54.

Für Sara gestaltete sich der Fußweg von Marazion nach Port Magdalen und in ihre Gärten als Gang durch eine eisige Hölle. Schon in den Straßen innerhalb des Ortes blies der Wind so stark, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte, auf dem Damm zur Insel dann riss er sie einige Male beinahe von ihren Füßen. Ganz abgesehen davon, dass die Böen klirrend kalt waren und die Schneeflocken dicht und massiv – ach, sie hatte kaum die Hälfte des Wegs hinter sich gebracht, da tat sie sich selbst so leid, dass sie beinahe angefangen hätte zu weinen.

Beinahe.

Denn neben allem anderen hatte Sara überhaupt keine Lust, ihr Augen-Make-up zu verschmieren, wenn doch die Aussicht lockte, Noah zu treffen.

Ja, sie hatte ihm gesagt, es sei eine dumme Idee. Zwar glaubte sie nicht daran, dass sich bei diesem entsetzlichen Wetter irgendwer (außer ihnen beiden) heraustraute, doch dieser Tage schienen die Wälder und Gärten und Klippen um das Wild at Heart herum Augen und Ohren zu haben, weshalb es riskant war, sich außerhalb privater Wände zu treffen. Zumal es schwierig sein würde, einfach so zu tun, als sei nie etwas zwischen ihnen gewesen. Zwar war es wirklich bei diesem einen Kuss geblieben (damals in dem Auto vor ihrer Haustür), doch der war verheerend gewesen: Im Grunde hatte es sich so angefühlt, als habe sie in ihrem Leben überhaupt zum allerersten Mal geküsst. Als sei jede Intimität, die sie je mit einem anderen Mann getauscht hatte, nur oberflächlich gewesen – die äußere Schicht einer oberflächlichen Oberfläche. Dieser Kuss … Sie wollte sich nicht ausmalen, wie es sein musste, mit diesem Mann zu schlafen, denn allein in der Vorstellung würde es für Sara kein Zurück mehr geben. Sie würde immer nur noch ihn wollen, bis zum Ende ihres Lebens.

Erschöpft und atemlos an ihrem Ziel angekommen, erkannte Sara ihn sofort. Noah trug einen schwarzen schweren Mantel, der weiß schimmerte wegen der zahllosen Schneeflocken, die sich daran klammerten, und er hatte sich in den Schatten einer Hecke geduckt, um Kälte und Wind zu entkommen. Sie blickten einander an, und Sara musste lachen. Sogar an seinen Wimpern hingen Schneekristalle. Sie sahen beide aus wie Eismenschen. Was Noah ebenfalls zum Lachen brachte. Die zwei strahlten sich an, doch als er auf Sara zutrat, um sie in den Arm zu nehmen, wich diese einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf.

Nicht hier, schien ihr Blick zu sagen.

Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und lief den schmalen Pfad entlang zu ihren Gewächshäusern.

Bis sie die Glasdächer von der dicken Schneeschicht befreit hatten, zitterte Sara beinahe, so kalt war ihr inzwischen. »Gott, ich hätte die Blumen abdecken sollen«, sagte sie, und ihre Stimme stolperte leicht. »Dabei habe ich den Schnee sogar riechen können und mich doch nicht auf mein Bauchgefühl verlassen.«

»Mit einem solchen Sturm konnte niemand rechnen«, erwiderte Noah. Auch er sah aus, als wäre er kurz vorm Erfrieren. Die Ohren so rot wie die Wangen, blies er in seine Handflächen, um wenigstens die Finger aufzuwärmen.

»Es hat keinen Zweck«, sagte Sara, »wir müssen reingehen.«

Sie war dabei, sich umzudrehen, um den Weg ins Wild at Heart einzuschlagen, als Noah sie am Handgelenk festhielt. »Warte. Nicht ins Hotel.«

»Noah …«

»Ich muss mit dir reden. Und dort sind einfach zu viele Leute, die das nicht unbedingt hören sollten.«

Für eine Sekunde zögerte Sara, dann ließ sie sich von Noah in Richtung der Klippen führen.

