Gott, was ist das hier für ein schrecklich kitschiger Laden?«, fragte Sara, doch es klang gar nicht wie eine Frage. Eher wie eine missmutige Unüberwindbarkeit. Gemeinsam mit Gretchen lehnte sie an dem Zaun, der das Freigehege um den Stall begrenzte, und beobachtete Nettie und Damien, die dabei waren, den Esel zu striegeln. »Die Blicke, die die beiden sich zuwerfen, werden noch die Mähne des armen Tieres in Brand setzen«, fuhr sie fort. »Schön, so eine junge Liebe, was? Sollen wir ihnen sagen, dass das nicht ewig so geht?«
»Was hast du vor?«, fragte Gretchen. »Die Wahl zu Miss Zynismus gewinnen?« Sie schlug einen leichten ironischen Tonfall an, doch insgeheim wusste sie, dass es natürlich nicht sonderlich gut um Saras Laune bestellt war – es war Zeit vergangenen, aber doch längst nicht genug. Es musste sie schmerzen, Nettie und Damien so zu sehen, selbst wenn das hier nur eine Teenagerromanze war. Nur. Im Geiste schüttelte Gretchen den Kopf. Nein, das war nicht nur eine Teenagerromanze, und das war auch Sara bewusst.
Immerhin hatten sie Weihnachten überstanden. Das friedvoll gewesen war und so ruhig, wie es Gretchen im Wild-at-Heart-Hotel noch nicht erlebt hatte. Sie hatten im Restaurant mehrere kleine Tische zu einer großen Tafel zusammengeschoben und am ersten Weihnachtstag alle gemeinsam daran Platz genommen: Gretchen, Theo, Nettie und Damien, dessen Väter, Heather Mompeller und Ivan Trust, Oscar, Florence, Bruno, Sara und selbst Dottie. Letztere kredenzte ihren exquisiten Truthahn mit Maronen-Hackfleisch-Füllung, dazu zuckrige Karotten und einen cremigen Kürbisauflauf. Wann auch immer sie den Weihnachtspudding angesetzt hatte (normalerweise passierte das einige Wochen vorher), wusste niemand, doch sie servierte ein köstliches Exemplar davon zum Dessert. Dieser Abend war friedvoll zu nennen gewesen, nichts konnte daran etwas ändern. Nicht die Abwesenheit von Nick, die Gretchen besonders schmerzte, nicht die Schweigsamkeit von Heather und Ivan, die auf eine Weise selig, aber auch maßlos erschöpft wirkten. Dotties strafenden Blicken gelang es nicht, den bis über beide Ohren verliebten Oscar zu beeindrucken. Und selbst Sara, die neben Bruno gesessen hatte, schaffte es, trotz ihrer Niedergeschlagenheit über die Annäherungsversuche des umtriebigen Italieners zu lachen (im Gegensatz zu Dottie).
Es war ein wirklich bezauberndes Fest. Für Gretchen wurde es noch ein bisschen zauberhafter, als sich Nicholas nachts in ihr Zimmer schlich. Er war noch am Abend von seiner Mutter in London aufgebrochen, um so schnell wie möglich bei ihr zu sein. Und dann hatte er ihr eröffnet, dass wohl doch nichts aus der geplanten Party zu ihrem vierzigsten Geburtstag werden würde, und Gretchen hatte schon lachend den Arm gehoben, um ihm damit einen Schubs zu versetzen, als er nach ihrem Handgelenk griff und einen Kuss darauf drückte.
Er hatte ihr eine Reise geschenkt. Nur er und sie für ein paar Tage gemeinsam in Gretchens Heimat Norwegen. Das ganze Gerede um eine große Feier war lediglich ein Ablenkungsmanöver gewesen. Beziehungsweise: Nicholas hatte sich mit Nettie besprochen, und beide waren zu der Übereinkunft gekommen, dass eine Reise in Gretchens Heimat sie vermutlich mehr freuen würde als eine Überraschungsparty, mit der sie gar nicht überrascht werden wollte. Darüber hinaus hatte sie gesagt, dass es sicherlich das Schönste für Gretchen wäre, ein paar Tage rauszukommen und Zeit nur mit ihm zu verbringen, und Gretchen wurde ganz warm ums Herz beim Gedanken daran, wie liebevoll die beiden auf ihre Wünsche und Bedürfnisse eingegangen waren.
»Und? Schon alles gepackt?«, fragte Sara, als hätte sie die Gedanken ihrer Freundin gelesen.
»Klar.« Gretchen warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Nick wird jeden Augenblick hier sein. Der Flug geht um 13 Uhr.«
»Ich beneide dich«, sagte Sara, und Gretchen schwieg. Sie wusste, dass sie nicht nur die Reise nach Oslo meinte, aber irgendwie drehte sie sich in ihrem Kummer auch im Kreis. Weshalb Gretchens Gewissen sich auch kaum regte angesichts der Dinge, die sie ihrer Freundin seit einigen Tagen verschwieg.
Ihr Handy klingelte. Gretchen fischte es aus ihrer Jackentasche und nahm das Gespräch an.
»Nick.« Sie hielt sich das Smartphone ans Ohr, während sie ihrer Tochter zusah, die gerade versuchte, Damien mit dem Wasserschlauch zu erwischen, der eigentlich dazu gedacht war, Paolos Trog aufzufüllen. Neben ihr verdrehte Sara die Augen.
»Was sagst du? Lori braucht den Wagen? Aber … Wie sollen wir dann zum Flughafen kommen? Oh, ich weiß. Ich frage Theo, okay?« Sie tauschte einen Blick mit Sara, die sie jetzt neugierig betrachtete. »Er wird uns sicher fahren. Warte unten am Hafen auf uns. Fünfzehn Minuten?« Sie lauschte, nickte, dann lächelte sie. »Dito.«
»Lori braucht den Wagen«, erklärte sie Sara, während sie das Handy wegsteckte und sich vom Zaun löste. »Ich werde Theo suchen und ihn bitten …«
»Ich kann euch doch nach Newquay fahren«, unterbrach Sara sie.
»Bist du sicher? Ich meine, das ist eine lange Fahrt und …«
»… und ich habe viel zu viel Freizeit in diesem Weihnachtsurlaub, mit der ich viel zu wenig anzufangen weiß.«
»Na, wenn das so ist!« Gretchen nickte. »Ich hole meinen Koffer.«
Damit drehte sie sich um und lief zum Haus, ohne dass Sara das Grinsen bemerkte, dass sich auf Gretchens Gesicht ausbreitete.