KAPITEL 8

Mary Vaughn hatte sich das ganze Wochenende auf die Sitzung des Weihnachtsfestausschusses gefreut. Den Umgang mit ihrem ehemaligen Schwiegervater betrachtete sie als geringen Preis für die Gelegenheit, Zeit mit dem neuen Gemeindedirektor zu verbringen, dem zweifellos vielversprechendsten Mann seit Ronnie Sullivans Rückkehr nach Serenity.

Sie hatte an diesem Morgen eine zusätzliche halbe Stunde dafür geopfert, den richtigen Anzug herauszusuchen – ein leichtes, türkisfarbenes Modell aus Wolle, das wunderbar passte, solange die Temperaturen Anfang Oktober nicht unerwartet in die Höhe schossen. Dazu hatte sie die perfekten Accessoires angelegt – silber-türkisfarbene Ohrringe und ein passendes Armband von einer Reise nach New Mexico. Außerdem High Heels mit Riemchen, die ihre wohlgeformten Beine ideal zur Geltung brachten. Ihr Haar hatte sie kunstvoll so zerzaust, dass es andeutete, wie sie aussehen könnte, wenn sie das Bett eines Mannes verließ. Insgesamt vermittelte sie so den Eindruck einer sexy und sinnlichen Powerfrau, ein Look, den man verdammt schwer hinbekam, doch sie hatte ihn schon vor Jahren gemeistert. Nur wenige Männer waren dagegen immun.

Als sie den Besprechungsraum im Rathaus betrat, stieß Ronnie Sullivan einen leisen Pfiff aus und zwinkerte ihr zu.

»Hast du einen neuen Mann im Visier, Süße?«, fragte er dreist.

»Rutsch mir den Buckel runter, Ronnie.« Demonstrativ entschied sie sich für einen Stuhl am gegenüberliegenden Ende des Tischs, obwohl sie dadurch weiter von Toms Platz entfernt saß, als ihr lieb war.

Kaum hatte sie sich niedergelassen, klingelte ihr Smartphone. Mittlerweile hatte sie herausgefunden, wie man es benutzte. Mit deutlich mehr Selbstvertrauen als noch vor einigen Wochen holte sie es aus der Handtasche.

»Hallo, hier Mary Vaughn Lewis«, meldete sie sich mit einstudiert sinnlicher Stimme für den Fall, dass ein Mann am anderen Ende der Leitung wäre.

»Mama, bei mir zieht der Ton nicht«, zog Rory Sue sie auf.

»Oh, tut mir leid, Süße. Ich habe nicht auf die Anruferkennung geschaut. Was gibt’s? Ich bin in einer Besprechung, die gleich losgeht«, sagte sie und heftete den Blick auf die Tür, durch die Tom hereinkommen würde. Sorgsam rückte sie ihr Jackett zurecht und öffnete einen weiteren Knopf, um etwas mehr von dem schwarzen Spitzenmieder darunter zu enthüllen. Dann bemerkte sie das belustigte Funkeln in Ronnies Augen und schloss den Knopf wieder.

Ihr wurde bewusst, dass sie die Hälfte der Worte ihrer Tochter verpasst hatte. »Tut mir leid, Schatz, bitte noch mal.«

»Hast du gar nichts davon gehört, was ich gesagt habe?«

»Ich fürchte nein.«

»Warum? Ist da ein Mann bei dir im Raum?«

Mary Vaughn errötete bei der Frage. »Ich hab nur eine Minute«, erinnerte sie Rory Sue und ignorierte die Unverschämtheit ihrer Tochter geflissentlich.

»Ich wollte noch mal mit dir über den Skiurlaub reden«, sagte sie. »Inzwischen hast du ja ein wenig Zeit gehabt, um darüber nachzudenken.«

»Darüber muss ich nicht nachdenken«, erwiderte Mary Vaughn. »Ich hab schon nein gesagt, und daran wird sich nichts ändern.«

»Du willst wirklich, dass ich mich in den Ferien elend fühle? In Serenity langweile ich mich zu Tode.«

»Deine Freundinnen werden zu Hause sein. Ihr könnt hier jede Menge unternehmen. Außerdem weißt du ja, wie gern dein Papa und dein Opa dich über die Feiertage bei sich haben. Darüber veranstalten sie immer so viel Aufhebens.«

»Mit Papa hab ich schon geredet. Er sagt, für ihn ist es in Ordnung, wenn du zustimmst.«

Dieser verdammte Sonny!, ging es Mary Vaughn durch den Kopf. Konnte er sich denn in gar nichts mit ihr einig sein? Wahrscheinlich hatte er gerade ein Auto verkauft und kaum zugehört, als Rory Sue mit ihm geredet hatte. Es sah ihm nicht ähnlich, auf Zeit mit ihrer Tochter zu verzichten. Es sei denn, er wollte seiner Ex-Frau damit eins auswischen. Andererseits hatte er mit der Vergangenheit so restlos abgeschlossen, dass er sich die Mühe wohl kaum machen würde.