»Bist du sicher, dass wir da reindürfen?« Zweifelnd betrachtete Sara die Eingangstür der Lodge, die selbst unter Noahs energischem Rütteln keinen Deut nachgab. Die kleine, heruntergekommene Hütte im Wald über den Klippen gehörte dem Hotel, das wusste sie, und sie wusste auch, dass sie eigentlich nicht in Betrieb war, jetzt aber irgendwie ins Set der Filmproduktion eingegliedert geworden war.

»Immerhin drehen wir hier drinnen ja auch«, bestätigte Noah ihre Überlegungen, während er sich lang machte und mit den Fingern über den Türrahmen tastete. »Ah.« Triumphierend hielt er den Schlüssel hoch. »Da ist er ja!«

Sara war schon ewig nicht mehr im Inneren der Lodge gewesen, doch als sie jetzt über die Schwelle trat, war sie doch überrascht über den primitiven Zustand, in dem sie sich befand. Sie hatte gedacht, hier unten sei zumindest eine Küche eingebaut, doch nun waren da lediglich raue, unbearbeitete Holzwände, ein Lager aus Fell und Decken in der einen Ecke, und anstelle des Schwedenofens, den Sara in Erinnerung hatte, dominierte nun eine Art Feuerstelle den Raum – ein zylinderförmiger, schwarzer Ofen, dessen spitz zulaufendes Rohr in der Decke verschwand.

»Wow«, fasste sie schließlich ihre Gedanken zusammen. »Hier sieht es ein bisschen anders aus, als ich es in Erinnerung hatte.«

»Ja.« Noah hatte die Tür hinter ihnen geschlossen, und sofort wurden sie in Dunkelheit gehüllt. »Die Produktion musste für den Dreh einiges umbauen.«

»Mmmh. Und es gibt auch kein elektrisches Licht mehr?«

»Doch, natürlich. Warte.« Er lief an ihr vorbei (sie hörte es mehr, als dass sie es sah) und die Treppe hinauf, die in den ersten Stock führte. Etwa auf halber Höhe blieb er stehen und schaltete einen Scheinwerfer ein, der gegen die Decke gerichtet war und diffuses, warmes Licht verteilte.

»Wir mussten die Lampen abmontieren, wegen der Authentizität«, erklärte er.

»Ich verstehe.« Sara verschränkte die Arme vor der Brust, faltete sie jedoch sogleich wieder auseinander, als ihr einfiel, wie abweisend diese Geste wirkte. Was Noah auch umgehend aufzufallen schien.

»Wir können ins Hotel, wenn du möchtest. Eventuell, wenn wir am Restaurant vorbeigehen und uns zum Hintereingang reinschleichen …«

Sogleich schüttelte Sara den Kopf. »Nein, kein Reinschleichen, bitte.«

»Okay.«

Sara ging auf den Ofen zu. »Funktioniert der hier, oder ist er nur Attrappe?«

»Nein, der funktioniert tadellos.«

Während Noah den Ofen einheizte, überlegte Sara, ob Gretchen wohl wusste, was hier in ihrer Lodge passierte und ob irgendwer die fehlende Küche wieder einbauen würde, wenn die Filmleute abgezogen waren. Sie beschloss, ihre Freundin sicherheitshalber darüber zu informieren, was sie hier gesehen hatte – selbst wenn es bedeutete, dass sie dann zugeben musste, mit Noah hier gewesen zu sein. Sie griff nach einem der Felle, die auf das Bettenlager geworfen worden waren, breitete es vor dem Feuer aus und machte es sich im Schneidersitz bequem. Sich mit Noah auf besagtem Deckenhaufen niederzulassen, war viel zu gefährlich. Auch ein Fell vor dem Feuer war … risikoreich, um es milde auszudrücken, doch sie hatte nicht vor, ihre Sitzposition zu verlassen, und ihre Jacke behielt sie sicherheitshalber auch erst mal an. Es war beschämend, welches Klischee sie abgab. Die Flammen, die mittlerweile züngelten, der breitschultrige Mann davor mit den zerzausten Locken und den warmen braunen Augen. Und sie dagegen, eine zweiundvierzig Jahre alte Frau, die aufpassen musste, sich nicht wie ein Teenager auf diesem Vorleger zu wälzen.

