16.

Sara Gibbs hätte gern von sich behauptet, dass diese Sache mit den Blumen und Bienen, über die sie vor Gretchen so ausschweifend lamentiert hatte, nichts weiter gewesen sei als ein Spaß, doch die Wahrheit war: Sie hatte es bitterernst gemeint. Also, im übertragenen Sinne natürlich. Sie war zweiundvierzig Jahre alt, so viel war ebenfalls wahr, und seit dem Scheitern ihrer Beziehung, das mittlerweile mehr als fünf Jahre zurücklag, mehr oder weniger allein. Was bislang auch kein Problem dargestellt hatte. Im Gegenteil. Die Männer, die Sara gefielen, waren so selten wie Schnee in Cornwall, umso mehr erschrocken war sie selbst über ihre Reaktion auf Noah Perry.

Ihre Fingerspitzen hatten gekribbelt, oder etwa nicht? Und als Echo zu diesem Kribbeln war in seinen wundervollen braunen Augen etwas aufgeblitzt – oder etwa nicht?

Gerade jetzt kitzelte es in Saras Fingerspitzen übrigens wieder, während sie es sich mit einem Laptop auf der Fensterbank des kuscheligen Erkers in ihrer Wohnung gemütlich machte, der als Leseecke diente. Sie konnte es selbst kaum glauben, doch sie würde Noah Perrys Namen in die Suchmaschine eingeben und so viel über ihn in Erfahrung bringen, wie ihr möglich war.

Vierundzwanzig Minuten später klappte Sara ihr MacBook wieder zu. Sie lehnte den Kopf an die Mauer hinter sich und drehte das Gesicht zum Fenster, um durch den schmalen Spalt zwischen den Häusern vor ihr aufs Meer zu sehen, doch weil es draußen mittlerweile ziemlich dunkel war, starrte lediglich ihr eigenes Spiegelbild zurück.

Sie war jetzt tatsächlich über vierzig, auch wenn man ihr das nicht unbedingt ansah. Ein Vorteil dunkler Haut, wenngleich ihre nicht einmal annähernd so dunkel war wie die ihrer Eltern. Ihre Haut hatte die Farbe von Vollmilchschokolade mit ziemlich hohem Milchanteil – und sie war glatt und straff, wie sie es vor sieben Jahren auch gewesen war.

Wieso ausgerechnet sieben?

Weil das genau die Anzahl an Jahren umfasste, die Noah Perry jünger war als sie.

Seufzend legte Sara den Computer beiseite, stand auf und ging hinüber zu ihrer Küchenanrichte, um sich ein Glas Rotwein einzuschenken. Auf dem Weg zurück zum Fenster schaltete sie Musik an – Elliot Smith – und dann, als sie sich erneut auf ihren Platz sinken ließ, musste sie über sich selber lachen. Ein schönes Bild gab sie da ab, in ihrer kleinen Anderthalb-Zimmer-Wohnung, ihrem einteiligen, rosafarbenen Hausanzug, dem Rotwein und der Schmusemusik.

Wann war sie eigentlich zu diesem wandelnden Klischee einer einsamen, alleinstehenden Frau geworden?

Sie nahm einen Schluck von ihrem Wein.

Nun.

Sie wusste sehr genau, wann das passiert war. Und wie sooft, wenn sich der Gedanke daran in ihr Bewusstsein schob, katapultierte sie ihn zurück in die Untiefen ihrer Erinnerung, wo er ihrer Meinung nach hingehörte, setzte ein grimmiges Lächeln auf und dachte an etwas anderes.

An Noah beispielsweise.

Laut Saras Recherchen war er fünfunddreißig Jahre alt, stammte aus Blackburn, einer eher unbedeutenden Stadt nordwestlich von Manchester, und war bei seiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Schon als Kind spielte er im Schultheater, später dann stand er auf den Bühnen von London. Erst mit Ende zwanzig wurde er für die Kamera entdeckt, und gleich seine erste große Rolle, die eines gewissen Cherish Tanner in der Serie Out of Answers, verschaffte ihm Weltruhm. Sie öffnete ihm die Tür nach Hollywood, wo Noah Perry inzwischen auch lebte. Dass er an dieser verhältnismäßig kleinen, britischen Produktion teilnahm, wurde sentimentalen Gründen zugeschoben. Der Regisseur war ein alter Bekannter vom Theater, der ihn damals für die Rolle in Out of Answers empfohlen hatte. »Außerdem«, zitierten die Medien den Schauspieler, »wird England immer meine Heimat bleiben. Und die Sehnsucht nach warmem Bier, fettigem Fisch und schlechten Wetter ist manchmal einfach zu groß.«

Und was ist mit der Sehnsucht nach deiner Freundin?, dachte Sara, während sie gedankenverloren an ihrem Wein nippte. Und bevor ihr einfiel, dass Noah Perry vermutlich genauso wenig wie jeder andere Mensch scharf darauf war, sein Privatleben vor wildfremden Leuten und in der Öffentlichkeit breitzutreten, nahm sie ihren Laptop und öffnete ihn erneut.

Die Bildersuche vom Namen des Schauspielers in Kombination mit Freundin ergab einige Treffer (wenngleich auch nicht so viele, wie sie bei einem Filmstar dieses Kalibers erwartet hätte). Von Heather Mompeller war nichts zu sehen, doch so, wie Gretchen es ihr erklärt hatte, war die Beziehung zwischen den beiden auch noch nicht an die Öffentlichkeit gelangt und sollte erst im Rahmen einer Pressekonferenz verkündet werden. Was in Sara für einen Augenblick Mitleid hervorrief. Wie musste es sein, in einem Beruf zu arbeiten, in dem das Privatleben, das Liebesleben, plötzlich als Teil einer PR-Kampagne herhalten musste? Für sie, die ihre Tage einsam zwischen Pflanzen verbrachte, war diese Vorstellung unbegreiflich.

Sara scrollte durch die Bildersuche. Noah war auf fast allen Fotos mit der gleichen Frau zu sehen: Einer gewissen Julie Martins, nicht sehr groß, dafür sehr schmal, mit halblangen dunkelbraunen Haaren und großen braunen Augen. Sara fand, dass sie und die Fremde durchaus über eine gewisse Ähnlichkeit verfügten – Haarfarbe, Augenfarbe –, doch natürlich war Julies Haut hell, fast weiß, ihre Statur eher knabenhaft, weil sie so klein war, und, ja. In Saras Augen sah Sara aus wie eine Frau, diese Frau aber eher wie ein Mädchen. »Was, ganz nebenbei bemerkt, egal ist«, murmelte sie schließlich zu sich selbst, »weil ich für den Mann ohnehin nicht infrage komme. Selbst wenn er keine Freundin hätte.«

Weshalb es auch nicht weiter schlimm war, ihn noch ein wenig zu stalken, beschloss sie, klickte auf einen der Artikel zu den Fotos und begann zu lesen.