33.

Es war so leicht, sich mit Noah Perry zu unterhalten. In der Stunde, in der sie über alles Mögliche gesprochen hatten (von seinem Heimatort über Saras Eltern und ihre Arbeit als Gärtnerin zu den Gärten des National Trust und dem Wild-at-Heart-Hotel), vergaß Sara beinahe, wen sie vor sich hatte: einen überaus attraktiven, über alle Maßen erfolgreichen, womöglich stinkreichen, auf jeden Fall aber fest vergebenen Hollywoodstar. Der wiederum, doch das konnte Sara in diesem Augenblick nicht wissen, ganz ähnlich empfand wie sie. Als würde er diese wunderschöne Frau, die da unverkrampft und im Schneidersitz auf einem alten Polstersofa lümmelte, schon ewig kennen, und als würde sie in ihm einfach nur einen Menschen sehen, nicht den Schauspieler oder den Star, den so viele um ihn herum nicht mehr ausblenden konnten.

»In einem Garten zu arbeiten ist unheimlich entspannend«, erklärte Sara gerade. »Das hat natürlich damit zu tun, dass man die meiste Zeit draußen an der frischen Luft ist. Ich meine, es sei denn, man wühlt in einem Gewächshaus herum, oder – noch schlimmer – unter den Kuppeln des Eden Projects.« Sie zögerte einen Moment. »Kennen Sie das? Das ist ein botanischer Garten. Die Gewächshäuser sind die derzeit größten der Welt.«

»Ich bin der Sohn einer Floristin«, gab er zurück, und Sara mochte ihn gleich noch ein bisschen mehr für die Tatsache, dass er offensichtlich stolz auf diese Herkunft war.

»Oh, aber ja«, sagte sie in gespielter Ehrfurcht. »Wie konnte ich das vergessen?«

»Ganz genau. Wie konnten Sie nur?« Er lächelte sie an, und Sara fand, dass er sich ganz hervorragend machte in ihrem abgewetzten Sessel (den er wahrlich aufwertete, das ließ sich nicht anders sagen) und vor ihrem kleinen Kamin, in dem ein Feuer knisterte, das den Raum in eine betörende Wärme lullte. Oder war es gar nicht die Wärme, die Sara betörte? Im Geiste zog sie sich selbst eine Grimasse. Natürlich war es nicht die Wärme. Sie war ein richtig dummes Huhn.

»Sehen Sie Ihre Mutter oft?«

»Zu selten, leider. Es wurde schon, bevor ich in die USA gezogen bin, immer schwieriger, nach Hause zu fahren, doch seit ich in L. A. bin …« Noah schüttelte den Kopf.

»Dort, wo Ihre Mutter lebt, ist Ihr Zuhause?«

»Es ist meine Heimatstadt. Und es ist England. Ich bin sehr, sehr britisch.«

»Ja?« Sara lächelte.

»Hier merkt man es sicher nicht so, aber in den Staaten bin ich quasi die Kaulquappe unter den Fischen.«

Sie nippten an ihren Getränken, Scheite knackten, und Noah dachte, dass er schon lange keine solche Ruhe mehr empfunden hatte, keine solche Wärme, die ganz und gar nichts mit dem Feuer in seinem Rücken zu tun hatte.

»Haben Sie sich je überlegt, nach England zurückzukommen?«, fragte Sara.

»Mehr als einmal. Und jedes Mal erschien es mir zu unpraktisch. Der überwiegende Teil der Arbeit spielt sich in Los Angeles ab. Die Flüge dauern höllisch lange. Und ich bin nicht gerade ein Freund davon.«

»Angst?« Sara grinste, und Noah starrte mit gespielter Empörung zurück. »Und wenn es so wäre? Ein bisschen mehr Empathie, Mrs. Gibbs.«

»Miss.«

»Oh, okay, Miss.« Er grinste ebenfalls, doch auf einmal war da wieder sein dämlicher Herzschlag, den er bis in den Hals spürte. Er fragte sich, warum eine Frau wie Sara nicht verheiratet war. Oder war sie es gewesen und jetzt womöglich geschieden? Hatte Sara wenigstens einen Freund? Die Antworten auf diese Fragen würde er zu gern erfahren, aber es stand ihm absolut nicht zu, sie einzufordern. Es war schlimm und heuchlerisch genug, dass es ihn überhaupt interessierte.

Und als seien Saras Gedanken in eine ganz ähnliche Richtung abgedriftet, fragte sie plötzlich: »Was ist mit Ihrer Freundin? Heather, richtig? Sie lebt in England, oder?«

Noah starrte sie an. Dann blinzelte er. Und Sara, nichtsahnend, was dem Schauspieler gerade durch den Kopf ging, erinnerte sich daran, dass die Beziehung der beiden ja noch geheim gehalten wurde und sie offiziell gar nicht davon wissen durfte.

