KAPITEL 21

Tom versuchte seit Stunden, Jeanette am Handy zu erreichen, aber sie ging nicht ran. Frustriert marschierte er zum Corner Spa und stellte fest, dass in ihrem Büro noch Licht brannte. Er klopfte an die Eingangstür. Als niemand öffnete, ging er außen herum und tippte an ihr Bürofenster. Sie hielt eine Fünf-Kilo-Hantel drohend erhoben in der Hand, als sie die Jalousie zurückzog und nach draußen spähte.

»Du!«, entfuhr es ihr. Sie ließ die Hantel sinken und legte sie auf einen Stuhl. »Willst du mich zu Tode erschrecken?«

Tom deutete zur Vorderseite des Gebäudes. »Lass mich rein.«

Sie runzelte über die Bitte nur die Stirn. »Ich hab zu tun.«

»Fünf Minuten«, bat er. »Wir müssen reden.«

»Ich muss arbeiten«, entgegnete sie. »Maddie braucht diese Berichte morgen früh auf ihrem Schreibtisch. Außerdem muss ich Nachschub bestellen. Da hat sich viel angesammelt, während ich bei meinem Vater gewesen bin.«

»Nichts davon ist so wichtig, wie dass wir reden.«

»Na schön«, lenkte sie schließlich ein. »Ich kann fünf Minuten für dich erübrigen. Komm zur Veranda.«

Da sie bei ihrer letzten Begegnung deutlich empfänglicher gewirkt hatte, fragte er sich unwillkürlich, was in der Zwischenzeit passiert sein mochte. Was es auch war, es konnte nicht gut gewesen sein.

Sie schloss die Eingangstür auf und blieb drinnen stehen, versperrte ihm den Weg hinein. »Was hast du auf dem Herzen?«

»Das ist ja wie beim Domino«, erwiderte er. »Eigentlich bin ich hergekommen, um über was anderes zu reden. Aber jetzt scheint mir, wir sollten uns darüber unterhalten, warum du so schmollst.«

Empört starrte sie ihn an. »Ich schmolle doch nicht.«

»Wirklich nicht?«

Sie strich sich mit der Hand durchs Haar, wodurch es zerzaust abstand. So wirkte sie noch jünger und verführerischer. Tom wollte diese lächerliche Unstimmigkeit, die zwischen ihnen zu bestehen schien, unbedingt aus dem Weg räumen und sie küssen. Allerdings würde er sich in ihrer derzeitigen Stimmung dafür vielleicht eine Ohrfeige einhandeln. Aber da sie die Hantel nicht mehr bei sich hatte, könnte es das Risiko wert sein.

»Du, ich hab wirklich viel zu tun«, betonte sie. »Lass uns das auf ein andermal verschieben.«

Tom ignorierte den Vorschlag und versuchte, das Heft an sich zu reißen. »Hast du schon gegessen?«, fragte er. »Vielleicht bist du durch niedrigen Blutzucker so schlecht drauf.«

»Nein, hab ich nicht. Ich mache mir etwas, wenn ich zu Hause bin.«

Wie er vermutet hatte. Das mochte nicht die ganze Erklärung sein, aber zumindest etwas, woran er einhaken konnte. Er schüttelte den Kopf. »Nein, das Abendessen kann nicht warten. Du brauchst sofort etwas. Komm mit.«

»Wenn wir schon bei Launen sind«, brummte sie, »wann bist du so herrisch geworden?«

»Ungefähr zwei Minuten nach meiner Ankunft hier«, konterte er. »Schließ hier ab, dann gehen wir ins Sullivan’s. Vielleicht können wir bei einer ordentlichen Mahlzeit ein vernünftiges Gespräch führen. Und falls du danach noch arbeiten musst, bringe ich dich hierher zurück.«

Sie schaute finster drein. »Vernünftig? Was willst du damit andeuten?«

»Jeanette, verrätst du mir bitte einfach, warum du so verärgert bist? Offensichtlich willst du unbedingt einen Streit anzetteln.«

»Und wenn’s so wäre? Dann will ich es auf keinen Fall im Sullivan’s, wo Dana Sue die Nase in unsere Angelegenheiten stecken würde.«

»Na schön«, lenkte er mit strapazierter Geduld ein. »Dann holen wir von dort etwas zum Mitnehmen. Wir können bei dir essen. Und wenn dir das auch nicht passt, können wir eine Pizza bestellen.«

