KAPITEL 3

Tom hatte für Freitag noch einen weiteren Termin im Kalender. Danach wollte er nach Charleston für einen Pflichtauftritt bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung seiner Mutter. Er hatte versprochen, über Nacht zu bleiben. Gleich am Samstagmorgen jedoch wollte er wieder in Serenity sein, um sich nach einer Wohnung oder einem Haus umzusehen.

Sein Telefon klingelte. »Cal Maddox ist für Sie hier«, trällerte die unermüdlich fröhliche Teresa.

»Sollte ich wissen, wer das ist?«

Sie seufzte. »Bin gleich da.«

»Darum habe ich Sie nicht gebeten«, murmelte er, sprach jedoch bereits mit der toten Leitung. Seine Bürotür öffnete sich … und schloss sich wieder.

Mit ihrem kurzen, stahlgrauen Haar, ihrer molligen Figur und ihrer Vorliebe für geblümte Blusen und pastellfarbene Hosen wirkte Teresa, als sollte sie zu Hause sein und Kekse backen. Aber sie leitete das Büro mit der Effizienz eines militärischen Ausbilders. Im Augenblick betrachtete sie ihn mit mütterlichem Unmut.

»Wenn wir miteinander auskommen wollen, müssen Sie mir schon zuhören, wenn ich mit Ihnen rede«, schimpfte sie. »Oder zumindest lesen, was ich in den Kalender schreibe, den ich Ihnen jeden Morgen gebe.«

Tom zuckte zusammen. »Tut mir leid«, murmelte er und wühlte in Papier, bis er den fein säuberlich erstellten Tagesplan fand, den er kaum eines Blickes gewürdigt hatte. Stattdessen hatte er eigene Notizen auf einen Übersichtskalender gekritzelt. Dieser Termin stand nicht darauf.

»Okay, hab ihn«, bestätigte er, als er ihn auf Teresas Aufstellung entdeckte. »Cal Maddox, Baseballtrainer der Highschool.« Mit ausdruckslosem Blick sah Teresa ihn an. »Warum will er zu mir? Mit dem Schulwesen hab ich nichts zu tun.«

Sie bedachte ihn mit einem ungeduldigen Blick und deutete auf den Zettel mit ihrem Kalender.

»Betreff: Start eines Programms für die Little League in der Stadt«, las er laut vor.

Sie nickte. »Ich mache meine Arbeit. Sie werden sich an mein System gewöhnen müssen.«

Tom konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. So gut wie überall, wo er bisher gearbeitet hatte, stand es dem Chef zu, das System vorzugeben. »Ich werd mich bemühen«, versprach er pflichtbewusst.

Sie musterte ihn unverhohlen skeptisch. »Na, mal sehen«, erwiderte sie mit einem leisen Schnauben. »Soll ich Cal jetzt reinschicken?«

»Bitte.«

Eine Minute später trat der Coach mit einem Grinsen im Gesicht ein. »Was haben Sie gemacht, um Teresa so zu verärgern?«

Tom zögerte kurz, dann zuckte er mit den Schultern. »Praktisch alles, was ich mache, verärgert Teresa. Zuletzt hab ich’s versäumt, ihre Notizen zu lesen.«

Cal streckte eine schwielige Hand aus und schlug mit Tom ein, bevor er sagte: »Nur, damit Sie’s verstehen – Teresa hat Serenity die letzten fünfzehn Jahre lang praktisch geleitet. Für sie sind Sie ein Eindringling.«

»Sie war Gemeindedirektorin?« Die Information verblüffte Tom. »Das hat niemand erwähnt.«

»Nein, das nicht«, erwiderte Cal lachend. »Aber Ihre Vorgänger haben ihr den Betrieb so ziemlich überlassen. Wenn Sie den Job auf Ihre Weise machen wollen, sollten Sie Teresa nach und nach daran gewöhnen.«

