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Kein Schneesturm, jedoch ein gehöriges Unwetter erreichte das kleine Hotel auf Port Magdalen, Cornwall, bereits drei Tage später und in Form eines Zeitungsartikels. Wer sich nun wundert, wie eine aktuelle Ausgabe der Sun es an einem Samstag und schon vor dem Mittagessen auf die Insel schaffte, dem sei verraten, dass Bruno sie angeschleppt hatte. Er war bereits sehr früh am Morgen in Penzance gewesen, um Besorgungen zu machen, und hatte anschließend mit besagter Zeitung, frischem Früchtekuchen und blendender Laune an die Tür zu Theos Schäferwagen geklopft.

»Ah, lässt du dich auch mal wieder blicken«, begrüßte Theo ihn mürrisch, denn irgendwie hatten die gemeinsamen Grabungsarbeiten durch die ständigen Verzögerungen ein bisschen an Schwung verloren, und Theos Laune hatte entsprechend gelitten.

»Da ist wohl jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden«, versetzte Bruno im gleichen Tonfall.

Theo schnaubte. Dann griff er nach der Tüte mit dem köstlich duftenden Gebäck und drehte sich zu der kleinen Kochplatte um, wo bereits das Teewasser blubberte, während sich Bruno schwerfällig auf das ebenfalls nicht sehr große, dafür umso betagtere Sofa fallen ließ. »Dass du hier drinnen keine Platzangst bekommst«, sagte er. »Dieses Ding ist nicht größer als eine Schuhschachtel.«

»Sagt der Italiener, dessen Schuhschachtel nicht größer ist als ein Päckchen Kaugummi. Wo ist dein Sinn für Romantik geblieben? So ein Schäferwagen ist der perfekte Ort für ein Schäferstündchen, schon mal daran gedacht?«

Hinter Theos Rücken ließ Bruno seinen Blick über die abgewohnte Sitzecke, die kleine Kochzeile und das akkurat gemachte Bett gleiten, das diesen kleinen Wohnwagen ausmachte, dann verdrehte er die Augen. Er kannte den alten Wilde lange genug, um zu wissen, dass dieser nur aus Bellen bestand und kein bisschen aus Beißen. Dauernd redete er davon, dass er Dottie heiraten würde, wenn sie nur endlich ja sagte, und ständig tat er so, als sei er mit seinen fünfundsiebzig Jahren auf nichts anderes aus als darauf, sich noch einmal auf eine Frau einzulassen. Dabei wussten sie doch alle, dass er seit dem Tod seiner Marge nichts dergleichen unternommen hatte und auch gar nicht daran dachte. Bruno jedenfalls wusste das sicher. Genauso sicher, wie er wusste, dass auch er nur aus dem Spaß am Flirten mit Dottie herumalberte. Den Tod seiner eigenen Frau, so nervtötend sie manchmal gewesen war, hatte er nie überwunden.

Wenn das zwei alte Esel aus ihnen machte, dann – bitte.

»Außerdem«, erklärte Theo jetzt, »ist es allmählich zu kalt, um vor dem Wagen herumzusitzen.«

»Ein Sturm zieht auf«, stimmte Bruno zu.

»So heißt es.« Theo nickte. »Ob er wirklich Schnee bringt, wage ich allerdings zu bezweifeln.«

»Es riecht nach Schnee.«

»Wieso sagen das eigentlich alle? Wie zum Kuckuck riecht Schnee

Statt einer Antwort beugte sich Bruno nach vorn und klappte die Zeitung auf, die er auf dem niedrigen Tisch zwischen den alten Sitzmöbeln abgelegt hatte. Theo, der einen Teller mit aufgeschnittenem Früchtekuchen zu ihm herübertrug, platzierte ein Teelicht daneben. »Siehst du? Romantico!«, sagte er.

Sein Freund schüttelte nur den Kopf. »Ich hab uns spannende Lektüre mitgebracht«, sagte er und deutete mit dem Zeigefinger auf die Zeitung.

»Ich hoffe, heute spannende Lektüre auf dem Dachboden zu finden«, gab Theo zurück. »Hast du schon wieder vergessen, weshalb du dich den Berg zu uns heraufgeschleppt hast? Schlüssel? Porzellan? Diebesgut? Piraten? Schatz? Juwelen? Dia…«

»Himmel, hör auf, ist ja gut, ich hab’s nicht vergessen. Wir krabbeln auf den Dachboden und holen uns auf der Suche nach irgendeinem Hinweis darauf, was hier vor fünftausend Jahren vor sich ging, Staubmilben.«

»Man kann sich keine Staubmilben holen«, sagte Theo.