»Warum bist du so versessen drauf, mich zu füttern?«

Obwohl Tom selbst zunehmend irritierter wurde, behielt er sich im Griff, weil er nicht wollte, dass dieser wirklich dumme Streit eskalierte. Trotzdem wählte er die nächsten Worte nicht sorgfältig genug. »Ich hoffe, dass sich deine Laune bessert, bevor ich dich das frage, wofür ich eigentlich hergekommen bin.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Meine Laune ist bestens. Zumindest wäre sie es, wenn du aufhören könntest, darauf herumzureiten. Geht’s um die Dinnerparty bei deinen Eltern?«

Tom sah sie bestürzt an. Plötzlich fügten sich die Teile zu einem klareren Bild davon zusammen, was los war. Ihm fiel nur eine Möglichkeit ein, wie sie von der Dinnerparty erfahren haben konnte. Und die hätte Jeanette im Handumdrehen in diese Stimmung versetzt.

»Hat sich meine Mutter bei dir gemeldet? Was hat sie gesagt? Hat sie dich so aufgebracht? Hat sie von dir verlangt, du sollst mich abservieren? Führst du dich deshalb so auf?«

Schuldbewusst errötete sie. »Ich hab nicht mit deiner Mutter geredet.«

»Woher um alles in der Welt weißt du dann von der Dinnerparty?«, fragte er, bevor er auf das Offensichtliche kam. Immerhin wusste er genau, wie seine Mutter vorging. Wenn sie nicht selbst eingreifen konnte, ohne Toms Zorn zu erregen, würde sie es an seinen Vater delegieren. Natürlich.

Er wandte sich von ihr ab und begann, rastlos auf und ab zu laufen. Sein Zorn drohte, aus ihm hervorzubrechen. Als er glaubte, ihn gebändigt zu haben, blieb er vor Jeanette stehen, fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. »Sie hat meinen Vater hergeschickt, nicht wahr? Bitte sag, dass mein Vater nicht hier reingepflügt ist und dir zugesetzt hat.«

»Tom, ist schon gut. Lass es.« In ihrer Stimme schwang ein flehentlicher Unterton mit.

Das fasste Tom als Bestätigung auf. »Wie könnte ich das? Ich lasse nicht zu, dass sie sich in mein Leben einmischen oder dich einzuschüchtern versuchen. Es ist höchste Zeit, dass ein für alle Mal zu klären.«

»Mit deinem Vater bin ich fertig geworden«, berichtete sie mit einem Anflug von Stolz. »Tatsächlich glaube ich, er und ich verstehen uns jetzt sogar.«

Tom schauderte allein bei der Vorstellung, wie sich die Begegnung abgespielt haben musste. »Bist du mit ihm so ähnlich fertig geworden wie mit meiner Mutter?«

Zum ersten Mal seit seiner Ankunft lächelte sie. »Ich war ein bisschen diplomatischer. Er übrigens auch – gegen Ende hin jedenfalls.«

»Was hat er zu dir gesagt?«

»Spielt keine Rolle. Und deine Reaktion eben ist genau der Grund, warum ich ihm versprochen habe, dir nichts von dem Besuch zu erzählen.« Sie wirkte aufgebracht. »Ich dachte, ich hätte mehr Zeit, um mir zu überlegen, wie ich verhindern kann, dass mir etwas herausrutscht. Und jetzt hab ich mein Wort an ihn gebrochen.«

»Das hättest du ihm gar nie geben sollen.« Zornig holte Tom das Handy aus der Tasche und begann, eine Nummer einzugeben.

»Was hast du vor?«

»Na, ich rufe ihn natürlich an.«

Jeanette riss ihm das Telefon aus der Hand. »Nein, das darfst du nicht. Er und ich haben Frieden geschlossen … mehr oder weniger. Wenn du ihn anrufst, ist der Waffenstillstand beim Teufel. Dann vertraut er mir nie wieder.«

Tom konnte ihre Argumentation zwar nachvollziehen, trotzdem behagte sie ihm nicht. Überhaupt nicht.

»Na schön«, lenkte er widerwillig ein. »Aber offensichtlich können wir jetzt nicht mehr zu der Dinnerparty gehen.«

»Doch, können wir«, sagte sie leise. »Auch darauf hab ich ihm mein Wort gegeben. Ich will Frieden mit deinen Eltern schließen, Tom. Das will ich wirklich. Sein Besuch heute war ein großer Schritt in die Richtung.«

Verwirrt sah Tom sie an. Woher kam diese versöhnliche Haltung? »Auch mit meiner Mutter?«

Sie nickte. »Ich verstehe sie jetzt viel besser.«

»Wirklich? Wieso?«

»Dein Vater und ich hatten ein echt gutes Gespräch. Da ist viel, das du nicht weißt.«

»Über meine eigene Familie?«, fragte er ungläubig.

