Helene Bruns trat von hinten an sie heran.
»Ebba, das Festzelt ist ein einziger Traum!«
Für eine Sekunde war die Hektik vergessen.
»Nicht wahr?«, meinte Ebba glücklich.
Ein Nachbar drängte sich zwischen die beiden.
»Ebba, wo finde ich einen Wasserschlauch?«
»Am Hof neben dem Kälberstall«, sagte sie. »Frag Ewald, falls er da nicht hängt.«
Er nickte und verschwand wieder.
»Ich trau mich gar nicht zu fragen, was das gekostet hat«, sagte Helene Bruns und sah neugierig zu Ebba auf.
»Ganz billig war es tatsächlich nicht.« Ebba würde ihr keine Zahl nennen, die sie weitertratschen konnte. »Aber du weißt ja, wie das ist. Wenn die einzige Tochter heiratet …«
»Wem sagst du das, Ebba. Und es ist wirklich toll.«
Ein weiterer Nachbar trat zu ihnen. »Ebba, hast du irgendwo eine Zange? Und vielleicht auch Gafferband?«
»Ja, habe ich beides. Ich hole es dir, eine Sekunde.«
»Wenn da nur nicht solche Rabauken zur Hochzeitsgesellschaft gehören würden«, redete Helene weiter. »Diese Schlägerei gestern … Das war wirklich furchtbar. Hat die Polizei denn noch jemanden festgenommen?«
»Nein, die haben das Ganze nur aufgelöst, und dann sind sie wieder gefahren. Wen sollten die auch festnehmen? Wenn sich erwachsene Männer einvernehmlich an die Gurgel gehen? Die haben nur …«
»Darf ich kurz stören?« Noch ein Helfer. »Ebba, ich bräuchte eine Stichsäge? Habt ihr so was in eurer Werkstatt? Sonst fahre ich schnell nach Hause und hole meine.«
»Nein, wir haben schon eine Stichsäge. Ich komme gleich mit. Eine Sekunde.«
Helene fuhr fort: »Ohne diese Rabauken wäre das jedenfalls nicht passiert. Aber was soll man machen? Ich sag meinem Rüdiger immer …«
Eine Flex heulte lautstark neben ihnen auf und beendete das Gespräch. Funken sprühten, das Heulen wurde schriller, dann brach eine Eisenstange in zwei Teile. Ebba gab Helene ein Zeichen, dass sie besser später weiterredeten. Dann drehte sie sich um und ging zum Haus.
Inzwischen war der Kranz über der Haustür angebracht. Und er sah wunderschön aus. Üppig, voller Rosen und leuchtend grün. Am schönsten war jedoch das glänzende Schild in der Mitte. Zwei goldene Ringe auf rotem Grund und drumherum gemaltes Eichenlaub. Wäre doch nur der Rest auch so perfekt wie dieser Ausschnitt.
Silke stand unter dem Kranz herum und plauderte mit einer Nachbarin, ganz so, als gäbe es sonst nichts zu tun. Ebba nahm sie beiseite.
»Willst du nicht noch mal mit einem Tablett Schnaps herumgehen?«, fragte sie.
»Ich war doch gerade. Vor fünf Minuten.«
»Deshalb musst du hier aber nicht herumstehen. Bestimmt gibt es noch was anderes zu tun. Du könntest zum Beispiel …«
Ein lauter Knall ließ sie verstummen. Die Flex war plötzlich still, das Radio plärrte nicht mehr, und über der Haustür war das Licht verloschen. Die Leute blickten sich ratlos an.
»Ewald!«, rief Ebba, weil der nicht gleich aufsprang und zum Sicherungskasten lief.
Ihr Ehemann blickte von der Flex auf. Er hob ratlos die Schultern. Offenbar konnte er sich nicht erklären, was passiert war.
»Ja, soll ich jetzt zum Sicherungskasten?«, rief Ebba.
Endlich setzte er sich in Bewegung. Na also.
»Du, Silke«, wandte sich Ebba an ihre Tochter. »Wegen der Band … Du erinnerst dich doch an Berthold Wentering? Der hat bei der goldenen Hochzeit von Maria Grothe die Musik gemacht. Da war doch …«
Silke sah entsetzt aus. »Auf keinen Fall!«
»Wieso denn nicht?«, fragte Ebba verwundert. »Gut, er macht nur ein Soloprogramm mit seiner Heimorgel. Das ist natürlich keine Band …«
»Mama! Und wenn der ein ganzes Orchester hätte! Auf keinen Fall macht der die Musik auf meiner Hochzeit!«
Ebba war von der Heftigkeit dieser Ablehnung überrascht.
