Während Nettie die wenigen Stunden Schlaf kaum anzusehen gewesen waren, bereute Gretchen Wilde ihre nächtliche Backaktion wie üblich schon sehr, sehr bald, in diesem Fall ein paar Stunden nach dem Morgengrauen. Hätte sie ausreichend geschlafen, dachte sie, während der Redeschwall der Aufnahmeleiterin auf sie niederprasselte wie ein heftiger Regenguss, könnte sie der kleinen Frau mit der lauten Stimme bestimmt um einiges besser folgen.
Oder auch nicht.
»Was haben wir hier? Ah, ja. Sehr schön, dass Sie sich auch ums Catering kümmern, Mrs. Wilde, es ist noch nicht ganz klar, wie viele Leute durchschnittlich am Set sein werden, aber rechnen Sie mal mit etwa dreißig bis vierzig Personen.«
»Vierzig?«
»Nun, Maske, Kostüm, Technik, Licht, Kamera … ungefähr dreißig bis vierzig, ja. Dafür müssen die Mahlzeiten nicht aufwendig sein – ein bisschen Ei oder Porridge zum Frühstück, mittags etwas Leichtes wie Salat, Quinoa, gebratenes Hühnchen, et cetera, Kaffee allerdings bräuchten wir rund um die Uhr. Filmleute!« Sie zog eine Grimasse. »Wo ist nur die gute alte Teatime geblieben? Jedenfalls, weil wir noch nicht absehen können, wie wir vorankommen und wie entsprechend lang oder kurz die Drehtage sein werden, ist die Planung einer Abendmahlzeit gerade schwierig, aber dazu kommen wir noch. Am besten wäre, es ist jederzeit irgendetwas verfügbar, sodass keine Versorgungslücken entstehen. Und …«
Tatsächlich überraschte Gretchen die Pause in Minerva Barnes’ Redefluss dermaßen, dass sie erwartungsvoll die Augenbrauen hob. »Und?«
»Äh«, sagte Minerva. »Die Details in Sachen Versorgung gehen wir noch durch. Erst mal müssen wir sehen, ob wir mit den Trailern und der Stromversorgung klarkommen. In dieser Hütte da unten gibt es doch Strom, oder? Fantastisch. Später können wir nachjustieren. Was die Zimmer in Ihrem Hotel angeht«, fuhr sie fort. »Es sind vier und eine Suite, stimmt das so? Nun, falls es zwischen den vier Zimmern noch unterschiedliche Kategorien gibt, bekommt unser Hauptdarsteller bitte das größte und schönste, die Suite geht an die Hauptdarstellerin. Ein Zimmer reservieren Sie für den Regisseur, die anderen beiden halten wir auf Abruf bereit, sie werden je nach Bedarf vergeben. Haben Sie einen Aufenthaltsraum?«
»Nun, wir haben ein kleines Restaurant mit Terrasse und die Lobby, die sehr gemütlich ist. Ich dachte, das haben Sie im Vorfeld alles überprüft?«
»Richtig.« Minerva nickte. »Allerdings nicht ich, sondern meine Vorgängerin. Ich bin erst seit ein paar Tagen an diesem Projekt beteiligt. Die Kollegin davor … Nun, es geht schnell in dieser Branche.«
Ist klar, dachte Gretchen. Für einen Augenblick wünschte sie sich in die nächtliche Küche zurück, umwölkt von köstlichen Backgerüchen und der Ruhe der Nacht. Sie hatte geahnt, dass diese Sache turbulent werden würde, oder etwa nicht? Dennoch hatten sie beschlossen, sich darauf einzulassen, denn was sie in diesen Wochen verdienen würden, speziell durch das Catering, war einfach zu verlockend, um darauf zu verzichten.
»Kann ich das Restaurant mal sehen?«, fragte Minerva jetzt. »Und dann die Zimmer. Pippa!« Sie hatte so laut geschrien, dass Gretchen zusammenzuckte. Auf den Ruf jedoch folgten die eiligen Schritte eines schlaksigen Mädchens mit langen, mausblonden Haaren, das – mit einem Clipboard und zu Gretchens Entsetzen auch mit einem Megafon bewaffnet – auf die zu rannte.
»Pippa, meine Assistentin«, stellte Minnie sie vor. Also führte Gretchen die resolute Aufnahmeleiterin und deren Assistentin zum Haus, während sie misstrauisch das Megafon beäugte, und Theo nach wie vor mit den Technikern zugange war, um die Stromversorgung in den Wohnwagen zu klären. Wie es aussah, wurde er dabei von Nicholas unterstützt, der Gretchen zuzwinkerte, als sie an den beiden vorbeikam. Schon wurde ihr erheblich leichter ums Herz. Sie liebte es, wie sich Nick in den vergangenen Wochen in ihre Familie integriert hatte. Sie waren nach wie vor nicht jede Nacht zusammen, und Nick arbeitete natürlich immer noch in Lori’s Tearoom, doch darüber hinaus war er neuerdings auch Bestandteil des Hotellebens, hatte sich eingefügt, unproblematisch und reibungslos.