»Ja. Du musst dich mit ihnen zusammensetzen. Ihr müsst offen darüber reden. Das ist längst überfällig. Ich denke, das würde viel daran verändern, wie ihr miteinander auskommt.«

»Warum klärst nicht einfach du mich auf?«

»Weil es mir nicht zusteht. Das ist etwas, das ihr drei unter euch klären müsst.«

»Ein ziemlicher Sinneswandel«, merkte er an und wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Könnte Frieden wirklich so einfach zu erzielen sein, wie Jeanette andeutete? Das bezweifelte er zwar, aber er war bereit, es zu versuchen. »Bist du dir sicher?«

»Ja.« Sie sah ihn mit ernster Miene an. »Tom, ich werde mich nicht zwischen dich und deine Eltern stellen. Ich weiß, wie es ist, wenn die eigene Familie durch Zwietracht auseinandergerissen wird. Und ich will nicht bei deiner die Ursache dafür sein. Falls aus uns je irgendetwas werden soll, müssen wir versuchen, mit deinen Eltern auszukommen.« Sie hob die Hand und legte sie ihm auf die Wange. »Außerdem hast du’s versprochen.«

Die schlichte Berührung ließ ihn praktisch vergessen, worüber sie gerade diskutierten. Und erst recht wusste er nicht mehr, was er ihr anscheinend vor einiger Zeit zugesichert hatte. »Was hab ich denn versprochen?«

»Dass die Feiertage dieses Jahr anders werden. Dass du dir aufrichtig Mühe gibst, in eine weihnachtliche Gesinnung von Frieden und Freude zu kommen.«

»Da konnte ich ja auch nicht damit rechnen, dass so was daherkommen würde«, brummte er.

»Klar konntest du. Immerhin reden wir hier von deinen Eltern. Du musst gewusst haben, dass es nicht einfach sein würde. Wenn ich ihnen eine Chance geben kann, dann kannst du es wohl erst recht.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß echt nicht, ob du verrückt bist oder eine Heilige.«

»Weder noch.« Sie lächelte. »Aber am Verhungern, also lass uns zu Rosalina’s gehen und dort eine Pizza essen.«

Ihre Bereitschaft, den Vorfall mit seinem Vater hinter sich zu lassen, verblüffte Tom. Zu sehr, um es auf nüchternen Magen zu verarbeiten. »Und der ganze Papierkram, der dir vorhin so viel Kopfzerbrechen bereitet hat?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Der kann warten.«

Er sah ihr in die Augen. »Wenn das so ist, darf ich einen Vorschlag unterbreiten?«

»Sicher.«

»Wenn wir uns die Pizza zu dir nach Hause liefern lassen, könnte ich ein Feuer anzünden und eine Flasche Wein aufmachen«, meinte er hoffnungsvoll. »Wie klingt das?«

Jeanette zögerte, obwohl sie entzückt wirkte. »Romantisch«, gab sie schließlich mit belegter Stimme zu.

»Und?«

»Du ziehst trotzdem nicht ein.«

»Natürlich nicht.« Damit senkte er den Kopf und drückte den Mund so lange auf ihren, bis sie seufzte. »Aber vielleicht könnten wir über eine Übernachtung verhandeln. Nur für heute.«

Ihre Lippen krümmten sich leicht unter seinen. »Wir sind keine zwölf mehr.«

Er lachte. »Glaub mir, das weiß ich.«

»Ach, du willst so eine Übernachtung«, zog sie ihn auf.

Er strich mit dem Daumen über ihre Unterlippe. »Was denkst du?«

»Ich denke, wir verschwenden gerade Zeit damit, darüber zu reden, während wir längst auf dem Weg zu mir sein könnten.«

Tom grinste. »Als Gemeindedirektor kann ich dir sagen, wie ich deine Effizienz zu schätzen weiß.«

»Ich wusste doch, dass mir der Charakterzug noch mal zugutekommen würde«, sagte sie. Dann eilte sie los in ihr Büro, um ihre Handtasche und ihre Schlüssel zu holen. Nachdem sie die Tür hinter ihnen abgeschlossen hatte, sah sie ihm in die Augen und fragte: »Gehen wir zu Fuß? Es ist ein so schöner Abend.«