»Werd ich mir merken«, sagte Tom und war dankbar für den Tipp. Die Erkenntnis rückte die von Anfang an gespannte Beziehung zu seiner Sekretärin in ein neues Licht. Tom deutete auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich. Was kann ich für Sie tun? In Teresas Notiz steht etwas davon, dass sie ein Programm für die Little League starten wollen.«

Cal reichte ihm eine Mappe. »Da steht alles drin. Die Vorteile für die Stadt, die Kosten, Betriebe, die bereits zugesagt haben, die Teams zu sponsern, und andere Gemeinden mit ähnlichen Sommerprogrammen.«

»Und was brauchen Sie von mir?«

»Die Startfinanzierung«, erwiderte Cal. »Der Betrag ist auch da drin. Und ich brauche noch einen Trainer. Wir haben nämlich genug Kinder und Jugendliche für mindestens zwei Mannschaften. Ein Trainer betreut die jüngeren, einer die älteren Jungs.«

Tom bedachte ihn mit einem fragenden Blick. »Schlagen Sie gerade vor, dass ich Trainer werden soll?«

Cal nickte. »Sie haben doch für die Clemson gespielt, oder? First Base, wenn ich mich recht erinnere.«

Tom staunte. »Wie um alles in der Welt können Sie das wissen? Ich hab nur ein Jahr fürs College gespielt, bevor ich mich verletzt habe und es bleiben lassen musste.« Dann weiteten sich seine Augen. »Cal Maddox?«, sagte er, als ihm der Name endlich ins Bewusstsein sickerte. »Sie haben für die Atlanta Braves gespielt?«

Cal nickte. »Kurz. Mir hat auch eine Verletzung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber ich war dabei, als die Berichte der Scouts über Sie eingegangen sind. Sie waren als heißer Anwärter für eine Profilaufbahn eingestuft. Was Sie in meinen Augen als Coach für die Little League in Serenity qualifiziert. Denken Sie darüber nach?«

»Zuerst muss das Programm unter Dach und Fach sein«, erwiderte Tom. Er deutete auf die Mappe. »Ich gehe Ihren Vorschlag am Wochenende durch und sehe mal, ob er ins Budget passt, das demnächst beschlossen wird. Danach reden wir weiter.«

»In Ordnung.« Cal stand auf und wandte sich zum Gehen.

»Eine Frage noch. Sie sind doch Sportler. Wo kann man in der Stadt anständig trainieren?«

Der selbstbewusste Mann vor ihm wirkte durch die Frage seltsam verunsichert. »Wenn Sie schwören, es niemandem weiterzuerzählen, verrate ich es Ihnen«, sagte er schließlich.

»Vertraulichkeit ist mein zweiter Vorname«, versicherte Tom ihm.

Cal beugte sich näher, als fürchtete er, Teresa oder sonst jemand könnte etwas mitbekommen. »Ich schleiche mich nach den Öffnungszeiten ins Corner Spa

Ungläubig starrte Tom ihn an. »Sie nehmen mich auf den Arm! Mir hat man unmissverständlich gesagt, dass der Laden für Männer tabu ist.«

»Das ist er auch«, bestätigte Cal. »Aber ich bin mit einer der Eigentümerinnen verheiratet. Sie tut so, als würde sie es nicht merken, wenn ich mir von Zeit zu Zeit ihren Schlüssel leihe. Sollte mich da drin jemals jemand erwischen, würde meine Frau mich natürlich den Wölfen zum Fraß vorwerfen und leugnen, mich zu kennen. Und erst recht würde sie nie zugeben, dass sie mir stillschweigend erlaubt, mich dort reinzuschleichen.«

Tom lachte. »Klingt nach einer interessanten Beziehung.«

»Sie haben ja keine Ahnung«, erwiderte Cal. »Maddie ist eine faszinierende Frau und das Beste, was mir je passiert ist. Sie beide laufen sich bestimmt bald über den Weg, erst recht, wenn aus der Sache mit der Little League etwas wird.«

»Ich freue mich schon darauf«, erwiderte Tom. »Und ich melde mich innerhalb der nächsten Woche wegen Ihres Vorschlags.«

»Danke. Schönes Wochenende.«

Tom dachte an die förmliche Veranstaltung, die ihn an diesem Abend erwartete, und an die unvermeidliche Belehrung durch seinen Vater, die ihm wohl morgen blühen würde.

