12.

Was siehst du dir da an?«

Sara war durch die Hintertür ins Hotel gekommen und überraschte ihre Freundin Gretchen, die zum Fenster hinaus auf den Vorplatz starrte. Sara stellte sich neben sie.

»Ist das Damien da bei Nettie?« Es war schon ziemlich dunkel dort draußen; die düsteren Wolken, die der Wind beständig vor sich hertrieb, hatten bereits vor Sonnenuntergang dafür gesorgt.

»In der Tat, das ist Damien«, murmelte Gretchen, und gemeinsam sahen die beiden zu, wie sich die Teenager am Rande des Waldes unterhielten, bevor sie – Nettie voraus, Damien hinterher – hinüber zu den Wohnwagen liefen.

»Was macht er hier?«, fragte Sara. »Es sind doch gar keine Ferien, oder?«

»Nein«, stimmte Gretchen zu, »und ich habe keine Ahnung. Ich nehme an, er ist übers Wochenende gekommen.«

»Interessant.«

»In der Tat.«

Weil Sara eine von Gretchens besten Freundinnen war, wusste sie natürlich, wie interessant die Tatsache war, dass Damien nach Port Magdalen gekommen war. Sie hatte von Netties Mutter zum einen erfahren, dass es diesen verhängnisvollen Kuss gegeben hatte, und zum anderen, dass seitdem Funkstille herrschte.

»Mein Gott, das ist furchtbar romantisch, oder?«, fragte sie, während sie Gretchen in Richtung ihres Büros folgte. »Dass er den weiten Weg von … Wo war er noch mal her? Na, egal. Er hat einen weiten Weg auf sich genommen, um Nettie zu sehen. Wusste sie, dass er kommt?«

»Ich weiß genauso wenig wie du«, erwiderte Gretchen. »Sie hat mir nichts gesagt. Sie hat schon ewig nicht mehr mit mir über Damien gesprochen. Und er ist aus Brighton.«

»Ah, genau, das war’s. Brighton. Und wo kommt eigentlich dieser Dings her, dieser Noah Perry?«

Sara hatte die Frage so gleichmütig gestellt, dass Gretchen auf der Stelle aufmerksam geworden war, sich nun zu ihrer Freundin umdrehte und sie neugierig musterte.

»Du hast gar keine Blumen dabei«, stellte sie fest. »Was machst du dann hier?«

»Darf eine Frau nicht ihre beste Freundin besuchen, einfach mal so?« Sara ließ sich auf den Sessel vor Gretchens Schreibtisch fallen, doch Gretchen selbst blieb in der Tür stehen. Sie verschränkte die Hände vor der Brust.

»Raus mit der Sprache – wieso interessierst du dich für Noah Perry? Hast du ihn gesehen? Haben sie dich unten durch die Absperrung gelassen?« Normalerweise war es so gut wie unmöglich, an den Sicherheitsleuten vorbeizukommen, um einen Blick auf das Set zu werfen (und Gretchen selbst war es auch erst ein Mal gelungen, als sie ein vorgeblich wichtiges Telefonat an Minnie weiterleiten musste), doch ihrer Freundin Sara traute Gretchen einfach alles zu. Sie konnte einen Haifisch dazu bringen, sich selbst aufzuessen, so viel stand fest.

»Er hat in meine Christrosen …«, begann Sara, und Gretchen riss die Augen auf. Ihre Freundin kicherte. »Er hat meine Christrosen fotografiert. Darüber sind wir ins Gespräch gekommen.«

»Der Garten ist doch zurzeit gar nicht geöffnet?«

»Konzentrier dich aufs Wesentliche«, sagte Sara. »Also, was weißt du über den Mann?«

Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sich Gretchen, dass sie nicht am Empfang gebraucht wurde, dann trat sie ins Zimmer, schloss die Tür hinter sich und ließ sich dagegen sinken. »Du meinst, abgesehen davon, dass er eine Freundin hat?«, fragte sie.

Sara sah sie fest an. »Die hat er, richtig?«

»Die hat er. Und das weißt du auch ganz genau, weil ich dir davon erzählt habe. Und wenn man ihn und Heather Mompeller so zusammen sieht, kann man wohl kaum bestreiten, dass es sich um ein Traumpaar handelt.«

»Ein Traumpaar«, seufzte Sara. Sie ließ sich tiefer in den Sessel sinken, lehnte den Kopf an die Rückenlehne und schloss die Augen.