»Okay«, sagte Noah, als er vom Ofen wegtrat. »Gleich müsste es wärmer werden.« Er schlüpfte aus seinem Mantel und hängte ihn über das Treppengeländer. »Willst du deine Jacke nicht ausziehen? Sie ist doch sicher ganz nass.«

»Nein!« Sara räusperte sich. Sie hatte beinahe ängstlich geklungen. »Nein, die werde ich erst mal anlassen, danke.« Je mehr Schichten, desto besser, fügte sie in Gedanken hinzu.

Noah ließ sich ebenfalls auf dem Fell nieder, wie Sara im Schneidersitz, ihr gegenüber. »Also«, begann er. »Ich wollte mit dir sprechen. Über etwas, das ich eigentlich niemandem erzählen dürfte, aber …« Er zuckte mit den Schultern. Dann nahm er Saras Hand.

»Noah.« Sie versuchte, ihre Finger aus seinem Griff zu befreien, doch er hielt ziemlich entschlossen daran fest.

»Sssh.« Er hob besagte Hand an seine Lippen, küsste sie und fuhr fort: »Ich hatte in meinem Leben eine echte Beziehung. Julie und ich sind zusammen zur Schule gegangen, und wir wurden ein Paar, als ich achtzehn war. Und alles lief wirklich toll zwischen uns, wir haben uns immer gut verstanden, haben kaum gestritten, wir …« Er schüttelte den Kopf. »Wir waren so ein harmonisches Paar, das alle anderen immer beneideten, du weißt schon – einfach nur, weil wir uns nicht gegenseitig an die Gurgel gingen wie so viele andere.« Er lachte, und Sara versuchte zumindest ein Lächeln. Sie hatte keine Ahnung, weshalb Noah ihr von seiner ersten großen und womöglich einzigen Liebe erzählte, doch sie versuchte noch einmal vorsichtig, ihre Hand aus seiner zu lösen, und diesmal ließ er sie los.

»Wir lebten in London. Ich spielte Theater. Julie … Sie arbeitete in einem kleinen Verlag in der Buchhaltung. Wir hatten es irgendwie schön. Nicht aufregend, aber schön. Und dann kam das Angebot, bei Out of Answers mitzumachen. Und wir waren uns beide einig, dass das eine einmalige Chance war, die man auf keinen Fall ziehen lassen durfte, auch wenn es bedeutete, dass wir uns erst mal nicht sehen würden.«

Sara seufzte. »Ich nehme mal an, diese Geschichte hat kein Happy End?«

»Nein. Leider. Wir haben es versucht, sogar noch lange nachdem eigentlich klar war, dass es so zwischen uns nicht mehr funktionieren würde. Julie hasste die große Entfernung zwischen uns. Also zog sie hinterher, doch dann hasste sie die USA, Kalifornien im Besonderen. Nach und nach war sie wieder mehr hier in England als dort, und die Presse zog darüber her, wann immer sie es mitbekamen. Ich bin niemand, der gern im Rampenlicht steht, aber für mich ist es die logische Konsequenz, wenn man an einem solchen Erfolgsprojekt wie Out of Answers beteiligt sein will. Ich weiß, du hast die Serie nicht gesehen.« Er grinste. »Aber sie ist wirklich gut. Richtig gut.«

»Ich werde das nachholen«, versprach Sara. »Spätestens wenn wir uns nicht mehr sehen, hole ich alle Folgen nach.«

Das Grinsen verschwand von Noahs Gesicht, und Sara klappte den Mund zu.