Verloren in den Tiefen ihrer dunkelbraunen Augen murmelte er: »Mein Auto ist schneller.«

»Dann nehmen wir doch lieber das«, willigte sie etwas atemlos ein. Sie musterte ihn argwöhnisch. »Du überlegst es dir doch nicht wieder anders, oder?«

»Nein. Ich bemühe mich, meine Fehler nicht zu wiederholen.«

Jeanette wirkte erleichtert. »Gut zu wissen.«

* * *

Jeanette bestellte die Pizza, während sie die kurze Strecke zu ihrem Haus fuhren. Sie musste wohl leicht verzweifelt geklungen haben, denn sie traf nur wenige Minuten nach ihnen ein. Normalerweise ging es bei Rosalina’s entschieden langsamer zu.

Als sie ankam, hatte Tom bereits ein Feuer und alle Kerzen im Wohnzimmer angezündet und eine Flasche roten Zinfandel geköpft, die Jeanette für einen besonderen Anlass aufbewahrt hatte. Das qualifiziert sich auf jeden Fall dafür, dachte sie voller Vorfreude. Außerdem hatte er sämtliche Kissen vom Sofa auf dem Boden vor dem Kamin aufgeschichtet. Offensichtlich hatte er einiges an Erfahrung mit romantischer Verführung. Irgendwann würde sie ihn darüber noch verhören. Aber nicht jetzt. Vorerst würde sie sich einfach mit dem Strom treiben lassen.

»Sieht gemütlich aus«, befand sie, als sie den Pizzakarton, Teller und Servietten zu ihm brachte.

»Ich hab eigentlich auf romantisch abgezielt«, erklärte er und zog sie neben sich auf den Boden.

Jeanette schauderte unter der Intensität seines Blicks. »Das auch.«

»Jeanette …« Er verstummte, als hätte er den Faden verloren.

»Was?«, murmelte sie, als er ihr eine Hand in den Nacken legte und sich vorbeugte, um sie zu küssen. Die gemächliche, sinnliche Berührung ihrer Lippen vertrieb alle Gedanken an Essen und Sonstiges.

Als Tom sich zurückzog, sah er so benommen aus, wie sie sich fühlte. Er griff nach dem Wein und schenkte zwei Gläser ein. Dabei fiel ihr auf, dass seine Hand zitterte. Tom hielt ihr ein Glas hin. Sie nahm es entgegen, nippte daran und stellte es beiseite.

»Tom …«, begann sie, den Blick auf seine Lippen geheftet.

Er musterte sie aufmerksam, als wäre er nicht völlig sicher, welche Signale sie aussandte. »Ich dachte, du wärst am Verhungern.«

»Meine Prioritäten haben sich verschoben.«

Er wirkte hoffnungsvoller. »Wirklich?«

»Oh, ja.«

»Also kann das Essen warten?«

Sie nickte. Essen könnte sie jederzeit, aber auf diesen Moment hatte sie viel zu lange gewartet. »Ich denke, das sollte es. Die Pizza riecht zwar verführerisch, aber bestimmt kannst du mich davon ablenken, wenn du dir Mühe gibst.«

Seine Mundwinkel verzogen sich langsam zu einem durch und durch männlichen Lächeln. »Ich werde mein Bestes geben«, versprach er, bevor er den Mund erneut auf ihren senkte.

Jeanette ließ sich von dem Kuss mitreißen. Zum ersten Mal schüttelte sie alle Zweifel an der Zukunft und alle Erinnerungen an die Vergangenheit ab und gestattete sich, nur im Augenblick zu leben. Und es war ein schöner Augenblick. Hitze fegte durch ihren Körper, gefolgt von einem so intensiven Verlangen, dass es sie beinah überwältigte. Sie hatte gewusst, dass er hervorragend küsste, aber nicht, wie erfinderisch er sein konnte, wenn er sich ins Zeug legte. Tatsächlich hatte sie keine Ahnung gehabt, dass es so viele Nuancen bei einem so schlichten Akt zwischen einem Mann und einer Frau geben konnte.

In einem Moment fühlten sich seine Lippen sanft verlangend an, im nächsten schien er sie verschlingen zu wollen, und seine Zunge eroberte sie so sinnlich, dass sich ihr Inneres in geschmolzene Lava verwandelte. Und als er ihre Stirn und ihren Hals mit zarten kleinen Küssen übersäte, wurden ihr die Knie weich.