»Tja, für mich ist es nicht in Ordnung – was dir schon bekannt war, bevor du ihn angerufen hast«, sagte sie zu Rory Sue. »Wir feiern die Feiertage hier, und damit basta. Hör mal, was hältst du davon, eine große Party zu schmeißen, damit du alle deine Freunde wiedersehen kannst, sobald du hier bist? Bei uns zu Hause oder im Club, ganz wie du willst. Dann könnt ihr zusammen Pläne für die Feiertage schmieden. Dein Terminkalender wird so voll sein, dass du gar keine Zeit haben wirst, auch nur ans Skifahren zu denken.«

»Lang-wei-lig!«, sang Rory Sue. »Der Club ist viel zu spießig. Und wenn wir’s zu Hause machen, flippst du bloß wegen jeder Kleinigkeit aus.«

»Ich halte mich völlig raus«, verhandelte Mary Vaughn. »Du kannst die gesamte Party allein planen. So kannst du dafür sorgen, dass sie nicht langweilig wird.«

»Wie? Darf ich Bier besorgen?«

»Auf keinen Fall. Du und die meisten deiner Freunde sind minderjährig. Kein Alkohol.«

»Und wo bleibt dann der Spaß?«

»Man braucht keinen Alkohol, um Spaß zu haben«, belehrte Mary Vaughn ihre Tochter. »Komm schon, Rory Sue, wir treffen uns in der Mitte. Ich versprech dir, du wirst eine tolle Zeit erleben. Hab ich dir gegenüber schon je ein Versprechen gebrochen?«

»Das wichtigste von allen«, konterte Rory Sue wie aus der Pistole geschossen. »Du hast gesagt, ich würde immer eine Familie haben, auf die ich zählen kann. Das stimmt schon seit Jahren nicht mehr.«

Die Spitze tat weh. Mary Vaughn errötete. Sie wandte sich von Ronnies durchdringendem Blick und der skeptischen Miene ihres ehemaligen Schwiegervaters ab. »Du kannst immer auf mich, deinen Papa und deinen Großvater zählen«, betonte sie mit gedämpfter, aber nachdrücklicher Stimme. »Dein Papa und ich sind vielleicht nicht mehr verheiratet, trotzdem lieben wir dich genauso sehr wie schon immer.«

»Dann würdest du mich Skifahren gehen lassen.«

»Ich muss jetzt auflegen, Rory Sue. Und wag es ja nicht, deinen Vater anzurufen und ihn anzuflehen, mich umzustimmen. Ich werde heute mit ihm reden und ihm klipp und klar sagen, was ich davon halte.« Tatsächlich hätte sie das bereits nach Rory Sues erstem Anruf mit Sonny klären sollen. Nur hatte sie nicht recht gewusst, was sie zu ihm sagen sollte. Nun wusste sie wenigstens genau, womit sie anfangen musste. »Ich mein’s ernst, Rory Sue. Die Sache ist ein für alle Mal besprochen.«

»Na schön«, erwiderte Rory Sue schnaubend und beendete den Anruf.

Nur Sekunden später klingelte das Handy ihres Ex-Schwiegervaters. Kaum war Howard rangegangen, hellten sich seine Züge auf. »Ja, Schatz, wie geht’s dir denn?«

Mary Vaughn stürmte um den Tisch herum und riss ihm das Telefon aus der Hand. »Zieh deinen Großvater da nicht mit rein!«, schnauzte sie Rory Sue an und gab Howard das Telefon zurück.

»Probleme?«, erkundigte sich Ronnie, als sie zu ihrem Platz zurückkehrte.

»Nichts, womit ich nicht zurechtkäme«, erwiderte sie.