Keine guten Voraussetzungen für ein schönes Wochenende.

* * *

Jeanette hatte einen weiteren Tag überstanden, ohne Maddie über den Weg zu laufen. Sie hoffte, es würde so bleiben. Als sie ihre Tragetasche und Handtasche ergriff und durch den Nebeneingang verschwinden wollte, tauchte Maddie auf.

»Willst du dich davonschleichen?«, fragte sie unbekümmert.

Jeanette grinste. »Hab ich zumindest versucht, ja.«

»Kannst du noch eine Minute bleiben?«

»Ist das eine Bitte oder ein Befehl?«

»Eine Bitte natürlich«, betonte Maddie. Sie hielt zwei Gläser mit Tee und eine transparente Schachtel mit zwei Stücken von Jeanettes Lieblingsgebäck, Milchbrötchen mit Preiselbeer-Orange-Füllung. »Ich hab Bestechung dabei.«

Seufzend steuerte Jeanette auf die Terrasse zu. Maddie folgte ihr.

Nachdem sie Platz genommen hatten, nahm Jeanette einen Bissen von dem fluffigen Gebäck. Sie runzelte die Stirn. Es war noch warm. »Wo kommt das her? Ich weiß, dass wir heute nichts davon im Café hatten. Hab nämlich nachgesehen.«

»Ich hab Dana Sue gebeten, einen Schwung davon zu backen und herzuschicken«, gab Maddie zu. »Sie sind erst vor ein paar Minuten eingetroffen, frisch aus dem Ofen.«

»Du willst echt unbedingt, dass ich in dem Weihnachtsausschuss mitarbeite, oder?«, sagte Jeanette und genoss einen weiteren Bissen. Vor lauter Trostessen und Maddies Bestechung würde sie noch aufgehen wie ein Hefeteig.

»Im Moment interessiert mich eigentlich mehr, warum du so dagegen bist. Ich habe dir Zeit und Freiraum gelassen, um über unser Gespräch nachzudenken. Und ich glaube nicht, dass deine Reaktion etwas mit ein paar zusätzlichen Pflichten für wenige Monate zu tun hatte. Hab ich recht?«

Als Jeanette nichts erwiderte, bohrte Maddie nach: »Also, was steckt dahinter?«

Weil sich Jeanette auf die Diskussion unter keinen Umständen einlassen wollte, sah sie ihrer Chefin in die Augen. »Ich mach’s.«

Maddie wirkte baff. »Was machst du?«

»Na, in dem blöden Ausschuss mitarbeiten«, grummelte Jeanette. »Reden wir nicht gerade davon?«

Maddie schien nicht annähernd so erfreut über ihre Kapitulation zu sein, wie Jeanette es erwartet hatte.

»Vergiss den Ausschuss mal kurz. Sag mir, warum dich Weihnachten so nervt«, verlangte Maddie. »Mir ist eben erst klar geworden, dass du um die Zeit immer Urlaub nimmst. Aber du fährst weder nach Hause zu deiner Familie noch verreist du sonst irgendwohin. Du verkriechst dich nur in deiner Wohnung. Ich hab bei Helen und Dana Sue nachgefragt. Wir können uns alle nicht daran erinnern, dass du je auch nur eine einzige Einladung zu einer Weihnachtsfeier von uns angenommen hättest. Dahinter muss ein Grund stecken.«

»Ich bin menschenscheu«, behauptete Jeanette.

