dich mit Tom, nicht wahr?«, fragte Maddie mit verschmitzt-zufriedenem Unterton. »Gut. Dann kannst du ja vielleicht neulich Abend wiedergutmachen.«

»Wag es ja nicht, irgendwas darin hineinzuinterpretieren, dass ich mich heute Abend mit ihm treffe«, warnte Jeanette.

»Fiele mir nicht im Traum ein«, behauptete Maddie grinsend. »Du kannst mir morgen alles darüber erzählen.«

Jeanette schaute ihr finster nach, als sie davonging.

Auf dem Weg zur Terrasse holte sie im Café zwei Tees und die letzten beiden Milchbrötchen aus der Vitrine. Wenn Tom nicht pünktlich wäre, würde sie beide essen.

Zum Glück für ihre Kleidergröße kam er um Schlag sechs Uhr um die Seite des Gebäudes. Theatralisch sah er sich um. »Ist es auch sicher? Keine wilden, nackten Frauen in der Nähe?«

»Sie sind so was von unlustig«, kommentierte Jeanette.

»Na ja, Sie müssen schon zugeben, dass der Ausschluss von Männern an einem Ort förmlich zu Spekulationen darüber einlädt, was hier vor sich geht«, erwiderte er, zog sich ihr gegenüber einen Stuhl heraus und setzte sich. »Ist von dem Gebäck etwas für mich? Vorzugsweise das, von dem mehr als drei Krümel übrig sind?«

Widerwillig schob sie es in seine Richtung. »Milchbrötchen mit echten Johannisbeeren, nicht mit Rosinen.«

»Ausgezeichnet.«

Er bedachte sie mit einem gemächlichen, musternden Blick, der ihr Blut in Wallung versetzte.

»Wie war Ihr Tag?«

»Ausgefüllt«, antwortete sie knapp. Dann dachte sie an Maddies Schelte und fügte höflich hinzu: »Und Ihrer?«

»Ausgefüllt«, echote er. »Mary Vaughn hat vorbeigeschaut.«

Unwillkürlich regte sich Verärgerung in Jeanette. »Ach ja? Was wollte sie denn?«

»Teresa sagt, sie hat es auf meinen Körper abgesehen. Was meinen Sie?«

»Ich war nicht dabei. Also kann ich dazu auch nichts sagen«, erwiderte sie gereizter als beabsichtigt. Eigentlich sollte es sie kein bisschen kratzen, was Mary Vaughn und Tom miteinander anstellten. Und hatte sie nicht erst neulich selbst gedacht, dass die beiden perfekt zueinander passten?

»Ich dachte, sie wäre gekommen, um mir ein Haus zu verkaufen«, sagte er.

»Männer!«, murmelte Jeanette.

Er schmunzelte. »So ziemlich dasselbe hat Teresa gesagt.«

»Warum erzählen Sie mir das?«

»Sie haben nach meinem Tag gefragt.«

»Also ist es kein heimtückischer Versuch, mich eifersüchtig zu machen?«

»Wenn Sie so völlig sicher sind, dass Sie nicht mit mir ausgehen wollen, wie könnte ich Sie dann eifersüchtig machen?« Es gelang ihm doch tatsächlich, die Frage mit einer makellos unschuldigen Miene zu stellen.

»Können Sie nicht«, versicherte sie ihm. »Was noch lange nicht heißt, dass Sie nicht weiterhin versuchen werden, mich umzustimmen.«

»Mein Ego ist viel zu zerbrechlich, um weitere Abfuhren zu riskieren«, erwiderte er.

»Ha!«

»Doch, wirklich«, beharrte er.

»Sie haben mir geschworen, dass Sie dienstlich herkommen«, erinnerte sie ihn. »Legen Sie los.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das mit leerem Magen schaffe. Ist es nicht eigentlich Zeit zum Abendessen?«

»Ich hab Ihnen gerade ein Milchbrötchen gegeben. Das sollte für die fünfzehn Minuten reichen, die Sie hier sein werden.«

»Wir haben eine Frist?«

»Ich schon.«

»Sie wissen eh, dass Sie ein ganz schön zäher Brocken sind, oder?«

»Und stolz darauf«, gab sie zurück.