»Ich kenne mich damit aus, wenn ein Kind versucht, die Eltern gegeneinander auszuspielen. Meine Tochter Annie hat das andauernd bei Dana Sue und mir versucht, während sie sich von ihrer Magersucht erholt hat. Bis sie gemerkt hat, dass es kontraproduktiv für ihr eigentliches Ziel war, nämlich uns wieder zusammenzubringen.«

»Wie seid ihr damit umgegangen?«, fragte Mary Vaughn, obwohl sie eigentlich keinen Rat von dem Mann wollte, der ihr zweimal die kalte Schulter gezeigt hatte.

»Dana Sue und ich haben uns abgestimmt. Wir haben eine geeinte Front präsentiert.«

Darüber dachte Mary Vaughn nach. Sonny und sie hatten seit Monaten kein Gespräch mehr geführt. Sie beide waren bei nichts geeint aufgetreten. Tatsächlich verhielten sie sich, als würden sie einander kaum kennen, obwohl sie eine zehnjährige Ehe hinter sich und eine gemeinsame Tochter hatten. Wenn Ronnie recht hatte und sie so weitermachten, würde Rory Sue es sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zunutze machen.

So sehr ihr die Vorstellung widerstrebte, sie würde wohl oder übel mit ihrem Ex-Mann reden und sich mit ihm einen Plan einfallen lassen müssen. Vielleicht könnten sie bei der Gelegenheit auch einen Weg finden, Weihnachten für Rory Sue so unvergesslich zu gestalten, dass sie froh sein würde, nach Hause gekommen zu sein.

»Danke für den Tipp«, sagte sie widerwillig zu Ronnie.

In dem Moment beendete Howard den Anruf am Handy und warf ihr einen mürrischen Blick zu. »Was ist das für ein Streit zwischen dir und Rory Sue, von dem ich nichts wissen soll?«

»Sie hat’s dir nicht gesagt?«

»Nachdem du dazwischengefunkt und es ihr verboten hast, nein. Sie hat mir nur erzählt, was sich bei ihr an der Uni tut. Jetzt kannst du mir den Rest erzählen.«

»Sie will über die Feiertage nicht herkommen«, teilte Mary Vaughn ihm mit. »Sie will lieber mit der Familie ihrer Zimmergenossin auf Skiurlaub fahren.«

Howard schaute erschüttert drein. »Sie will über Weihnachten nicht nach Hause? Das geht ja gar nicht. Sie gehört hierher.«

»Dann sind wir ja ausnahmsweise mal einer Meinung.«

»Was sagt Sonny dazu?«

»Er hat zu ihr gesagt, für ihn wäre es in Ordnung, wenn ich einverstanden bin.«

Howard schüttelte den Kopf. »Ich rede mit ihm.«

»Nein«, widersprach Mary Vaughn. »Darum kümmere ich mich. Sonny und ich müssen zur Abwechslung mal eine geeinte Front bilden.«

»Sag ihm, dass es ohne unser kleines Mädchen einfach kein richtiges Weihnachten wäre. Und falls du Unterstützung brauchst, lass es mich wissen.«

Obwohl Howard bei den meisten Themen lieber Dreck fressen würde, als sie zu unterstützen, verwunderte Mary Vaughn sein Rückhalt in dieser Sache nicht völlig. Er liebte Rory Sue abgöttisch. »Danke«, sagte sie aufrichtig. »Würde mir das Herz brechen, sie so weit weg zu wissen.«

»Mir auch«, sagte er und tätschelte ihr die Hand. »Das kriegen wir schon hin, Mary Vaughn. Mach dir deswegen keine Sorgen.«

Seine Zuversicht besserte ihre Laune, allerdings nicht so sehr wie Toms Ankunft. Obwohl er aussah, als wäre er lieber kilometerweit weg, war er der attraktivste Kerl in einem Anzug, den sie seit Langem gesehen hatte.

Und vermutlich würde er ohne noch besser aussehen.

* * *

Tom gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung über Jeanettes Abwesenheit bei der Ausschusssitzung zu verbergen. Er hatte in den letzten zehn Minuten immer wieder in den Raum gelinst und gehofft, er könnte seinen Auftritt und den Beginn hinauszögern, bis sie da wäre. Um neun Uhr fünfzehn musste er sich damit abfinden, dass sie nicht mehr kommen würde und sich die Geduld der anderen dem Ende zuneigte.