»Siehst du, darüber wollte ich eigentlich mit dir sprechen«, sagte er. »Ich bin nur etwas abgeschweift.« Er räusperte sich. »Lange Rede kurzer Sinn«, fuhr er fort, »die Beziehung zwischen Julie und mir war vorbei, noch bevor sie in diesem Frühjahr offiziell aus unserer Wohnung in L. A. ausgezogen ist. Deshalb dachte ich mir nicht viel dabei, als die Produzenten von Unknown mich fragten, ob ich bereit wäre, zu PR-Zwecken eine Beziehung mit der Hauptdarstellerin einzugehen. Zumal, als ich erfuhr, dass es Heather war – wir kennen uns schon ziemlich lange vom Theater in London.«

»Eine Scheinbeziehung?«, wiederholte Sara. »Zu PR-Zwecken?« Es war nicht so, dass sie dieses Geständnis gänzlich überraschte (nach allem, was zwischen ihnen beiden geschehen war), doch um sicherzugehen, wiederholte sie den Tatbestand noch mal. »Ihr seid nicht zusammen?«

»Nein.« Noah schüttelte den Kopf. »Aber wenn wir nicht weiterhin so tun, als ob, haben wir eine saftige Klage am Hals.«

»Verstehe.«

»Ich hab mir ehrlich nichts dabei gedacht«, fuhr Noah fort. »Ganz im Gegenteil: Julie hat dem Druck dieser Branche und allem, was an ihr dranhängt, nicht standhalten können. Insbesondere das, was aus PR-Zwecken getan wird. Interviews auf dem roten Teppich, posieren für die Fotografen – sie hasste das. Und ich dachte, eine Fake-Beziehung mit jemandem, der darin genauso involviert ist wie ich, wäre allemal besser, als noch länger Spekulationsgegenstand der Klatschpresse zu sein. Du weißt schon: Dated er? Hat er eine Neue? Ist sie die Richtige für Hollywoods Herzensbrecher?«

Sara schnaubte, und Noah lachte sie an. »Hey, was kann ich dafür, dass sie mir diesen Titel verleihen?«

»Gar nichts, nehme ich an. Wer kann schon etwas dafür, so begehrenswert zu sein?«

»Eben.« In gespieltem Ernst nickte er. »Das kann man mir wirklich nicht vorwerfen. Wobei …«

»Wobei?«

»Es würde mir schon reichen, wenn ein gewisser Jemand mich begehrenswert finden würde.«

Das Lächeln auf Saras Gesicht gefror, und mit einem Mal waren beide wieder ernst. Noah sah sie an, und für einen Moment blieb Sara die Luft weg, so intensiv war sein Blick.

»Ich hatte gehofft«, sagte er, »du würdest dich eventuell darüber freuen, dass ich nicht mit Heather zusammen bin. Dass ich Single bin, sozusagen.«

Sara, nach wie vor gefangen in diesem Blick, schwieg. Sie wusste ehrlich nicht, was sie dazu sagen sollte, weil ihr noch nicht ganz klar war, was Noah damit bezweckte. Wollte er mit ihr schlafen? Ja, das wäre eine hübsche Idee, aber sicherlich – mit etwas Abstand betrachtet – verheerend, zumindest für ihr Gefühlsleben. Denn wenn er in einiger Zeit nach Hause flog, zurück nach Hollywood, würde sie hierbleiben und sich fragen, ob sie jemals wieder einen Mann treffen würde, mit dem die Chemie so offensichtlich stimmte wie mit diesem hier.

»Ich, ähm …« Noah fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Hätte Sara es nicht besser gewusst, sie hätte ihn für nervös gehalten, aber das war doch eigentlich unmöglich, oder nicht?

