Habt Spaß.«
»Garantiert.«
»Du bist sicher, dass es dir nichts ausmacht, solange im Hotel zu bleiben? Bestimmt werden Nettie und Theo auch allein klarkommen, aber mir ist einfach wohler …«
»Ich weiß«, sagte Sara und stupste Gretchen mit der Hüfte in die Seite. »Deshalb bleibe ich im Wild at Heart und zeige den beiden mal, wie man ein Hotel führt.«
»Danke.« Gretchen umarmte ihre Freundin.
»Wir schulden dir was«, sagte Nicholas.
»Es sind doch nur drei Tage«, warf Sara ein.
»Stimmt.« Gretchen räusperte sich. »Also …« Ihr Blick fiel auf etwas, das sich hinter Sara befand.
»Also? Wieso grinst du auf einmal so?«
Erneutes Räuspern. Dann nahm Nicholas Gretchen am Arm und zog sie so schnell weg, dass sie kaum noch ihren Koffer zu fassen bekam. »Auf Wiedersehen, Sara! Danke für alles! Pass auf dich auf! Tu nichts, was ich nicht auch tun …«
»Es reicht, Gretchen«, zischte Nick.
Sara starrte den beiden nach. »Viel Spaß, ihr Verrückten«, rief sie noch, bevor sie sich umdrehte und frontal in jemanden hineinstolperte.
»Müssen Sie so dicht hinter mir …«, begann sie, und dann klappte sie den Mund zu und riss stattdessen die Augen auf.
»Was …« Sie wankte einige Schritte zurück.
»Hi, Sara.«
»Noah!« Sara starrte zunächst ihn an, dann drehte sie sich zu ihren Freunden um und sah, dass die beiden stehen geblieben waren. Gretchen zuckte mit den Schultern, bevor sie winkte (was reichlich schuldbewusst wirkte), Sara eine Kusshand zuwarf und in Richtung der Check-in-Schalter verschwand.
»Wir haben es so verabredet, dass ich hier ankomme, wenn die beiden losfliegen«, erklärte Noah.
»Wer hat es so verabredet?«, fragte Sara dumpf, doch dann wischte sie die Frage quasi weg und sagte stattdessen: »Ich dachte, du seist längst in den USA.«
»War ich auch, kurz vor Weihnachten. Dann bin ich zurückgekommen, um mit meiner Mutter zu feiern, und jetzt bin ich noch zwei Tage hier. In Cornwall.«
»In Cornwall«, wiederholte Sara. »Noah …«
»Heather hat mich angerufen. Sie sagte, du seist die unglücklichste Frau, der sie je in ihrem Leben begegnet ist, und das schließe sie selbst mit ein.«
Woraufhin Sara ein ungläubiges Lachen ausstieß. Sie hatte Heather Mompeller über die Feiertage besser kennen- und mögen gelernt und auch das Drama, das in ihr steckte. Und das ihr düsterer Lover, Ivan Trust, hervorragend zu dämpfen verstand. Heather war niemand, der mit humorvollen Schlussfolgerungen um sich warf, aber in diesem Fall hatte sie sich selbst übertroffen.
»Das hat sie also gesagt, ja?« Die zynische Sara war zurück, doch Noah zuckte nicht einmal mit der Wimper bei ihrem trockenen Tonfall. Und weil er sie so ansah, als würde er glatt durch sie hindurch in ihr Inneres sehen, schmolz das Eis dahin, das Sara wohlweislich in der Mitte ihrer Brust hart und kühl und undurchdringbar konserviert hatte. Und als sie jetzt fragte: »Was soll das, Noah? Wieso siehst du mich so an? Warum bist du überhaupt hier?«, da klang sie kaum mehr verbittert, sondern ein klein wenig verzweifelt; und gegen die Tränen, die hinter ihren Lidern brannten, konnte sie auch nichts unternehmen.
Sie hatte ganz vergessen, wie unglaublich gern sie Noah mochte. Wie er sie anzog, wie ein positiv geladenes Teilchen sein negatives Gegenüber. Wie sehr sie in ihn verliebt war.
»Stimmt es denn?«, fragte er leise.
»Stimmt was?«, hauchte Sara.