»Guten Morgen allerseits«, grüßte er und nahm seinen Platz ein. »Tut mir leid, dass ich zu spät bin.«

»Pünktlichkeit ist ein Zeichen von Respekt«, kam von Howard, der dabei genau wie Toms Eltern unter ähnlichen Umständen klang. »Wir haben alle keine Zeit dafür, hier untätig rumzusitzen.«

»Natürlich nicht«, sagte Tom. »Es kommt nicht wieder vor. Widmen wir uns gleich den Berichten. Mary Vaughn, wo stehen wir bei den Kirchenchören?«

»Wir haben Zusagen von der First Baptist Church und den Methodisten«, antwortete sie. »Ich weiß, dass wir den Chor der Main Street Baptist Church noch nie zum Mitmachen eingeladen haben, aber ich finde, das sollte sich ändern. Wir leben in einer völlig neuen Zeit. Die gesamte Gemeinde sollte vertreten sein.«

Tom nickte zustimmend. »Sehe ich genauso. Howard, sind dabei irgendwelche Probleme zu erwarten?«

Kurz schaute der Bürgermeister verdutzt drein, dann schüttelte er den Kopf. »Um ehrlich zu sein, dachte ich, wir hätten sie schon früher eingeladen und sie hätten bloß abgelehnt.«

»Stimmt nicht, und das weißt du genau«, widersprach Mary Vaughn. »Du und alle anderen haben sich immer davor gedrückt. Die Wahrheit ist, dass niemand das Risiko eingehen wollte, einen Wirbel anzuzetteln. Wenn ihr mich fragt, sollten wir solche Diskriminierungen in Serenity längst hinter uns haben.«

»Der Meinung schließe ich mich an«, kam von Ronnie. »Die haben einen hervorragenden Chor, und sie sollten dabei sein. Das sollte eigentlich außer Frage stehen.«

»Dann wäre das ja geklärt«, sagte Tom. »Mary Vaughn, Sie reden mit der Chorleiterin und geben uns nächste Woche Bescheid, was sie gesagt hat.«

Sie lächelte ihn an. »Ich rufe Sie an oder schaue vorbei und berichte es Ihnen, sobald ich mit ihr gesprochen habe«, erwiderte sie.

»Gut. Ronnie, wie sieht’s bei der Dekoration aus?«

Die nächste Stunde lang sahen sie sich Bilder verschiedener Möglichkeiten an, von beleuchteten Schneeflocken bis hin zu Bannern für Lichtmasten. Aus Toms Sicht alles miteinander viel Lärm um nichts, aber Howard und Mary Vaughn legten sich ins Zeug, als hinge der gesamte Erfolg der Feierlichkeiten von der Auswahl der Dekoration ab.

»Nicht das Budget aus den Augen verlieren«, mischte sich Tom schließlich ein. »Ich konnte nur einen sehr bescheidenen Ermessensfonds finden, den wir dafür verwenden können. Wir können es uns nicht leisten, übers Ziel hinauszuschießen.«

»Wenn wir uns für die Schneeflocken entscheiden, kann ich einen Rabatt aushandeln«, bot Ronnie an. »Von dem Lieferanten hab ich viel Ware im Angebot. Ich denke, er wird mir entgegenkommen.«

»Dann steht die Entscheidung für mich fest«, verkündete Howard und wirkte erfreut. »Wir beleuchten die Innenstadt mit den Schneeflocken. Dazu kommen die Lichterketten in den Eichen und Palmen und der große Weihnachtsbaum, den wir vom ersten Abend der Feierlichkeiten an illuminieren. Ronnie, übernehmen Sie die Leitung über ein Team von Gemeindebediensteten, die alles anbringen?«

»Kann ich machen«, willigte Ronnie ein.

Tom handelte seinen Bericht über die Standbetreiber in weniger als einer Minute ab, bevor er die Sitzung vertagte. Als die anderen gehen wollten, bedeutete er Ronnie, ihm in sein Büro zu folgen.

»Wo ist Jeanette?«, fragte Tom.

Ronnie bedachte ihn mit einem mitfühlenden Blick. »Keine Ahnung. Du musst sie gestern Abend ziemlich auf die Palme gebracht haben, dass sie heute nicht aufgetaucht ist. Immerhin hat sie Maddie ihr Wort gegeben, das Corner Spa im Ausschuss zu vertreten. Was hast du bloß gemacht?«

»Keine Ahnung. Wie soll ich ein Problem beheben, wenn ich nicht mal weiß, was es ist?« Ihn frustrierte sowohl die Situation als auch der Umstand, dass ihn Jeanettes Verhalten überhaupt kümmerte. Aus genau diesem Grund hatte er all die Jahre darauf geachtet, romantische Verstrickungen zu vermeiden. Sie stellten eine unnötige Ablenkung dar. Und doch konnte er seine Faszination für Jeanette einfach nicht abschütteln. Natürlich spielte dabei Lust auch eine Rolle, doch es steckte mehr dahinter. Sie berührte ihn auf einer Ebene wie noch keine Frau zuvor.