Bruno zuckte mit den Schultern. »Willst du nun sehen, was über uns in der Zeitung steht oder nicht?«

Und so kam es, dass Bruno Fortunato und Theo Wilde als Erste und vor allen anderen auf der von der Pünktlichkeit der Post nicht eben verwöhnten Gezeiteninsel Port Magdalen von dem Skandal erfuhren, der ebendiese alsbald erschüttern sollte.

»Ach du Schreck, das darf nicht wahr sein.«

Gretchen, die an diesem Samstagvormittag eigentlich andere Dinge zu tun hatte, als Zeitung zu lesen (zum Beispiel musste sie noch ein passendes Kleid suchen für den heutigen Abend, den sie mit Sara in einer Bar in Penzance zu verbringen gedachte), war den ersten Teil des Tages damit beschäftigt gewesen, Telefonanrufe von Pressevertretern und sonstigen Neugierigen abzuwehren. Nun stand sie neben Theo und Bruno vor dem Schreibtisch in ihrem Büro und blickte auf eine höchst unschöne Schlagzeile herab.

Heathers hässliche Heimlichkeiten

stand da in dicken schwarzen Lettern auf der Titelseite der Sun (untere Hälfte, aber trotzdem: Hatten die Leute keine anderen Probleme an diesem Samstag im Dezember?). Und über einem Foto, das Heather Mompeller und Ivan Trust zeigte, in einer innigen Umarmung und vor dem gut lesbaren Schild des Wild-at-Heart-Hotels.

»Wann ist dieses Foto aufgenommen worden?«, fragte Gretchen, die im Augenblick mehr mit sich selbst redete als mit den beiden Männern, die ihr die Zeitung gebracht hatten. »Ich meine«, sie schüttelte den Kopf, »es muss im Sommer gewesen sein, so viel steht fest, aber …«, womit sie die Augen zusammenkniff und die Zeitung näher zu sich heranzog. © Valerie Fournier stand da sehr klein neben der Bildunterschrift, und Gretchens Augen verengten sich noch ein Stück mehr.

»Wie kommt Madame Fournier dazu, die beiden zu fotografieren? Sie war doch wegen eines Bildbands hier? Es sah nicht so aus, als hätte sie auch nur geahnt, dass die beiden in England bekannt sind. Und wir haben so aufgepasst, dass sich daran auch nichts änderte.«

Theo, der seiner Schwiegertochter über die Schulter blickte und ebenfalls auf den Artikel starrte, schüttelte den Kopf. »Das einzige Mal, an das ich mich erinnern kann, die drei zusammen gesehen zu haben, war an dem Nachmittag, als Bruno Dottie zu Fall gebracht hat und …«

»Hey! Ich habe Dottie nicht zu Fall gebracht! Sfrontatezza!« Womit sich Bruno zu Recht beschwerte, immerhin hatte er an diesem Nachmittag nur das vegane Essen für einen der Gäste ins Hotel bringen wollen (das Dottie sich zu diesem Zeitpunkt noch weigerte zu kochen und deshalb aus Lori’s Tearoom stammte). Die Köchin war bei der Übergabe über Fred, das Frettchen, gestolpert, wobei der darauffolgende Sturz für Dottie einen verstauchten Knöchel zur Folge hatte.

Wie dem auch sei.

»Miss Mompeller und Mr. Trust haben damals geholfen, Dottie ins Haus zu bringen, erinnerst du dich?«, fragte Theo.

»Und Madame Fournier hat mir mit dem verstreuten Essen geholfen«, murmelte Gretchen.

»Und irgendwann davor oder danach«, mischte sich Bruno ein, um auch etwas beizutragen, »hat sie wohl dieses kompromittierende Foto geschossen.«

»Kompromittierend«, grummelte Gretchen. »Wieso darf die Frau vor ihrem jetzigen Freund denn keinen anderen gehabt haben? Ginge es hier um Ivan Trust, würde sich vermutlich niemand aufregen, dass er im Sommer noch mit der einen, im Winter dann mit der anderen zusammen ist!«

»Ja, aber doch nicht gleichzeitig, Gretchen«, rief Theo.

Und dann las Gretchen den eigentlich viel zu langen Artikel doch noch zu Ende, bevor sie das Festnetztelefon aussteckte, sich die Zeitung unter den Arm klemmte und sich auf die Suche nach Minnie Barnes machte, die vermutlich noch keine Ahnung hatte, welcher Tumult ihr ins Haus stand.

