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Kayla sah sich um. Es herrschte reges Treiben in der Küche. Nachbarsfrauen telefonierten, stellten Listen zusammen oder diskutierten darüber, wie sich bestimmte Dinge noch kurzfristig organisieren ließen. Auch Lutz war da, und Tonis Onkel Ewald tauchte immer wieder auf, um sich zu erkundigen, wie er helfen könne. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren.

Kayla war nun diejenige, die alles koordinierte. Sie wusste gar nicht, wie sie dazu gekommen war, aber irgendwie führte sie jetzt das Kommando. Sie hatte Ebbas Job übernommen, die Schwestern waren ganz selbstverständlich davon ausgegangen. Da stand sie nun mitten in der Küche und konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen: Kayla Barnes leitete die Organisation einer Bauernhochzeit. Wer hätte das je für möglich gehalten?

Unfassbar, was noch alles zu tun war. Selbst wenn die Hochzeit in ein paar Tagen stattfinden würde, wäre es kaum zu schaffen.

Immi, die gerade ein Telefonat beendet hatte, kam auf sie zu. »Wir bekommen zwanzig weiße Tischdecken aus dem Krankenhaus. Die Freundin meiner Tochter arbeitet da als Küchenhilfe, die hat das organisiert. Zwanzig Tischdecken reichen natürlich nicht, aber …«

»Zwanzig ist super«, sagte Kayla und machte sich eine Notiz auf eine ihrer vielen Listen. »Helene Bruns versucht’s gerade im Seniorenheim. Mal sehen, was dabei rauskommt. Aber zwanzig sind schon eine Menge.«

»Von unserem Caterer bekommen wir keine einzige«, beklagte sich Immi. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Wenn man überlegt, was da ein Essen kostet, sollte man doch denken, die hätten irgendwo im Keller noch Tischwäsche für Notfälle. Aber nichts. Die decken nur das Büfett ein und fertig. Die Chefin ist richtig pampig geworden, als ich mit ihr gesprochen habe. Ich schwör dir, Kayla, das werde ich beim nächsten Landfrauentreffen allen erzählen, und zwar lautstark, und auch in der Kirchengemeinde. Diese blöde Catering-Frau wird noch bereuen, dass sie uns so behandelt hat. Und das bei den Preisen!«

Lutz kam am Küchentisch vorbeigerauscht. Mit Klemmbrett und Headset. Er schien sich pudelwohl in seiner neuen Rolle zu fühlen: Lutz, der Wedding-Planner.

»Mit wem telefoniert er denn gerade?«, fragte Immi.

»Mit einem Dekogroßhandel aus Hamburg. Er kennt da einen aus dem Verkauf, mit dem er mal … na, du verstehst schon.«

»Ein Verflossener?« Immi machte große Augen. »Aus dem Dekogroßhandel? Lutz ist ein Goldstück!«

»Abwarten. Mal sehen, was kommt. An Privatleute verkaufen die nämlich nichts. Es geht jetzt eher darum, ob da irgendwo was vom Lkw fällt.«

Lutz wirbelte herum. »Kayla, können wir fünfhundert Halloween-Tischsets mit Kürbismotiv brauchen?«

»Verstehst du jetzt, was ich meine, Immi?«, sagte Kayla lächelnd und beantwortete die Frage: »Nein, ich glaube, das wäre nicht so passend.«

Lutz nickte. »Und was ist mit zwei Kisten Dekoobst aus Plastik?«, fragte er.

Die beiden Frauen sahen sich ratlos an. Sie fragten sich, wofür man bei dieser Hochzeit Dekoobst verwenden konnte.

Doch Lutz achtete schon gar nicht mehr auf sie. Er war wieder ins Gespräch abgetaucht, lief aufgeregt auf und ab, bis er plötzlich stehen blieb und freudig rief: »Das ist ja großartig! Das nehmen wir! Hörst du? Nehmen wir!«

Kayla und Immi waren bereits gespannt, was Lutz jetzt wieder ergattert hatte, doch bevor der etwas sagen konnte, drängte sich Helene Bruns dazwischen.

»Im Seniorenheim ist nichts zu machen«, sagte sie. »Die haben keine Tischwäsche übrig. Außerdem: Selbst wenn wir genug Tischdecken bekommen, wir haben noch gar nicht über die Blumengestecke nachgedacht. Wir finden doch heute keinen Floristen mehr, der für ein paar Dutzend Tische Blumengestecke bindet. Es ist Samstag, die machen gleich alle zu. Wollt ihr etwa Saftgläser mit Kornblumen aufstellen?«

Kayla und Immi wechselten einen kurzen Blick, dann rief Kayla über Helenes Schulter hinweg: »Lutz! Sag ihm, wir nehmen das Plastikobst!« Zu Helene meinte sie: »Statt Blumen. Besser als gar nichts, oder?«

Lutz zeigte den erhobenen Daumen und zwinkerte.

»Arrangements aus Obst«, sagte Helene nachdenklich. »Warum nicht? Das könnte hübsch werden! Mal sehen, was wir da kriegen.«

Lutz riss sich das Headset vom Kopf und lief strahlend auf sie zu. »Ihr glaubt nicht, was ich gerade ergattert habe!«, rief er und wartete, bis er die ganze Aufmerksamkeit der Frauen auf sich gelenkt hatte. »Vier Kisten Plastikmargeriten! Zwölftausend Stück! Stellt euch das vor! Vier Kisten!«

Kayla konnte seine Begeisterung nicht ganz teilen.

»Und was willst du damit?«, fragte sie.

