29. Kapitel
Ralf rollte sich stöhnend herum. Irgendetwas klirrte und riss ihn endgültig aus dem Schlaf. Der Boden unter ihm war hart und es roch muffig. Seine Schulter und Hüfte schmerzten, in seinem Kopf drehte sich alles und ihm war kotzübel. Unsagbarer Durst quälte ihn und sein Hals fühlte sich an, als würde ihn etwas zudrücken. Mühsam öffnete er die Augen. Um ihn herum blieb es schwarz. Eine Weile starrte er ins Nichts und überlegte, ob er tatsächlich wach war. Konnte man denn nachdenken, während man schlief? War das ein Traum? Das hatte er noch nie gehabt.
Wahrscheinlich hatte er es mal wieder mit dem Alkohol übertrieben. Vielleicht war er ja wach, hatte aber seine Augen noch nicht wirklich geöffnet. Um das zu überprüfen, konzentrierte er sich auf seine Lider, kniff sie zusammen und riss sie auf. Doch, eindeutig. Er hatte die Augen offen, trotzdem blieb es dunkel, als hätte er sie geschlossen.
Er versuchte, sich zu erinnern, wo er war und wie er dorthin gekommen sein könnte. Sein Gehirn arbeitete nur langsam und seine Gedanken fühlten sich an wie ein zähflüssiger Brei. Schließlich schaffte er es, ein Bild scharf zu stellen. Er war bei Eddy gewesen, um sich nach einem Scheißtag volllaufen zu lassen. Wegen dieser verdammten Lena. Ja, jetzt erinnerte er sich. Die dämliche Ziege war sich zu fein gewesen, mit ihm zu reden. Hatte ein Theater gemacht, als hätte er ihr etwas angetan. Sogar geschubst hatte sie ihn. Miese kleine Schlampe. Was bildete die sich ein, wie sie mit ihm umgehen konnte?
Bei dem Gedanken an sie wurde Ralf wütend. Ruckartig setzte er sich auf. Wieder dieses Klirren. Plötzlich packte ihn etwas am Nacken und riss ihn nach hinten, sodass er auf den Rücken fiel. Schmerzen breiteten sich in seinem Hals aus. Er hob die Hände und tastete sich ab. Etwas aus Leder war darum geschnürt, daran war eine Kette befestigt. Das war der Druck gewesen, den er beim Aufwachen gespürt hatte. Er ließ seine Finger nach hinten zum Nacken wandern, wo die Enden des Ledergurts mit einem Vorhängeschloss fixiert waren, das mit einer Kette verbunden war. Diese führte zu einem Ring im Boden, woran sie wiederum mit einem weiteren Schloss befestigt war.
Was war das hier für eine Scheiße? Träumte er etwa doch noch?
»Hallo?« Seine Stimme hallte von den Wänden wider. Bis auf sein eigenes Echo hörte er nichts. Er fasste sich an die Kehle und räusperte sich. Sein Hals fühlte sich rau an, der Ledergurt war jetzt, da er ihn bemerkt hatte, viel zu eng.
Ralf kniete sich hin. Die Kette bot ihm nicht viel Bewegungsfreiheit. Er packte sie, zerrte daran und versuchte, sie aus ihrer Verankerung im Boden zu reißen. Nichts passierte. Also nahm er sich das Schloss vor und ruckelte an dem Verschlussbügel. Ebenfalls vergeblich.
Schnaufend ließ er davon ab und hockte sich hin. Das hier musste ein Keller sein. Es roch nach Staub, Feuchtigkeit und Moder, Boden und Wand waren rau. Aber wie zum Teufel war er hierhergekommen?
Nach der Kneipe hatte er die Bahn nach Hause genommen, so viel wusste er noch. Er hatte seine Haltestelle verpasst und war von Höchst aus zurück nach Griesheim gelaufen. Der Weg war ihm vorgekommen wie eine Ewigkeit. Dann schwand seine Erinnerung.
Hatte ihn vielleicht jemand angefahren? Gut möglich, seine Hüfte schmerzte und auch sein Kopf fühlte sich an, als hätte er einen ordentlichen Schlag abbekommen. Aber weshalb sollte dieser jemand ihn dann in einen Keller schleppen und dort festketten? Weil er ein Zeuge war und der Fahrer keinen Ärger mit der Polizei wollte? Was hatte derjenige jetzt mit ihm vor? Wollte er ihn hier so lange festhalten, bis er verhungert war?
Nein, das ergab überhaupt keinen Sinn. Es musste eine andere Erklärung geben.
Plötzlich hörte er ein Geräusch. Er starrte in die Dunkelheit, versuchte, etwas zu erkennen. Ein grelles Licht sprang an und blendete ihn. Ralf riss seine Hand hoch, hielt sie vor sein Gesicht und kniff die Augen zusammen. Jemand hatte eine Taschenlampe auf ihn gerichtet.
»Was soll das?«, krächzte er. Er musste unbedingt dieses Ding um seinen Hals loswerden.
Die Person leuchtete ihm weiter ins Gesicht, sagte aber nichts.
»Wer sind Sie? Und was soll dieser Quatsch?« Er drehte seinen Kopf, sodass er nicht mehr geblendet wurde, und schaute sich im Lichtkegel der Taschenlampe um. Viel konnte er nicht erkennen, lediglich einen Betonboden, eine unverputzte Wand, den Eisenring im Boden. Der Strahl bewegte sich, er hörte Schritte.
Als er sich wieder umdrehte, hatte sich das Licht ein Stück von ihm entfernt. »Hey, bleiben Sie hier. Reden Sie mit mir!«
Die Schritte wurden schneller. Schließlich ertönte das dumpfe Geräusch von Stahl, der über den Beton geschoben wurde. Tageslicht fiel durch eine Tür. Nur kurz konnte er die Silhouette einer Gestalt erkennen, dann wurde die Tür zugeworfen und er saß wieder im Stockdunkeln.