»Du könntest sie einfach fragen«, schlug Ronnie vor. »Oder du kriechst auf Knien bei ihr an und probierst mal, ob das hilft.«

»Ich bin noch nie auf Knien bei jemand angekrochen«, protestierte Tom, bevor er die Arroganz in der Äußerung selbst hörte und zusammenzuckte.

»War schon mal ’ne Frau so stinkwütend auf dich, wie’s Jeanette zu sein scheint?«

»Höchstwahrscheinlich«, gestand Tom reumütig. »Nur war es mir noch nie so wichtig.« Er hatte keinerlei Erfahrung mit Frauen, die ihm derart unter die Haut gingen wie diese.

»Also, wenn du meine Meinung hören willst, ist ein Mann nie zu alt, um verschiedene Möglichkeiten zu lernen, sich bei einer Frau zu entschuldigen. Und glaub mir, bei Dana Sue hatte ich reichlich Gelegenheit zum Üben.« Er klopfte Tom auf den Rücken. »Und sieh uns jetzt an. Wir könnten gar nicht glücklicher sein.«

Tom nickte. »Blumen oder Süßigkeiten?«

»Jeanette scheint mir ein harter Brocken zu sein. Da wirst du dir schon mehr einfallen lassen müssen.«

»Ich überlege mir was«, sagte Tom.

* * *

Den restlichen Vormittag schlug sich Tom einerseits mit dem Gemeindebudget herum, andererseits setzte er sich mit der Frage auseinander, wie er Jeanette versöhnen könnte. Letzteres nahm ihn dermaßen in Anspruch, dass Teresa ihn schließlich darauf ansprach.

»Sie hören mir kein bisschen zu«, warf sie ihm vor und ließ sich ihm gegenüber nieder. »Das an sich ist ja nicht neu, aber würden Sie mir verraten, was so viel wichtiger ist als Ihr Job?«

»Persönliche Angelegenheit«, murmelte Tom.

»Muss wohl mit dem Streit zu tun haben, den Sie und Jeanette gestern Abend bei Helen und Erik hatten.«

Ungläubig starrte er sie an. »Wie um alles in der Welt können Sie davon wissen? Keine ihrer Freundinnen hätte gleich heute Morgen Gerüchte verbreitet.«

Teresa bedachte ihn mit einem geradezu mitfühlenden Blick. »Sie haben über Serenity noch viel zu lernen. Grace Whartons Cousine wohnt nebenan. Sie hat erst Jeanette rausstürmen sehen und wenig später Sie. Da hat sie zwei und zwei zusammengezählt und es Grace gesteckt. Und die hat es wahrscheinlich jedem unter die Nase gerieben, der heute Morgen bei Wharton’s frühstücken war.«

»Und Sie haben es von einem dieser Leute?«

»Nein, ich hab’s von Grace selbst. Ich esse jeden Morgen bei ihr eine Schüssel Haferflocken, damit ich immer auf dem Laufenden darüber bin, was in der Stadt los ist. Grace und mir entgeht nicht viel.«

»Braucht diese Stadt die Wochenzeitung überhaupt?«

»Nicht wirklich, obwohl ich zugeben muss, dass sich die Reporter dort größtenteils an die Fakten halten, ohne viel hineinzuinterpretieren. Zumindest nicht mehr, seit sie aufbauschen wollten, was sich zwischen Maddie und Cal im Spa abgespielt hat, bevor der Laden eröffnet war. Damit haben sie in ein Hornissennest gestochen, und seither hat sich die Berichterstattung geändert. Ist mittlerweile eine ziemlich langweilige Lektüre.«

»Tja, Gott sei Dank«, murmelte er.