Wieso in Herrgottsnamen hab ich mich diesen Freuden verweigert?, fragte sie sich, als seine Finger ins Spiel kamen, die Knöpfe ihrer Bluse anvisierten, über ihre nackte Haut streichelten.

Während er sie berührte und erforschte – mit einer zarten Liebkosung hier, einer intimeren Streicheleinheit da –, behielt er sie im Auge, als versuchte er abzuschätzen, was sie wollte, was sie brauchte, um es ihr dann zu erfüllen.

Zwischendurch ließ er sie ein wenig zappeln, zögerte etwas hinaus, bis sie sich nach mehr verging – einem innigeren Kuss, einer intimeren Berührung, irgendetwas. Als sie schließlich kurz davorstand, seine Hände wegzuschieben und die restlichen Knöpfe selbst zu öffnen, schnippte er den letzten auf und drückte einen zärtlichen Kuss auf die entblößte Haut. Was er an jedem nackten Quadratzentimeter wiederholte, als ihre Bluse von den Schultern glitt. Mit abgesehen von ihrem Spitzen-BH splitternacktem Oberkörper bebte sie unter seinem sinnlichen Blick.

Dann beugte er sich vor und stülpte den Mund über ihre Brust, leckte durch den Stoff am Nippel, bis Jeanette spürte, wie sich Feuchtigkeit einstellte und sich ihre Hüften vom Boden hoben, ihm entgegen. Der Moment, der so lange auf sich hatte warten lassen, konnte ihr nicht mehr schnell genug kommen. Sie wollte alles, wollte ihn in sich haben, wollte das einzigartige Erlebnis ihrer Vereinigung.

Leider hatte Tom es damit nicht eilig. Er schien fest entschlossen zu sein, jede Sekunde auszukosten, und zog es derart in die Länge, dass sie unter seinen Berührungen erzitterte.

»Du bist so wunderschön, wenn der Feuerschein über deine Haut tänzelt«, murmelte er. Seine Finger folgten dem Licht, tauchten in die Schatten ab, bis sie glaubte, allein durch die Ehrfurcht in seinem Blick und seine herrlichen Liebkosungen zu kommen. Und er schien begierig darauf zu sein, ihr genau diese Befriedigung zu verschaffen. Aber nun wollte sie genießen.

»Warte«, flüsterte sie und hielt seine Hand auf ihrem Oberschenkel fest. »Lass mich machen.«

Kurzerhand knöpfte sie sein Hemd auf und warf es beiseite, dann hob sie ihm das T-Shirt über den Kopf und legte seine muskulöse Brust und straffe Bauchmuskeln frei, die sich unter ihren begierigen Fingern warm und hart anfühlten. Er stöhnte leise, als sie ihn erforschte, dann schnappte er nach Luft, als sie seinen Gürtel öffnete und tiefer fasste, die Hand um seine beeindruckende Erektion legte. Rastlos bewegte er sich – endlich wurde seine Ungeduld der ihren ebenbürtig. Das hatte sie gewollt – was seiner Ansicht nach vor nicht allzu langer Zeit gefehlt hatte: Einigkeit.

Rasch entledigten sich beide der Hosen und kehrten zurück zueinander, Haut an Haut. Lust traf auf Lust, als ihrer beider Hände und Lippen überall forschten, erkundeten, liebkosten, bis sie beide atemlos und hungrig vor Verlangen waren.

»Jetzt«, bat sie. »Darauf hab ich so lange gewartet.« Was war sie für eine Idiotin gewesen, dass sie es so endlos vor sich her geschoben hatte! Gleichzeitig jedoch wusste sie, dass es vor wenigen Wochen noch nicht so gewesen wäre wie in diesem Augenblick – ein intimes Erlebnis zweier Menschen, die auf so vielen Ebenen miteinander harmonierten. Damals wäre es nur Sex gewesen. Nun war es vielleicht, vielleicht Liebe.

Jeanette erschauderte, als Tom das spärliche Etwas entfernte, das sich als Slip ausgab, bevor er seine Boxershorts abstreifte und beiseitewarf. Dann schob er sich über sie und sah ihr tief in die Augen, während er in sie eindrang, sie ausfüllte, sich langsam zurückzog und wieder in sie tauchte. Der Rhythmus entwickelte ein Eigenleben, steigerte sich zu einer süßen, herrlichen Dringlichkeit, die Jeanette höher und höher schraubte, bis sie die Ekstase in durch sie rasenden Wellen entlud, die Wärme und Befriedigung zurückließen.