»Warte es ab! Du wirst schon sehen! Ich weiß noch nicht genau, aber ich lasse mir was einfallen. Zwölftausend Margeriten! Sag nicht, dass dein Herz da nicht höher schlägt.«

»Nun ja. Ganz ehrlich? Ich denke …«

Weiter kam sie nicht. Ewald trat in die Küche und sah sich schüchtern um. Dann entdeckte er Kayla, zog sich die Mütze vom Kopf und trat auf sie zu.

»Ich hole jetzt die Stühle aus der Schule«, sagte er.

Tante Helga hatte beim örtlichen Gymnasium erreicht, dass sie sich fünfzig Stühle aus der Aula ausleihen durften. Ewald würde sie mit dem Schweineanhänger abholen, und der Hausmeister hatte versprochen, ihm beim Einräumen zu helfen.

»Gut, mach das«, sagte Kayla. »Wie sieht es draußen hinter der Scheune aus?«

»Die Jungs vom Schützenverein bauen gerade das Zelt auf. Die sind gleich fertig. Ich muss dann nur noch die Kühe in den Boxenlaufstall treiben.«

Sie blickte auf die Uhr. »Noch drei Stunden bis zur Trauung. Die Zeit läuft uns davon.«

Ein Nicken, das war alles. Kayla seufzte.

»Wie geht es Ebba?«, fragte sie.

»Sie ist immer noch in ihrem Zimmer.«

»Und Silke? Ist die wieder aufgetaucht?«

Ewald schüttelte den Kopf.

Kayla zögerte. Eigentlich war es Wahnsinn, was sie hier machten. »Wir machen aber weiter, oder?«

»Ja«, sagte er. »Wir machen weiter.«

Dann wandte er sich ab, setzte sich die Mütze wieder auf und ging.

»Hey, Lutz!«, rief Kayla. »Was ist mit der Band? Sind die unterwegs?«

»Na klar. Die sind schon auf der Autobahn.«

»Hast du denen die Liederauswahl gemailt?«

»Sicher doch, alles kein Problem.«

Kayla dachte nach. Die Technik wurde von der Band mitgebracht, glücklicherweise, doch das war alles. Sie hatten weder eine Bühne noch eine Tanzfläche. Und die fünfzig Stühle aus der Schule würden nie und nimmer reichen.

Helga tauchte auf. »Ich hab jetzt alle Getränkemärkte durch. Wir sind definitiv zu spät. Die haben ihre Bierbänke und Biertische schon verliehen. Alles ausgebucht. Bei dem Wetter ja kein Wunder.«

»Was ist mit dem Fußballvereinsheim?«, mischte sich Helene Bruns ins Gespräch. »Die haben Biertische im Keller stehen. Ich kann mal meinen Neffen anrufen, der ist da im Vorstand.«

»Mach das, Helene!«, sagte Kayla. »Das ist super!«

Doch Immi schien die Sache nicht zu behagen. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Biertische? Auf einer Hochzeit? Fällt uns denn nichts anderes ein?«

»Unsinn, Immi. Das ist nur eine Frage der Dekoration«, meinte Helga. »Die sehen später toll aus.«

»Wie willst du die denn toll aussehen lassen? Mit Kürbistischsets etwa?«

»Jetzt warte doch erst mal ab«, sagte Helga.

»Papiertischdecken hätten wir jedenfalls genug«, meinte Helene Bruns.

»Auf keinen Fall Papiertischdecken! Wenn schon Biertische, dann mit Stoff! Und zwar mit dem edelsten, den wir kriegen können.«

»Aber wir haben nicht einmal genug weiße Tischdecken …«

Kayla beschloss, die Frauen allein zu lassen. Bei dieser Diskussion musste sie nicht dabei sein. Sie blickte sich um und wurde auf Kamilla aufmerksam, die mit einem Telefon vor den aufgeschlagenen Gelben Seiten hockte. Anscheinend arbeitete sie sich durch die Liste der Konditoreien aus der Gegend. Kayla trat an sie heran und wartete, bis sie das Telefonat beendet und anschließend eine der Konditoreien von der Liste gestrichen hatte.

»Läuft nicht so gut?«, fragte sie.

»Was die Hochzeitstorte angeht, sehe ich schwarz«, sagte Kamilla. »Wir würden nicht mal zweihundert Plunderteilchen bekommen, geschweige denn eine Torte für so viele Personen. Vielleicht sollten wir doch lieber noch selber backen. Aber dafür fehlt wohl die Zeit.«

So war es. Sie müssten ja erst noch Zutaten kaufen, um dann für zweihundert Gäste zu backen. Es würde zu viel Zeit und Arbeit in Anspruch nehmen. Kayla glaubte plötzlich, das Ticken der Wanduhr zu hören, aber das bildete sie sich sicher nur ein.

»Hast du mit Ebba gesprochen?«, fragte sie.

»Nein. Ich hab mich noch nicht getraut.«

»Sie liegt immer noch im Bett. Rede doch mit ihr.«

»Also gut.« Kamilla holte Luft.

»Es sind noch drei Stunden bis zur Trauung. Ebba muss noch zum Friseur. Es wird wirklich Zeit.«

Kamilla erhob sich. »Keine Ahnung, ob sie mich überhaupt sehen will.«

Sie schenkte Kayla ein tapferes Lächeln, zupfte den Pullover zurecht und verließ die Küche. Kayla nickte. Das wäre also auch geregelt. Ein Gefühl sagte ihr, Kamilla würde Ebba am ehesten zum Aufstehen bewegen können.