Hilfe, was war das denn?« Mit gerunzelter Stirn starrte Nettie auf die Tür, durch die ihre Mutter sie gerade eben geschoben hatte.
»Keine Ahnung.« Damien wirkte genauso ratlos wie sie. Dann allerdings führte er sich die vergangenen Minuten noch einmal vor Augen, dachte an die Satzfetzen, die er verstanden hatte – Minverva, Security und so weiter, und dass Gretchen gar nicht mehr danach gefragt hatte. Stattdessen hatte sie Damien und Nettie angesehen, als habe sie sie gerade bei etwas wirklich Unangenehmen ertappt, bei etwas … Er schlug sich eine Hand vor die Stirn und brach dann in Gelächter aus.
»Was?«, fragte Nettie. »Was ist so witzig?«
»Ich denke«, begann Damien, »der Fernseher war vielleicht ein bisschen zu laut.« Er warf Nettie einen vielsagenden Blick zu.
»Zu laut? Inwiefern?«
»Aaah«, machte Damien, »oh Gott, ja, ja, ja.«
»Oh nein!« Nettie schlug beide Hände vors Gesicht, um dann durch ihre gespreizten Finger auf Damien zu starren, der wieder zu lachen begonnen hatte. »Du denkst, meine Mutter hat gedacht …« Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben, sodass ihr Freund sich kaum mehr halten konnte. »Das ist nicht witzig!«, schimpfte Nettie. »Das ist megapeinlich! Sie kann doch nicht wirklich denken, dass wir … dass wir …«
»Hey, beruhig dich. Ich denke nicht, dass sie es jetzt noch glaubt, nachdem sie uns gesehen hat. Und weiß, dass wir Harry und Sally angeschaut haben. Jeder kennt diesen Film, erst recht in ihrer Generation. Und jeder kennt die berühmte Orgasmus-Szene.«
Bei dem letzten Wort zuckte Nettie unmerklich zusammen – es war unangenehm genug, sich diese Szene anzusehen (Nettie war groß darin, sich für andere zu schämen), sie hatte nicht vorgehabt, sie auch noch mit Damien zu analysieren.
»Fein«, sagte Nettie, obwohl es alles andere klang als das. Sie stiefelte geradezu zurück zum Bett, ließ sich darauffallen und griff nach der Fernbedienung.
Damien setzte sich neben sie. Er grinste immer noch.
»Was?«
»Warum bist du so sauer?«
»Weil du die Sache offenbar nicht ernst nimmst! Nach allem, was meine Mutter weiß, sind wir inzwischen ein Paar, und dann hört sie solche Geräusche aus meinem Zimmer! Und sie muss denken, wir treiben was weiß ich was auf diesem Bett. Das, was Kaninchen sonst machen. Ich bin sechzehn, Himmel noch mal.«
»Kaninchen?« Noch einmal wirkte es so, als würde Damien in Gelächter ausbrechen wollen, doch in letzter Sekunde hielt er sich zurück. »Das kann nicht dein Ernst sein, Nettie«, sagte er stattdessen. »Und der von deiner Mutter ehrlich gesagt auch nicht. Was dachte sie denn, was wir hier drinnen anstellen? Einen Porno drehen? Ich meine, dieses Gestöhne, das kann doch unmöglich jemand für echt halten.«
»Ach, und wieso nicht?«
»Weil so niemand klingt beim Sex. Niemand!«
»Und das weißt du, weil …« Nettie starrte Damien an. Sie war gerade weit entfernt von peinlich berührt, vielmehr empfand sie hauptsächlich Wut. Wieso stellte er sich auf einmal so hin, als hätte er so viel mehr Erfahrung als sie? Wie viele Freundinnen hatte er denn schon gehabt, bitte schön? Und mit wie vielen von ihnen geschlafen?
»Nettie …«
»Scheinbar wissen wir viel weniger voneinander, als wir dachten«, sagte sie, und es klang reichlich bitter. »Endlich mal ein Punkt für die Negativ-Liste würde ich sagen. Da herrscht ohnehin ein kleines Ungleichgewicht.«
»Was für eine Negativ-Liste?«
Nettie zuckte mit den Schultern. Von der Seite warf Damien ihr einen misstrauischen Blick zu.
»Was für eine Negativ-Liste, Nettie?« Er betrachtete seine Freundin, die Augen jetzt zu schmalen Schlitzen geformt.