»Aber der hat doch so schöne Musik gemacht. An dem Abend bei Maria Grothe. Das haben alle gefunden. Und ich muss ganz ehrlich sagen, mir hat das unheimlich gut gefallen.«
»Schöne Musik? Hast du einen Knall? Heino und Hannelore, oder was soll das gewesen sein? Ich sage dir, dieser Spacko mit seiner Fönfrisur! Wie alt ist der denn, siebzig? Und dann seine bescheuerte Orgel! Das darf doch nicht wahr sein.«
»Dann sag mir bitte, wo du jetzt noch eine Band auftreiben willst. Die sind doch alle ausgebucht.«
»Das ist mir egal. Aber Berthold kommt mir nicht ins Haus. Ende der Durchsage.«
»Warten wir doch erst mal ab, was er sagt. Bestimmt hat er auch moderne Sachen in seinem Repertoire. Wir können ja mal ganz unverbindlich mit ihm reden.«
»Mama!« Silke funkelte ihre Mutter wütend an.
Nun war Ebba ein bisschen beleidigt. »Glaub ja nicht, dass du dir das großartig aussuchen kannst«, sagte sie. »Du solltest froh sein, wenn Berthold überhaupt Zeit hat.«
Bevor Silke etwas erwidern konnte, trat ein weiterer Nachbar an sie heran. »Ebba, die Leute vom Zeltverleih brauchen Strom. Sonst können sie die Lampen nicht anbringen.«
Ebba wandte sich zur offenen Haustür. »EWALD!«
Keine Antwort.
»JA, WAS IST DENN JETZT?«
»Ich hab’s noch nicht«, kam es gedämpft von drinnen.
Ebba seufzte. »Sag den Leuten, der Strom ist gleich wieder da.« Dann machte sie sich auf den Weg ins Haus. Zu Silke sagte sie im Vorbeigehen: »Ich werde mal mit Berthold reden. Ich hab gehört, der spielt auch Lieder von ABBA und den Beatles. Mit deutschen Texten! Das wär doch vielleicht was.«
Ebba bahnte sich den Weg in die Küche. Sie konnte nur hoffen, dass der Stromausfall keine Schäden an der Tortenfront hinterlassen hatte. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Baiserböden zusammengestürzt wären. Doch in der Küche fand sie ihre Schwestern konzentriert bei der Arbeit vor. Von Panik keine Spur.
»Ist alles in Ordnung hier?«, fragte Ebba.
»Du meinst, wegen dem Stromausfall?«, kam es von Helga. »Nein, es war nichts im Ofen. Auch sonst alles gut. Aber der Strom kommt doch gleich wieder?«
»Das will ich hoffen«, sagte Ebba.
»Und wann kommst du, um zu helfen?«, fragte Immi. »Du wolltest uns doch bei der Torte zur Hand gehen. Hast du das vergessen?«
Die Küchentür wurde aufgeschoben, und der Nachbar von vorhin tauchte wieder auf. »Ebba, denkst du an die Zange und das Gafferband?«
»Ja, natürlich. Ich komme gleich.«
Er nickte und verschwand wieder.
»Ich glaube, ich schaffe das gar nicht«, sagte Ebba zu ihren Schwestern. »Ihr seht ja, was hier los ist. Ich werde da draußen gebraucht.«
Immi und Helga wechselten Blicke, sagten aber nichts.
»Wie kommt ihr voran?«, fragte Ebba.
»Na ja. Als Nächstes müssen die Böden nach und nach in den Ofen. Dann sind die Füllungen dran. Am längsten werden die Verzierungen brauchen. Wir sind halt sehr spät dran, weißt du? Deshalb hätten wir deine Hilfe gut gebrauchen können.«
»Es geht halt nicht! Was soll ich denn machen?«
Es reichte doch, dass die Nachbarn sie ständig herumscheuchten. Sie wollte sich von ihren Schwestern nicht auch noch Vorhaltungen machen lassen.