»Wenn du weiterhin schweigst«, sagte Noah, »werde ich mir allmählich unsicher, ob ich da etwas missinterpretiert habe.«

»Missinterpretiert?« Also war er tatsächlich nervös?

»Nun, dieser Kuss«, sagte Noah. »Irgendwie bin ich davon ausgegangen, du hättest es auch gefühlt.«

Auch gefühlt? Sara blinzelte. Und ob sie es auch gefühlt hatte. Aber das half ihnen nicht weiter, richtig?

»Ich bin zweiundvierzig«, rief sie.

Noah zog verblüfft die Augenbrauen zusammen, dann grinste er, und er wirkte erleichtert. »Ich glaube, das sagtest du schon einmal, oder nicht? Und ist zweiundvierzig nicht die Antwort auf alle Fragen?«

Sara verdrehte die Augen, doch auch sie musste lächeln. Sie kannte das Zitat aus Per Anhalter durch die Galaxis. Es war sozusagen das einzig Gute daran, zweiundvierzig zu sein.

Erneut griff Noah nach ihrer Hand. »Okay«, sagte er. »Klartext jetzt. Ich hab mich auf diesen Deal eingelassen, weil ich keine Ahnung hatte, dass ich ausgerechnet hier und das erste Mal seit Jahren jemanden treffen würde, für den ich mich ernsthaft interessiere.«

»Noah …«

»Und ich hatte das Gefühl, dass es dir genauso geht. Wenn ich mich getäuscht habe, sag es mir am besten jetzt.«

»Ich …«

»Nur sag bitte nicht, dass du zweiundvierzig bist. Ich habe es vernommen und dir bereits erklärt, was ich davon halte.«

Sara legte ungläubig den Kopf schief. »Du hältst mich für die Antwort auf all deine Fragen?«

»Ich halte dich für die Antwort, ganz genau.«

Sara lachte. Noah lachte auch, sie hielten sich nach wie vor an den Händen, und sie ließen auch nicht los.

»Ich verstehe nicht, dass ein Mann wie du Single ist«, sagte Sara schließlich.

»Und ich verstehe nicht, dass eine Frau wie du allein ist.«

»Tja.« Saras Lachen wurde bitter. Sie hatte keine Lust, jetzt an ihren untreuen Ex zu denken, und ganz sicher wollte sie nicht mit Noah über ihn sprechen. »Ich bin kein Hollywoodstar, so viel steht fest.«

Noah runzelte die Stirn. »Du hast mich gefragt, ob ich mal daran gedacht hätte, nach England zurückzugehen. Die Wahrheit ist – ich habe immerzu daran gedacht, obwohl mir klar war, dass es nicht die vernünftigste Lösung wäre, für meine Karriere und für … sonst nichts, eigentlich. Meine Karriere also. Eine Beziehung hat das Leben in L. A. schon ruiniert. Und weil ich nicht möchte, dass das noch mal passiert, denke ich in letzter Zeit wieder häufiger darüber nach.« Er zuckte mit den Schultern. »Es gibt auch in England tolle Jobs für Exhollywoodstars, siehe diese Serie hier. Ich könnte wieder mehr Theaterspielen, ich mag das Theater. Und ich mag meine Mutter. Und sie wird auch nicht jünger.« Er machte eine kurze Pause. »Und ich bin ein bisschen verliebt. In dich.«

Sara hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu erwidern, doch nach den letzten beiden Sätzen konnte sie sich beim besten Willen nicht daran erinnern, was. Also saß sie einfach da, die Lippen einen Spaltbreit geöffnet, und starrte den Mann an, der ihr im Schneidersitz gegenübersaß, dabei ganz göttlich aussah und absolut unglaubliche Dinge von sich gab.

»Wie bitte?«, fragte sie schließlich heiser.