Kaum hatte sie sich davon erholt, setzte sich Tom wieder in Bewegung, katapultierte sie in völlig neue Sphären, bevor ihn der eigene Höhepunkt überkam und sie zu einem weiteren mitnahm, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Zwei Menschen, zu einem vereint, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Es fühlte sich zum Weinen überwältigend an.

Dass sie tatsächlich eine Träne vergossen hatte, wurde ihr erst bewusst, als sie mitbekam, dass er sie besorgt ansah.

»Weinst du etwa?«

»Nein«, entgegnete sie, obwohl weitere Tränen auf seine Brust fielen.

»Was ist los?«

»Nichts. Alles perfekt.«

»Bist du sicher? Du hast nicht viel gesagt.«

»Hätte ich nicht gekonnt«, antwortete sie. »Mein Verstand ist weg.«

Darüber grinste er selbstgefällig. »Ist das ein Kompliment?«

Sie stupste ihn mit dem Ellbogen in die Rippen. »Musst man dir alles detailliert sagen? Reicht es nicht, dass ich mich kaum rühren kann und völlig außer Atem bin?«

»Wollte mich nur vergewissern. Und falls du dich fragst, du warst auch ziemlich beeindruckend.«

»Hab ich mich nicht gefragt«, versicherte sie ihm keck. »Ich weiß, dass ich’s draufhabe.«

Er lachte. »Selbstvertrauen hat zu den ersten Dingen gehört, die mir an dir aufgefallen sind.«

»Und ich dachte, es wäre mein Körper gewesen.«

»Der war das Zweite«, erwiderte er. »Gleich, nachdem du mich vom Corner Spa verbannt hattest.«

Ohne sich zu bedecken, stützte sich Jeanette auf die Ellbogen und sah ihn an. »Was noch?«

»Was noch?«, echote er mit verständnisloser Miene.

»Warum fühlst du dich zu mir hingezogen? Und bitte nenn mir nicht als Grund, dass deine Eltern mit mir nicht einverstanden sind.«

»Das ist irrelevant«, betonte er. Sein lustvoller Blick verweilte auf ihr. »Glaub mir, du hast so viel, das für dich spricht. Ich mag es, wie du denkst. Ich mag deinen Sinn für Humor. Du bist nicht beeindruckt von mir, was einerseits ärgerlich, andererseits eine Herausforderung ist. Und dass du mich heute Nacht bei dir schlafen lässt, finde ich spitze.«

Sie zwinkerte ihm zu. »Wenn du deine Karten richtig ausspielst, wird heute Nacht nicht viel geschlafen.«

Er täuschte Entsetzen vor. »Wenn das so ist, brauche ich jetzt Pizza.«

Jeanette setzte sich auf und griff nach dem Karton. »Ausdauer ist jetzt definitiv gefragt«, sagte sie, nahm sich ein Stück und reichte ihm den Rest.

Mittlerweile war die Pizza eiskalt, dennoch hatte es sich mehr als gelohnt, mit dem Essen zu warten.

* * *

Mary Vaughn saß an jenem Abend erneut mit Sonny zum Essen beisammen. Diesmal jedoch war der Vorschlag von ihm gekommen. Zwar hatte sie keine Ahnung, was ihn zu der Einladung bewogen hatte, aber sie freute sich darauf. Vielleicht würde sie tatsächlich den Mut aufbringen, ihre Gefühle zu offenbaren, wie Jeanette es vorgeschlagen hatte. Dafür würde sie improvisieren und erst abwarten müssen, was Sonny vorschwebte. Um Weihnachten jedenfalls konnte es nicht gehen. Ihre Pläne für die Feiertage hatten sie so gründlich besprochen, dass kein Detail offengeblieben war.

Natürlich könnte er ihr mitteilen wollen, dass es mit jener anderen Frau ernst wurde, mit der aus seinem Autohaus. Vielleicht würde er sogar darauf bestehen, sie in ihre Feiertagspläne einzubeziehen. Bei dem Gedanken wurde Mary Vaughn hibbelig.

Sie musterte ihn über den Tisch hinweg. Er war immer noch ein gutaussehender Mann, daran bestand keinerlei Zweifel. Und ihr war endlich klar geworden, dass einem Männer wie Sonny Lewis nur alle Jubeljahre einmal über den Weg liefen. Wenn sie das nur schon vor der Scheidung erkannt hätte.