»Ihr müsst euch eben ein bisschen beeilen, ich kann es nicht ändern.«
Ohne von ihrer Rührschüssel aufzusehen, sagte Immi halblaut, aber so, dass Ebba es hören konnte: »Ich habe ja gleich gesagt, wir sollten ein oder zwei Tage früher mit der Torte anfangen.«
»Damit der Kuchen am Hochzeitstag alt schmeckt?«, fuhr Ebba sie an. »Bitte. Beeilt euch einfach. Ich werde in der Zwischenzeit …«
Sie wurde auf Kamilla aufmerksam, die sich gar nicht am Gespräch beteiligte. Sie saß still am Küchentisch, scheinbar völlig gedankenverloren. Vor ihr lag eine Tüte mit Haselnüssen, die sie sorgfältig auf einem Brett aufreihte.
»Kamilla, was machst du denn da?«, wollte Ebba wissen.
Kamilla reagierte nicht. Offenbar hatte sie Ebba nicht einmal gehört. In aller Seelenruhe sortierte sie ihre Haselnüsse. Und schien dabei alle Zeit der Welt zu haben.
»KAMILLA!«
Sie schreckte auf. Sah Ebba an wie ein Schulmädchen, das beim Schummeln erwischt worden ist.
»Was du da machst, habe ich gefragt!«
»Ich … ähem, ich zähle nur die Nüsse, weil …«
»Die kommen doch in den Kuchenteig, oder?«
Ebba spürte Ärger in sich aufsteigen. Mit zwei Schritten war sie am Küchentisch. Jetzt sollte ihr Kamilla erst einmal erklären, was da so lange dauerte.
»Ebba, nicht«, ermahnte Immi sie leise.
Doch Ebba hatte sich bereits vor Kamilla aufgebaut.
»Ich versuche nur, den Überblick zu behalten«, verteidigte sich Kamilla. »Wegen der Quersummen, weißt du? Damit nicht in einem Kuchen etwas anderes …«
»Jetzt wird es mir zu viel! Wir müssen uns beeilen, Kamilla! Verstehst du das nicht?«
Ebba nahm das Brett mit den Nüssen, hob es auf und schüttete die Nüsse in die Rührschüssel. Ein paar kullerten vorbei und fielen auf den Tisch, doch die meisten landeten im Kuchenteig. Kamilla stieß einen Schrei aus. Sie schlug sich die Hände vor den Mund. Fassungslos starrte sie in die Rührschüssel.
»So, und jetzt mach mit dem Teig weiter«, sagte Ebba.
Kamilla sah sie an, als hätte sich Ebba vor ihren Augen in den Teufel verwandelt. Sie schien den Tränen nah.
»Wie kannst du nur …?«, begann sie.
»Ich schwör dir, Kamilla, wenn du dich jetzt nicht ein bisschen beeilst, dann schick ich dich in den Stall zum Fensterputzen. Mal sehen, wie dir das gefällt, draußen im Hühnerstall zwischen Spinnweben und Vogelkot.«
Kamilla wurde blass. Sie hätte nicht schockierter aussehen können, wenn Ebba ihr ins Gesicht gespuckt hätte. Trotzdem fühlte sich ihre große Schwester im Recht. Mehr noch: Sie war stocksauer auf Kamilla. Am liebsten hätte sie ihr Desinfektionsset genommen und es in die Jauchegrube geworfen. Sie kannte ja die Eigenarten ihrer Schwester, und normalerweise richtete sie sich auch immer und überall danach. Aber heute machte sie dieses Gezähle rasend. Kamilla sollte sich nur ein einziges Mal etwas zusammenreißen. Das war doch nicht zu viel verlangt.
In der Küche herrschte angespanntes Schweigen. Ebba zupfte wortlos die Bluse zurecht. Sie würde nicht einlenken. Schließlich war es Helga, die das Schweigen beendete.
»Gibt es Neuigkeiten wegen der Band?«, fragte sie.
»Nein, nichts«, sagte Ebba. »Silke will nicht, dass Berthold morgen die Musik macht.«
»Ich kann sie ja verstehen«, sagte Helga vorsichtig. »Berthold tritt normalerweise nur in Seniorenheimen auf. Das mit der goldenen Hochzeit von Maria Grothe war eine Ausnahme. Wer will so jemanden schon auf seiner Hochzeit haben?«
»Aber wo soll ich jetzt noch eine Band herzaubern?«, fragte Ebba. »Einen Tag vor der Hochzeit!«
»Diese Jungs von der Band sollte man übers Knie legen«, meinte Immi. »Sagen einfach ab, nur wegen dieser Schlägerei.«
»Vielleicht kann Christian ein gutes Wort bei denen einlegen?«, schlug Helga vor.