»Und wieso hast du diesen Film mitgebracht?«, fragte sie. »Um mich in eine blöde Situation zu bringen? Um mir klarzumachen, dass du viel erfahrener bist als ich?«
»Was?« Wieder lachte Damien, doch er wirkte gar nicht mehr amüsiert. »Spinnst du jetzt völlig? Ich hab den Film mitgebracht, weil es der Klassiker ist, wenn es darum geht, dass aus Freundschaft irgendwann mehr wird, und dass das funktionieren kann.«
Gut. Womöglich hatte er das so direkt gar nicht sagen wollen, denn in der Folge wurde Damien rot. »Der Film widerlegt außerdem die These«, erklärte er, deutlich leiser jetzt, »dass Männer und Frauen nur Freunde sein können.«
»Was soll das jetzt wieder heißen? Wir sind seit Jahren nur befreundet!« Nettie war so aufgebracht, sie sprang mit einem Satz vom Bett und baute sich vor Damien auf, der ebenfalls aufgestanden war.
»Weil wir Kinder waren«, sagte er beinahe ebenso empört.
»Ach, und von einem Jahr aufs andere sind wir erwachsen geworden, ja?«
»Worauf willst du eigentlich hinaus, Nettie? Du warst diejenige, die mich noch mal küssen wollte, und du warst auch diejenige, die mit mir in der Lobby Händchen halten wollte, weshalb nicht nur deine Mutter nun denkt, dass wir ein Paar wären, wie du vorhin selbst so trefflich angemerkt hast.«
»Aaargh«, rief Nettie, und dann raufte sie sich tatsächlich die Haare.
Damien lachte.
»Hör auf damit! Hör auf zu lachen, immer wenn es ernst wird!« Sie machte einen Schritt auf ihren Freund zu und schlug mit der Faust gegen seine Brust, was Damien nur noch mehr anstachelte. »Wenn ich gewusst hätte, dass das so schwierig ist«, schrie Nettie, »dann …«
»DANN?«
»DANN HÄTTE ICH MICH NICHT IN DICH VERLIEBT, DU IDIOT!«
Die Stille, die diesem Satz folgte, war so vollkommen, wie Netties Gebrüll zuvor, laut gewesen war.
Damien lachte jetzt nicht mehr.
Nettie atmete schwer, und ihre Haare, ohnehin eine vogelnestähnliche Kreation, standen in alle Richtungen ab. Niemals in seinem Leben hatte Damien sie als liebenswerter empfunden.
Statt den Mund zu öffnen und noch ein falsches Wort von sich zu geben (wahlweise Gelächter), schloss Damien sie in seine Arme. Er hielt sie fest, und Nettie sackte ein Stück gegen seine Brust, entweder vor Erleichterung oder einfach nur, um ihren hochroten Kopf zu verbergen.
Und während Damien noch blind über Netties Schulter auf deren Schreibtisch starrte, blinzelte er auf einmal.
Zweimal.
Und dann, als ihm klar wurde, was er da sah: »Was ist das? Ist das etwa diese Liste?«
Netties ominöse Liebes-Liste
Damien
Bester Freund – pro oder contra?
Everybody’s Darling (auch Charlottes …)
Brighton vs. Cornwall =
Eifersucht
Unsicherheit
Vertrauen?
Romantisch
Humorvoll
Selbstbewusst
Schmetterlinge …
Stimmt die Chemie?
Kann ich mir vorstellen, mit ihm Sex zu haben?
Kevin
Schulfreund
Witzig, sportlich, gut aussehend
Schon einige Monate mehr als freundlich …
Lebt in Penzance (Pluspunkt)
Typischer Junge
Wenig Interessen, außer Sport
Stimmt die Chemie?
Kann ich mir vorstellen, mit ihm Sex zu haben?
Freundschaft – Liebe – Können Jungen und Mädchen nur Freunde sein?
Ja!
Wenn man sich gut kennt
Wenn man nicht in dieser Weise denkt
Wenn …
Nein!
Anziehung, Spannung, Gegensätzlichkeit, Neugier
Weil einer mehr will als der andere?
Ungleichgewicht
Weil man vielleicht immer schon verliebt war, ohne es zu wissen
Weil ES zwischen einem steht (ES = SEX)
Kevin im Vergleich zu Damien (1 bis 10)
Gespräche 2/9
Schmetterlinge 3/9
Küsse 4/9
Boyfriend-Potenzial … woher soll ich das wissen???
Listen sind bescheuert.
Diese Listen führen zu gar nichts …