»Wenn das so ist, dann fangen wir mal an.« Er öffnete die Schnallen einer sichtlich teuren Aktentasche aus Leder, holte eine Liste heraus und schob sie über den Tisch.

Jeanette fiel auf, dass seine Hand groß und ein wenig schwielig war – nicht die Hand eines Mannes, der seine gesamte Zeit hinter einem Schreibtisch verbrachte. Unwillkürlich malte sie sich aus, von dieser Hand berührt zu werden. Der Gedanke versetzte ihr Blut prompt erneut in Wallung.

Ohne etwas von ihrer Reaktion zu bemerken, fuhr Tom fort: »Das hab ich in einer Akte gefunden. Es sind die Namen der Standbetreiber der letzten zehn Jahre. Gibt’s irgendeinen Grund, den einen oder anderen davon auszusortieren?«

»Nicht dass ich wüsste«, antwortete sie, ein wenig verblüfft darüber, dass er tatsächlich auf sie hörte und dienstlich wurde. Jeanette riss sich zusammen und konzentrierte sich ebenfalls. »Sollen wir eine Anzeige in den örtlichen Zeitungen schalten oder eine Pressemitteilung aussenden, um neue Standbetreiber einzuladen, sich zu bewerben? Sonst könnte der Eindruck entstehen, dass jemand anders sowieso nicht mitmachen kann. Außerdem schadet frisches Blut nie. So bleiben die Dinge in Bewegung. Je mehr Anbieter, desto besser, sage ich immer. Und den Leuten liefert etwas Neues einen Grund, jedes Jahr wiederzukommen und Geld auszugeben.«

Zu jenen Leuten gehörte Jeanette eindeutig nicht. In den drei Jahren, die sie mittlerweile in Serenity lebte, hatte sie die Weihnachtsfeierlichkeiten kein einziges Mal besucht. Dennoch hatte es sich als unmöglich erwiesen, das Gerede darüber vollständig auszublenden, so sehr sie es auch versucht hatte.

»Gute Idee, ein paar neue Gesichter herzuholen«, befand er anerkennend. »Wahrscheinlich müssen wir es mit einer Pressemitteilung versuchen. Ich glaub nämlich nicht, dass Geld für solche Inserate vorhanden ist. Das Werbebudget brauchen wir für Werbung für die Veranstaltung selbst.«

Nach exakt vierzehn Minuten klappte er seine Aktentasche zu und stand auf. »Tja, meine Zeit ist abgelaufen. Danke, dass Sie sich mit mir getroffen haben.«

Das abrupte Ende der Unterhaltung warf Jeanette völlig aus der Bahn, wenngleich sie sich nicht erklären konnte, warum. Immerhin hatte sie das Zeitlimit festgelegt.

»Haben wir alles abgehakt, was Sie besprechen wollten?«, fragte sie.

»So ziemlich. Ich halte Sie über die Reaktionen auf dem Laufenden. Irgendwann müssen wir mit der Planung der Platzzuteilung für die Standbetreiber anfangen, aber das hat noch keine Eile. Obwohl Howard es wahrscheinlich am liebsten gleich morgen erledigt hätte, ist realistisch betrachtet November früh genug. Bis Thanksgiving sollten wir die endgültige Aufstellung aller teilnehmenden Standbetreiber haben.«

»Gut. Dann noch einen schönen Abend.«

»Wünsche ich auch.« Plötzlich sah er ihr tief in die Augen. »Ach, was soll’s«, murmelte er, bevor er sich zu ihr bückte und sie küsste – nicht etwa angedeutet auf die Wange, wie sie es erwartet hätte, sondern auf den Mund … und leidenschaftlich.

Bevor sie reagieren und ihm vielleicht eine schallende Ohrfeige verpassen konnte, war er weg. Jeanette stieß ein tiefes Seufzen aus. Wahrscheinlich gut so. Eine Sekunde länger, und sie hätte den Kuss erwidert, als gäbe es kein Morgen. So viel zu ihrer Theorie, sie wäre generell gegen Männer gefeit und insbesondere gegen diesen Mann. Anscheinend gefiel ihren Hormonen die lange Durststrecke ganz und gar nicht.