»Nein, das würde nichts bringen«, meinte Ebba. »Diese verfluchten Hurensöhne. Wir zahlen denen eine Ausfallgebühr, ist das zu glauben? Aber der Vertrag ist offenbar rechtsgültig. Die Tochter von Helene Bruns hat ihn sich angesehen. Ihr wisst ja, die ist Rechtsanwaltsgehilfin.«
Der Kühlschrank begann plötzlich zu rattern, und am Ofen leuchtete die Kontrolllampe auf. Der Strom war wieder da.
»Na, Gott sei Dank!«, sagte Immi. »Wenigstens etwas.«
Doch im nächsten Moment gab es einen Rums, die Lampe verlosch wieder, und der Kühlschrank kam stotternd zum Stillstand.
»Was ist denn da los?«, fragte Helga.
Ebba riss die Küchentür auf. »EWALD!«
»Ja, doch. Ich hab’s gleich«, kam es gedämpft zurück.
»Ich muss jetzt zur Kirche«, erklärte Ebba. »Die Blumen für den Altarraum stehen fertig in der Gärtnerei. Nur die Moosherzchen, mit denen die Kirchbänke geschmückt werden sollen, die müssen noch gebunden werden. Ich hoffe ja, dass mir der Pastor ein bisschen hilft.« Sie atmete durch. »Ich werde also eine Zeit lang nicht hier sein. Falls einer nach mir …«
Sie stockte. Kamilla pulte sorgfältig die Nüsse aus dem Teig heraus, betrachtete sie von allen Seiten und legte sie nach und nach zurück aufs Brett. Sie hatte sich eigens ihre Einweghandschuhe dafür übergezogen.
Auf einmal sah Ebba rot. Später konnte sie sich nicht erklären, woher dieser Wutausbruch gekommen war. Doch jetzt konnte sie sich nicht mehr bremsen.
»Ich hab wirklich genug von dir!«, schrie sie ihrer Schwester ins Gesicht. »Weißt du eigentlich, was du für eine Zumutung bist? Geh halt endlich zum Psychologen, wenn du nicht zurechtkommst! Du bist irre, Kamilla! Und diese ganzen Verrücktheiten sind für uns ein Terror. Ein einziger Terror. Damit bist du zu gar nichts zu gebrauchen! Wann merkst du das endlich?«
Dann wurde es still. In der Küche hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Ebba spürte ein Kratzen im Hals. War sie so laut gewesen? Kamilla schwieg. Doch ihre Augen waren wie Wunden. Ebba wusste sofort, dass sie zu weit gegangen war. Sie meinte das alles ja auch gar nicht so. Aber es war zu spät, die Worte konnten nicht mehr ungesagt gemacht werden.
Kamilla stand auf, zog die Einweghandschuhe aus, nahm das Köfferchen, streckte den Rücken durch und verließ erhobenen Hauptes die Küche.
»Ich hab es nicht so gemeint«, sagte Ebba, doch da war ihre Schwester schon in der Diele verschwunden.
Immi und Helga sahen sie vorwurfsvoll an.
»Es tut mir leid«, sagte Ebba. »Schnell, lauft ihr hinterher. Ihr müsst ihr sagen, dass es mir leidtut.«
»Das musst du schon selber tun, Ebba«, sagte Immi.
»Und zu zweit werden wir diese Torte niemals fertig bekommen«, schob Helga kühl hinterher.
Ebba atmete durch. Sie musste einlenken, das begriff sie nun. Kamilla würde schon verstehen. Es war der Stress, der ihr zugesetzt hatte. Da wurden manchmal Dinge gesagt, die man später bereute.
Sie verließ die Küche und trat nach draußen. Doch sie sah nur noch Kamillas Auto vom Hof fahren. Es bog auf die Straße und beschleunigte.
Ebba wusste nicht, was sie nun tun sollte. Sie spürte ihr schlechtes Gewissen. Für diese Sache war sie allein verantwortlich, diese Schuld konnte sie keinem anderen anlasten.
»Ebba, denkst du noch an die Zange?«, fragte eine Stimme. Der Nachbar war wieder aufgetaucht. Ebba blickte Kamillas Auto hinterher, das sich schnell entfernte.