»Oh, Entschuldigung«, fügte sie deshalb schnell hinzu. »Gretchen Wilde hat mir davon erzählt. Offenbar sollte sie ihre Mitarbeiter informieren, damit auch sicher nichts von dem, was am Set und im Hotel passiert, nach außen dringt.«

»Ah«, machte Noah. Er nickte. »Ja, also, Heather …«, begann er, doch Sara unterbrach ihn. »Sie könnten mehr in England arbeiten«, schlug sie vor. »Ich meine, wer weiß, vielleicht wird diese Serie auf Port Magdalen der absolute Renner, und Sie drehen noch zwanzig weitere Staffeln davon.«

»Es gibt keine Serie mit zwanzig Staffeln«, erwiderte Noah sofort.

»Dr. Who«, erwiderte Sara. »Die Simpsons. Grey’s Anatomy.«

»Grey’s Anatomy

»Nun, vielleicht sind es noch keine zwanzig Staffeln, aber ich könnte Sie mir sehr gut vorstellen als Arzt, ganz geschäftig, mit Stethoskop um den Hals und …« Und sexy, hätte Sara noch hinzufügen wollen, ließ es aber bleiben, und als wüsste Noah sehr genau, welches Wort hier ausgelassen wurde, ging er nicht weiter darauf ein. Stattdessen lachte er, ziemlich laut sogar.

»Geben Sie es zu, Sie haben Out of Answers nie gesehen.«

»Ist das die Serie, die Sie bekannt gemacht hat?«

Noah nickte.

Sara schüttelte den Kopf. »Nein, leider. Aber ich werde das nachholen, ganz sicher!«

»Machen Sie das besser nicht. Denn dann wird sich das Bild, das Sie von mir als Schauspieler haben, womöglich nicht mehr viel länger halten lassen. Es wird geradezu barbarisch demoliert werden, schätze ich.«

»Die Betonung liegt auf barbarisch?«

»Unbedingt.«

»Heißt das, Ihr Spezialgebiet sind nicht schnuckelige Männer in maßangefertigten Kitteln?« Für eine Sekunde hätte Sara schwören können, Noah sei rot geworden, sofern das für eine Sekunde überhaupt möglich war. Dann überspielte er seine Verlegenheit mit einem Grinsen.

»Momentan würde ich mein Spezialgebiet eher als animalisch bezeichnen«, entgegnete er, und nach einer kurzen Pause begannen beide zu lachen. Und Sara … sie fragte sich, für einen flüchtigen Moment, aber zum wiederholten Mal, was sie hier eigentlich tat.

»Möchten Sie noch eins? Ich werde jetzt aufhören mit dem Rotwein.« Zur Bestätigung fuchtelte sie mit der Hand in Richtung ihres Glases, das mittlerweile ebenso leer war wie Noahs Bierflasche. Bereits die zweite, seit sie hierhergekommen waren. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ich bringe Sie sicher wieder zurück ins Hotel. Es sei denn, Sie möchten hier auf dem Sofa campieren. Man weiß nie, wer in den Bäumen vor dem Wild at Heart noch auf Sie lauert.« Wieder lachte sie, und auf einmal wurde Noah bewusst, wie nervös sie klang. Und auch er fragte sich, was er eigentlich hier tat – ein paar Tage vor der Pressekonferenz, in der die Welt erfahren sollte, dass er mit Heather Mompeller zusammen war. Als Sara eben ihren Namen erwähnte, hätte er beinahe einen Herzstillstand erlitten. Und das, obwohl er streng genommen überhaupt nichts Unrechtes tat. Dass es sich dennoch so anfühlte, das war … schwer zu ertragen.

Er stellte die leere Flasche auf dem Sofatisch ab und stand auf.

»Ich denke, es ist besser, ich gehe jetzt. Morgen muss ich sehr früh raus, und … ich kann ein Taxi rufen.«

Sara blinzelte, als wollte sie sich aus einem Traum wachrufen, dann räusperte sie sich. »Ein Taxi? In Marazion? Nach 23 Uhr?«, fragte sie, während sie ebenfalls aufstand und ihr Glas zur Küchenanrichte trug. Sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Was hatte sie sich vorgestellt? Dass sie noch stundenlang mit Noah Perry zusammensitzen könnte, in ihrer winzigen, beengten, ziemlich betagten Wohnung? Dass er hier Wurzeln schlagen würde, während seine Freundin im Hotel auf ihn wartete, höchstwahrscheinlich reichlich verärgert, weil sich ihr Auserwählter so gar nicht mehr blicken ließ? Ich bin wirklich eine dumme Pute, dachte Sara. Eine dumme, ignorante, unloyale Pute. Wer war sie auf einmal, dass sie sich an Männer hängte, die bereits vergeben waren?

»Es war sehr schön hier bei Ihnen«, sagte Noah zu ihrem Rücken. »Ich hab mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt.«

»Ja«, war alles, was Sara darauf erwiderte.

Pass auf dich auf, dachte sie. Pass auf dich auf. Pass auf dich auf.