»Nein, bist du nicht«, wischte Maddie die Antwort kurzerhand weg. »Zu vielen anderen Anlässen bist du sehr wohl aufgekreuzt – Grillfeiern zum vierten Juli, Margarita-Abende, Essen an Thanksgiving. Nein, hier geht’s eindeutig um Weihnachten. Du hast eine Abneigung gegen diesen speziellen Feiertag, und ich will wissen, warum.«

»Das geht nur mich was an«, erwiderte Jeanette stur. »Ich weiß, du willst bloß helfen, aber es gibt gar kein Problem. Ich kann die Weihnachtsfeiertage einfach nicht leiden.« Mit finsterer Miene sah sie Maddie an. »Und wag es ja nicht zu behaupten, jeder würde Weihnachten lieben.«

»Na ja, ist aber so. Zumindest hier in der Gegend.«

»Dann bin ich eben die Ausnahme von der Regel. Schau, ich hab doch schon gesagt, dass ich in dem Ausschuss mitarbeite. Das sollte wohl reichen.«

»Was hat deine Meinung geändert?«, hakte Maddie nach.

»Oh Mann, du weißt wirklich nicht, wann man’s gut sein lassen sollte, oder?«

Maddie zog nur eine Augenbraue hoch.

»Nein, natürlich nicht«, brummelte Jeanette. »Teilweise, damit du endlich Ruhe gibst, teilweise für Mary Vaughn. Sie hat mich förmlich angebettelt mitzumachen, weil sie es auch muss.«

Maddie starrte sie ungläubig an. »Du machst es für Mary Vaughn? Obwohl sie versucht hat, sich Ronnie von Dana Sue zu krallen?«

»Dana Sue und er waren damals getrennt«, argumentierte Jeanette, die das Bedürfnis verspürte, ihre Kundin zu verteidigen. »Außerdem hatte sie bei Ronnie nie eine Chance, was alle außer Mary Vaughn gewusst haben. Unter dem Strich ist sie eine sehr gute Kundin und hat mich darum gebeten.«

»Ich bin deine Chefin und hab dich darum gebeten. Bei mir hattest du keine Hemmungen, einfach abzulehnen«, grummelte Maddie, bevor sie den Kopf schüttelte. »Du machst es für Mary Vaughn. Warte, bis ich das Dana Sue und Helen erzähle.«

»Hauptsächlich mache ich es, damit du mir von der Pelle rückst«, stellte Jeanette richtig. »Was nicht annähernd so gut wie erwartet funktioniert hat. Also geh ich jetzt lieber nach Hause, bevor ich’s mir noch anders überlege.«

Maddie öffnete den Mund, doch Jeanette hob die Hand. »Lass es gut sein, okay?«

»Ich wollte nur sagen, dass wir alle für dich da sind, falls du je über irgendwas reden willst, verstanden?«

Zu ihrem Verdruss wurden Jeanettes Augen feucht. »Verstanden«, flüsterte sie, dann machte sie sich schleunigst aus dem Staub, bevor sie wie eine völlige Idiotin dastehen würde, indem sie in Tränen ausbräche.

* * *

Am Samstagmorgen konnte es Tom kaum erwarten, nach Serenity zurückzufahren. Die Wohltätigkeitsveranstaltung hatte mit allem aufgewartet, was er an der gesellschaftlichen Szene von Charleston verachtete. Er wollte sich gar nicht ausmalen, wie hoch das Budget für die formelle Gala sein mochte, die seine Mutter seit Jahren organisierte. Höchstwahrscheinlich kam das Geld den Spendeneinnahmen gleich, man könnte es also genauso gut direkt dem guten Zweck zuführen. Jedes Mal, wenn er den Gedanken erwähnte, sah seine Mutter ihn an, als hätte er verwerfliche Blasphemie begangen.

»Das wird nun mal erwartet«, hatte sie ihn bereits mehr als einmal aufgeklärt. So auch diesmal. »Hat man in der Gesellschaft einen gewissen Rang, ist man verpflichtet, sich wohltätig zu engagieren.«

»Ich will damit ja nur sagen, dass es kostengünstiger wäre, einfach einen Scheck auszustellen«, hielt er dem stets entgegen.

