20.

Und, Action!«

Eine Klappe schlug. Das Surren der Kamera setzte ein, und Noah Perry neigte den Kopf, um Heather anzusehen, einige ausgedehnte Sekunden lang. Dann hob er die Hand, schob ihr eine verirrte Strähne ihrer blonden Locken hinter das Ohr, und …

»Stop!« Der Regisseur klatschte in die Hände. »Bitte wach werden, Leute. Das soll romantisch wirken, nicht so, als würdet ihr euch unter Wasser bewegen. Und Heather – zuck nicht zurück, wenn Noah deine Wange berührt, ja? Danke. Klappe, die zweite. Action.«

Noah Perry neigte den Kopf, um Heather anzusehen, zwei kurze Sekunden lang. Dann hob er die Hand, schob ihr eine verirrte Strähne ihrer goldenen Locken hinter das Ohr und beugte sich zu ihr herunter. Er sah sie an. Willst du es auch?, schien sein Blick zu fragen. Und Heather, die mit großen Augen zu ihm aufsah …

»Stop! Machen wir es anders. Heather, du starrst auf den Boden. Nein, auf deine Hände, die du vor deinem Körper wringst, alles klar? Du bist unsicher, ob das, was du fühlst, tatsächlich gut für dich ist, oder ob du nicht lieber Angst haben solltest vor dem Biest, von dem du weißt, dass es in ihm steckt. Und Noah, du gehst sehr viel selbstbewusster an die Sache heran, okay? Du weißt genau, was du willst – sie. Jetzt. Auf diesem Holzstapel. Du nimmst dir, ja? Fragen ist für Anfänger. Natürlich bist du nichtsdestotrotz ein nettes Biest. Du weißt, was ich meine. Ich weiß, dass du weißt, was ich meine. Also, von vorn, okay? Action! Klappe, die dritte.«

Für einen Moment starrte Noah seinen Regisseur Ian Grumbole an, einen brummigen Mann Mitte sechzig, mit Vollbart und Brillengläsern so dick, dass man unter ihnen Ameisen sezieren konnte. Noah wusste genau, was er meinte. Ians Anweisungen waren selten kryptisch und das einer der Gründe, weshalb er so gern mit ihm arbeite, bloß heute … heute fühlte er es nicht. Er warf einen Blick auf Heather, die ihrerseits Ian anstarrte. Nein, dachte er, ziemlich sicher fühlt Heather es heute auch nicht.

»Hallo? Jemand zu Hause bei euch? Action? War das irgendwie missverständlich?« Ian schob sich von seinem Regiestuhl und polterte auf die beiden Hauptdarsteller zu. »Fünf Minuten Pause«, rief er über die Schulter, bevor er sich vor Noah und Heather aufbaute, die Arme vor der Brust verschränkt. Wie üblich malträtierte er ein Kaugummi zwischen den Zähnen. Sein Hauptdarsteller wusste, dass er das tat, um der Anspannung in seinem Körper Herr zu werden, und trotzdem zuckte er jedes Mal vor den nicht gerade feinen Kaugeräuschen zurück.

»Mir ist kalt«, sagte Heather.

Automatisch legte Noah ihr einen Arm um die Schultern und rieb über die nackte Haut, die das kurzärmlige Nachthemd freiließ, das sie in dieser Szene trug.

»He, du!«, brüllte Ian, »ja, Typ in der grünen Jacke. Bring Heather ihren Bademantel und besorg zwei Tassen Tee, alles klar?« Dann wandte er sich in ähnlich militantem Tonfall seinen Schauspielern zu. »Wärmt euch auf, geht die Szene noch mal durch. Wenn wir in vier Minuten weitermachen, wäre es nett, wenn wenigstens irgendwas mal im Kasten wäre.« Er verbrachte eine weitere Minute damit, Noah und Heather zu erklären, was genau er sich von besagter Szene versprach, dann zog er sich zurück, um sich mit seinem Kameramann zu besprechen.