»Was Heather gesagt hat. Dass du unglücklich bist?«
Für eine Sekunde noch hielt sie Noahs Blick stand, dann sah sie auf den Boden. Und wieder ihn an. Und dann schüttelte sie den Kopf. »Natürlich stimmt es«, antwortete sie. »Was denkst du denn? Dass mich all das glücklich gemacht hat? Aber das ändert doch nichts daran, dass wir so entschieden haben.« Sie verstand nicht, weshalb er hier war, wirklich nicht. Hatte er seine Meinung geändert? Was war anders als noch vor ein paar Wochen?
»Ja, also das …«, begann Noah, und dann räusperte er sich. Er griff in die Innentasche seiner Lederjacke, zog etwas heraus und hielt es Sara hin. »Ich wollte dir das geben.«
»Was ist das?« Sie beäugte das Stück Papier in Noahs Hand, machte aber keine Anstalten, es anzunehmen.
»Ein Ticket.« Er hielt es ein Stück höher. »In die Staaten.«
Sara runzelte die Stirn.
»Ich hatte gehofft«, sagte Noah, »du würdest eventuell nachkommen wollen. Nicht für immer, natürlich«, fügte er schnell hinzu. »Es sind nur einige Wochen, bis die Staffel abgedreht ist, dann kehre ich ohnehin nach England zurück. Wenn du also nicht fliegen willst, kein Problem. Dann sehen wir uns nach dem Dreh, wenn ich wieder …«
»Noah.« Sara hielt eine Hand hoch, um Noahs Redefluss zu stoppen, und sah ihn mit einem ungläubigen Lächeln an. »Was … Wir …« Sie seufzte, fuhr dann aber fort: »Wir hatten uns dagegen entschieden, erinnerst du dich?« Zu ihrem sehr großen eigenen Ärger spürte sie deutlicher denn je die Tränen hinter ihren Lidern brennen. Mit dieser seltsamen Verleumdungstaktik machte er alles nur schlimmer. »Wir hatten gesagt … Wir hatten gesagt …«
»Siehst du«, begann Noah sanft, »du erinnerst dich nicht mehr daran, was wir gesagt hatten, und so ging es mir die letzten Wochen auch. Wieso noch mal haben wir gleich beim ersten Widerstand das Handtuch geworfen?« Er machte einen Schritt auf Sara zu, hob die Hand und strich damit über ihre Wange. Wie in Trance nahm sie die Berührung wahr und dann die Menschen um sie herum, und irgendetwas zerrte da in ihrem Unterbewusstsein, so, als sei etwas komplett falsch an dieser Situation. Wo waren die Fotografen, Blitzlichter, Handykameras? Aus den Augenwinkeln warf sie einen Blick nach links, dann nach rechts. Es schien nicht so, als würde sich irgendjemand auf diesem kleinen Flughafen im kornischen Nirgendwo für sie interessieren. Entweder das, oder sie wurden heimlich gefilmt, von jemandem hinter einer Säule oder unter einer der Sitzreihen oder …
»Ich weiß, ich habe gesagt, mein Mitwirken an der Serie und die daraus resultierende Popularität seien schuld am Ende meiner Beziehung mit Julie gewesen«, fuhr Noah fort, »und bestimmt hat das alles dazu beigetragen, aber womöglich nur zum Teil. Sie hatte Heimweh. Aber vor allem war sie an einem Punkt im Leben angekommen, an dem sie nicht an Karriere denken wollte, sondern an die Gründung einer Familie, und so weit war ich noch nicht. Für mich war das mit der Schauspielerei gerade erst richtig ins Rollen gekommen. Ich wollte nicht sesshaft werden.«
»Wieso erzählst du mir das?«, frage Sara verwirrt.
»Weil ich …« Der Griff um Saras Gesicht verstärkte sich, und sie schloss für einen Moment die Augen, um die Berührung zu genießen, aller Vorsicht zum Trotz. Einen kleinen Moment nur.
»Weil ich beschlossen habe, dass es vielleicht möglich wäre, in Ruhe und Frieden zu leben, wenn der Hype um die Serie erst mal vorbei ist. Wenn ich die Verträge, die ich bereits abgeschlossen habe, erfüllt habe. Wenn ich den USA den Rücken kehre und zurück nach England gehe. Und hier einen Gang runterschalte.« Er zuckte mit den Schultern und ließ die Hände langsam wieder sinken. »Ich mag das Theater. Heather und ich haben überlegt, gemeinsam etwas zu machen.«
»Heather und du«, wiederholte Sara. Sie hatte noch nicht recht begriffen, was ihr Noah darüber hinaus mitteilen wollte. Das schien auch er erkannt zu haben.