»Eine Veranstaltung macht auf die Sache aufmerksam. Und sie unterstützt örtliche Betriebe. Wo blieben die Caterer, die Floristen, die Druckereien und so weiter, wenn es keine solchen Spendenaktionen mehr gäbe?«

»Also geht’s dabei nur darum, die Wirtschaft in Charleston zu fördern?«

Sie sah ihn mit einem missbilligenden Stirnrunzeln an. »Ach, um Himmels willen, du weißt genau, dass es um mehr geht. Ich weiß, dass du für albern und unnötig hältst, was ich mache. Irgendwann mal rechne ich es dir auf Dollar und Cent genau vor, um dir meinen Standpunkt so zu beweisen, wie du es verstehen kannst.«

Er grinste sie an. »Das wüsste ich echt zu schätzen.«

»Du bist unverbesserlich«, erklärte sie.

»Trotzdem hast du mich lieb.«

»Meistens«, gab sie ihm eingeschränkt recht. »Wenn du nur einfach heiratest und uns einen Erben für das McDonald-Vermächtnis schenkst, kann ich dir glatt all die dummen Diskussionen verzeihen.«

»Mutter, du hast schon sechs bezaubernde Enkeltöchter, die du verhätscheln kannst. Die nächste Generation steht für einen guten Start bereit.«

»Keines der Mädchen wird den Namen McDonald weiterführen«, hielt sie ihm vor Augen. »Selbst, wenn eine deiner Schwestern noch einen Sohn bekommt, wird er kein McDonald sein.«

»Also soll ich heiraten und einen Sohn zeugen? Ist das der Plan?«

Sie bedachte ihn mit einem strengen Blick, hatte dabei jedoch ein unverkennbares Funkeln in den Augen. »Das wüsste ich echt zu schätzen«, sagte sie.

Während seine Mutter ihre Marschbefehle mit sanfter Überredung erteilte, trat sein Vater geradezu diktatorisch auf, ging Tom durch den Kopf, während er das von der Köchin zubereitete Frühstück aus Eiern, Schinken, Maisgrütze und Redeye-Soße beendete. Jedes einzelne Gespräch mit Thomas Barlow McDonald schien damit zu enden, dass einer von ihnen verärgert schnaubend davonstapfte. Das hätte sich Tom an diesem Morgen gern erspart. Aber sich davonzuschleichen, ohne seinem Vater die Ehre zu erweisen, würde nur später einen tränenreichen Anruf seiner Mutter nach sich ziehen. So mühsam die Diskussionen mit seinem Vater sein mochten, die vorwurfsvollen Vorträge seiner Mutter fand Tom noch schlimmer.

Außerdem war es für eine Flucht ohnehin zu spät. Sein Vater schlenderte bereits herein, fertig angezogen für seine allsamstäglichen Golfausflüge zum privaten Country-Club, dem die McDonalds schon angehörten, seit man der Landschaft den Platz mit achtzehn Löchern abgerungen hatte.

»Ich dachte, du würdest gleich heute Morgen abreisen«, sagte sein Vater, während er sich aus den Speisenwärmern auf der antiken Anrichte einen Teller füllte.

Tom schluckte den Drang hinunter, ehrlich zu antworten und zu gestehen, dass er mit dem Gedanken gespielt hatte. »Wir hatten gestern Abend kaum Gelegenheit zu reden«, erwiderte er stattdessen. »Ich dachte, wir könnten das heute Morgen nachholen. Wie läuft’s beim Golfen?«

»Nach wie vor besser als bei dir, vermute ich«, antwortete sein Vater. »Spielst du eigentlich noch? Gibt es dort, wo du jetzt wohnst, überhaupt einen Golfplatz?«

Toms Geduld hing am seidenen Faden. »Die Stadt heißt Serenity, Vater. Und ja, ganz in der Nähe liegt ein hervorragender Golfplatz. Ein weiterer entsteht gerade wenige Kilometer entfernt. Wenn du und Mutter vielleicht irgendwann hinfahrt, würdet ihr feststellen, dass die große weite Welt nicht nur aus Charleston besteht.«

»Du spielst also noch«, verbiss sich sein Vater hartnäckig in sein Lieblingsthema.