Heathers hässliche Heimlichkeiten

Auf der kleinen Insel Port Magdalen in Cornwall wird derzeit eine Serie gedreht, die weit über die Landesgrenzen hinaus für Furore sorgt: nicht nur, dass Ian Grumbole, exzentrischer Regie-Altmeister, sich erstmals an eine Serie wagt. Nein – Noah Perry, Englands derzeit heißester Hollywood-Export, hat darüber hinaus die männliche Hauptrolle übernommen. Nach monatelanger Geheimniskrämerei wurden bei einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch endlich Details über den Inhalt der Produktion von Unknown bekannt gegeben, und darüber hinaus ein weiteres, höchst pikantes Teilstück: Perry, Herzensbrecher aus Blackburn und seit der Trennung von seinem Jugend-Sweetheart Julie Martins im Frühjahr Dauersingle, ist offensichtlich nun vergeben, und zwar an niemand Geringeren als Heather Mompeller, zartes Theaterröslein aus dem südlichen London und Perrys Partnerin in Grumboles kommendem Serienhit.

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Was Gretchen tat.

Noah und Heather also – wow, sagen wir von der Sun. Zwar waren Gerüchte über die Liebelei der beiden bereits seit dem Sommer im Umlauf, konkret aber wollte bis zum vergangenen Mittwoch dazu niemand Stellung nehmen. Bilder hat es darüber hinaus ebenfalls nicht gegeben – keine gemeinsamen Auftritte, heimliche Treffen, Paparazzishots aus dem Urlaub. Nichts.

»Wenn man so eng zusammenarbeitet, wie wir beide es an diesem Projekt getan haben, dann verschwimmen manchmal die Grenzen zwischen Vorstellung und Realität«, hatte Perry während der Pressekonferenz erklärt, woraufhin Minnie Barnes, Aufnahmeleiterin und Set-Chefin, vor versammelter Presse verkündete: »Wir freuen uns sehr, mit einem Schauspielerpaar zu arbeiten, bei dem nicht nur vor der Kamera die Chemie stimmt, sondern auch dahinter ordentlich Funken sprühen.«

Wie die PK verlief, wie Perry Heathers Tränen trocknete und Barnes die Anwesenden dazu mahnte, sensibler vorzugehen, haben wir bereits berichtet. Schon damals wollte man rufen: Was für eine fabelhafte Inszenierung! Hier übertreffen Sie sich selbst, Mr. Grumbole, doch die britische Presse weiß sich zu benehmen, allen Unkenrufen zum Trotz.

Weiß das aber auch Heather Mompeller, Englands Mauerblümchen Nummer eins? Die Sechsundzwanzigjährige hat bislang nicht gerade durch Affären von sich reden gemacht, ganz im Gegenteil: Seit Heather vor knapp zwei Jahren das erste Mal ins Rampenlicht der Bühne trat, behauptete sie stets, ihre Priorität liege allein auf ihrer Karriere. Für die Liebe – keine Zeit! Viele wunderten sich, einige spekulierten, doch niemand – tatsächlich niemand – ahnte, dass Heather heimlich durchaus jemanden liebte. Und nun, Ladys und Gentlemen, halten Sie sich fest: Niemand Geringerem als unserem Shakespeare-Vorzeigemimen Ivan Trust gelang es, das Herz der schüchternen Heather zu erobern.

Ivan, der schreckliche Schmerzensbrecher, dem schon so viele Affären nachgesagt wurden, dass Casanova in seinem Grab erblasst. Ivan, der … ach, lassen wir das. Niemals jedenfalls hätten wir das ungleiche Paar (Ivan ist immerhin fünfzehn Jahre älter als Heather, etwa drei Köpfe größer und um einiges, sagen wir, grummeliger) für ein Paar gehalten, ob die beiden nun auf der Bühne eins abgaben (was sie taten) oder nicht.

Woher wir überhaupt davon wissen?

Am Tag nach der Veröffentlichung unseres Berichtes von der Pressekonferenz erreichte die Sun das Angebot einer französischen Fotografin über ein exklusives Foto vom Sommer dieses Jahres, das Ivan Trust und Heather Mompeller in inniger Umarmung zeigt. Das Pikante daran: Valerie Fournier ahnte gar nicht, wen sie da fotografierte, als sie im Juli im Wild-at-Heart-Hotel auf Port Magdalen, Cornwall, residierte. Sie lichtete die beiden ab, weil sie einen so »innigen, zutiefst verliebten« Eindruck auf sie machten. Das weitaus Pikantere an dem Bild: Im Juli soll Mompeller den oben beschriebenen Gerüchten zufolge bereits mit Noah Perry liiert gewesen sein. Wer ist nun schrecklich, fragen wir? Und: Ist das neue Traumpaar schon Geschichte, bevor die überhaupt begonnen hat?