Für einige Sekunden blickte er sich um, dann sagte er: »Dieser Flughafen ist wirklich mit das Mickrigste, was ich in dieser Richtung gesehen habe.«
Sara blinzelte. »Mmmh, ja«, bestätigte sie, »er ist nicht sehr groß, aber …«
»… aber er wird sich für immer in dein Gedächtnis brennen, wenn ich dir ausgerechnet hier erkläre, dass ich mich in dich verliebt habe und dass ich nicht bereit bin, eine weitere Beziehung an den Job zu verlieren, und dass ich dich gerne an die erste Stelle setzen würde, wenn du das auch willst.«
»Verstehe.« Sara blinzelte noch ein bisschen mehr. »Bitte, was?«
Noch einmal sah Noah sich um. Dann nahm er Sara bei der Hand, in die andere seinen Koffer und zog sie hinter sich her zum Ausgang.
»Wo steht dein Auto?«
Sara wies ihm die Richtung, und sie liefen zum Parkplatz. Erst als sie den Hoteljeep erreicht hatten, blieb Noah stehen. »Gut«, sagte er. »Das ist besser. So bekommt wenigstens nicht der halbe Flughafen mit, wenn ich mitten in der Schalterhalle zusammenbreche, weil du mir einen Korb gibst.«
»Ich …«, begann Sara. Und dann machte auf einmal irgendetwas klick. »Du sollst nicht meinetwegen deine Karriere aufgeben.«
»Das tue ich gar nicht. Ich verlagere sie nur ein bisschen. Vom grellen Scheinwerferlicht in …«
»Ja, okay,« unterbrach Sara ihn.
»Okay?«
Sie nickte. »Das war nur so eine … rhetorische Bemerkung. Damit es hinterher nicht heißt, ich hätte egoistisch und eigennützig gehandelt.«
Ganz langsam breitete sich ein Lächeln auf Noahs Gesicht aus.
Sara knuffte ihn in die Schulter. »Tu nicht so. Du warst von Beginn an siegessicher.«
»Heather hat …«
»Oh, diese Heather.«
»Sie hat gesagt …« Noah stockte.
»Was? Was hat Heather gesagt?«
Er schüttelte den Kopf. Und er lächelte nicht mehr, stattdessen war ein erwartungsvoller Ausdruck in seine Augen getreten.
Sara räusperte sich. »Ich fürchte«, begann sie, »du wirst diesen mickrigen Flughafen nie vergessen. Der, an dem ich dir sage, dass …« Und nun war es Sara, die ihre Hand hob, um damit zunächst Noahs Wange zu streicheln und sie dann in seinem Nacken zu vergraben. »An dem ich dir sage, dass … Ach, verdammt.« Sie schüttelte den Kopf. Dann schniefte sie. »Ich bin normalerweise nicht der Typ, der an mickrigen Flughäfen rumheult.«
Noah lächelte. Dann zog er sie zu sich heran und umarmte sie fest.
»Hat Heather dir gesagt, dass ich dich liebe?«, murmelte Sara in seine Brust.
»So in etwa.« Er hob ihr Kinn an und küsste ihre Stirn, dann die feuchten Wagen, dann ihren Mund.
»Wie kann man so in etwa sagen, dass man jemanden liebt?«, fragte Sara, sobald sich ihre Lippen voneinander gelöst hatten.
»Mr. Perry?« Bevor Noah antworten konnte, hatte sie die Stimme einer älteren Dame unterbrochen. Sie stand etwa zwei Meter von ihnen entfernt, ein kleines Mädchen an der Hand, das verschüchtert zu ihnen hochsah.
»Es tut mir unglaublich leid, Sie zu stören«, sagte die Frau, die vermutlich die Großmutter der Kleinen war. »Bloß, wir müssen gleich zum Check-in, und Celia hier … Sie ist ein großer Fan Ihrer Serie, wissen Sie? Die … die … ich hab den Namen vergessen.«
Noah schüttelte bedauernd den Kopf. »Es tut mir leid, aber wir wollten gerade …«
»… gerade fahren, aber das hat auch noch ein Minütchen Zeit«, sprach Sara den Satz zu Ende. »Du möchtest ein Autogramm?« Sie beugte sich zu dem Mädchen herunter, das ihr daraufhin sein Smartphone entgegenstreckte. »Ein Selfie?«, flüsterte sie.