»Bisher hatte ich keine Zeit«, entgegnete Tom. Oder Lust, wenn er ehrlich sein wollte. Golf war ihm nicht aktiv genug. Vielleicht spielte er auch einfach nur schlecht. Jedenfalls fand er es wesentlich ansprechender, ein Team in der Little League zu trainieren.

»Bist du fest entschlossen, dich von allem abzuwenden, was ich mache?«, erkundigte sich sein Vater. Sein Lieblingsvorwurf gegen Tom.

Dabei war Tom längst darüber hinaus, gegen alles rebellieren zu wollen, wofür seine Eltern standen. »Ich treffe bloß Entscheidungen, die sich für mich richtig anfühlen, Vater. Ich wünschte, du könntest das einsehen.«

»Ich sehe nur, dass du Chancen vergeudest. Du hättest hier in Charleston etwas aus deinem Jurastudium machen können. Im Club würdest du dafür die richtigen Kontakte knüpfen. In nur ein, zwei Jahren könntest du dich perfekt dafür in Stellung bringen, als Gouverneur oder sogar für den Kongress zu kandidieren. Das ist deine Bestimmung, Tom, nicht Erbsenzählen in der Gemeindeverwaltung irgendeiner belanglosen Kleinstadt.«

»Ich persönliche finde ja, die Leute in Washington könnten ein paar Lektionen im Erbsenzählen vertragen«, kommentierte Tom trocken. Sein Vater quittierte den Konter mit einer finsteren Miene.

»Du weißt genau, was ich meine«, brummte Thomas McDonald. »Du bist für die Aufgabe hoffnungslos überqualifiziert. Du hast einen Abschluss in Betriebswirtschaft, einen in Jura und die richtigen Verbindungen, um etwas aus dir zu machen. In Serenity wird das nicht passieren.«

Tom schob seinen Teller von sich und lehnte sich seufzend zurück. »Tut mir leid, dass ich nicht ehrgeizig genug für deinen Geschmack bin. Mir gefällt es, die Menschen in meiner Gemeinde zu kennen. Ich sehe gern die Ergebnisse meiner Entscheidungen, wenn ich mein Büro verlasse. Es bereitet mir Freude, Probleme für Einzelne und für die Gemeinde zu lösen.«

»Was glaubst du denn, worum es in der Politik geht?«, blaffte sein Vater. »Genau darum, nur in viel größerem Maßstab.«

»Mag sein«, räumte Tom ein. »Wenn’s nicht gerade darum geht, Geld für einen Wahlkampf aufzutreiben, die aktuell populärste Haltung für den Sieg bei der nächsten Wahl einzunehmen oder zu tun, was immer nötig ist, um sich die Unterstützung der einen oder anderen Organisation zu sichern. Das soll nicht heißen, dass es keine anständigen, tüchtigen Politiker gibt, die viel Gutes bewirken können, aber mir fehlt die Geduld, mich mit dem Rest herumzuschlagen. Tut mir leid. Darin werden wir offensichtlich nie einer Meinung sein. Ich hoffe, wir müssen die ewig gleiche Diskussion nicht jedes Mal führen, wenn wir uns sehen.«

»Das kann ich dir nicht versprechen«, erwiderte sein Vater mürrisch. »Ich werde nie den Versuch aufgeben, dich zur Vernunft zu bringen.«

Tom seufzte schwer und wünschte, er könnte nachvollziehen, warum das seinem Vater so viel bedeutete. Aber da er wohl kaum kurzerhand herausfinden würde, wie sein Vater tickte, versuchte er es stattdessen mit einem Friedensangebot.

»Hättest du Lust, mal an einem Samstag nach Serenity zu fahren, dort mit mir Golf zu spielen und dich ein bisschen umzusehen? Wir haben auch ein erstklassiges Restaurant. Ich glaube, du und Mama würdet es mögen.«

Sein Vater sah aus, als wollte er den Vorschlag kurzerhand verwerfen, doch seine Mutter kam gerade rechtzeitig ins Zimmer, um die Einladung zu hören.

»Das würden wir gern, nicht wahr, Thomas?«, sagte sie und bedachte ihren Ehemann mit einem stechenden Blick.