»Ich komme heute nicht so richtig rein«, erklärte Heather, zog mit einer Hand den Bademantel über der Brust zusammen und nippte gleichzeitig an ihrem Tee. »Ich habe Kopfschmerzen. Ian und seine Schreierei, er macht alles nur noch schlimmer.«

»Lass uns die Szene noch mal durchgehen«, schlug Noah vor. Er war nicht der Typ, der Zeit damit vergeudete, über einen Job zu jammern, den er liebte und von dem er sich glücklich schätzte, ihn überhaupt ausüben zu dürfen. Er war der Typ, der sich durchbiss. Das hatte er in den Jahren gelernt, die er auf den kleinsten Theaterbühnen gestanden und lediglich von Film und Fernsehen geträumt hatte.

»Deine Hände sind auch kalt«, erklärte Heather, und klang dabei so unglücklich, dass Noah lachen musste. »Nicht lustig«, murmelte sie.

»Heather?«

Beide blickten auf, als Minnie Barnes auf sie zukam, das obligatorische Clipboard unter den Arm geklemmt, die Lippen zusammengekniffen.

»Auf ein Wort?«, fragte sie.

Noah beobachtete, wie seine Partnerin beim kühlen Tonfall der Aufnahmeleiterin zusammenzuckte, doch nur eine Millisekunde später straffte sie die Schultern, nickte und folgte Minnie ein paar Schritte hinters Haus.

Noah nippte an seinem Tee. Er konnte sich sehr gut vorstellen, was dieses Gespräch beinhaltete, denn seit sie mit den Dreharbeiten auf dieser Insel begonnen hatten, führten Heather und die Aufnahmeleiterin es in regelmäßigen Abständen. Anfangs hatte sie auch ihn im Visier gehabt, doch seit einiger Zeit nur noch Heather. Je näher die Pressekonferenz rückte, auf der bekannt gegeben werden sollte, dass sie beide auch privat ein Paar waren, desto schwieriger schien es seiner Partnerin zu fallen, sich an die Vereinbarungen zu halten.

»Also, weiter geht’s«, dröhnte die Stimme des Regisseurs, und automatisch stellte sich Noah aufrechter hin. Er sah in die Richtung, in die Heather mit Minnie verschwunden war, wobei sein Blick an einer Bewegung hängen blieb, hinter den Büschen oberhalb des Sets. Alles war mucksmäuschenstill jetzt. Doch zwischen den Blättern und Zweigen erkannte er jemanden – zwei Gesichter, die sich dort versteckt hielten. Wenn er nicht komplett falschlag, gehörte eines davon der Tochter der Hotelbesitzerin, und die hatte wohl einen Jungen dabei. Noah nickte in die Richtung der Zuschauer, und es raschelte im Gebüsch. Dann sah er woanders hin. Es fiel nicht in seinen Zuständigkeitsbereich, dachte er, Schaulustige vom Set zu jagen. Oder sie zu verpfeifen.

»Kinder«, brummte Ian Grumbole.

Heather ließ ihren Morgenmantel von den Schultern gleiten und lief auf Noah zu. Stirnrunzelnd beobachtete er einen der Assistenten, die sofort herbeieilten, um das achtlos verworfene Teil vom Boden aufzuheben. Dafür, dass Heather erst einmal zuvor an einem Filmset gearbeitet hatte, benahm sie sich schon ziemlich filmstarmäßig, fand er. Er mochte sie, und die beiden kannten sich auch schon lange, noch von der Zeit am Theater. Doch diese Seite an ihr gefiel ihm gar nicht, das musste er sich wohl eingestehen.

»Und? Was hat sie gesagt?«, fragte er leise, als sie sich vor dem Holzstapel hinter der Hütte in die richtige Position brachten. Kaum waren sie dort, huschten auch schon die Stylistinnen um sie herum, um ihre Gesichter abzupudern und die Haare zu richten.