»Es tut mir ehrlich leid«, begann die Großmutter von Neuem, »wenn wir Sie stören …«
Doch Sara hatte schon nach dem Telefon gegriffen und bedeutete dem Mädchen, sich zu Noah zu stellen, damit sie das Foto machen konnte.
Sie winkten den beiden hinterher und sahen dann schnell in die andere Richtung, als sie den neugierigen Blicken weiterer Passanten begegneten.
»Das hat ja super funktioniert«, murmelte Noah und blickte Sara schuldbewusst an. »Gerade, als ich dir beweisen wollte, dass ich mich auch völlig unerkannt in der Öffentlichkeit bewegen kann.«
»Ich bin froh, dass das kleine Mädchen ihr Selfie hat«, erwiderte Sara. »Das hat mich daran erinnert, dass dieser ganze Ruhm, der dich umgibt, auch eine positive Seite hat. Und dass er dich immer umgeben wird, wo du auch hingehst.« Sie sah Noah ernst an, und sofort stieg ein panisches Gefühl in ihm auf. Womöglich war es doch ein Fehler, Sara hier zu treffen, auf dem Flughafen, umringt von Leuten. Er hatte die Tatsache, dass sich der Trubel gelegt hatte und er sich nun wieder halbwegs bewegen konnte wie ein Normalsterblicher für seine Zwecke nutzen wollen, doch vielleicht hatte er damit genau das Gegenteil bewirkt.
»Sara …«, begann er, doch sie legte ihm einen Finger auf die Lippen.
»Sssh.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte einen Kuss auf seinen Mund. »Es hat mich auch daran erinnert, dass ich stark genug bin, damit umzugehen.«
»Ehrlich?« Erneut schlang Noah die Arme um Sara. Er musterte sie, so gründlich, dass sie zu lachen begann.
»Ich bin eine Kämpferin, schon vergessen? Meine Vorfahren haben es in den Südstaaten mit Sklaverei und ganz anderen Widersachern zu tun gehabt. Mit so ein paar Groupies werde ich fertig.«
»Sagtest du nicht, deine Vorfahren stammen aus der Karibik?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Wortklauberei.«
Noah lachte. Dann warf er einen Blick über Saras Schulter und bewegte sich mit ihr in Richtung Fahrertür. »Bringst du mich in mein Hotel?«
»Willst du den drei Grazien entfliehen, die da mit Trippelschritten auf uns zueilen, um dich abzufangen?«
»Seit wann hast du Augen am Hinterkopf?«
»Seit ich die Freundin eines Superstars bin.«
Für zwei Sekunden blickte Noah sie durchdringend an, dann küsste er sie leicht auf die Wange. »Wir fahren jetzt besser wirklich in mein Hotel«, murmelte er. »Bevor auf diesem unvergesslichen Flughafen noch etwas Unvorstellbares passiert.«
»In welchem Hotel wohnst du denn?« Sara schnallte sich an, legte den Rückwärtsgang ein und manövrierte den Jeep aus der Parklücke, wobei sie drei enttäuschten Frauengesichtern einen mitleidigen Blick zuwarf.
»Was denkst du denn, in welchem?«, fragte Noah zurück. Er grinste.
Und Sara fiel wieder ein, dass Gretchen ja dieses Treffen erst in die Wege geleitet hatte. Natürlich. Natürlich wohnte Noah im Wild-at-Heart-Hotel.
Dieses Hotel. Sie könnte schwören, es stimmte etwas nicht mit diesem seltsamen, verrückten Hotel.
»Wild at Heart«, sagte sie grinsend.
»Mmmh?«
»Ich glaube, wir mussten uns ineinander verlieben. Wir hatten von Anfang an gar keine andere Chance.«
»Das kann ich bestätigen«, sagte Noah und legte Sara eine Hand aufs Knie.
Sie brauchten eine gute Stunde von Newquay zurück nach Port Magdalen, Cornwall. Sie nahmen die kurvenreiche Straße auf den Gipfel der kleinen Insel und fuhren das letzte Stück durch den Wald. Als das verwinkelte Gebäude mit seinem grauen Schieferdach und dem halbrunden Schild über dem Eingang in Sicht kam, drückte Sara Noahs Hand.
Willkommen im Wild-at-Heart-Hotel, dachte sie. Was kann die Liebe für Sie tun?