»Auf der Terrasse bauen wir ein Zelt auf«, erklärte Minerva Barnes jetzt. »Dann ist ausreichend Platz für alle. Vielleicht können wir eine Art Imbisswagen dazustellen? Oder eine Theke, an der sich alle selbst bedienen. Oh, und Heizstrahler natürlich, reichlich frisch hier oben. Pippa, kümmere dich um die Details. Das Foyer ist wunderbar, um sich im Urlaub mit einem Buch zurückzuziehen, es eignet sich jedoch kaum für Mitarbeiterbesprechungen. Dafür werden wir das Restaurant beanspruchen, ja? Nachdem wir den Großteil des Büfetts nach draußen verlagert haben?«
Gretchen, die umsichtig genug gewesen war, sich einen Schreibblock vom Tresen zu greifen, machte sich Notizen, so gut sie hinterherkam. Bis sie oben mit den Zimmern durch waren, klingelten ihr von Minnies Kommandos und Anweisungen allmählich die Ohren. Sie fragte sich, wie die arme Pippa das aushielt, mit der sie dann und wann einen mitleidigen Blick tauschte.
»Ah, die Räumlichkeiten sind herrlich«, lobte Minnie gerade anerkennend. »Luxuriös, aber nicht aufdringlich, mit genau dem richtigen Maß an Extras, um sich wohl, aber nicht dekadent zu fühlen. Und diese Tapeten! Sie müssen mir unbedingt den Namen Ihres Ausstatters geben.«
»Ja, das …«, begann Gretchen, doch da war Mrs. Barnes schon an ihr vorbeigehuscht und ins nächste Zimmer gestürmt.
»Die Suite.« Die Aufnahmeleiterin blieb in der Tür stehen. »Perfekt. Kein Wunder, dass Heather so begeistert war. Hier kann sie sich in aller Ruhe auf ihre Rolle vorbereiten und nach dem Dreh erholen. Miss Mompeller ist nicht ganz so leicht zufriedenzustellen, erst recht nicht, wenn sie nervös ist.«
»Mompeller?«, wiederholte Gretchen. »Heather Mompeller?«
»Exakt. Das bleibt aber unter uns, ja? Über den Dreh ist bis heute weitestgehend Stillschweigen bewahrt worden, und bis zur offiziellen Pressekonferenz soll das auch so bleiben. Allerdings war Heather ja schon mal hier, und durch sie sind wir erst auf die Idee gekommen, das Hotel für unsere Zwecke zu nutzen.«
»Oh.« Gretchen lächelte überrascht. »Wie schön, das wusste ich gar nicht. Miss Mompeller war …« Sie stockte. Nun hätte sie sich beinahe verplappert und verraten, dass die Schauspielerin im Sommer mit ihrem Kollegen und ihrer heimlichen Liebschaft Ivan Trust im Wild at Heart abgestiegen war. »Sie war hier«, beendete sie schließlich den Satz. »Wie schön, dass es ihr so gut gefallen hat.«
»Mmmh.« Ihre Gesprächspartnerin war mit den Gedanken bereits woanders. »Noah bringen wir im Zimmer neben ihrem unter, ja? Dann haben die beiden es nicht so weit bis zum jeweils anderen.«
»Miss Mompeller und … und wer?«
»Unser Hauptdarsteller. Noah Perry.« Es klang eine mächtige Portion Stolz in der Stimme der jungen Frau mit. »Wir sind unglaublich froh, dass wir ihn gewinnen konnten – nach seinem Erfolg mit Out of Answers war das ja wirklich nicht abzusehen.«
»Klar«, stimmte Gretchen zu. Sie hatte weder je von einem Film namens Out of Answers noch von dem Schauspieler gehört. Gerade wollte sie den Mund öffnen, um eine Nachfrage zu stellen, da drehte sich Minerva Barnes zu ihr um und sagte in eindringlichem Ton:
»Dass die beiden zusammen sind, weiß noch niemand. Ab-so-lut niemand. Gut, kann sein, dass ein kleiner Hinweis hier und da durchgesickert ist. Aber offiziell soll das bis zur Pressekonferenz ein Geheimnis bleiben. Das heißt auch: Bitte informieren Sie Ihr Personal, dass keinerlei Informationen nach außen dringen dürfen, falls die beiden hier auf dem Hotelgelände zusammen gesehen werden. Haben Sie das verstanden? Alles eine Frage der Dramaturgie, selbst in der Öffentlichkeitsarbeit. Also Stillschweigen. Ist das in Ordnung für Sie? Können wir es so halten?«