»Ja, warte«, sagte sie. »Ich hole sie jetzt. Eine Zange also. Und Gafferband, richtig?«
Ebba brachte ihm das Gewünschte aus der Werkstatt. Bei den Nachbarn herrschte offenbar gute Stimmung. Die Frauen alberten herum, während sie Papierrosen an den Sträuchern anbrachten. Und die Männer standen mit einem Bier in der Hand daneben und beratschlagten, wie sie den Rosenbogen in der Erde befestigen sollten. Dort schien alles gut zu laufen. Wenigstens eine gute Sache.
Ebba wurde auf eine Gestalt am Festzelt aufmerksam. Das war Silke. Sie stand einfach da und sah zu ihr herüber. Es wirkte, als hätte ihre Tochter sie bereits seit einer Weile beobachtet.
Sie sah gar nicht aus wie eine glückliche Braut. Die Mundwinkel hingen herunter, die Stirn war in Falten gezogen, ein verhärmter Zug war in ihrem Gesicht aufgetaucht. In ihrer Hand hielt sie ein Schnapsglas. Sie kippte das hochprozentige Getränk runter, stellte das Glas auf einen Tisch und ging ihrer Mutter entgegen.
»Hast du noch mal mit Berthold gesprochen?«, fragte sie.
»Nein, noch nicht«, sagte Ebba. »Vielleicht haben wir ja doch noch eine andere Idee. Ist wirklich nicht so passend, wenn Berthold das macht.«
Silke nickte, als wollte sie sagen: Gut, dann ist dieser Punkt schon mal abgehakt.
»Da ist noch etwas«, sagte sie. »Mama, ich habe nachgedacht. Wenn ich Christian heirate, möchte ich nicht, dass da irgendwelche Geheimnisse zwischen uns sind. Ich werde mit ihm reden. Du weißt schon, wegen dieser Sache damals in Frankreich.«
Ebba fühlte sich, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. Viel härter als der mit der Faust, den sie gestern beim Polterabend abbekommen hatte. Sie wankte. In ihrer Phantasie hörte sie bereits einen Ringrichter, der sie auszählte. Doch so leicht wollte sie sich nicht geschlagen geben.
»Silke, das darfst du nicht«, sagte sie eindringlich. »Wir haben doch darüber gesprochen.«
»Ja, du hast eine Menge geredet, das stimmt. Aber wenn ich so darüber nachdenke, gibt es eigentlich keinen Grund, weshalb Christian diese Geschichte nicht kennen sollte.«
»Nach der Hochzeit! Bitte, Silke. Erzähl ihm die Sache nach der Hochzeit.«
»Es fühlt sich irgendwie falsch an.«
Ebba packte ihre Tochter an den Schultern.
»Silke! Warum jetzt? Warum heute?«
»Weil ich morgen heiraten werde.«
»Das hättest du dir früher überlegen sollen. Dafür ist es jetzt zu spät. Wir haben auch so genügend Ärger. Wenn wir jetzt auch noch mit dieser Geschichte rauskommen, dann bricht vielleicht alles zusammen.«
Silke wirkte unentschieden.
»Bitte, Silke, sag es ihm nach der Hochzeit. Sofort, meinetwegen. Aber nicht jetzt. Nicht heute. In Ordnung? Versprichst du mir das?«
Ein widerwilliges Brummen. Aber Ebba wusste, es bedeutete Ja. Und darauf kam es an.
»Also gut«, sagte sie. »Ich muss jetzt zur Kirche. Ich bin in einer Stunde wieder da, das hoffe ich jedenfalls. Kommst du so lange allein zurecht?«
»Na klar«, sagte Silke, wand sich aus dem Griff ihrer Mutter und schlurfte davon.
Ebba sah ihr hinterher. Es würde schon alles gut gehen, redete sie sich ein. Silke würde eine glückliche Braut sein, auch wenn sie jetzt noch schlechte Laune hatte. Es würde ein tolles Fest werden, an das alle noch lange mit einem Lächeln zurückdenken würden.
Sie stieg ins Auto, fuhr vom Hof und bog auf die Straße nach Papenburg. Und dann, als der Hof aus ihrem Sichtfeld rückte und sie vom monotonen Surren der Motoren eingelullt wurde, da endlich begannen ihr die Tränen übers Gesicht zu laufen.