»Das also beschäftigt Sie so?«, fragte Teresa. »Mir scheint, Sie würden nachher viel mehr schaffen, wenn Sie sich jetzt die Zeit nehmen, um rüber ins Spa zu gehen und die Sache mit Jeanette zu klären. Sonst vergeuden Sie den ganzen Tag, nicht nur den Vormittag.«

Er stand auf. »Wissen Sie was, Teresa? Ausnahmsweise sind wir beide uns mal über etwas vollkommen einig. Ich bin in einer Stunde zurück.«

»Ein kluger Mann würde unterwegs bei Sullivan’s vorbeischauen und etwas von dem Apfel-Brotpudding besorgen, den sie so mag, oder vielleicht eine Auswahl an Gebäck«, riet sie ihm, als er zur Tür hinausging. »Ich rufe Dana Sue an und sage ihr, dass Sie kommen. Das Restaurant ist noch nicht geöffnet. Stecken Sie einfach den Kopf in die Küche rein, falls vorne niemand ist.«

Tom überlegte, ob er sich gegen Teresas Einmischung sträuben sollte, fand jedoch, dass sie ihm damit einen ausgezeichneten Plan vorschlug. »Danke.«

»Lassen Sie sich ruhig Zeit«, fügte sie hinzu. »Ich habe hier inzwischen alles im Griff.«

»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Tom.

Er hatte es gerade bis zum Sullivan’s geschafft, als er Mary Vaughn über den Weg lief.

»Meine Güte, zweimal an einem Tag!«, sagte sie und hängte sich spontan bei ihm ein. »Was bin ich denn für ein Glückspilz? Wie ich sehe, wollen Sie zum Sullivan’s. Essen Sie mit mir zu Mittag? Offiziell öffnet das Restaurant zwar erst in ein paar Minuten, aber bestimmt hat niemand was dagegen, wenn wir früher da sind.«

Oh Mann, dachte Tom. Diesmal versuchte sie nicht, die Einladung zu tarnen, indem sie Immobilien erwähnte. Die Situation erforderte eine diplomatische Lösung. Vielleicht würde er ihr einfach oft genug einen Korb geben müssen, damit sie die Botschaft verstand, ohne dass ihre Gefühle verletzt wurden.

»Ich fürchte, ich kann nicht«, erwiderte er und löste sich dezent von ihr. »Ich hole nur was zum Mitnehmen, das Teresa telefonisch bestellt hat. Ich muss zu einem Meeting.«

»Sie sind eindeutig beschäftigter als jeder Gemeindedirektor, den wir bisher hatten«, brummte sie und machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. »Ich muss wohl anrufen und einen Termin vereinbaren, wenn ich Zeit von Ihnen will.«

»Ja, derzeit bin ich wirklich ziemlich eingespannt«, erwiderte er vorsichtig und hoffte, sie damit von weiteren Versuchen abzuhalten, mit ihm anzubandeln. »Bei einem neuen Job muss man immer erst eine Lernkurve bewältigen.« Er sah demonstrativ auf die Armbanduhr. »Tut mir leid, Mary Vaughn. Ich muss mich echt beeilen.«

Wie von Teresa befohlen, betrat er das Lokal, steuerte direkt zur Küche, holte die Tüte ab, die Dana Sue für ihn bereithielt, bezahlte und schaute dann zur Hintertür. »Wär’s möglich, dass ich da rausgehe?«

»Versteckst du dich vor jemandem?«, erkundigte sie sich.

»Mary Vaughn«, gestand er leise.

»Kein weiteres Wort nötig«, sagte sie und deutete auf die Tür. »Die Gasse verläuft parallel zur Hauptstraße. Wenn du ihr bis zum Ende folgst, führt sie dich sogar geradewegs zur Palmetto.«

Er bedachte sie mit einem scharfen Blick. »Ach ja?«

»Na, die Bestellung ist doch für Jeanette, oder? Ronnie hat mir erzählt, dass du dir überlegen willst, wie du dich mit ihr versöhnen kannst. Als Teresa angerufen hat, musste ich einfach nur noch zwei und zwei zusammenzählen.«

»Beherrscht die Art von Mathematik jeder in der Stadt?«, fragte er gereizt.

Sie strahlte ihn an. »So ziemlich. Viel Glück übrigens. Jeanette ist eine wunderbare Frau, nur erzählt sie nicht viel von sich. Wir sind seit drei Jahren mit ihr befreundet, und keine von uns hat je ihre Familie kennengelernt oder auch nur viel über sie erfahren. So viel Zeit, wie sie im Spa verbringt, habe ich den Eindruck, sie ist eine kleine Einzelgängerin.«

»Und meinst du, dafür gibt’s einen bestimmten Grund?«

»Normalerweise ja schon, oder?«, erwiderte Dana Sue. »Ich glaube, sie hat ziemlich dicke Mauern um ihr Herz errichtet. Versuch nicht, sie einzureißen, wenn das nur ein Spiel für dich ist.«

Er hörte die Warnung und verstand sie. »Ich kann’s zwar nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber ich hab das Gefühl, es ist viel mehr für mich.«

»Vielleicht solltest du dir erst ganz sicher sein«, riet Dana Sue.