Tja, vielleicht war es noch nicht zu spät. Die einzige Möglichkeit, es herauszufinden, bestand darin, die Karten auf den Tisch zu legen. Das verruchte Funkeln in seinen Augen, während er sie ansah, verlieh ihr Mut.

»Sonny, ich hab mir Gedanken über etwas gemacht«, begann sie langsam, suchte noch nach dem richtigen Ansatz.

»Ach ja?«

Ihre sonst so schlagfertigen Worte mussten diesmal wohlüberlegt sein, wenn Aussicht darauf bestehen sollte, dass es wie von ihr gewünscht verliefe. »Hast du je bereut …« Die Stimme versagte ihr kurz den Dienst. »Ich meine, findest du, wir waren mit der Scheidung zu voreilig?«

Er starrte sie mit offenem Mund an, auf der Gabel ein Stück Steak. »Sag das noch mal.«

»Du hast mich schon verstanden«, sagte sie mit einem Anflug von Ungeduld. »War unsere Scheidung ein Fehler?«

»Nein«, erwiderte er mit solcher Endgültigkeit in der Stimme, dass sie erbleichte.

»Ah. Verstehe.« Sie spürte, wie ihr vor Demütigung heiße Röte in den Hals stieg. »Ist mir nur so durch den Kopf gegangen.« Sie nahm einen Bissen von ihrer Mahlzeit, die plötzlich nach gar nichts mehr schmeckte, und murmelte: »Das Steak ist gut, nicht wahr?«

Irritiert musterte er sie. »Ich will nicht über das verdammte Steak reden. Warum fragst du so was?«, verlangte er zu erfahren.

»Hätte ich nicht tun sollen«, lenkte sie schnell ein. »Vergiss, dass ich es erwähnt habe.«

Er tat so, als hätte sie nichts gesagt. »Als ich dir vor Jahren mitgeteilt habe, dass ich die Scheidung will, hast du dir nie die Mühe gemacht, mir groß Fragen darüber zu stellen«, erinnerte er sie. »Du hast so getan, als hättest du ohnehin damit gerechnet.«

Mary Vaughn verkniff sich ein Seufzen. Die bittere Suppe hatte sie sich selbst eingebrockt. Ihr blieb keine andere Wahl, als sie auszulöffeln. »Damit hast du wohl recht«, gab sie zu. »Ich war nie gut genug für dich. Ich dachte immer, dass du es früher oder später herausfinden wirst.«

»Blödsinn!«, sagte er. »Mary Vaughn, es hat dir nie an Selbstwertgefühl gefehlt, obwohl du weiß Gott allen Grund dazu gehabt hättest, wenn man deine Kindheit bedenkt. Jemand ohne deine Stärke wäre daran zerbrochen, so aufzuwachsen.«

»Wenn du mich so bewundert hast, warum bist du dann gegangen?«

»Die Antwort darauf kennst du. Aber wenn du willst, erklär ich’s dir gern noch mal. Nur will ich vorher wissen, warum du gerade jetzt mit dem Thema anfängst. Bist du heute Morgen aufgewacht und hast beschlossen, in der Vergangenheit zu kramen, um irgendetwas aufzuwühlen?«

Mary Vaughn wollte darauf nicht antworten, wollte keine weitere Peinlichkeit riskieren. Aber er musterte sie mit echter Neugier, also erwiderte sie schließlich: »So war es nicht. Nur weißt du, wir haben uns in letzter Zeit gut verstanden, uns in der Gesellschaft des anderen wohlgefühlt. Wir haben diese lange gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Tochter. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Und da hat sich mir der Eindruck aufgedrängt, wir hätten uns das zu leicht entgleiten lassen.«

Sonny nickte. »Ja, genau das hast du

Verdattert sah sie ihn an. »Ich? Wie kommst du darauf? Ich hab nicht die Scheidung verlangt.«

»Richtig, aber du hast auch nicht abgelehnt. Du hast kaum mit der Wimper gezuckt und mir dann angeboten, mir beim Packen meiner Sachen zu helfen.«

Seine Reaktion verwirrte sie. »Hättest du gewollt, dass ich versucht hätte, dich aufzuhalten?«