»Solltest du auch nur das kleinste bisschen an mir interessiert sein«, sagte Noah langsam, »würde ich uns beiden gern eine realistische Chance einräumen, ohne die Distanz von zigtausend Kilometern dazwischen.«

»Aber du bist mit Heather zusammen«, platzte es aus Sara heraus, und Noah fing an zu lachen. Woraufhin sie mit einstimmte, dann seine Hand fester drückte und schließlich nickte. »Okay«, sagte sie. »Ich bin zweiundvierzig, ich sollte keine Zeit mehr versäumen, richtig?«

»Sehr richtig«, erklärte Noah grinsend, bevor er sich vorbeugte und so lange an Sara herumzog, bis sie auf seinem Schoß saß. »Mmmh, besser«, murmelte er und küsste sie auf die Wange. Dann beugte er sich ein Stück zurück, um den Reißverschluss ihrer Jacke zu öffnen, die sie nach wie vor um sich geschlungen hatte. »Ist das so eine Art Keuschheitsgürtel?«, fragte er.

»Ein Schutzanzug, ja.«

»Mmmh.«

Sie half ihm dabei, sich aus ihrer Jacke zu befreien, und verschränkte im Anschluss daran die Hände in seinem Nacken.

»Sind alle Zweiundvierzigjährigen so vorsichtig wie du?«

»Wollen wir mein Alter jetzt in jedem zweiten Satz thematisieren?«

»Lass mich überlegen.« Noah tat so, als würde er genau dies tun, dann sagte er: »Ja, wieso nicht? Also: Was, wenn ich all die Jahre auf eine ältere Frau gewartet habe?«

»Hast du nicht.«

»Was, wenn doch? Ich meine, warten musste ich doch, ich musste schließlich erst annähernd so alt werden wie du.«

»Oh, das … Das hast du jetzt nicht gesagt!« Entsetzt rückte Sara ein Stück von ihm ab, während Noah sie erst mit großen, ernsten Augen ansah und dann in schallendes Gelächter ausbrach.

»Du …«, begann Sara, doch auch sie lachte jetzt, zumindest so lange, bis Noah sich nach hinten sinken ließ, Sara in seinem Arm, sie dann auf das Fell neben sich rollte und sich über sie beugte.

Auf einmal war er vollkommen ernst. »Du bist wunderschön«, sagte er. »Und schlagfertig. Und selbstbewusst. Und echt. Und ich hätte nicht gedacht, dass ich mich in meinem Leben noch mal so schnell so sehr verlieben würde.«

»Es ist ziemlich schwierig, sich in dich nicht zu verlieben«, gab Sara zurück. Sie hob die Hand und strich Noah eine seiner dunklen Locken aus der Stirn, während er sich vorbeugte, um sie zu küssen.

Sara seufzte. Gott, sie hatte sich gewünscht, er möge sie noch einmal so küssen, mit diesen herrlichen Lippen und dieser Entschlossenheit und dieser Leidenschaft. Sara gab sich ganz diesem Kuss hin. Vergrub ihre Hände in Noahs Haaren, öffnete die Lippen für ihn, presste ihren Körper gegen seinen, so fest sie nur konnte. Sie ließ es zu, dass sich seine Hände unter ihren Pullover schoben, spürte seine Finger auf der nackten Haut ihrer Taille und seine Fingerspitzen an der Unterseite ihres BHs. Sie japste nach Luft, als er sie noch enger an sich zog und einen nicht wirklich jugendfreien, genussvollen Laut von sich gab. Und als wäre der Sauerstoff, der so plötzlich in ihre Lunge fuhr, wie ein Weckruf gewesen, drückte sie mit beiden Händen gegen seinen Brustkorb und ihn ein Stück von sich weg.

»Wir sollten das nicht hier tun«, sagte sie, und ihr Atem ging schwer. »Ich weiß nicht, dieses Set – ich fühle mich, als wären Kameras auf mich gerichtet.«

Womit sie leider nicht ganz unrecht hatte.