»Wie du willst«, murmelte er. »Jetzt muss ich los. Ich habe eine frühe Abschlagzeit.«

»Kann ich zum Mittagessen mit dir rechnen?«, erkundigte sich Toms Mutter.

»Nein, ich esse im Club.« Als er schon halb zur Tür hinaus war, drehte er sich um und sagte: »War schön, dich zu sehen, Sohn.«

»Gleichfalls, Vater.«

Nachdem er gegangen war, wandte sich Tom an seine Mutter. »Tja, kein Blutvergießen. Ich würde sagen, das ist ein Fortschritt.«

Sie schüttelte den Kopf und setzte sich ihm gegenüber. »Mir ist unbegreiflich, warum ihr beide euch bei nichts einig sein könnt.«

»Weil ich mich nicht seinem Willen unterordne. Ich weiß, er will für mich nur, was er für das Beste hält. Aber irgendwann sollte er auch mal darauf hören, was ich will.«

Clarisse McDonald bedachte ihn mit einem belustigten Blick. »Oh, ich finde, das hast du oft genug klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. Er ist damit bloß nicht einverstanden. Weil er solche Hoffnungen in dich gesetzt hat.«

»Das weiß ich. Und ich finde es auch normal, dass sich ein Vater bestimmte Dinge für seinen Sohn wünscht. Aber er ist anscheinend davon besessen, seinen Willen durchzusetzen, ganz gleich, wie oft ich ihm erkläre, dass ich mit dem von mir gewählten Weg glücklich bin.«

»Du weißt, woran das liegt, oder?«

»Daran, dass er ein sturer alter Kauz ist?«, riet Tom.

Seine Mutter runzelte die Stirn. »Respektlosigkeit von dir hat er nicht verdient. Irgendwann wirst du von deinem hohen Ross steigen und richtig mit ihm reden müssen, Tom. Für ihn war das Leben nicht so einfach wie für dich.«

Damit verdutzte sie Tom. »Die McDonalds sind seit Generationen reich und eine feste Größe in der besseren Gesellschaft von Charleston.«

»Was nicht deinem Großvater zu verdanken ist«, erwiderte seine Mutter hörbar abschätzig.

Tom sah sie überrascht an. »Wie meinst du das?« An seinen Großvater erinnerte er sich kaum. Er wusste nur noch, dass der Mann ihm oft eine Vierteldollarmünze in die Hand gedrückt und schmunzelnd gemeint hatte: »Gib nicht alles auf einmal aus.«

»Frag deinen Vater nach ihm«, schlug seine Mutter vor. »Vielleicht verstehst du ihn dann ein bisschen besser.«

»Kannst du es mir nicht einfach sagen?«

»Könnte ich, aber ihr zwei müsst lernen, miteinander zu kommunizieren«, ließ sie ihn wissen. »Jetzt erzähl mir von dieser Kleinstadt, die du leitest. Bist du dort glücklich?«

»Ich bin noch dabei, ein Gespür dafür zu entwickeln«, gestand er. »Aber ich denke, es wird mir dort gefallen.« Dabei dachte er an die Frau, die er vor dem Corner Spa kennengelernt hatte. »Jedenfalls gibt’s dort interessante Einwohner.«

Die Züge seiner Mutter hellten sich auf. »Eine Frau? Eine bestimmte?«

»Möglicherweise.«

»Erzähl«, verlangte sie und beugte sich neugierig vor.

»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Ich weiß nicht mal, wie sie heißt. Ich bin ihr vor einem Spa für Frauen über den Weg gelaufen. Wir haben ein paar Worte gewechselt, dann hat sie mir die Tür vor der Nase zugeknallt.«

Mit empörter Miene lehnte sich seine Mutter zurück. »Na, das klingt ja nicht sehr erfreulich. Dann hat sie wohl keine besonders gute Erziehung genossen.«

Tom grinste. »Nach ihrem Stammbaum hab ich sie nicht gefragt, Mutter. Sie war so schon verärgert genug.«

»Ich will damit nur sagen, dass eine Dame nicht einfach den Leuten die Tür vor der Nase zuschlägt.«

»Ich kläre sie darüber auf, wenn wir uns das nächste Mal über den Weg laufen.« Und das würden sie. Er hatte die Absicht, dafür zu sorgen. Cal Maddox würde dabei vielleicht hilfreich sein, zumal die Unbekannte mit seiner Ehefrau zusammenarbeiten musste.