»Wie kann ich das, wenn ich nie nah genug an sie herankomme, um herauszufinden, wie gut wir zueinander passen?«

»Auch wieder wahr«, räumte Dana Sue ein, obwohl sie nicht allzu glücklich darüber wirkte.

Tom verließ das Sullivan’s, ging die Gasse bis zur Palmetto hinunter und stieß zufällig auf einen Blumenladen. Spontan holte er einen großen Strauß Sommerblumen als Ergänzung seines Geschenks für Jeanette, bevor er weiter zur Kreuzung mit der Hauptstraße ging, wo das Corner Spa lag. Ihm fiel der volle Parkplatz hinter dem Gebäude auf, als er außen herum zum Vordereingang marschierte.

Verspätet fiel ihm die Regel ein, dass keine Männer den Laden betreten durften. Würde einer der Personal Trainer versuchen, ihn hochkant rauszuwerfen, bevor er es zu Jeanette schaffen könnte? Das würde er wohl einfach riskieren müssen. Im Augenblick war er so fest entschlossen, bei ihr Wiedergutmachung zu leisten, dass er sich gern mit jedem anlegen würde, der es verhindern wollte.

Mit stur geradeaus gerichtetem Blick trat er ein und steuerte auf einen Bereich zu, der nach Büros aussah. Er hatte etwa zehn Schritte durch die verbotene Zone geschafft, als sich ihm Maddie in den Weg stellte. Obwohl sie sichtlich versuchte, streng zu wirken, umspielte ein Lächeln ihre Lippen.

»Du weißt genau, dass du nicht hier rein darfst«, schimpfte sie.

Er drückte ihr die Blumen in die Hände. »Kannst du die Regeln nur zehn Minuten für mich lockern?«, bat er.

»Du glaubst, du kannst Jeanette in zehn Minuten erobern?«

»Ich habe zumindest vor, mein Bestes zu geben. Hat sie gerade eine Kundin?«

Maddie schüttelte den Kopf. »Sie macht auf der Terrasse eine Pause. Ich glaub nicht, dass sich jemand allzu sehr aufregt, wenn du dich da draußen mit ihr triffst.« Sie grinste. »Abgesehen von Jeanette natürlich. Für sie kann ich nicht sprechen. Sie scheint ziemlich verärgert über dich zu sein.«

»Glaub mir, das hab ich mitgekriegt.« Er bückte sich und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Danke.«

»Gern geschehen«, erwiderte sie und gab ihm die Blumen zurück. »Mein Bauchgefühl sagt mir, dass du die und noch viel mehr brauchen wirst. Viel Glück.«

»Wer braucht schon Glück?«, erwiderte er unbeschwert. »Ich habe Blumen, Gebäck und Brotpudding.«

Draußen traf er Jeanette beim Lesen eines eselsohrigen Liebesromans an. Das fand Tom ermutigend. Offenbar war sie nicht völlig immun gegen Romantik, auch wenn sie die fiktive Variante bevorzugte.

»Kriegt der Mann am Ende die Frau?«, erkundigte er sich und ließ sich neben ihr nieder.

Sie schaute vom Buch auf und blinzelte. »Was machst du denn hier?«

»Ich wollte zu dir.«

»Ich meine im Spa. Während der regulären Öffnungszeiten. Maddie wird einen Anfall kriegen.«

»Tatsächlich bin ich mit ihrem Segen hier«, erwiderte er. Als er ihr die Blumen überreichen wollte, ignorierte Jeanette sie. Er legte sie stattdessen auf den Tisch. »Ich hab auch Brotpudding und Gebäck für dich dabei.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Von Sullivan’s?«

»Natürlich.«

»Wessen Idee war das?«

»Darin waren sich mehrere Leute einig«, sagte er.