Gretchen lachte. »Was ist hier eigentlich los?«, fragte sie. »Hattest du nicht gesagt, er gefällt dir nicht? Du kannst gar nicht verstehen, dass Heather Mompeller ihn gegen Ivan Trust eingetauscht hat?«

»Es kam mir nur so unwahrscheinlich vor. Die beiden haben nichts gemeinsam, so wie ich das sehe. Also, Ivan und Noah. Ich bin ihm heute begegnet. Und ich fand ihn … nett.«

»Das ist er auch. Soweit ich es hier mitbekomme, ist Noah Perry ein sehr netter Mann. Ohne jegliche Star-Allüren.«

»Nicht wahr? Hätte ich nicht gewusst, wer er ist, ich hätte ihn gut und gern auch für den Gärtner halten können.«

»Du bist die Gärtnerin.«

»Häng dich doch nicht immer an solchen Kleinigkeiten auf. Ich meine, er wirkte so normal. Erfrischend normal.«

»Sein fantastisches Aussehen einmal außen vor gelassen. Ein erfrischend fantastisch aussehender Gärtner.«

Sara seufzte, weshalb Gretchen erneut zu lachen begann.

»Ja, du hast gut reden«, sagte Sara. »Du hast deinen Gärtner bereits gefunden, und wo wir schon einmal dabei sind: Vermutlich verbringt ihr eure gemeinsame Zeit mit nichts anderem als mit der Befruchtung von Blüten und Blumen.«

»Ha! Schön wär’s!«, rief Gretchen. »Seit hier der Wahnsinn über uns hereingebrochen und in Lori’s Tearoom etwa dreimal so viel zu tun ist wie normalerweise um diese Jahreszeit, sehen wir uns ja kaum noch. Von Befruchtung kann also kaum die Rede sein.«

»Wetten«, begann Sara, »dass du dreimal mehr befruchtet wirst als ich in dieser Jahreszeit? Was zur Folge hat, dass ich ganz allmählich verdorren werde und verwelken und die besten Tage meines Lebens hinter mir liegen, ohne auch nur ein einziges Mal noch bestäubt …«

»Mum?«

Mit einem Ruck öffnete sich die Bürotür, und Gretchen, die nach wie vor dagegen gelehnt hatte, stolperte einen Schritt nach vorn. »Halten wir den Gedanken für später fest«, sagte sie zu Sara, bevor sie Nettie ins Zimmer winkte.

»Stör ich?«

»Auf keinen Fall. Sara hat mir nur gerade erzählt, wie …«

»… die Blumen in den Gärten im Augenblick versorgt werden müssen, um am besten zu gedeihen«, vervollständigte Sara den Satz.

»Und das hat mit ihrer Bestäubung zu tun?«

Beide Frauen sahen Nettie an, als wollten sie etwas erwidern, klappten dann jedoch in stillem Einvernehmen die Münder wieder zu.

»War das Damien, den ich da draußen gesehen habe?«, fragte Gretchen stattdessen.

Und wie so oft ließ sich Nettie auf der Stelle ablenken, erst recht, wenn es sich um den Jungen drehte, der ihre Gedanken ohnehin seit Wochen beschäftigte.

»Er ist übers Wochenende gekommen. Wir dachten, er könnte hier zelten, irgendwo in Stallnähe oder im Garten hinterm Haus bei den Hühnern, aber Grandpa meinte, das Zelt sei zum Zeitpunkt des Brands schon wieder im Schuppen gewesen, und jetzt wissen wir nicht, wo wir ihn unterbringen sollen.«

»Verstehe.« Gretchen nickte. Ihr war zum einen aufgefallen, dass Nettie Damiens Namen nicht ausgesprochen hatte, und zum anderen, dass sie dieses Mal ihr Zimmer offenbar nicht mit ihrem Freund aus Kindertagen zu teilen gedachte.

»Ich glaube, ich habe noch ein Zelt auf dem Dachboden«, sagte Sara. »Und ich wollte sowieso nach Hause.« Stöhnend erhob sie sich aus dem Sessel und warf Gretchen dabei einen Blick zu, der so viel heißen mochte wie: Blumen. Bienen. Darüber sprechen wir noch. Dann gesellte sie sich zu Nettie und legte ihr den Arm um die Schultern.

»Mit sechzehn ist es kein Stück leichter als mit sechsunddreißig, glaub mir das.«

»Soweit ich weiß, bist du zweiundvierzig«, korrigierte Gretchen, während Nettie Sara einen verwirrten Blick zuwarf, doch die schüttelte nur den Kopf. »Wie gemein du sein kannst«, schalt sie Gretchen, und zu Nettie sagte sie: »Holst du Damien? Ich hab das Auto hier.«

»Ja. Das mache ich. Ich …« Auch Nettie wirkte nun so, als wollte sie noch etwas anderes sagen, doch sie schwieg, bevor sie sich auf dem Absatz umdrehte und aus dem Zimmer lief.

»Kein bisschen einfacher«, rief Sara ihr hinterher, und Gretchen seufzte nur.