Beim Gedanken an Cal fiel ihm der Vorschlag mit der Little League ein. Da er das Thema wechseln wollte, beschloss er, ihn zu erwähnen. Seine Mutter hatte sein Interesse an Baseball immer gefördert. Obwohl es ihm jedes Mal entsetzlich peinlich gewesen war, dass sie seine Spiele in einer Aufmachung wie für ein Teekränzchen mit der Königin von England besucht hatte.

»Warte, bis du das hörst«, leitete er seine Schilderung des Treffens mit Cal Maddox ein.

»In Serenity lebt ein ehemaliger Profi?« Sie klang aufrichtig verblüfft. »Ich hatte ja keine Ahnung.«

Tom lachte über ihren Gesichtsausdruck. »Wahrscheinlich würden dich noch mehr Leute überraschen, denen man dort über den Weg läuft. Schon mal von Paula Vreeland gehört?«

»Der Künstlerin? Natürlich. Ihre Werke werden in einigen der besseren Galerien hier in Charleston ausgestellt.«

»Sie lebt auch in Serenity.«

Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Du musst dich irren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie hier zu Hause ist.«

»Nein. Der Bürgermeister hat mir bei unserer Rundfahrt durch die Stadt ihr Haus und ihr Studio gezeigt. Und dieses Spa, das ich erwähnt habe, findet offenbar in der gesamten Region großen Anklang. Genau wie das Sullivan’s für seine Gourmetinterpretation guter alter Südstaatenküche.«

»Das will ich mit eigenen Augen sehen. Bleib hier, während ich meinen Kalender hole. Wir vereinbaren sofort ein Datum, dann komme ich dich besuchen.«

»Mit Vater?«

Sie warf ihm einen ironischen Blick zu. »Vielleicht komme ich das erste Mal lieber allein. Zum Auskundschaften sozusagen.«

»Gefällt mir«, sagte Tom. Wenn seine aufgeschlossenere Mutter die Stadt mit einem positiven Eindruck verließe, könnte sie vielleicht zu seinem Vater durchdringen. Ein interessantes Kräfteverhältnis mit überraschend klaren Vorteilen für seine Mutter prägte die Jahre ihrer Ehe.

Energiegeladen verließ sie das Zimmer und kam bald darauf mit einem dicken Terminplaner zurück, prall gefüllt mit Visitenkarten ihrer bevorzugten Floristen, Drucker, Schneider und Caterer, wie Tom wusste. Und mit solchen von neuen Betrieben, die um ihre Aufmerksamkeit buhlten. Sie blätterte durch die Seiten und murmelte dabei vor sich hin.

»Heute in zwei Wochen«, sagte sie schließlich. »Früher schaffe ich es nicht. Dafür muss ich zwar meiner Mittagsrunde mit anschließender Partie Bridge absagen, aber so bleibt den anderen genug Zeit, eine vierte Spielerin zu finden.«

»Heute in zwei Wochen ist perfekt.« Tom stand auf und bückte sich, um sie auf die Wange zu küssen. »Danke, Mutter. Ich freue mich schon darauf.«

Das meinte er aufrichtig. Er wollte, dass sie Serenity so sah wie er – als bezaubernde, lebenswerte Kleinstadt mit einer vielversprechenden Zukunft. Und obwohl er es kaum sich selbst gegenüber auszusprechen wagte, vielleicht auch ein Sprungbrett zu einem noch besseren Job. Im Gegensatz dazu, was sein Vater glaubte, hatte Tom durchaus Ambitionen. Er wollte sie lediglich auf einem anderen Weg als dem verwirklichen, den Thomas McDonald für ihn vorgezeichnet hatte.