»Soll heißen?«

»Ronnie hat vorschlagen, ich soll’s mit Kriechen versuchen. Teresa hat den Brotpudding und das Gebäck erwähnt. Dana Sue hat auch ihren Senf dazugegeben, als ich die Bestellung bei ihr abgeholt habe. Die Blumen hab ich unterwegs entdeckt. Eigentlich wollte ich sie Maddie als Bestechung geben, aber sie hat gemeint, ich würde sie wohl dringender für dich brauchen.« Hoffnungsvoll sah er sie an. »Funktioniert irgendwas davon?«

Eine kurze Weile gelang es ihr noch, unnachgiebig dreinzuschauen, dann jedoch fiel ihr Blick auf die Tüte, die er auf dem Tisch abgestellt hatte. »Hast du an das Eis auf dem Pudding gedacht?«

»Dürfte mittlerweile geschmolzen sein, aber ich glaube, es ist drauf.«

»Na schön.« Freudig griff sie nach der Tüte. Als Jeanette sie öffnete, atmete sie tief ein, bevor sie wohlig seufzte. »Gibt’s was Schöneres als den Duft von Zimt oder frischem Gebäck?«

»Ich finde den Duft schöner, den du trägst«, erwiderte er freimütig.

Das Kompliment schien sie zu überraschen. »Lavendel?«

»Das ist es also? Ich weiß nur, dass ich in letzter Zeit eine Vorliebe dafür entwickelt habe.«

»Tom, du musst aufhören, so was zu sagen«, verlangte sie.

»Warum? Ist doch nur die Wahrheit.«

»Du hast es ziemlich mit Offenheit und Ehrlichkeit, was?«

»Ich versuch’s zumindest.«

»Deshalb hast du mich gestern Abend auch vorgewarnt, dass dein Aufenthalt in Serenity nur vorübergehend ist.«

Ihr vorwurfsvoller Unterton brachte ihn zum Blinzeln. »Bist du deshalb so davongestürmt?«, fragte er ungläubig.

Sie nickte. »Ich habe ausnahmsweise mal vor, nichts anzufangen, was nur schlecht enden kann.«

»Vielleicht muss es gar nicht enden«, entgegnete er. »Das könnten wir nur herausfinden, indem wir Zeit miteinander verbringen.«

»Aber wir wissen es doch schon!«, konterte sie. »Du hast ja bereits gesagt, dass du wieder wegziehst. Vielleicht nicht morgen oder nächste Woche, aber irgendwann.«

»Und wenn’s so weit ist, was hindert dich dann daran mitzukommen?«, fragte er verdattert über ihre Haltung.

»So funktioniert das nicht«, sagte sie. »Das weißt du genau.«

Er hob die Hand. »Jetzt mal langsam, meine Liebe. Wir greifen hier viel zu weit vor. Wie wär’s, wenn wir erst mal ein richtiges Date hätten, bevor wir über eine Trennung reden?«

»Davon halte ich nichts, weil ich den vorbestimmten Weg sehen kann und ihn nicht beschreiten will«, blieb sie stur. »Wenn du befreundet sein willst, gern, damit komme ich klar. Alles andere kannst du vergessen.«

»Ich denke, die Küsse haben bewiesen, dass da mehr als Freundschaft zwischen uns ist.«

»Komm schon, Tom. Wir sind beide erwachsen. Wir wissen beide, wie Chemie funktioniert. Vielleicht könnten wir ein paar Wochen lang ein Feuerwerk abfackeln, aber letztlich würde es erlöschen. Und jemand von uns würde dabei verbrannt werden, höchstwahrscheinlich ich.«

»Du bist ohne jeden Zweifel die pessimistischste Frau, die ich je zu einem Date zu überreden versucht habe.«

»Aus gutem Grund.«

»Also kriege ich die Schuld dafür, dass dich in der Vergangenheit jemand schlecht behandelt hat?«

»Überhaupt nicht. Betrachte mich einfach als Frau, die endlich ihre Lektion gelernt hat.«

Er lehnte sich zurück. »Du wirst nicht einknicken, oder?«

»Nein«, bestätigte sie und klang dabei stolz auf sich. »Ausnahmsweise nicht.«

Er fragte sich, ob sie auch nur ansatzweise ahnte, wie verführerisch er ihre Behauptung fand. »Klingt verdammt nach einer Herausforderung«, meinte er und zwinkerte ihr zu. »Ich hab dich schon gewarnt, mach’s aber gern noch mal. Vor einer Herausforderung hab ich mich noch nie gescheut. Ich melde mich wieder, Süße.«

Kurz sah er einen Anflug von Beunruhigung in ihren Augen aufflackern, dann stand er auf und ging. Gut, dachte er. Sie wusste Bescheid. Sie umzustimmen, war gerade zu seiner persönlichen Mission geworden. Tom hatte im Gespür, dass er bei dem Unterfangen mehr Spaß als seit Jahren haben würde.