Heather warf ihm einen mahnenden Blick zu. Erst, als die Crew-Mitglieder sich zurückgezogen hatten, flüsterte sie: »Sie hat mich daran erinnert, dass etwa achtzig Prozent der Leute um uns herum keine Ahnung davon haben, dass das zwischen uns nicht echt ist. Und dass ich spätestens ab dem Zeitpunkt, in dem die Mitteilung an die Presse gegeben wird, anders zu dir aufschauen müsse.« Sie rollte mit den Augen. »Hübsch dramatisch, diese Mimi.«

Noah gab sich keine Mühe, den Namen richtigzustellen, weil er sich ziemlich sicher war, dass Heather ihn kannte. »Immerhin scheint es dir jetzt etwas besser zu gehen als vorher«, sagte er. Es sollte ja Menschen geben, die Wut stimulierte, fügte er in Gedanken hinzu, doch er behielt ihn für sich.

»Diese Frau besitzt keinen Funken Empathie«, knurrte Heather.

»Sie ist Geschäftsfrau«, gab Noah zurück. »Und das hier ist ein Geschäft.«

Heather schaute zu ihm auf, und er bewegte seine Hand zwischen ihnen hin und her, als wollte er zeigen: Das hier. Geschäft.

»Genau so ist es«, mischte sich Ian Grumbole in die Szene, obwohl er auf die Entfernung unmöglich den Wortlaut hatte erfassen können. »Sie, er, du, ich, knickediknack. Und zwar jetzt! Action! Klappe, die vierte.«

Die Klappe schlug. Noah neigte den Kopf, um Heather anzusehen. Mit der einen Hand hob er ihr Kinn an, mit der anderen schob er ihr eine verirrte Strähne ihrer goldblonden Locken hinter das Ohr.

»Torrda«, schnurrte er, was auch immer das in dieser erfundenen Sprache heißen mochte.

Heather schien es ebenfalls nicht zu wissen, und ganz nach Buch blinzelte sie ihn verwirrt an, bevor sich seine Lippen langsam auf die ihren senkten.

»Danke, das war nicht so übel«, erklärte Ian. »Aber so gut auch nicht. Torrrrdddaaaaa, Junge, torrrrdddaaaaa. Das ist ein Besitzanspruch, es ist das Wilde in dir, das da die Übermacht gewinnt, während du in dieses liebliche Gesicht stierst. Heather, das war gut. Ein bisschen mehr Angst, ein bisschen mehr Verlangen, dann tüten wir das ein. Und … Action! Klappe, die fünfte!«

»Torrrrdddaaaaa, torrrrdddaaaaa.« Er presste seine Lippen auf ihre, die Fingerspitzen noch unter ihrem Kinn, dann schloss er die ganze Hand um ihr schmales Gesicht und vertiefte den Kuss (für die Kamera zumindest, nicht in der Realität). In der Realität hielt er die Hand so, dass die Bewegung von Kopf und Kinn zwar auf Film gebannt wurde, nicht aber das, was Heather und Noah mit ihren Mündern anstellten. Was nicht viel war. Oder kaum etwas.

»Wie lange noch?«, raunte Heather zwischen zusammengepressten Lippen.

Anstelle einer Antwort schloss Noah sie fester in die Arme, schob ihren Körper mit seinem zurück, bis sie gegen den Stapel Holz in ihrem Rücken stieß. Er umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht und drehte den Kopf so, dass der Kameramann jetzt eigentlich nur mehr seinen Hinterkopf im Visier haben konnte.

»Ist es so furchtbar, mich zu küssen?«, raunte er.

»Bring mich nicht zum Lachen.«

»Wenn die Hände jetzt ein bisschen wandern könnten, bitte? Danke«, raunzte ein schlecht gelaunter Regisseur. »Und dann das Ganze noch mal, nur aus einem anderen Blickwinkel.«