»Tatsächlich habe ich genau darauf gehofft. Ich habe gehofft, du würdest aufwachen, mich zum ersten Mal richtig sehen und vielleicht das Leben schätzen können, das wir hatten. Mir war immer bewusst, dass du in Ronnie verliebt warst, aber ich habe dich genug geliebt, um darüber hinwegzusehen. Ich dachte, ich liebe dich genug, um uns eine echte Chance auf Glück zu verschaffen. Aber als sich nach ein paar Jahren immer noch nichts geändert hatte, wurde ich es leid, der Trostpreis zu sein. Wäre ich geblieben, hätte ich weiterhin meinen Stolz runterschlucken und so tun müssen, als wäre es mir egal. Das konnte ich nicht länger.«

»Es tut mir leid«, flüsterte sie, als sie ihr gemeinsames Leben zum ersten Mal aus seiner Perspektive sah. Zwar hatte sie ihn nie betrogen, aber sie hatte ihm auch nicht ihr Herz geschenkt. Sie war mit dem Stand der Dinge zufrieden, ja beinah glücklich gewesen. Und sie hatte gedacht, für ihn hätte dasselbe gegolten. Wie hatte sie sich nur so lange selbst belügen können? »Es tut mir so, so leid.«

»Mir auch.«

»Ich würde gern versuchen, das zu ändern, wenn du mich lässt«, wagte sie sich in das Risiko einer weiteren demütigenden Zurückweisung. »Ich will damit nicht sagen, dass wir uns Hals über Kopf in irgendwas stürzen sollen. Wir könnten uns einfach weiterhin treffen und sehen, ob wir einen Neuanfang hinbekommen. Und falls es hilft, mir ist inzwischen klar, was für eine Idiotin ich damals gewesen bin.«

Sonnys Gesichtsausdruck war nicht wirklich ermutigend. »Ich weiß nicht recht, Mary Vaughn. Es hat lang gedauert, bis ich über dich hinweg war. Ich bin mir nicht sicher, ob ich zurück zu dieser emotionalen Achterbahnfahrt will.«

»Nicht zurück zu irgendwas«, stellte sie richtig. »Vorwärts zu etwas Neuem. Wir könnten auf dem aufbauen, was gut war, und den Rest nicht wiederholen.«

Er schaute skeptisch drein. »Ist nicht so einfach, die Vergangenheit zu vergessen.«

»Nein, natürlich nicht. Tatsächlich ist es sogar wichtig, sich daran zu erinnern, damit sich die Fehler nicht wiederholen.« Mary Vaughn begegnete seinem Blick und fasste den Entschluss, etwas zu tun, das sie sich geschworen hatte, niemals zu tun. Sie würde um diese Chance betteln, die sie zwar nicht verdiente, aber geradezu verzweifelt wollte. »Bitte, Sonny. Alles, worum ich dich bitte, ist eine zweite Chance. Lass mich beweisen, dass ich mich geändert habe – dass ich dich so lieben kann, wie du geliebt werden solltest. Ich denke, ich bin endlich reif genug, um den Mann schätzen zu können, der du bist – der du schon immer warst.«

»Ich weiß nicht recht«, wiederholte er und musterte sie nach wie vor zweifelnd.

»Zögerst du, weil du dich mit jemand anderem triffst?«

»Verdammt, es geht nicht um jemand anderen, Mary Vaughn. Gott sei’s geklagt, du bist für mich immer die einzige Frau gewesen.«

Sie legte die Hand auf seine. »Dann ergreif diese Chance«, sagte sie, bevor sie schlicht hinzufügte: »Bitte.«

Er drehte ihre Hand um, fädelte die Finger zwischen ihre und starrte auf ihre vereinten Hände, bevor er sie mit hin- und hergerissener Miene ansah. »Diesmal müsste es anders sein«, sagte er leise.

Mary Vaughn stürzte sich auf den dünnen Strohhalm. »Das wird es. Versprochen.«

»Lass mich ausreden«, sagte er. »Ich werd mich nicht noch mal nur zufriedengeben, Mary Vaughn. Das mache ich nicht.«

Mit der einfachen Erklärung, der Weigerung, sich mit weniger als dem zufriedenzugeben, was er verdiente, errang er nicht nur ihren Respekt, sondern auch das Herz, das sie ihm einst vorenthalten hatte.

Leider würde es nach so vielen – größtenteils von ihr – begangenen Fehlern nicht einfach werden, ihm zu beweisen, dass sie ihn von ganzem Herzen liebte. Zum Glück hatten sie die Jahre abgehärtet, in denen sie mit Zähnen und Klauen um alles gekämpft hatte, was sie wollte. Sie würde ihn zurückgewinnen. Davon war sie genauso überzeugt wie davon, dass sich der Kampf lohnen würde.